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Full text of "Jahrbücher für Philologie und Paedagogik"

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JAHRBUCHER 

FÜR 

PHILOLOGIE  UNDPjaDAGOGIK, 


Eine  kritische  Zeitschrift 

in  Verbindung  mit  einem  Verein  von  Gelehrten 

herausgegeben 

von 

M.  Joh,  Christ,  Jahn, 


Dritter   Jahrgang. 


Zweiter  Band.     Erstes   Heft. 

Oder  der  ganzen  Folge 

Siebeuter  Band.  Erstes  Heft. 


Leipzig, 

Druck  und  Verlag  von  B.  G.  Teubner. 

18     2     8. 


Si  quid  novisti  rectius  istis, 
Candidas  iniperti;    si  non ,    Iiis  utere  mecum. 


d.  Bibliothek  des  ] 
-Gymnasiums, 
München, 
outadichleclen 


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Römische   Litteratur. 


Lateinische  Grammatik  von  Ludw.  Ramshom.     Leipzig-, 
Vogel.  1824.  8. 

Zweit  er  Artikel. 

[Fortsetzung  der  Bd.  V  Heft  1  S.  73  fF.  begonnenen  Recension.] 

"cn  grössteii  Theil  des  genannten  Werkes  nimmt  natürlich  die 
Syntax  ein,  d.h.  nach  der  Definition  des  Verf.,  die  Lehre  von  der 
Ziisammenfügiing  der  Redelheile  zur  zusammenhängenden  Hede 
in  Sätzen  ?ifid  Perioden.  Sie  zerfällt  ihm  in  drei  Abtlieihnigcn, 
von  welchen  die  1)  von  der  Bildung  und  Form  der  Sätze^ 
§  90  —  196,  S.  150  —  625,  die  2)  von  der  Stellung  der  Re- 
detheile  in  Sätzen  und  der  Sätze  in  Perioden ,  §  196  —  203, 
S.625 — 653,  die  3)  von  ungewöhnUvlien  Constructionen  oder 
von  dem  rechten  Gebrauche  d^er  Figuren  (später  nennt  es  der 
Hr.  Verf.  Veredlung  des  Ausdrucks)  handelt ,  §  203  —  206, 
S.  653  —  715.  Angehäna^t  sind  noch  der  römische  Kalender.^ 
§  207,  und  Prosodik  und  Metrik^  §  208  —  222 ,  S.  717  —  784. 
Man  sieht  sehr  leicht  ein,  was  der  Hr.  Verf.  mit  dieser  Ein- 
theilung  gewollt  hat ;  der  2e  und  3e  Theil  nämlich  soll  ohnge- 
fähr  das  abhandeln,  was  andre  neue  Grammatiker  unter  dem 
Namen  einer  syntaxis  ornata  und  ßgurata  beibringen.  Allein 
eben  so  leicht  ergiebt  sich  auch  ihre  Unrichtigkeit;  denn  wenn 
nach  jener  Definition  die  Syntax  Satzlehre  ist,  so  umfasst  der 
erste  Theil,  als  vofi  der  Bildung  und  Form  der  Sätze  handelnd, 
offenbar  die  ganze  Syntax,  und  die  beiden  andern  können  we- 
nigstens durchaus  nicht  Haupttheile  seyn ,  sondern  höchstens, 
als  in  dem  ersten  begriffen ,  Unter ahtheilungen  desselben  bil- 
den. Noch  sonderbarer  erscheint  diese  Eintheilung,  wenn  man 
die  kurze  Einleitung  betrachtet ,  womit  der  Hr.  Verfasser  den 
Sten  Theil  beginnt.  Er  sagt  daselbst,  dass  die  Sprache  des  ge- 
bildeten Römers  (urbanitas)  sich  von  der  des  gemeinen  und 
Landmanns  (rusticitas)  durch  eine  gewähltere  und  edlere  Aus- 
drucksweise auszeichne,  indem  die  erstere  aus  höhern  Griinden 
einen  gewähltem ,  vollständigem  und  präcisern  Ausdruck  statt 

1* 


4  Römische  Litte ratur. 

des  gemeinen,  und  seltnere,  scheinbar  regelwidrige  Constnicti- 
onen  statt  der  gewöhnlichen  Redeweise  brauche.  Da  mm 
aber  in  diesem  SteuTheile  jene  urbaidtas  gelehrt  werden  soll, 
so  wird  man  durch  eine  solche  Entgegcnstellung  der  Tlieile 
fast  veranlasst  zu  denken,  als  sey  im  ersten  Theile  der  Syntax 
die  rusticitas  zum  Grunde  gelegt  worden.  Dicss  ist  nun  zwar 
keineswegs  derFall,  giebt  aber  doch  den  sichersten  Beweis  von 
der  Zwecklosigkeit  und  Unrichtigkeit  jeder  solchen  Eintheilnng. 
Der  Grundirrthum,  der  dabei  obwaltet,  ist  der,  dass  man  schön 
und  richtig  zu  Gegensätzen  macht.  Diess  ist  nun  aber  schon 
an  sich  falsch,  und  widerspricht  eben  so  sehr  auch  dem  Zwecke 
der  Sprachlehre,  die  ja  hauptsächlich  eine  Darstellung  der 
Sprache  desjenigen  Zeitalters  enthalten  soll,  in  welchem  sie  in 
ihrer  schönsten  Bliithe  war.  Uebcrhaupt  aber  lassen  sich  zwi- 
schen dem  Scbönen  und  Richtigen  fast  nirgends  so  schwer  Gren- 
zen ziehen,  als  gerade  in  der  Sprache.  Denn  selten  nur  konnte 
etwas,  was  man  f  iir  schön,  elegant  u.  s.  w.  gesagt  erklärt,  anders  ge- 
sagt werden,  obne  zugleich  auch  wenigstens  in  etwas  an  Zweck- 
mässigkeit und  Richtigkeit  zu  verlieren.  Diess  gilt  sowolil  von 
der  sogenannten  Eleganz  im  Ausdruck,  als  in  der  Wortstellung 
und  im  Periodenbau.  Der  minder  elegante  Ausdruck  wird 
auch  meist  der  minder  richtige  seyn,  und  die  Stellung  der  ein- 
zelnen AVörter  ist  wenigstens  in  den  meisten  Fällen  eben  so  sehr 
von  der  Richtigkeit  als  von  der  Schönheit  bedingt,  da  sie  mit 
der  Form  fast  iiberall  auch  den  Sinn  ändert.  Wir  wollen  da- 
mit keineswegs  etwa  die  Möglichkeit  einer  lateinischen  Stylistik 
läugnen;  aber  abgesehen  davon,  dass  diese  eigentlich  nicht  in 
die  Grammatik  gehört,  meinen  wir  übrigens  auch,  dass  bei 
einer  solchen  Trennung  der  Syntax  auch  für  die  Stylistik  Avenig 
oder  niclits  gethan  werde:  denn  die  sogenannte  syntaa:is  ornata 
und  ßgurata  unserer  Grammatiken  ist  dafiir  bei  weitem  nicht 
ausreichend,  sondern  im  gelungensten  Falle  ein  zwitterhaftes 
aus  Grammatik  und  Stylistik  zusammengesetztes  Mittelding, 
das  die  gründliche  Erlernung  der  Sprache  nicht  sonderlich  för- 
dern kann. 

Wir  müssen  hier  zugleich  noch  eines  andern  Gegenstandes  ge- 
denken, der  fast  in  allen  bisherigen  Grammatiken  der  verschied- 
nen  Sprachen  bald  mehr,  bald  weniger  und  auf  verschiedne 
Weise  sichtbar  ist,  in  dem  Werke  des  Hrn.  Verf.,  Avie  wir 
eben  sehen  werden,  vorzüglich  im  ersten  Theile  der  Syntax. 
Er  betrifft  die  Behandlung  und  Verknüpfung  des  syntactischen 
Stoffes  im  Allgemeinen  und  gründet  sich  auf  eine  einseitige 
Auffassung  des  Begriffes  Syntax ,  wodurch  in  dem  einen  Falle 
mangelhafte  und  unvollständige  Behandlung  vieler  syntactischer 
Lehren,  oder  bei  dem  Bestreben  diese  zu  vermeiden,  in  einem 
zweiten  Falle  unrichtige  Eintheilnng,  Inconsequenz  und  Ver- 
wirrung herbeigeführt  wird.  Fast  alle  Grammatiker  stimmen  uäm- 


Ramsliorn:  Lateinische  Grammatik.  5 

lieh  darüber  überein,  zur  Syntax  alles  das  zurechnen,  was  über 
die  Bestandtheilc  der  Sprache  in  IJeziig  auf  ihre  Verbindung  zu 
sagen  ist.  Allein  so  richtig  dieses  ist,  so  ist  es  doch  bei  der  Behand- 
lung des   syntactischen  Stoffes  von  grosser  Wichtigkeit  zu  be- 
achten, dass  jene  Verbindung  doppelter  yJ/t  »ey.     Sie  ist  näm- 
lich entweder  eine  Verbindung  mehrerer  lledetheilc,   die  blos 
verbimdenc  Begriffe  ^    oder  eine,  die  ein  voUsländiges  Urtheit^ 
oder,  was  hier  dasselbe  ist,  einen  wirkUcheti  Salz  giebt.   Diese 
doppelte  Weise  der  Verbindung  wird  nun  von  den  meisten  Gram- 
matikern in  der  Syntax  entweder  ganz  unbeachtet  gelassen,  oder 
wenigstens  bei  der  Definition  und  der  darnach  zu  entwerfenden 
Eintheilung  der  Syntax  nicht  gehörig  berücksichtigt.   Die  einen 
nämlich,  mehr  die  erste  Art  der  Verbindung   der  Redetheile 
im  Auge  habend ,  folgen  in  der  Syntax  der  in  der  Formenlehre 
gegebnen  Ordnung  der  Redetheile  und  behandeln  so  diese  der 
Reihe  nach  fort  syntactisch  ,  ohne  sich  weiter  um  die  zweite 
Art  jener  Verbindung,  d.  h.  um  die  Satzbildung  und  das  Ver- 
hältniss,    in  welchem  jeder  Redetheil  zum  Satz  steht,  zu  be- 
kümmern.    Daher  die  Ausdrücke  mancher  Grammatiken:  Syn- 
tax des  Substantivums,  Adjectivums,  Verbums,    der  Partikeln 
u.  d.  gl.     Die  andern,  unter  welchen  aucli  unser  Hr.  Verf.  ist, 
begehen  den  entgegengesetzten  Fehler,  d.  h.  sie  betrachten  die 
Syntax  nur  als  Lehre  vo?i  der  Verbindung  der  Redelheile  zu 
Sätze7i  und  legen  nun  bei  der  Eintheilung  derselben  die  ver- 
schiednen  Arten  der  Sätze  zu  Grunde.     Beides  ist  nach  unsrer 
Ansicht  nicht  richtig,  wenn  schon  die  erstere  Art  der  Behand- 
lung noch  fehlerhafter  ist,   als  die  zweite.     In    Grammatiken 
der  ersten  Art  nämlich ,  unter  denen  wir  sonst  ausgezeichnete 
Werke  nennen  könnten,  wird  ein  bei  Erlernung  jeder  Sprache 
höchst  wichtiger  Gegenstand,  nämlich  dieSatzbildung,vernach- 
lässigt,  ein  Mangel,    welcher  selbst  durch  die  grösstc  Masse 
einzelner  Bemerkungen  über  die  Redetheile  unmöglich  ersetzt 
werden  kann.     Grammatiken  der  zweiten  Art  dagegen,  in  wel- 
chen die  Syntax  sich  lediglich  mit  der  Lehre  von  den  Sätzen 
beschäftigt,  oder  vielmehr  der  Definition  zufolge  sich  beschäf- 
tigen sollte,   leiden  daran,   dass  sie  für  alle  diejenigen  vielen 
Bemerkungen,  welche  ohne  Rücksicht  auf   Satzbildung    über 
die  Redetheile  zu  machen  sind,  deinen  passe?iden  Platz  haben, 
mithin,  wenn  sie  solche  dennoch  geben,  wenigstens  die  ursprüng- 
liche Eintheilung  stören  und  den  Zusammenhang  des  Ganzen 
Terwirren.      Diese  hieraus   hervorgehenden  üebelstände   sind 
in  allen  Grammatiken  dieser  zweiten  i^rt  mehr   oder   minder 
sichtbar.     Man  findet  Bemerkungen  an  Stellen,  wo  man  sie  gar 
nicht  suchen  sollte,  blos,  weil  sich  etwa  dort  gerade  etwas  vor- 
fand, womit  sie  wenigstens  in  einigen  Zusammenhang  gebracht 
werden  konnten.     Man  findet  ferner,  was  noch  schlimmer  ist, 
oft  die  wichtigsten  Dinge  nur  uebeubci  und  fast  oberflächlich 


6  Römische  Litteratur. 

behandelt;  nicht  weil  die  Verfasser  nichts  Griindlicheres  darü- 
ber zu  sagen  gewusst  hätten,  sondern  weil  es  an  Platz  fehlte, 
indem  eine  ausführlichere  Behandlung  des  Gegenstandes  nach 
dein  richtigen  Gefühl  der  Verfasser  daselbst  zu  fremdartig  er- 
schienen wäre  und  den  Zusammenhang  zu  sehr  gestört  hätte. 
Man  findet  endlich  manches,  was  man  vielleicht  mit  mehr  Hecht, 
als  manches  andre,  in  der  Grammatik  zu  suchen  befugt  wäre, 
entweder  ganz  übergangen ,  oder  gleichsam  ausser  Reihe  und 
Glied  in  besondern  Anhängen  hingestellt;  wie  z.B.  jene  in  der 
Regel  isolirt  hingestellten  Abschnitte  über  Figuren  und  unge- 
wöhnliche Constructionen,  die  bei  einer  zweckmässigem  Eiii- 
theilung  ihre  gehörige  Stelle  leicht  hätten  finden  können. 

Derllr.  Verf.  hat  nun  zwar  die  ebenerwähnten  Uebelstände, 
namentlich  den  Fehler  der  üngründlichkeit  und  Unvollständig- 
keit,  möglichst  zu  vermeiden  gesucht,  aber  sie  ganz  zu  vermei- 
den war  natürlich  unmöglich  und  sie  raussten  wenigstens  in 
einer  gewissen  Verwirrung  des  Stoffes  und  unlogischen  Ein- 
theilung  hervortreten.  Der  ganze  erste  Theil  der  Syntax,  wel- 
cher der  Angabe  nach  vo7i  der  Bildung;  und  Form  der  Sätze 
handeln  sollte ,  giebt  davon  ein  auffälliges  Beispiel.  Er  zer- 
fällt nämlich  in  folgende  4  Unterabtheilungen:  V)  vo7i  der  Bil- 
dung des  einfachen  Satzes^  §91  —  150,  S.  150  — 291,  II)  vom 
Gebrauch  des  Nomens  insbesondere^  §151  — 162,  S.290  —  381, 
III)  vom  Verbum  und  dessen  Theilen  im  einfachen  Satze^  §  162 

—  175,  S.  381  —  508,   IV)  von  verbundenen  Sätzen^   §  175 

—  196,  S.  508  —  625.  Das  Unlogische  der  Eintheilung  liegt 
klar  vor  Augen;  aber  auch  im  Werke  selbst  zeigen  sich  bei 
allem  Streben  nach  richtiger  Anordnung  Spuren  jener  nun  nicht 
weiter  ganz  zu  vermeidenden  Verwirrung.  Schon  die  erste  Abthei- 
lung enthält  in  der  Syntax  von  den  casibus  namentlich  sehr 
vieles,  was  auf  die  Bildung  des  Satzes  durchaus  keinen  Bezug 
hat.  Noch  mehr  ist  diess  der  Fall  beider  zweiten.  Die  darin 
behandelten  Sachen  haben  nicht  nur  keinen  Bezug  auf  die 
Satzbildung,  sondern  stehen  auch  meist  am  unpassenden  Orte, 
wie  z.  B.  gleich  anfangs  der  lange  Abschnitt  Vorn  Nomen  als 
y4ppositio7i,  was  alles  offenbar  zu  §92  gehörte,  und  noch  mehr 
der  die  Abtheilung  schliessende  §161,  Vo7i  den  Präpositionen^ 
welcher  doch  offenbar  in  einem  höchst  lockern  Verhältniss, 
wir  sagen  nicht  zur  Satzbildung,  sondern  selbst  zu  seiner  eig- 
nen Abtheilung  steht ,  welche  vom  Gebrauch  des  No7ne7is  ins- 
besondere handelt.  Eben  so  enthält  auch  die  ganze  dritte  Ab- 
theilung, Vom  Verbum  und  dessen  Theilen^  lauter  Bemerkun- 
gen ,  die  auf  die  Bildung  des  Satzes  wenigstens  keinen  wesent- 
lichen Bezug  haben,  und  der  Beisatz  im  ei7ifache7i  Salze  scheint 
eigentlich  nur  das  Unlogische  der  Eintheilung  verdecken  zu 
sollen;  denn  die  Behandlung  selbst  berücksichtigt  ihn  nicht, 
und  würde  ihn,  da  er  eiueu  zweiten  Abschnitt,   Vom  Verbu7ii 


ßauiäliorii :  Lalolnischc  Grammatik.  7 

n  verbundene?!  Sätzen,  voraussetzt,  auch  uiclit  haben  beriick- 
achtigen  können,  ohne  den  folgenden  Absclinitt  in  ein  unlo- 
gisches Verhäitniss  zu  bringen.  Ganz  eigentlicl»  hingegen 
hätte  fast  alles  das,  was  in  dem  zweiten  Ilaupttheil  nber  die 
Stellung  der  lledetheile  in  Sätzen  und  der  Sätze  in  Perioden 
gesagt  ist,  einen  Abschnitt  des  ersten  Ilaupttheiles  ausgemacht, 
3a  sich  ja  alles  offenbar  auf  Bildung  und  Form  der  Sätze  be- 
zieht. Wir  glauben  durch  diese  Bemerkungen  gezeigt  zu  ha- 
ben, dass  die  Behandlung  der  Syntax  sowohl  von  Seiten  logi- 
scher Richtigkeit  wie  practischer  Zweckmässigkeit  durchaus 
gewinne,  wenn  man  sie  in  zwei  grosse  Abschnitte  theilt,  von 
denen  der  eine  über  die  Verbindung  der  Redetheile  zu  blossen 
Begriffen^  der  andre  über  ihre  Verbindung  zu  Urtheilen  oder 
Sätzen  handelt.  Unter  den  bisherigen  Grammatiken  kennen 
wir  nur  eine  einzige,  die  diese  Eintheilung  der  Syntax  zu 
Grunde  gelegt  hat,  nämlich  die  griechische  Grammatik  von 
T li  i e-r  s  c h ,  und  wir  wundern  uns,  wie  der  treffliche  Kr  ii g e r 
in  seiiser  vor  kurzem  erschienenen  Erörterung  der  grammati- 
schen Eintheilung  und  der  grammatischen  Verhältnisse  der 
Sätze  (Frankf.  am  M.  1820.)  S.  50 ,  §  33 ,  die  Richtigkeit 
und  Zweckmässigkeit  derselben  verkennen  und  bezweifeln 
konnte. 

Wir  haben  jetzt  die  Eintheilung  im  Ganzen  nach  nnsrer 
üeberzeugung  tadeln  zu  müssen  geglaubt;  die  Behandlung 
des  Einzelnen  müssen  wir  nach  derselben  üeberzeugung  loben 
und  zwar  in  einem  hohen  Grade.  Alle  oben  gerühmten  Vor- 
züge, die  genaue  Vertrautheit  mit  der  Sache  imAllgemeinen,  so 
wie  besonders  das  tiefe  Studium  der  Natur  der  lat.  Sprache 
und  die  richtige  Auffassung  des  Genius  derselben ,  die  freie, 
selbstständige  Forschung,  der  ausgezeichnete  Saramlerfleiss, 
die  verständige  Benutzung  der  Vorarbeiten,  alle  diese  Vorzüge 
zeigen  sich  ganz  besonders  in  dem  syntactischen  Theil  des 
Werkes,  bei  welchem  der  Hr.  Verf.  grössere  Ausführlichkeit 
und  erschöpfende  Vollständigkeit  überhaupt  mehr  beabsich- 
tigt zu  haben  scheint ,  als  bei  der  Formlehre. 

Besonders  gut  in  dieser  Hinsicht ,  um  zu  dem  Einzelnen 
überzugehn,  ist  die  sogenannte  syntaxis  convenientiae  gearbei- 
tet, welche  wir  noch  nirgends  so  genau,  bestimmt  und  aus- 
führlich behandelt  gefunden  liaben.  Aber  freilich  hätte,  wie 
wir  schon  früher  erinnert  haben,  das  darüber  Gesagte  nicht 
so  sehr  zerstreut,  sondern  besser  zusaramengesteilt  werden 
sollen ;  oder  da  der  Hr.  Verf.  nach  der  getroffnen  Eintheilung 
jene  Zerstücklung  nicht  weiter  vermeiden  konnte,  so  liätte 
wenigstens  gleich  hier  am  ersten  Orte,  wo  man  alle  die  Sache 
betreffenden  Bemerkungen  sucht,  auf  die  übrigen  Stellen,  wo 
wieder  von  dieser  Lehre  die  Rede  ist,  verwiesen  werden  sol- 
len.    Im  Einzelnen  haben  wir  zu  bemerken ,  dass  der  Begriff 


8  Römische  Litteratur. 

Apposition  vom  Hrn.  Verf.   uns  viel  zu  weit   gefasst  zu  seyi 
scheint.     Schon  Beispiele  oder  Vergleichungen  durch  wf,  velui, 
taiiquam^    quasi  eingeführt,    wie,  AegypUi  canem  et  feiern  u'^ 
de  OS  colunt^  Cic,  u.  d.  gl.  gehören  nach  unsrer  Ansicht  nicht  dazu ; 
weit  weniger  aber  noch  der  Fall ,   wenn  Substantiva  oder  Ad- 
jectiva  als  Prädicatsbestiramnngen  des  Verbi  gebraucht  werden, 
z.B.  Furius — piier  didicit^    Cic,  Senatus  freqiiens  con- 
venit^  Cic,  u.s.  w.     Alles  dieses  und  sogar  noch  fremdartigeie 
Beispiele,  wie  Non  corpori soli  subvenlendum  est^  Cic,  wer- 
den hier,  §  151,  zur  Apposition  gerechnet.     Ferner  hätte  zu 
§  92  erwähnt  werden  sollen,  dass  einige  Femininalforraen  auf 
trix  ^  wie  victrix  und  tdtrix^  auch  mit  Substantivis  neutrius  ge- 
neris  verbunden  werden.     Der  Ilr.  Verf.  bemerkt  es  zwar,  §  39, 
B,  3,  allein  es  gehörte  in  die  Syntax   und  die  dort  ausgespro- 
chene Behauptung,  dass  es  nur  im  Plural  geschehe,  ist  trotz 
dem,  dass  Servius  zuVirg.Aen.  3,  54,  Priscian- 5,  7  und  andre 
dasselbe  versichern,    doch  nicht   gegründet.     Wenigstens  fin- 
det sich  bei  Claudian.  de  sext.  cons.  Hon.  25:  Omina  victrici 
concepta  solo'^  vielleicht  freilich  schon  als  Anfang  des  in  der 
Latinität  des  Mittelalters  sich  häufiger  findenden  usus,    der 
Victor  ausschliesslich  zum  Substantiv ,  victrix  aber  zum  Adje- 
ctiv  für  alle  drei  Genera  macht.     Vergl.  Voss,  de  Anal.  2 ,  12 
p.  728,  Casp.  Barth,  zu  Claud.  in  cons.  Prob,  et  Oiyb.  v.  131 
und  andre. 

Von  niclit  geringerer  Sorgfalt  zeugt  auch  die  §  99  begin- 
nende syntaxis  rectionis  oder  der  casus  ohliqui.  Nur  glauben 
wir,  dass,  was  über  die  Natur  und  das  Wesen  der  casus  obliqui 
gesagt  wird ,  nicht  tief  genug  gefasst ,  und  daher  weder  um- 
fassend genug ,  noch  frei  von  Einseitigkeit  sey.  Dass  aus  der 
allgemeinen  Grammatik  überhaupt  zu  wenig  gegeben  ist,  haben 
wir  schon  oben  erinnert ,  und  es  findet  diess  hier  ganz  beson- 
ders seine  Bestätigung.  Namentlich  vermissen  wir  ausser  der 
nähern  gründlichen  Erörterung  ihrer  Natur  im  Allgemeinen 
die  so  höchst  nöthige  Vergleichung  der  Grundbedeutungen 
der  einzelnen  Casus  untereinander.  Die  casus  obliqui  sind  nach 
der  Definition  des  Hrn.  Verf.  nähere  Bestimmungen  eines  Ge- 
genstandes ^  entweder  durch  deutlichere  Bezeichnung  seines 
fVese?is^  oder  durch  Andeutung  seiner  Beziehungen  nach  aussen 
hin.  Für  den  erstem  Fall  habe  man  den  GeJiitio  (Genitiv,  sub- 
jecti),  fVir  den  zweiten  den  Genitiv.^  Accusativ .,  Dativ  und  Ab- 
lativ. Der  Genitiv  bezeichne  in  diesem  zweiten  Falle  die  Ten- 
denz eines  Gegenstandes  nach  aussen  hin  an  tind  für  sich, 
(Genit.  objecti)j  der  Accusativ  den  leidenden  Gegenstand  der 
Thätigkeit  eines  Subjects,  auf  welchen  es  direct  einwirke ;  der 
Dativ  den  Zweck .^  das  entferntere  Ziel  jener  Thätigkeit;  der 
Ablativ  die  Art  und  Weise,  wie  das  Subject  seine  Thätigkeit 
äussere,   oder  in  Rnhe  bleibe.     Ein  Substantiv  (?)  sey  dem- 


Ramshorn:  Lateinische  Grammatik.  9 

nach  von  einem  andern  ('?)  entweder  unmitlelhar  aLIiän^ig, 
und  dann  stehe  es  im  Genitiv  ,  oder  mittelbar  durch  das  Da- 
zwischentreten eines  Prädicats ,  von  welchem  es  zunächst  re- 
jiziert und  sein  Casus  bestimmt  werde.  Hieraus  ergebe 
sich  zugleicli,  dass  ein  casus  obliquus  ein  inneres  nothw  endi- 
ges ,  und  ein  äusseres  zufälliges  Verhältniss  des  abliängigen 
Nomens  zu  dem  regierenden  Worte  ausdrücken  könne. 

So  manches  Wahre  im  Einzelnen  nun  auch  in  dieser  Er- 
örterung seyn  mag,  so  können  wir  sie  doch  weder  für  liinläng- 
lich  klar,  noch  für  richtig  und  erschöpfend  ansehn.  Wir 
können  hier  der  Lehre  des  Ilrn.  Verfassers  natürlich  keine  andre 
in  voller  Ausführlichkeit  entgegensetzen,  sondern  nur  dieFehler 
nachweisen,  die  sich  in  ihr  finden.  Der  erste  ist,  dass  er  es 
für  die  richtige  Erklärung  der  Natur  jener  Casus  für  tvesent- 
lieh  liält,  die  Art  und  Weise  zu  trennen,  wie  ein  Gegenstand 
näher  bestimmt  werde,  ob  nach  seinem  Wesen ^  oder  nach  sei- 
nen Beziehungen  nach  aussenhin.  Allein  diese  Trennung  ist 
nicht  nur  nicht  Avesentlich,  sondern  sogar  völlig  unzulässig, 
schon  deshalb  ,  weil  dabei  der  Genitiv  keine  einfache  Grund- 
bedeutung^ die  ihm  doch  eben  so  gut,  wie  den  übrigen  casibus 
zukommen  muss,  erhält,  sondern  zu  beiden  Fällen  gezogen 
und  gleichsam  zerrissen  wird.  Uebrigens  kann  auch  die  für 
den  ersten  Fall  statuirte  Bedeutung  des  Genitivs  (die  Wesens- 
bestimmung) unmöglich  die  völlig  richtige  und  wahre  seyn,  da 
man  solche,  wie  der  Hr.  Verf.  selbst  durch  eine  eingeschobne 
Ausweichung  angedeutet  hat,  eben  so  gut  als  Bedeutung  der 
sogenannten  Apposition  statuiren  kann.  Einen  andern  Fehler 
finden  wir  darin,  dass  der  Hr  Verf.  die  Abhängigkeit  der  Casus 
in  eine  mittelbare  und  unmittelbare  theilt,  wornach  dann  Dativ, 
Accusativ  und  Ablativ  immer  und  auch  der  Genitiv  für  den  ei- 
nen Fall  erst  durch  das  Dazwischentreten  eines  Prädicats  von 
einem  Substantiv  mittelbar  abhängen  sollen.  Allein  sie  hän- 
gen gar  nicht  von  einem  Substantiv^  sondern  von  andern  Rede- 
theilen ,  von  diesen  aber  eben  so  unmittelbar  ab,  w  ie  der  Geni- 
tivus  subjecti  von]  seinem  Substantiv.  Nach  Annahme  des  Hrn. 
Verf.  hängen  also  in  Sätzen,  wie  Cicero  mandat  Attico\  puer 
legit  librum;  Varro  excelluit  doclrina^  die  Casus  obliqui  von 
den  Subjectsnominativen  mittelbar  durch  Vermittlung  der  Prä- 
dicate  ab.  Man  sieht  leicht,  wie  man  allenfalls  eine  solche 
Abhängigkeit  behaupten  könne,  aber  auch  eben  so  leicht,  dass  man 
dann  den  Begriff  Abhängigkeit  in  einem  andern  Sinne  brauche, 
und  dass  mit  jener  Unterscheidung  durchaus  nichts  zur 
nähern  Bestimmung  der  wahren  Bedeutung  jener  Casus  ge- 
wonnen werde.  Nach  unserer  Ansicht  würde  sich  alles  weit 
klarer  und  richtiger  haben  darstellen  lassen,  wenn  der  Hr. 
Verf.  von  Betrachtung  des  Gebietes  ausgehend,  welches  jedem 
einzelnen  Casus  durch  den  Sprachgebrauch  zugewiesen  ist,  die 


10  Römische  Litteratur. 

jedem  Casus  seiner  Natur  nach  als  eigenthümlich  zukommende 
Construction  aufgesuclit  und  bestimmt,  und  dann  an  passenden 
Beispielen,  wo  bei  einem  und  demselben  Worte  verschiedne 
Casus  sich  finden,  wie  z.B.  pater^  amicus  aliciijiis  und  alicui; 
esse  aliciijus  und  alicui;  ple?ms  olici/jus  rei  und  ciUqiia  re ;  ae- 
vuäor  alicui  und  oliq7cetn ;  fide/G  alicui  rei  und  aliqiia  re ;  do- 
nare  alicui  aliqziid  mwA  aliquetn  aliqua  re  ^  die  Verschiedenheit 
in  der  Auffassung  des  Verhältnisses  bei  zuweilen  fast  völlig 
gleicher  Bedeutung  nachgewiesen  hätte.  Dann  würde  man  nicht 
nur  eine  klare  Einsicht  in  das  Wesen  der  einzelnen  Casus  son- 
dern auch  eine  lichtvolle  Uebersicht  über  das  Ganze  gewon- 
nen haben;  und  selbst  im  Folgenden,  avo  der  Hr.  Verf.  die  Re- 
geln über  den  Gebrauch  der  Casus  nicht  nach  deren  verschied- 
nen  Bedeutungen  oder  Beziehungen ,  sondern  nach  den  Rede- 
theilen,  mit  denen  sie  sich  gerade  verbunden  finden,  ordnet, 
würde  es  dann  nicht  weiter  auffallen,  dass  er,  der  bequemen 
Uebersicht  halber,  seine  obengenannte  Anordnungsweise  der 
andern,  logisch  richtigem,  vorgezogen  habe. 

Was  die  Behandlung  jener  Casus  im  Einzelnen  anlangt,  so 
glauben  wir,  dass  der  Genitiv  und  Dativ  am  besten  behandelt 
seyen.  Die  Syntaxis  Genitivi  (§  100  —  116)  namentlich  ge- 
hört zu  den  gelungensten  Parthieen  im  ganzen  Werke  und  ent- 
hält über  mehrere  schwierige  Fälle  treffüche  Erörterungen, 
wie  wir  sie  sonst  noch  nirgends  gefunden  liaben.  Wir  rech- 
nen dahin,  was  der  Hr.  Verf.  über  die  Construction  der  adje- 
ctiva  und  pronomina  neutrius  generis,  §  104,  der  partitiva, 
§  105,  der  Impersonalia  ^V^^e/•es^  und  refert^  §  114,  sagt,  vor 
allen  aber  die  Erläuterung  über  den  sogenannten  Genitivus  qua- 
litatis  ,  die  freilich  etwas  sonderbarer  Weise  §  140  in  einer 
Anmerkung  zum  Ablativus  qualitatis  gegeben  wird.  Der  Ilr. 
Verf.  hat  sehr  richtig  die  frühere  Erklärungsweise  durch 
Ellipse  stillschweigend  ganz  bei  Seite  geschoben  und  einge- 
sehen, dass  man  einerseits  o^ne  den  gerechten  Vorwurf  der 
Ungründlichkeit  der  bestimmten  Angabe  eines  sichern  Unter- 
schiedes beider  Constructionen  sich  nicht  weiter  entschlagen, 
anderseits  aber  auch  sich  nicht  mit  der  von  mehrern  neuern 
Grammatikern  angenommenen  Unterscheidung  begnügen  könne, 
nach  welcher  der  Genitiv  innere^  fortdauernde ^  der  Ablativ 
äussere^  vorüber  gehende  Eigenschaften  oder  3Ierkmale  be- 
zeichnen sollte.  Denn  so  häufig  man  auch  mit  dieser  Annahme 
ausreichen  mochte,  so  musste  man  doch  zuweilen  immer  noch 
in  schlimme  Verlegenlieit  kommen,  indem  Beispiele,  wie  Vir 
suinmo\ingenio^  Cic,  oder  homo  ?uasimi  corporis^  Nep,,  quidam 
bonae  staturae ,  Senec.  Apocol. ,  natürlich  sich  durchaus  nicht 
mit  derselben  vertragen  wollten.  Sehr  fein  und  scharfsinnig 
nun  bestimmt  der  Ilr.  Verf.  in  jener  Anmerkung  den  Unter- 
schied beider  Coustructioneu  auf  folgende  Weise:     „Der  Geni- 


Rainsliorn:  Latclnisclie  Grammatik.  11 

tiv,  sagt  er,  vertritt  lu'er  die  Stelle  eines  Adjectivs  und  legt 
einem  Subject  die  Eigenschaft  als  eine  ihm  eigenlhümliche^ 
zu  seinem ÄV^escn  oder  Cliaractcr  gehörige,  bei,  oder  als  eine 
solche,  ohne  welche  das  Subject  aul'hören  würde  dasselbe  zu 
seyn.  Der  Ablativ  hingegen,  der  statt  eines  Adverbii  steht, 
also  nur  das  (ausgedriickte,  oder  als  Participium  hinzugedachte) 
Verbura  besthnmt  und  das  Wie?  desselben  bezeichnet,  deutet 
blos  an,  dass  ein  Subject  die  genannte  Eigenschaft  äussere 
oder  mit  derselben  begabt  erscheine.  Mithin  wird  durch  den 
Ablativ  einem  Subject  die  Beschaifenheit  nur  in  so  fern  zuge- 
schrieben ,  als  der  Redende  sie  für  den  vorliegenden  Fall  an 
ihm  bemerkt,  oder  in  so  fern  dasselbe  sie  nur  nach  des  Re- 
denden Ansicht  und  Urtheil  besitzt.  Der  deutscheu  Sprache 
ist  dieser  Unterschied  fremd." 

Mau  sieht  leicht,  wie  diese  tiefgefasste  Bestimmung 
in  Vergleich  zu  der  ersterwähnten  Unterscheidung  nur  das 
Wesentliche  festhält  und  andre  der  Natur  der  Sache  nach  zwar 
in  vielen  Fällen  sich  findende,  aber  doch  nicht  absolut  noth- 
wendige  Merkmale  richtig  ausschliesst;  und  wir  halten  sie  der 
Hauptsache  nach  für  durchaus  richtig,  wenn  gleich  manches 
darin  etwas  anders  aufgefasst  und  bestimmt  seyn  könnte.  Es 
ist,  was  ihr  Verhältniss  zur  erstgenannten  Unterscheidung  an- 
langt, sehr  natürlich,  dass,  wenn  es  Eigenschaft  des  Genitivs 
ist  zu  char acter isiren.,  und  des  Ablativs  solche  Merkmale  von 
einem,  Subjecte  anzugehen ,  die  gleichsam  von  deriiselben  trenn- 
bar oder  aus  demselben  heraustretend  erscheinen  und  nur  nach 
ihrer  besondern  Aeussenmg  und  ihrer  Wahrnehmbarkeit  im  ein- 
stellten Falle  in  Betracht  koinmen,  durch  den  erstem  Casus  meist 
innere^  durch  den  andern  mehr  äussere ,  zufällige  Eigenschaf- 
ten prädicirt  werden,  ohne  dass  doch  beides  durchaus  noth- 
wendig  sey ;  da  einerseits  auch  in  etwas  Aeusserem  das  Chara- 
cteristische  einer  Sache  liegen  kann,  anderseits  aber  eine  nach 
aussenhin  wahrnehmbare,  fiir  einen  bestimmten  Fall  sich  zei- 
gende Eigenschaft  nicht  nothwendig  selbst  auch  eine  äussere 
blos  körperliche  oder  leicht  veränderliche  seyn  müsse.  Wir 
erwähnen  dieses  als  etwas,  was  der  Hr.  Verf.,  um  Missver- 
ständniss  zu  verhüten ,  selbst  hätte  sagen  sollen ,  ziunal  da  es 
oft  ziemlich  gleichgültig  seyn  kann,  ob  ein  Subject  durch  den 
Genitiv  oder  durch  den  Ablativ  näher  bestimmt  wird,  und 
überhaupt  der  Unterschied  in  seiner  ganzen  Feinheit  für  Schü- 
ler nicht  so  leicht  aufzufassen  ist.  Am  passendsten  wäre  es 
wohl  gewesen,  wenn  der  Hr.  Verf.  an  einem  der  seitnern  Bei- 
spiele, wo  beide  Casus  neben  einander  sich  finden,  die  S-che 
veranschaulicht  hätte.  So  sagt  z.  B.  Nepos  Datam.  3:  Data- 
mes  Thyum^  hominem  maximi  corporis^  terriüilique 
facie^  quod  et  niger  et  capillo  longo  barbaque  erat  promissa^ 
optima  veste  tesit    cet.     Der  Zusaramcuhang  zeigt,   dass  die 


12  Römische  Litteratur. 

erste  Beülmimmg  [masimi corporis)  trotz  dem,  dass  sie  etwas 
Aeusseres  bezeichnet,  doch  die  characteristisclie  ist,  während 
die  andre,  ihr  völlig  ähnlich  scheinende,  [terrtbüique  facie) 
als  von  dem  zufälligen  Umstände  bedingt,  quod  7itger  erat 
cet. ,  durchaus  nicht  als  wesentlich  dargestellt  werden  konnte, 
mithin  nothwendig  durch  den  Ablativ  bezeichnet  werden  musste. 
Andre  Stellen  der  Art  fast  mit  ziemlich  gleich  starkem  Hervor- 
treten des  Unterschiedes  finden  sich  Tacit.  Ann.  4,  29:  Len- 
tulus  senectutis  estremae^  Tuber o  defecto  corpore;  Boeth.  de 
cons.  phil.  1,1:  mulier  reverendi  vultus^  oculis  ardenttbus^  — 
colore  vivido  atque  inexhausti  vigoris.  Ferner  hätten  auch 
wohl  die  aus  der  Angabe  des  Hrn.  Verf.  freilich  schon  sich 
ergebenden  Bestimmungen  besonders  hinzugefügt  werden  sol- 
len, nämlich,  dass  Bezeichnungen,  die  ihrer  Natur  nach  chara- 
cteristisch  seyn  müssen,  wie  Bestimmungen  der  Zeit  und  des 
Maasses  u.  d.  gl.,  blos  im  Genitiv^  sowie  andre,  die  durchaus 
nicht  als  solche  gelten  können,  wie  Beschreibungen  einzelner 
Theile  des  Körpers,  nur  im  Ablativ  stehen  können.  Dagegen 
hätten  Beispiele,  wie  qui  aliquo  sunt  numero  atque  honore; 
quatito  fuerim  dolore  und  ähnliche,  die  der  Hr.  Verf.  imd  Krebs 
in  seiner  Anleitung  %um  Lateinischschreiben  dazuzieht,  als 
offenbar  nicht  zu  dieser  Construction  gehörig  weggelassen  wer- 
den sollen.  Auch  die  Schlussbemerkung,  dass  der  Unterschied  der 
deutschen  Sprache  fremd  sey,  ist  nicht  ganz  richtig.  Wenn  auch 
nicht  in  dem  weiten  Umfang  und  mit  der  feinen  Bestimmtheit, 
Avie  die  Lateiner,  so  unterscheiden  doch  auch  wir  in  vielen  Fäl- 
len durch  die  Präpositionen  Fbw  und  M«Y  ganz  auf  ähnliche  Weise. 
Was  minderwichtige  Einzelheiten  anlangt,  so  hätte  zu 
§  103  Not.  4  bemerkt  m  erden  können ,  dass  Statt  des  gewöhn- 
lichen 7nea  causa  u.s.  w.  doch  zuweilen  auch  der  Genitiv  stehe. 
Er  findet  sich  nicht  blos,  wie  gewöhnlich  angeführt  wird, 
bei  Ulpian,  sondern  auch  bei  Cicero,  (vergl.  Quaest.  Acad.  4, 
38,  120:  nostri  causa.)  und  scheint,  wenn  auch  nicht  zur  Nach- 
ahmung anzuempfehlen,  doch  auch  nicht  geradezu  verwerflich. 
Ein  Versehen  ist  es  wohl ,  wenn  §  106  Anmerk.  5  gesagt  wird, 
dass  zuweilen  die  Casus  des  regierenden  und  regierten  Wortes 
vertauscht  würden.  Die  dafür  angeführten  Fälle,  Vabuntur 
äotis  sexcenti  logi^  Plaut.,  und  sex  dies  spaiii postulunt^  welche 
der  Hr.  Verf.  durch  dabitur  dos  sexcentorum  logorum  und  sex 
dierum  spatium postiilant  erklärt,  enthalten  nach  unsrer  Mei- 
nung durchaus  keine  Vertauschung,  sondern  gehören  zu  §  104 
A.  1.  Ein  andrer  Irrthum  endlich  findet  sich  nocli  §  107 ,  2 
Not.,  wo  es  heisst,  dass  von  den  Adjectivis,  die  ein  Wissen  oder 
eine  Unwissenheit  bezeichnen ,  nur  conscius  auch  den  Dativ 
und  constdtus  bisweilen  den  Ablativ  bei  sich  habe.  Es  finden 
sich  auch ,  und  zwar  gar  nicht  selten ,  rudis  und  peritus  mit 
dem  Ablativ  j    und  eben  so  hätte  auch  kurz   vorher  bemerkt 


ßaiuäliorn:    Lateinische  Gramniiitik.  13 

werden  könnncn,  dass  sit/diosus  auch  mit  dem  Dativ  sicli  finde 
und  dass  viele  der  den  Genitiv  regierenden  Adjective  auch  mit 
Präpositionen  construirt  >verden. 

An  der  Syntaxis  Dativi,  §110 — 120,  ist  hesonders  zu 
loben,  dass  der  Dativus  rei  in  umfassender  Vollständigkeit  be- 
handelt und,  als  sich  in  gleicher  Weise  aus  der  Grundbedeu- 
tung des  üativs  ergebend ,  dem  Dativus  personae  völlig  parallel 
gestellt  worden  ist ;  während  er  von  den  meisten  andern  Gram- 
matikern nur  nebenbei  und  gleichsam  als  ein  seltsamer  Ge- 
brauch des  Dativs  abgehandelt  wird,  gerade  so  wie  ihn  auch 
die  neuem  Lateinschreiber,  einige  ge\>ölinliche  Kedensarteii 
abgerechnet,  ungebührlicher  Weise  auch  im  Schreiben  vernach- 
lässigen. Was  die  einzelnen  Angaben  anlangt,  so  haben  wir 
eigentlich  falsche  Behauptungen  wenig  oder  nicht  gefunden  j 
wohl  aber  hätten  wir  manches  etwas  tiefer  und  gründlicher  be- 
handelt gewünscht.  So  hätte  z.  B.  das  §  117,  1  Note  über  die 
verschiednen  Constructionen  der  Redensarten  est  viihi  nomen 
u.  s.  w.  Bemerkte  wohl  etwas  genauer  und  gründlicher  seyu 
können.  Es  wird  blos  bemerkt,  dass  in  der  Regel  der  Nomi- 
nativ oder  Dativ,  selten  der  Genitiv  dabei  stehe.  Diess  ist  nun 
zwar  sehr  richtig,  aber  zwischen  Nominativ  und  Dativ  scheint 
doch  noch  ein  Unterschied  sich  zu  finden,  der  trotz  dem,  dass 
er  in  der  Natur  der  Sache  liegt  und  an  der  Mehrzahl  der  Bei- 
spiele sich  nachweisen  lässt,  bis  jetzt  in  der  Grammatik  kaum 
beachtet  worden  ist.  Der  Nominativ  nämlich  wird  dann  ge- 
setzt, wenn  jnan  aus  irgend  einem  Grunde  den  Namen  ganz  ge- 
nau und  bestimmt^  d.  li.  in  seiner  eigentlichen  Forrn^  angeben 
will ,  welche  durch  die  Declinationsform  des  Dativs  mehr  oder 
minder  würde  verwischt  worden  seyn.  Die  Gründe  können  na- 
türlich verschieden  seyn;  zuweilen  geschiehts,  um  den  Namen 
mit  einer  gewissen  Bedeutsamkeit  zu  nennen,  Cic.  Brut.  02: 
cui  saltationi  Titius  nornen  esset;  Sueton.  Claud.  24:  Cloii- 
dius  Gabinio  Secuiido^  Chaucis  gente  Germanica  super atis^ 
cognomeji  Chaucius  tisurpare  concessit ;  wo  der  Nominativ 
selbst  ausser  aller  Construction  neben  einem  Accusativ  steht, 
aber  von  Bremi  hinlänglich  gegen  Baumgarten-Crusius 
gerechtfertigt  wird.  Anderwärts  forderts  die  Form  der  übri- 
gen Rede,  wieLiv.  9,  27:  Samnites  Maleventum^  cui  nunc 
urbi  Beneventum  nomen  est ,  perfugerunt ;  wo  der  Gegen- 
satz Avenigstens  der  Form  nach  gelitten  hätte,  wenn  Beneven- 
to  gesetzt  worden  wäre.  In  den  meisten  Fällen  endlich  steht, 
wie  schon  J.  F.  Gronov  zu  Liv.  1,  1  richtig  bemerkt,  der  No- 
minativ bei  seltnen,  fremden,  nichtlateinischen  Namen ,  weil 
diese,  wenn  sie  in  einer  Declinationsform  erschienen,  für  den 
die  fremde  Sprache  vielleicht  nicht  kennenden  Leser  leicht 
unkenntlicli  seyn  könnten.  Beispiele  der  Art  finden  sich  über- 
all und  die  Sache  ist  auch  au  sich  sehr  eiuleuchteud  und  na- 


14  Römische     Litteratur. 

türlicli ,  obschon  man  deshalb  nocli  nicht  behaupten  darf,  dass 
jene  Bemerkung  in  allen  einzelnen  Stellen  aller  Schriftsteller 
sich  bestätigt  finde.  Oft  kann  es  natürlich  lediglich  von  der 
Willkür  des  Schriftstellers  abhängen;  und  namentlich  scheint 
der  Nominativ  bei  Dichtern  und  Spätem  gefliessentlich  häufi- 
ger gebraucht  worden  zu  seyn,  als  der  sonst  gewöhnliche  Da- 
tiv. In  allen  übrigen  Fällen  nun,  mo  kein  solcher  Grund  vor- 
handen ist,  steht  der  Dativ,  daher  fast  immer  bei  eigentlich 
lateinischen  und  dem  Römer  also  bekannten  Namen.  Er 
rührt  übrigens  offenbar  von  einer  Attraction  her,  die  im  Latei- 
nischen zwar  weit  seltner  als  im  Griecliischen,  aber  doch  auch 
in  manchc:i  Constructionen  fast  regelmässig  sich  findet,  wie  z.  B. 
bei  licct^  conti,. git  mihi  esse  mit  folgendem Prädicatsdativ.  iW 
7ueji  7nihi  e^  Pruto  ist  also  eigentlich  aufzufassen:  mihi  Bruto 
nomen  est  Brutus.  Da  diese  Auffassungsweise  bei  Nominibus 
appellativis  der  Natur  der  Sache  nach  unstatthaft  ist,  so  erklärt 
sich  auch,  Aveshalb  sie  dann  nicht  im  Dativ ,  sondern  im  Nomi- 
nativ stehen.  Cic.  Tiiscul.  4, 11:  ei  morbo  nomen  est  ovari- 
tia.  Quinct.  Inst.  2,  1 :  rhetorice.,  cui  nomen  vis  eloquendi 
dedit.  Sonderbar  ist  übrigens,  dass  die  eigentlich  natürliche 
Construction  mit  dem  Genitiv  in  der  guten Latinität  die  seltenste 
ist  und  nur  bei  Spätem,  Mie  bei  Vellejus,  häufiger  sich  findet. 
Ein  ähnlicher  Fall  findet  sich  §  120,  1  Not.  und  2  Not.,  wo  er- 
wähnt wird ,  dass  Statt  des  Dativus  rci  bald  um  Zweideutigkeit 
zu  vermeiden ,  bald  als  stärkerer  Ausdruck  auch  ein  Apposi- 
tionsnominativ oder  die  Präpositionen  pro.,  in^  ad  gebraucht 
würden.  Der  Hr.  Verfasser  erkennt  selbst  eine  gewisse  Ver- 
schiedenheit in  der  Bedeutung  an,  giebt  sie  aber  dennoch  nicht 
näher  an.  Fast  noch  mehr  nöthig  war  eine  solche  nähere  Er- 
klärung bei  dem  folgenden  §  121,  wo  von  den  Verbis  compo- 
sitis  gehandelt  Avird,  die  sowohl  mit  dem  blossen  Dativ  als 
auch  mit  einer  Präposition  construirt  werden.  Diese  verschied- 
nen  Constructionen  mögen  nun  zwar  in  vielen  Fällen  nicht  wei- 
ter als  durch  eine  etwas  andre  Auffassung  des  Verhältnisses 
verschieden  seyn,  allein  in  vielen  andern  wird  doch  auch  durch 
die  Anwendung  der  einen  oder  der  andern  Construction  eine 
für  den  Kenner  ziemlich  auffallende  auch  die  Sache  selbst  be- 
theiligende Veränderung  bedingt,  auf  die  um  so  mehr  hinzu- 
weisen war ,  jeweniger  auch  die  Lexica  solche  Verschiedenhei- 
ten angeben,  und  jemehr  daher  Anfänger  geneigt  sind,  solche 
anscheinend  gleiche  Constructionen  als  völlig  gleich  zu  be- 
trachten und  mit  einander  zu  verwechseln.  So  erwähnt  z.  B. 
der  Ilr.  Verf.  die  doppelte  Construction  von  occedere,  addere., 
adjicere  und  andern  solchen  Verbis  als  gleichbedeutend ,  wird 
aber  doch  sicher  nicht  gesagt  haben  wollen:  cognomen^  fidu- 
cia?n  addere  ad  aliquem;  oder ßnem  addere  ad  aliquant 
rem.,    oder  animus  ad  me  accedit  u.  d.  gl.,   eben  so  wenig, 


Rumsliorn:    Lateinische  Grammatik.  15 

als  Cicero  iii  der  angeführten  Stelle  Sen.  6  Statt  ad  Appü  Clau- 
dii  saneclulem  accedebcd  schreiben  konnte ,  sencctuti  accede- 
bat.  Ilänfig  mögen  freilich  heideCojistrnctionen  ziemlich  gleich 
seyn,  aber  im  Ganzen  ist  doch  ein  Unterschied,  auf  den  die 
Natur  jener  Constnictionea  selbst  schon  hiinveisct.  Das  Ver- 
hältuiss  nämlich,  welches  der  blosse  Casus  ausdriickt,  ist  ein 
weil  e?igeres  und  näheres,  als  das  durch  die  wiederholte  Prä- 
position bezeichnete.  Namentlich  werden  durch  Wiederholung 
der  Präposition  die  beiden  Objecto  solcher  Verba  mehr  als  ge- 
sondert  und  jedes  für  sich  bestehend  bezeichnet ,  mehr  gegen 
einander  hervorgehobeji  oder  gleichsam  mehr  aiis  einander  ge- 
halten; während  durch  die  einfachere  Construction  mit  dem 
Dativ  eine  nähere,  iunigere  Verbindung  bezeichnet  wird,  bei 
welcher  das  im  Dativ  stehende  Object  bei  weitem  nicht  mehr  so 
selbstständig  hervortretend  erscheint,  als  wenn  es  durch  die 
Präposition  angeknüpft  worden  wäre. 

Noch  weniger  sind  wir  mit  dem  Hrn.  Verf.  iiber  die  Con- 
struction des  Dativs  mit  Passivis,  §  124,  übereinverstanden. 
Er  folgt  der  allgemeinen  Meinung,  dass  diese  Construction  eine 
Nachbildung  des  griech.  Sprachgebrauchs  und  mehr  dichte- 
risch ,  übrigens  aber  mit  der  andern  gewöhnlichen ,  d.  h.  der 
durch  a  mit  dem  Ablativ,  gleichbedeutend  sey.  Wir  hoffen 
nächstens  bei  einer  andern  Gelegenheit  zu  zeigen,  dass  alle 
diese  Bestimmungen  mehr  oder  minder  unhaltbar  und  jene  Da- 
tive in  den  meisten  Fällen  reinlateinische  Dative  seyen. 

Als  rainderwichtige  Einzelheiten  erwähnen  wir  noch,  dass 
die  §  119  erwähnte  Redensart  quid  tibi  visl  mehr  zu  dem  ei- 
gentlichen Dativus  commodi,  als  zu  dem  sogenannten  Dativus 
ethicus  gehöre;  ferner  zu  §  123,  dass  man  nicht  blos  convenirß 
in  aliquam  rem,  sondern  auch  in  aliqua  re  sagt,  Suetou. 
Aug.  25,  und  dass  imponere  auch  mit  dem  blossen  Ablativ  vor- 
kommt, jedoch,  was  die  Sache  sogleich  erklärt,  freilich  nur 
im  Particip  imposilus.  Caesar  bei  Sueton.  Caes.  66.  Sueton. 
Ner.  50.  Petron.  c.  116. 

Beim  Accusativ,  §  126  —  139,  hat  der  Hr.  Verf.  zwar 
nichts  Wesentliches  übergangen,  ist  aber  verhältnissmässig 
kürzer  gewesen,  als  bei  Behandlung  der  übrigen  Casus.  Na- 
mentlich ist,  was  §  132  über  die  Verbindung  des  Accusativs 
mit  Intransitivis  und  Passivis  gesagt  ist,  nicht  völlig  gnügend. 
Der  Gebrauch  bei  den  Dichtern  geht  hierin  viel  weiter,  als  man 
nach  den  allgemeinen  Andeutungen  des  Hrn.  Verfassers  und  den 
gegebnen  Beispielen  zufolge  erwarten  sollte.  Auch  hätte  liier 
gerade  Dichtersprache  und  Prosa  mehr  und  bestimmter  geschie- 
den, sowie  von  der  Prosa  selbst  bemerkt  werden  sollen,  dass 
in  diesen  Constructionen  die  Sprache  der  Historiker  von  der 
übrigen  Prosa  sich  auffällig  unterscheide  und  fast  mehr  als  ir- 
gend anders  der  Dichtersprache  sich  annähere.     Einige  Bemer- 


16  Römische   Lltteratur.  , 

kungeii  zu  §  137 ,  über  die  den  Accusativ  regierenden  Präposi- 
tionen, sollen  weiter  unten  gegeben  werden. 

Das  grosse  Gebiet  des  Ablativs,  §  139  —  150,  tlieilt  der 
Hr.  Verf.  in  einen  Ablativus  Qualitatis,  Instrumenti,  Causae, 
Conditionis  und  Loci  et  Temporis,  wobei  die  Constructionen 
desselben  mit  Verbis  und  Nominibus  als  auf  die  früliern  Be- 
merkungen sich  gründend,  nacli  dem  Ablat,  conditionis  einge- 
schaltet werden.  Der  Masse  nach  ist  der  Abschnitt  sehr  roll- 
ständig und  gründlich;  allein  die  Anordnung  könnte  wohl  in 
mancher  Hinsicht  zweckmässiger  seyn,  wie  schon  die  vielen 
einzelnen  in  Noten  und  Anmerkungen  beigebrachten  Bemerkun- 
gen beweisen.  Namentlich  hätte  bei  den  rerschiednen  einzel- 
nen Constructionen  nachgewiesen  werden  sollen,  unter  welche 
der  erstgenannten  Gattungen  des  Ablativs  sie  gehörten ,  was 
bei  manchen  sehr  leicht,  bei  mehrern  aber  auch  sehr  schwie- 
rig M  ar  und  vielleicht  die  Annahme  noch  mehrerer  Gattungen 
nothwendig  gemacht  hätte.  Der  Ablativus  Comparationis  ist 
in  dem  in  der  zweiten  Abtheilung  des  ersten  Theils  der  Syntax 
gegebnen  Abschnitt  von  der  Coraparatio  Adjectivorum,  §  155, 
und  die  Ablativi  absoluti  bei  der  Lehre  derParticipien,  §  172, 
behandelt  worden.  Dagegen  ist  die  Construction  der  Städte - 
und  Inselnamen  der  ersten  und  zweiten  Declinat.  sing.  num.  und 
der  Appellativa,  welche  demselben  Gebrauche  folgen ,  mit  liie- 
her  (§  148)  gezogen  worden.  Das  letztre  ist  sehr  richtig,  aber 
mit  der  Erklärung,  welche  der  Hr.  Verf.  über  den  mehr  als 
seltsamen  Gebrauch  giebt ,  können  wir  uns  nicht  befreunden. 
Mit  den  Grammatikern  früherer  Zeit  entscheidet  er  sich  fiir 
die  Erklärung  durch  Ellipse  und  sucht  seine  Meinung  dui'ch 
folgende  schon  wegen  ihrer  oberflächlichen  Kürze  nicht  ^,\\Vl- 
gende  Bemerkung  zu  rechtfertigen.  „Dieser  Genitiv  würde  mit 
der  Natur  der  lateinischen  Sprache  ganz  unverträglich  seyn, 
wenn  man  nicht  voraus  setzen  dürfte  (?),  dass  er  durch  einen 
Ablativ,  der  in  der  Umgangssprache  der  Kürze  wegen  wegge- 
lassen wurde  und  sich  leicht  vei'stehen  liess ,  z.  B.  urhe  erklärt 
werden  müsse.  Dafür  spricht  das  höhere  Alterthum  der  drit- 
ten Declination,  deren  Ortsnamen  auf  die  Frage  Wo*?  nur  im 
Ablativ  stehen,  und  in  diesem  Casu  werden  alle  Appositionen 
ausgedrückt ,  auch  waren  ähnliche  Ellipsen  sehr  gewöhnlich, 
z.  B.  ad  Jani  sc.  aedetn.  Dass  die  Pluralia  tantum  nicht  auch 
so  im  Genitiv  gebraucht  wurden,  war  wohl  Folge  ihrer  (näm- 
lich spätem)  Entstehung.   §34,  n,  6,  2." 

Wir  können  nicht  bergen,  dass  uns  diese  Ansicht  sammt 
aller  ihrer  vermeintlichen  Begründung  im  Besondern  wie  im 
Allgemeinen  völlig  ungnügend  und  unhaltbar  erscheint,  weil 
sie  durchaus  keine  der  mehrfachen  einzelnen  Erscheinungen, 
auf  die  man  bei  genauerer  Betrachtung  jenes  seltsamen  Gebrau- 
tihes  stösst,  befriedigend  erklärt ,  die  schwierigsten  Fälle  ganz 


Raiuähorn:    Laleiineschc  Grainiuutik.  I4 

unberührt  lässt  und  nberdicss  zu  Folgerungen  nöthigt ,  welche 
aller  Walirscheinlichkeit  ermangeln  und  mit  dein  natürlichen 
Bildungsgang  der  Sprache  in  geradem  Widerspruche  stehen. 

Wir  wollen  vom  letzten  Vorwurfe  anlangen  und  zuerst  die 
Bestimmungsweisc  des  Alters  betrachten,  das  der  Hr.  Verl", 
jenem  Gebrauche  beilegt.  Er  setzt  die  Entstehung  des  Ge- 
brauchs in  eine  spätere  Zeit,  weil  er  in  der  ältesten  aller  Üe- 
clinationen  sich  nicht  finde.  Allein  nach  unsrer  iMeiiinng  muss 
überhaupt  die  ganzö  Construction  der  Städtenamen  einer  sehr 
frühen  Zeit  angeliören ,  theils  weil  sie  noch  keine  Präpositio- 
nen kennt,  sondern  das  Wohin  und  Woher  noch  durch  blosse 
Casus  bezeichnet,  theils  weil  sie  in  den  meisten  Fällen  nicht 
einmal  das  Wo  von  dem  Woher  unterscheidet.  Noch  augen- 
scheinlicher wird  diess,  wenn  man  die  dem  Gebrauch  der  Släd- 
tenamen  folgenden  Wörter  f/o/«zfs  und  Ä?/mü^4'  vergleicht;  der 
Gebrauch  von  domum^  domo^  humo  miisstG  nach  der  Annahme 
des  Hrn.  Verf.  einer  sehr  frühen  Zeit  angehören,  domi  und 
hirmi  hingegen  müssten  derselben  Annahme  zufolge  spätem  Ur- 
sprungs se\ii;  und  doch  findet  sich  in  humi^  das  bekanntlich 
auf  die  Fragen  Wo  und  Wohin  steht,  nicht  einmal  die  Bezeich- 
nung der  verschiedenartigsten  Zustände,  der  Ruhe  und  der  Be- 
wegung geschieden ;  eine  Erscheinung,  die,  nach  der  jNatur  der 
Sache  und  allen  Analogien  andrer  Sprachen  zu  schliessen,  of- 
fenbar auf  eine  uralte  Zeit  hinweiset.  Die  Annahme  jenes  spä- 
tem Ursprungs  also  erscheint  schon  hierdurch  so  völlig  unstatt- 
haft, dass  wir  es  durch  Hinweisung  auf  einige  sehr  alte  Plura- 
lia  tantum  gar  nicht  weiter  erweisen  zu  müssen  glauben.  Aber 
noch  weniger  kann  man  sich  mit  jener  elliptischen  Erklärung 
selbst  befreunden.  Wir  wollen  über  die  gewiss  auch  schon 
seltsame  Ergänzung  urbe  bei  den  Städtenamen  nichts  entgeg- 
nen ;  aber  wie  soll  man  denn  bei  den  ganz  allgemeinen  Ortsbe- 
griffen domi  und  humi  die  Auslassung  eines  noch  allgemeineren 
Begriffes  der  Art  wahrscheinlich  oder  auch  nur  möglich  finden'? 
Und  doch  müsste  derselbe  nach  allen  Wahrnehmungen  bei  an- 
dern elliptischen  Constructionen  ein  solcher  seyn,  wenn  über- 
haupt die  Ausiassung  desselben  begreiüich  und  erklärlich  seyu 
sollte.  Wir  wissen  wohl,  dass  es  eine  Periode  in  der  griech. 
und  latein.  Grammatik  giebt,  wo  selbst  die  grössten  Gramma- 
tiker vor  der  Annahme  solcher  und  wohl  noch  kühnerer  Ellipsen 
sich  nicht  scheuten ;  allein  bei  dem  jetzigen  Standpunct  der 
Grammatik  glauben  wir  das  Unstatthafte  einer  bei  dieser  Con- 
struction angenommenen  Ellipse  nicht  besser  beweisen  zu  kön- 
nen, als  wenn  wir  auf  die  verunglückten  Ergänzungskunststücke 
der  Grammatiker  selbst  verweisen,  nach  welchen  seltsam  genug 
zu  domi  ein  in  aedibus  oder  in  tempore^  zu  humi  gar  ein  ///  solo 
oder  in  terra  und  zuletzt  zu  terrae^  das  wenigstens  die  meisten 
Grammatiker,  obschon  nach  unsrer  Ueberzeugung  mit  Üureclit, 

Jahrb.  f.  Phil.  u.  Pädag.  Ja/irff.  Ml.  Heflj.  O 


18  Römische    L  i  1 1  e  r  ii  t  u  r. 

für  einen  solchen  Genitiv  halten ,  wieder  ein  in  solo  hinzuge- 
dacht wissen  wollen.  Ueber  Erklärung  der  letztgenannten  und 
übrigen  Fälle  hat  der  Hr.  Verf.  in  Rücksicht  seiner  Erklärung 
wohl  klüglich ,  aber  in  Hinsicht  der  Sache  selbst  mit  Unrecht 
geschwiegen.  Zu  alledem  nun  kommt,  andrer  Bedenklichkei- 
ten zu  geschwcigen,  endlich  noch  die  schlimme  Frage,  wie  es 
doch  gekommen  sey,  dass  man  gerade  nur  bei  den  Nominibus 
der  ersten  und  zweiten  Decliiiat.  sing,  uumeri  jener  Ellipsen- 
construction  sich  bedient ,  in  den  übrigen  weit  zahlreichern 
Fällen  aber,  welche  die  dritte  Declinat.  und  die  Pluralia  tantum 
darbieten,  ohne  Ellipse  gesprochen  habe;  da  doch  gerade  bei 
diesen  eben  wegen  ihrer  grössexn  Menge  und  ilires  häufigeren 
Vorkommens  die  Anwendung  irgend  einer.  Kürze  im  Ausdruck 
beabzweckenden ,  Ellipsenconstruction  noch  am  ersten  begreif- 
lich und  erklärlich  gewesen  wäre?  Und  wäre  es  ferner  nicht 
eine  Sparsamkeit  ganz  eigner  Art,  wenn  man  anstatt  des  von 
dem  Sprachgebrauch  nicht  nur  erlaubten,  sondern  auch  gebo- 
tenen Ablativs  Itoma^  Cormtho^  domo  \\.  s.  w.  lieber  erst  der 
seltsam  weitläufigen  Ausdrucksweise:  tirbe  Romae^  urbe 
Corinthi^  aedibus  domi  \i.  s.  f.  sich  bedienen,  und  dann,  weil 
man  diese  freilich  schleppenden  Bezeichnungen  schleppend  ge- 
funden hätte,  jene  Bestimmungen  urbe^  aedibus  hätte  weglas- 
sen wollen,  um  eine  Kürze  zu  erlangen,  die  man  in  den  einfa- 
chen Ablativen  Roma  u.  s.  w.  weit  näher  haben  konnte?  In  der 
That  ein  Paar  schlimme,  aber  durchaus  nothwendige  Fragen, 
ohne  deren  gnügende  Beantwortung  sich  keine  Erklärungsweise 
jenes  seltsamen  Gebrauchs  als  zuverlässig  und  sicher  legitimi- 
ren  kann. 

Nachdem  wir  nun  so  erwiesen  zu  haben  glauben,  dass 
durch  diese  Erklärung  kein  Licht  in  die  so  dunkle  Sache  ge- 
bracht werden  könne ,  halten  wir  uns  für  verpflichtet  auf  eine 
andre  Erklärung  aufmerksam  zumachen,  welche,  richtig  auf- 
gefasst  und  dargestellt,  nach  unsrer  Meinung  nicht  nur  alle 
Seltsamkeiten  und  Eigenthümlichkeiten  des  so  viel  besprochnen 
Gebrauchs  befriedigend  erklärt,  sondern  auch  überdies«  zeigt, 
wie  die  doppelte  anscheinend  völlig  verschiedne  Construction 
der  Städtenamen  der  ersten  und  zweiten  und  der  dritten  De- 
clination  in  einem  ganz  ayi^nw  Zusammenhang  stehe  und  wie 
überhaupt  der  lateinische  Ablativ  die  Bedeutung  dieser  Orts- 
angabe erhalten  habe. 

Nach  dieser  neuen  Erklärung,  welche  jüngst  Hr.  Fried- 
rich Rosen  in  seiner  prohisio  corporis  radicum  Sanscrilarum. 
(Berol.  182ß.)  p.  12  seq.  aufgestellt  hat,  sind  alle  jene  Formen 
auf  ae  und  i  ursprünf^lich  keine  eigentlichen  tind  wirklichen  Ge- 
nitive^ sondern  Ueberresle  eines  int  Lateinischen  und  Grie- 
chischen früher  dageivesenen  L  ocativs^  der  sich  ganz  in  den- 
selben Formen  auch  im  Sa?iscrit  finde. 


Rurasliorn:    Lateinische  Grammatik,  19 

Wir  sind  überzcu^rt,  dasa  jedermann,  der  den  seltsamen 
Gebrauch  jener  Genitive  und  die  Construction  der  Städtena- 
men überhaupt  nebst  allen  dabei  vorkommenden  einzelnen  Ei- 
genthiimlichkeiten  und  Besonderheiten  genauer  beachtet  hat, 
in  jener  Krklärungsart  die  einzig  mögliche  Weise  erkennen 
muss,  auf  welche  die  sonst  unerklärliche  FJrscheinung  nebst 
allem,  womit  sie  zusammenhängt,  befriedigend  erklärt  wer- 
den kann.  Ja  wir  glauben  auch,  dass  diese  Vermuthung  ganz 
ohne  alle  weitere  Rücksicht  auf  das  Sa-iscrit  sich  schon  an 
sich  selbst  und  ihrer  Innern  Gründe  halber  als  völlig  natürlich 
und  richtig  rechtfertigen  lasse. 

Da  der  Gegenstand  eben  so  schwierig  als  interessant  und 
jene  Vermuthung  so  überaus  wahrscheinlich  ist,  so  erlauben 
wir  uns  zuerst  die  eignen  Worte  Hrn.  Rosens  anzuführen ,  und 
dann  noch  einiges  hinzuzufügen,  Mas  sich  sonst  noch  nament- 
lich aus  dem  lateinischen  Sprachgebrauch  selbst  für  die  Sache 
sagen  lässt.  Ilr.  Rosen  bemerkt  a.  a.  O.  p.  12,  bei  Gelegenheit 
einer  zwischen  dem  Sanscrit  und  Griechischen  angestellten 
Vergleichung ,  dass  man  hin  und  wieder  auf  Spuren  eines  ehe- 
maligen grössern  Reichthums  an  Flexionsformen  in  der  letz- 
tern Sprache  stosse ,  und  stellt  nun  dafür  jene  obenangeführte 
Vermuthung  mit  folgenden  Worten  auf: 

„ItaLocativum  casum,  cujus  apud  Indos  diutius  usus  viguit, 
et  Graecae  et  Latinae  linguae  ausim  vindicare.  Latinae  enim 
syntaxeos  ratio  ad  determinandura  locum  ,  ubi  quid  actum  sit, 
iniis,  quae  numeri  singularis  sunt,  urbium  nominibus,  primae 
et  secundae  declinationis  Genitivum  exigit,  tertiae  Ablativum. 
In  qua  quidem  lege  Ablativum  nemo  miratur  *);  Genitivus  vero 
jam  dudum  ofFendit  Grammaticos,  ab  universa  quippe  Latinae 
linguae  indole  alienus.  Quid  vero,  si  id,  quod  nunc  speciem  ha- 
bet Genitivi ,  Locativura  esse  contendamus  sub  hac  forma  laten- 
tem? Naraque  in  Sanscrita  lingua  Locativus  peculiarem  sibi 
habet  (in  plurimis  sane  vocibiis)  terminationem  i,  quae  modo 
nuda  apparet,   ut  in  mudi  a  voce  mud  (gaudium),    modo  cum 


*)  Freilich  jetzt  wohl;  allein  nicht  weil  diese  Bedeutung  dem 
Ablativ  nothwendig  und  seiner  Grundbedeutung  nach  zukäme,  sondern 
weil  uns  der  aligemeine  usus  so  daran  gewöhnt  hat ,  dass  wir  glau- 
ben, es  könne  nicht  anders  seyn.  Hätte  der  usus  jene  Bedeutung  ei- 
nem andern  Casus  zugewiesen  und  etwa  für  einige  besondre  Fälle  den 
Ablativ  bestimmt,  so  würden  uns  dann  die  seltnen  Ortsablative  eben 
so  auffallen,  als  jetzt  jene  Genitive.  Wir  finden  daher  diese  scharf- 
sinnige Vermuthung  Hrn.  Rosens  auch  noch  darum  so  vorzüglich,  weil 
sie,  wie  wir  weiter  unten  zeigen  werden,  zugleich  aucJi  den  Umstand 
erklärt,  wie  der  lat.  Ablativ  der  casus  für  solche  Ortsangaben  werden 
konnte. 

2  * 


20  R  ()  III  i  s  c  h  e    L  i  1 1  c  r  a  t  ii  r. 

praecedcnti  a  coalcscit  in  «e,  ut  ^adshac  a  stirpe  ^adsha  (de- 
phas).  Ipsum  ilhul  i  ulti'O  sese  oltert  in  secundae  declinationis 
Latiiiae  Genitivo  (CoHnth??);  idem  vero  etiam  latet  in  primae 
declinationis  Genitivo  vel  potius  Dativo*)  (Iio7nae)^  cujus  ter- 
minationem  ae  ex  a  et  /,  perinde  ac  apnd  Indos ,  coalitam  esse 
credo.  E^regie  liuc  conspirant  mira  alioquin  illa  dornig  kum'i^ 
ruri.,   vicinioe^  terrae^    iiec  non  belli ^  müitiae. '"'' 

„Idem  illud  i  Locativo  Indorum  proprium,  apudGraecos 
etiam  deprehendimus ,  tum  diserte  pronunciatum ,  ut  in  ylaze- 
daifiovL,  nee  non  in  olaoi  et  rarioribus  iliis  'leQ^ot,  Ilvd^otf 
MeyaQot,  tum  sul)  adsueta  Dativi  specie  latcns  et  productae 
vocaii  iufra  adscriptum ,  ut  in  Asößco^   Tqou/.'-'' 

„Quae  quidem  omnia  id  affatim  videutur  innuere,  Graccam 
etiam  et  Latinam  linguam  Locativuin  uumcri  sini^ularis  casum 
peculiari  aliquando  forma  distinctum  liabuisse;  cujus  tamen  ori- 
ginaria  species  apud  Romanos  quidem  cum  primae  et  secundae 
declinationis  Genitivo,  tertiae  Ablativo,  apud  Graecos  vero 
cum  Dativo  paullatim  fuerit  confusa.'' 

Diess  ist  die  Ansiebt  Hrn.  llosens  ,  die  im  Allgemeinen  ge- 
wiss riclitig  ist;  nur  glauben  wir,  dass  er  erstlich  dabei  nicht 
genug  erkannt ,  wie  viel  sich  schon  aus  dem  lateinischen 
Sprachgebrauch  selbst  für  diese  neue  Erklärung  anfiihren  lasse, 
und  ferner  die  Folgerungen  und  Resultate  zu  wenig  beachtet 
habe,  welche  sich  daraus  für  die  lateinische  Grammatik  im  All- 
gemeinen sowohl ,  so  wie  für  die  richtigere  Würdigung  jener 
doppelten  Construction  der  Städtenameu  insbesondre  ziehen 
lassen. 

Nach  unsrer  Meinung  muss  man  sich  den  Hergang  der 
Sache  folgendermaassen  denken : 

Die  älteste  lat.  Sprache  setzte  auf  die  Frage  JFo  die  Form 
des  Nomens,  die  sich  auf  i  endigte,  also  nach  der  spätem  Decli- 
nationsweise  betrachtet,   in  der  zweite?i  Declinat.  den  Genitiv 


*)  Zu  fliesen  Worten  bemerken  wir  beiläufig',  dass  früher  schon 
Hr.  Prof.  Reisig  alle  jene  Ortsg-enitive  für  ursprüngliche  Dative  er- 
klärt und  den  Gebrauch  aus  einer  Zeit  abgeleitet  bat ,  wo  die  Formen 
des  Geiiitivs  und  Dativs  der  zweiten  Declination  nocb  nicht  so  streng 
geschieden  gewesen  seyen  und  ein  eigentlicher  Ablativ  noch  nicht 
existirt  habe.  Diese  A  crnuitliung ,  dieselbe ,  auf  welche  auch  Hr. 
Stallhaum  zu  Ruddim.  2,  270  hindeutet,  ist  wenigstens  sehr 
scharfsinnig  und  würde  trotz  dem,  dass  sie  eine  bei  der  spätem  stren- 
gern Sondcrnng  der  Casus  stattgefundene  Fornienverwechslung  vor- 
aussetzt, deren  Annahino  sehr  bcdenldich  ist,  und  auch  den  Umstand 
nicht  erklärt,  w<;slialb  der  Gebrauch  nur  hei  Noininibus  der  ersten 
und  zweiten  Declination  singiil.  nuiii.  sich  finde,  doch  immer  der  frü- 
hern Erklärung  durch  Ellipse  weit  vorzuziehen  seyn. 


Rarasliorti :    Lateinische   Gi'aminatik.  21 

{Corinlhi\  m  der  ersten  den  Genillo  oder  Dalio  (Romai\  in 
der  drilten  den  zu  jener  Zeit  noch  niclit  vom  Ablativ  ji^esonder- 
ie,i\  Dativ  {Carl haglni)^  jedocli  so,  dass  man  diese  Form  auf  i 
als  eine  zum  Behuf  jener  Ortsangabe  vijät'^  für  sich  bestehende 
Form  ansah ,  die  mit  andern  Casnsformen  zwar  gleichlautete, 
deshalb  aber  keineswegs  etwa  bald  als  Genitiv,  bald  als  Dativ 
aufgefasst,  sondern  iiberall  als  eigne  fiir  sich  besonders  beste- 
hende Locaticform  betrachtet  wurde. 

Die  Begriffe  des  Wo  und  Wohin  waren  dabei,  wie  in  allen 
weniger  ausgebildeten  Sprachen,  noch  nicht  so  streng  und 
nicht  iiberall  geschieden;  daher  humi'nx  doppelter  Bedeutung, 
und  vielleicht  wohl  auch  ebenso  bei  manchen  Städtenamen; 
vergleiche  Horat.  Od.  4,  4,  Cü:  (Jarlhagini  jam  non  ego 
nuncios  mittam  superbos.  So  w  ar  es  in  der  ältesten  Sprache.  Es 
liegt  nun  in  der  Natur  der  Sache,  dass,  wenn  man  die  Form  sol- 
cher Ortsangaben  betraclitete ,  wegen  des  grossen  Umfangs  der 
dritten  Declinat.  die  bei  weitem  iiberwiegende  Mehrzahl  dersel- 
ben als  Dativ-  oder  AblativSormen  erschienen.  In  Folge  dieser 
Erscheinung  fing  man  nun  später  allmählig  an,  die  urspriing- 
lich  besonders  bestehende  Locativform  mit  der  Ablativform  als 
gleich  zu  betrachten,  und  liess  sich  nun  so  durch  jene  grosse 
Masse  der  Beispiele,  in  welchen  der  alte  Locativ  mit  dem  Ab- 
lativ in  eins  zusammenfiel,  veranlassen,  für  alle  Ortsbezeich- 
nmigen  der  Art  den  Ablativ  überhaupt  in  allen  Decliiiationen^ 
wie  in  beiden  Numeris  zu  brauchen ,  und  somit  ihm  als  Casus 
in  allen  seinen  Endimgen  eine  Bedeutung  beizulegen,  die  er 
friiher  nicht  anders,  als  die  Formen  auf  i  in  den  beiden  ersten 
Declinationen,  blos  vermöge  seiner  Endung  auf  /  gehabt  hatte. 
Durch  diese  leichtbegreifliche,  im  Ganzen  aber  wichtige  Aen- 
derung  ging  nun  der  Locativ  als  besonderer  Casus  für  die  Spra- 
che im  Allgemeinen  verloren,  und  der  Ablativ  trat  an  seine  Stelle. 
Deniohngeachtet  aber  konnten  und  raussten  sich,  wie  leicht 
nachzuweisen  ist,  auch  nach  jener  grossen  Aenderung  fortwäh- 
rend Spuren  des  alten  Gebrauchs,  d.  h.  Ueberreste  des  Loca- 
tivs  erhalten.  Während  man  nämlich  nunmehr  auf  die  Frage 
Wo  auch  in  der  ersten  und  zweiten  Declinatiou  im  Allgemeinen 
zwar  den  Ablativ  auf  «,  o  und  is  setzte,  so  behielt  man  den- 
noch die  alte  Form  auf  i  in  allen  den  Wörtern  bei^  welche  der 
Natur  ihres  Begriffs  nach  am  häufigsten  in  solchen  Ortsanga- 
ben vorgekommen  waren ,  und  zwar  aus  dem  natürlichen  Grun- 
de, weil  die  Locativformen  jener  Wörter  in  Folge  der  frühem 
häufigen  Anwendung  eine  zu  allgemeinverbreitete  Geltung  in 
der  Sprache  erhalten  hatten  und  durch  den  Sprachgebrauch 
gleichsam  zu  sehr  fixirt  waren,  als  dass  man  auch  hier  den  al- 
ten usus  hätte  verlassen  und  jene  Umänderung  in  den  Ablativ 
eintreten  lassen  können.  Solche  Wörter  waren  natürlich  die 
Studie-  und  Tnselnumen^    sehr  gewöhnliche  allgemeine  Ortsbe-- 


22  Ru mische    Litterat ur. 

griffe^  wie  dornt  und  hmni^  und  noch  einige  andre  Worter, 
wie  belli ^  viilüiae^  welche  ihrem  Begriff  zufolge  eine  häufige 
Anwendung  der  Art  im  römischen  Leben  gefunden  liatten. 
Hiermit  lös't  sicli  jene  obige  Frage ,  weshalb  der  in  Rede 
stehende  usus  nur  bei  den  Städte-  und  Inselnamen  der  ersten 
und  zweiten  Declinat.  sing,  numeri  und  bei  einigen  wenigen 
Appellativis  sich  finde,  auf  eine  höchst  natürliche  Weise  und 
gleichsam  von  selber.  Indess  nicht  blos  in  der  ersten  und 
zweiten  Declination  erliielten  sich  als  Ueberreste  des  alten  Ge- 
brauches dergleichen  Locativformen;  sie  finden  sich  eben  so 
auch  in  der  dritten  Declination,  nur  dass  sie  hier  als  weniger 
auffällig  auch  weniger  beachtet  worden  sind,  trotz  dem,  dass 
schon  die  alten  Grammatiker  sie  ganz  als  Locative  beschreiben. 
Es  sind  diess  Formen,  wie  Acher unti  und  andre,  und  be- 
sonders die  alten  vermeintlichen  Ablativformen  mehrerer  der 
getvölmllchsteii  und  bekanntesten  Städtenamen,  wie  Cartha- 
gmi^  Tibiiri^  Anxuri^  Sicyotii^  deren  alte  Form  auf  i  fortwäh- 
rend sich  für  die  Frage  Wo  in  vorherrschendem  Gebrauch  er- 
hielt, während  man  die  andre  Form  auf  e  mehr  auf  die  Frage 
Woher  brauchte.  Dieser  Gebrauch  findet  sich  durch  die  ganze 
Sprache  hindurch  bis  herab  ins  silberne  Zeitalter ,  und  geht  so- 
weit, dass  Servius  (vergl.  auch  Cledon.  p.  1922.)  bei  den  Wor- 
ten Virg.  Aen.  4,  224:  Tyria  Carthagine  qui  nunc  esspectat^ 
sogar  Anstoss  an  der  Form  nimmt  und  bemerkt:  Carthagine 
"pro  CarthagiiA  et  -pro  adverbio  in  loco^  de  loco  posuit:  sie  Ho- 
ratius:  Rojuae  Tibiir  amem  ventosiis^  Tibure  Romam^  pro 
Tiburi.  Mit  derselben  Bestimmtheit  spricht  er  sich  auch  in 
der  Interpretat.  in  art.  secund.  Donati  p.  1793  für  jene  Formen 
auf  i  aus  und  erklärt  sie  für  Dative^  welche  bei  INominibus  ci- 
vitatum  dieser  Declination  auf  die  Frage  Wo  regelmässig  ge- 
setzt werden  raüssten.  Diese  Behauptung,  welclie  freilich  die 
gehörige  philosophische  Umsicht  vermissen  lässt,  ist  nun  von 
Grammatikern  späterer  Zeit  theils  gebilligt  und  als  Regel  an- 
genommen, theils,  wie  von  Vossius,  Scioppius  und  an- 
dern, heftig  getadelt  worden,  jedoch  so,  dass  man  bei  beiden 
Partheien  jene  philosophische  Umsicht  ebenso  sehr  vermisst, 
als  bei  Servius  und  Priscian ,  der  über  einige  ähnliche  Formen 
derselben  Meinung  ist.  cf.  Priscian.  15,  2,  6  und  15,  3,  15. 
Namentlich  aber  gehen  einige  Gegner  des  Servius  offenbar  zu 
weit,  wenn  sie  in  einem  wirklicli  unkritischen  Oppositionseifer 
jene  Formen  auf  i  als  eine  Erfindung  des  Servius  verdächtig 
machen  und  lieber  überhaupt  verwerfen  möchten.  Denn  ge- 
rade die  von  Servius  angeführten  Formen  Carthagini^  Tiburi 
brauchen  Plautus,  Cicero,  Livius,  Suetonius  und  andre  eben 
so;  und  die  der  Behauptung  des  Servius  entgegengestellten  Re- 
geln andrer  Grammatiker,  sowie  das  horazische  Tibure  und  ei- 
nige andre  Beispiele,    beweisen,  selbst  wenn  die  letztern  unbe- 


Raniäliorn :    Latciiiiäclie  Grummatlk.  23 

zweifelt  sicher  scyn  sollten ,  doch  weiter  nichts,  als  dass  man 
zuweilen  auch  in  diesen  Wortern  dem  allgemeinen  usus  folgte 
und  auch  auf  die  Frage  Wo  die  andre  Form  auf  e,  tl.  Ii.  den  im 
Allgemeinen  gewöhnlichen  Ortsablativ,  setzte,  ein  Umstand, 
der  natürlich  w  eiter  gar  nicht  auffallen ,  und  noch  weit  weni- 
ger die  Behauptung  widerlegen  kann,  dass  die  Formen  auf  i 
die  urspriinglichgewöhnlichen  waren.  Ganz  derselbe  Fall  ist 
es  unter  andern  auch  mit  den  Formen  ruri  und  riire  ^  welche 
dem  Zeugniss  des  Festus  und  andrer  und  der  bei  weitem  über- 
wiegenden 3Iehrzahl  der  Beispiele  zufolge  eben  so  unterschie- 
den wurden.  Wenn  Servius  getadelt  werden  sollte ,  so  konnte 
es  auf  andre  W^eise  weit  richtiger  geschehen.  Er  irrt  nämlich 
an  jener  Stelle  Virgils  wirklich,  nämlich  darin,  dass  er  die 
Form  Carthagim  verlangt,  da  doch  ^\\\  Adjectiv  dabei  steht, 
üiess  führt  uns  auf  eine  andre  Bemerkung,  die  auch  noch  so- 
wohl für  den  Locativgebrauch  jener  Formen  selbst,  so  wie  be- 
sonders für  das  hohe  Alter  desselben  und  zwar  um  so  mehr 
angeführt  zu  werden  verdient,  da  sie,  trotz  dem,  dass  fast 
alle  alten  Grammatiker  ausdrücklich  darauf  hinweisen,  (Serv. 
1.  1.  üonat.  ad  Terent.  Adelph.  4,  5,  20,  Charis.  p.  167.  169, 
Priscian.  1.  I.  und  andre)  doch  in  unsern  neuern  Grammatiken 
nur  wenig  oder  gar  nicht  berücksichtigt  worden  ist.  Der 
Sprachgebrauch  nämlich  hat  fast  allen  jenen  Formen  einen  so 
bestimmten  und  beschränkten  Kreis  der  Anwendung  angewie- 
sen ,  dass  sie  bei  ihrem  Locativgebrauch  selbst  blos  als  Adver- 
bia  gelten,  und  daher  7iur  allein  und  nicht  in  solcher  Verbi7i- 
dimg  mit  andern  Wörtern  gebraucht  werde7i  können^  in  welcher 
sie  zugleich  in  der  Kraft  und  Eigenschaft  wirklicher  Nomina 
erscheinen  würde?!.  Sie  stehen  daher,  mit  wenigen  gleich  näher 
zu  erörternden  Ausnahmen,  nie  so,  dass  durch  sie  die  P'orm  ei- 
nes andern  Wortes  bestimmt  würde,  z.  B.  nicht  mit  einem  Ad- 
jectiv  oder  einem  abhängigen  Genitiv,  (nicht  Romae  magnae., 
Corifithi  splendidi^  humi  nudae^  belli  Centaurorum.^  militiue 
durae.,  Carthagini  nova.)  sondern  blos  für  sich  als  adverbiale 
Ortsbestimmungen',  und  bei  manchen  aus  der  dritten  Declina- 
tion  hieher  gehörigen  Formen  ist  man  sogar  so  weit  gegangen, 
dass  man,  trotz  dem,  dass  sie  eben  so  gut  als  Ablativ-  wie  als 
Locatiüformeii  gelten  konnten,  sie  doch  nicht  weiter  als  wirk- 
liche Ablative  gebraucht,  sondern  für  diesen  Fall  der  andern 
Form  auf  e  sich  bedient.  So  steht  z.  B.  ruri  sclion  nur  höchst 
selten  auf  die  Frage  /FoÄer  (Plaut.  Mosteil.  5,  1,  28,  Trucul. 
3,  2,  1  und  3,2,  25.)  nie  aber  als  wirklich  regierter  Abla- 
tiv, etwa  von  einer  Präposition  (nicht  in  ruri)  oder  von  ei- 
nem Verbo  (nicht  ruri  frui)  abhängig,  und  eben  so  wenig 
mit  einem  Adjectiv  oder  Genitiv  verbunden.  Wirkliche  Aus- 
nahmen (denn  Beispiele,  wie  in  Hispali^  gehören  nicht  hie- 
her.)   finden   sich   nur   sehr    wenige,  und  blos  solche,    wozu 


24  RümiscIicLitterutur. 

man  fast  genöthi2:t  war.  Unter  denselben  ist  vorziisflich  domi 
zu  ermähnen,  das  bekanntlich  in  einem  gewissen  Falle  die 
Pronomiiialadjective  mene^  tuae  ^  sitae ^  nosirae  ^  vestrae^  alie- 
nae  und  abhängige  Genitive  zulässt.  Allein  selbst  dieses  Wort, 
inwiefern  es  eben  nicht  jedes  beliebige  Adjectivum  zulässt, 
zeugt  noch  in  gewisser  Ilinsicht  fiir  jene  Bemerkung,  und 
anderseits  findet  sich  fVir  die  Fälle,  wo  sein  Gebrauch  von 
der  allgemeinen  Regel  abweicht,  in  seiner  eignen  Bedeutung 
eine  leichte  Entschuldigung.  Gewohnt  nämlich  nur  in  der 
Form  domi  ausser  dem  eigentlichen  Begriff  noch  den  Neben- 
begriff der  Heimat h^  des  Beisivh  zu  finden,  und  sie  in  dieser 
Hinsicht  streng  von  domo  oder  in  domo  zu  unterscheiden, 
mnsste  man  in  Verlegenheit  kommen,  >\ie  man  Begriffe:  zu 
Hause  bei  mir  ^  hei  dir  u.  s,  w.  ausdriicken  solle.  In  domo 
mea^  tiia  u.  s.  w.  konnte  man  nicht  sagen,  weil  der  Sprach- 
gebrauch jenen  JNebenbegriff  aus  diesen  Redensarten  ausge- 
schlossen hatte;  wollte  man  ihn  also  deinioch  in  jener  Ver- 
bindung und  in  zweckmässiger  Kürze  ausdrücken,  so  musste 
man  domi  setzen  und  die  nähere  Bestimmung  der  Person 
durch  ein  Pronomen  possessivura  oder  einen  Genitiv  bezeich- 
nen. Man  brauchte  daher  die  Form  domi  in  solchen  Redens- 
arten eigentlich  in  einer  doppelten  Geltung,  einerseits  als 
Adverbium,  anderseits  zugleich  auch  als  wirkliches  Substan- 
tivura,  wie  man  ja  auch  zu  andern  Localadverbien  ganz  in 
ähnlicher  Weise  abhängige  Genitive  setzte. 

Eine  ähnliche,  aber  eben  so  leicht  zu  erklärende  Abwei- 
chung findet  sich  zuweilen  bei  Städtenamen,  die  zur  Unter- 
scheidung von  andern  entweder  ein  Adjectivum^  oder  einen  Ge- 
nitiv bei  sich  haben.  Indess  kennen  vir,  was  den  ersten  Fall 
anlangt,  nur  das  einzige  Beispiel  bei  Cic.  p.  Cluent.  9:  Teani 
ylpidi^  und  wir  zweifeln  kaum,  ob  dasselbe  nicht  als  dem 
Sprachgebrauch  zuwider  anzusehen  sey,  und  eine  gerechtere 
Rüge  verdient  hätte,  als  eine  ähnliche  Abweichung  vom  Sprach- 
gebrauch, Megen  welcher  ihn  einst  schon  sein  Freund  Atti- 
kus  tadelte ;  vergl.  Epist.  ad  Attic.  7,  3  nnd  6,  1).  Wenigstens 
pflegen  andre  in  gleichem  Falle  den  Ablativ  zu  setzen,  z.  B. 
Virgil.  Aen.  6,  760:  Longa  Alba^  verglichen  mit  Liv.  1,  3. 
Für  den  zweiten  Fall  erinnern  wir  uns  gar  keines  Beispiels 
aus  den  Alten,  und  glauben  wenigstens,  dass  sich  deren  nicht 
viele  finden  mögen,  so  sehr  auch  unser  Ohr  durch  die  Bü- 
chertitel gewöhnt  ist,  an  Ortsangaben,  wie  Augustae  Vinde- 
licorum,  Lugduni  Batavorum  u.  s.  w.,  nicht  den  geringsten 
Anstoss  zu  nehmen. 

In  Bezug  auf  die  Nomina  der  ersten  Declination  verdient 
ferner  noch  der  von  den  neuern  Grammatikern  völlig  unbe- 
rührt gelassene  Umstand  angeführt  zu  werden ,  dass  sich  nir- 
gends eine  Stelle  findet^  wo  ein  griechischer  Genitiv  auf  es,  wie 


lliuuähorn :    Latcliiisclic  Graiuinatik. 


:io 


etwa  Ci/renes ,  Mycenes ,  Mycones ,  Mifyleiies ,  St/enes  u.  s.  w. 
zu  einer  solchen  Ortsangabe  gcbraiiclit  worden  wäre',  vergl. 
-Voss  ^ramm.  lat.  min.  synt.  p.  40  (  Vmst,  1707.)  und  Riid- 
dim.  2,  270.  Die  Sache  winde  bei  dem  sonst  so  liäufigcn 
Gebi  auch  jener  ^riech.  Declinationsweise  sehr  auffallend  seyji, 
während  sie  nach  oben  angeführter  Ertlärung  des  Gebrauchs 
sich  von  selbst  ei'giebt  und  im  Gegentheil  noch  zum  Beweise 
dafVir  dient,  dass  man,  trotz  dem,  dass  die  Römer  selbst 
jene  Locativformen  auf  ae  und  i  fiir  Genitive  hielten,  doch, 
von  einem  dem  ursprünglichen  Gesetz  der  Sprache  unbe- 
wusst  folgenden  Gefühl  geleitet,  die  Geniti\ formen  auf  es 
bei  Ortsangaben  als  unstatthaft  und  dem  Sprachgebrauch  wi- 
derstrebend erkannte. 

Was  nun  zuletzt  noch  die  Formen  terrae  und  vidniae  an- 
langt, so  glauben  wir,  dass  beide,  obschon  selbst  die  alten 
Grammatiker  (Serv.  ad  Virg.  Aen.  11,  87,Charis.  p.  li)7  )  sie  hie- 
herziehen, doch  nur  mit  Unrecht  als  solche  Ortsgenitive  be- 
traclitet  werden.  Wäre  nämlich  terrae  auch  später  noch  als 
wirklicher  Locativns  gebräuchlich  gewesen,  so  müsste  es  sich 
nothwendig,  wie  dornig  hunii ^  belli ^  inilitiae^  auch  allgemein 
und  häufig  in  der  Prosa,  namentlich  in  der  so  gewöhnlichen 
und  ziemlich  alten  Redensart  terra  marique  finden ;  während 
es  doch  nur  bei  Dichtern  und  in  einigen  wenigen  Stellen  der 
auch  sonst  der  Dichtersprache  sich  nähernden  Historiker  vor- 
kommt, wo  es  überall  als  Dalio  gefasst  und  gerechtfertigt  wer- 
den kann.  J  iciniae  aber  glauben  wir  deshalb  nicht  hieherzäh- 
len zu  dürfen,  weil  es  nur  in  der  einzigen  Stelle  bei  Plaut. 
Bacch.  2,  2,  27 :  proxuniae  i'iciniae  habitat^  und  auch  da  nicht 
ohne  Adjectiv  sich  findet.  Wir  halten  übrigens  die  Stelle  trotz 
des  Zeugnisses  des  Charisius  für  verdorben.  Proxutnae  viciniae 
nämlich  müsste  dort ,  eben  weil  es  des  Adjectivs  halber  als  ei- 
gentlicher Locativ  nicht  gelten  kann,  in  der  That  als  elliptisch 
gesetzter  Genitiv  gefasst  und  durch  ein  hinzugedachtes  alicubi 
erklärt  werden.  Allein  die  Unstatthaftigkeit  der  EUipsencon- 
struction  gar  nicht  zu  erwähnen,  verträgt  schon  der  Zusam- 
menhang jener  Stelle  die  Sentenz  nicht:  sie  Avohnt  irgendwo 
in  der  nächsten  jNachbarschaft ;  denn  der  Sclave  sieht  ja  das 
Haus,  wo  das  gesuchte  Mädchen  wohnt  und  freut  sich, 
dass  es  so  ganz  in  der  Nähe  ist.  Wir  glauben  daher 
unbedenklich  annehmen  zu  dürfen,  dass,  wie  so  leicht  ge- 
schehen konnte,  das  Adverbium  hie  vor  riciniae  ausgefallen  sey, 
wo  dann  die  Construction  ganz  regelmässig  und  die  Stelle  ei- 
ner andern  des  Plautus  Mil,  Glor.  2,  3,  2  völlig  gleich  ist.  Da- 
gegen können  mehrere  alte  Zeitadverbien  wie  heri^  lud,  tem- 
pori^  vesperi  mit  diesen  Locativformen  wenigstens  verglichen 
werden,  und  das  alte  und  seltne pereg^yz  gehört  völlig  dazu,  und 
wird  schon  von  mehrern  alten  Grammatikern  ganz  in  ähnlicher 


26  Rumisch  cLittcratur. 

Weise  von  lieregre  unterschieden,  wie  Festus  ruri  und  riire 
unterscheidet;  nur  dass  peregre^  da  es  eben  so  gut  Accusativ 
als  Ablativ  seyn  kann ,  sowohl  auf  die  Frage  Woher  ^  als  Wo- 
hin steht  *). 

Was  der  Hr.  Verf.  §  137  und  150  über  die  Präpositionen 
sagt,  enthält  manche  gute  Winke  und  empfiehlt  sich  besonders 
dadurch,  dass  die  Grundbedeutungen  meist  richtig  augegeben, 
die  übrigen  möglichst  vereinfacht,  und  gewöhnlich  in  guter 
Ordnung  aufgezählt  sind ,  wodurch  allein  Licht  in  diesen  bis- 
her sehr  vernachlässigten  Theil  der  lat.  Grammatik  gebracht 
werden  kann.  Was  wir  zu  tadeln  haben,  ist  hauptsächlich  die 
schon  oben  berührte  Kargheit  in  der  Erörterung,  die  mehr  nur 
Winke  gebend  weniger  geeignet  ist,  dem  Schüler  eine  klare 
Einsicht  in  die  schwierige  Sache  zu  verschaffen.  Namentlich 
hätte  einerseits  die  Deduction  der  übertragenen  Bedeutun- 
gen genauer  und  umständliclier  seyn,  der  Uebergaug  der 
einen  Bedeutung  in  die  andre  durch  gewähltere  Beispiele 
besser  veranschaulicht  und  anderseits  mehr  aus  der  Synony- 
mik gegeben  und  auf  die  gleichsam  stehenden  Redensarten, 
in  welchen  gewisse  Präpositionen  immer  gebraucht  wer- 
den, noch  sorgfältiger  aufmerksam  gemacht  werden  sol- 
len. Am  meisten  zeigen  sich  diese  Mängel  bei  den  Prä- 
positionen des  Accusativs.  Ausserdem  vermissen  wir  noch  eine 
genaue  Berücksichtigung  und  Trennung  des  Sprachgebrauchs 
der  frühern  und  spätem  Latinität,  die,  da  bei  mehrern  Prä- 
positionen eine  ziemlich  auffällige  Verschiedenheit  sich  fin- 
det, hier  eben  so  nöthig  ist,  als  in  andern  Theilen  der  la- 
teinischen Grammatik.  Wir  erinnern  hier  nur  im  Allgemei- 
nen daran,  wie  bei  den  Spätem  bei  weitem  nicht  alle  Prä- 
positionen in  gleichhäufigem  Gebrauch,  als  in  der  frühern 
Sprache  sind,  wie  manche  fast  gar  nicht  mehr,  andre  nicht 
mehr  in  allen  ihren  Bedeutungen  vorkommen ;  wie  dagegen 
aber  auch  andere  einen  viel  häufigem  und  weitern  zum  Theil 
ganz  neuen  Gebrauch  erhalten  haben,  und  wie  namentlich 
endlich  die  in  der  frühem  Sprache  seltnen  Bedeutungen  man- 
cher Präpositionen  entweder  gar  nicht  mehr  oder  wieder  auf- 
fallend häufig  sich  finden.  Die  Grenze  zwisclien  dem  frühem 
und  spätem  Gebrauch  bildet  wie  in  andrer  Ilijisicht  so  auch 
hier  der  Historiker  Livius.  Im  Einzelnen  haben  wir  vorzüglich 
an  Folgendem  Anstoss  genommen : 


*)  So  eben ,  als  wir  iliescs  niedergeschrieben  haben ,  erfahren 
wir  zu  unsrer  Freude,  das»  auch  der  achtungswerthe  Sprachf«>rsther 
Hr.  Schmitt  henner  in  seiner  Ursprachlehre  (Frankf.  a.  AI.  1826.) 
|i.  264  ganz  dieselbe  Erklärung  des  Gebrauches  aufstelle ,  und  unab- 
hängig von  Hrn.  Rosen  gleichfalls  durch  das  Sanscrit  darauf  geleitet 
worden  sey. 


Rameliorn:    Lateinische  Grammatik.  21 

Bei  juxta  wird  Liv.  9,  9,  wo  es  ein  Paritätsver- 
liältniss  bezeichnet,  als  Beispiel  der  übertragnen  Bedeu- 
tung angeführt;  aliein  gerade  solche  Steilen  sind  sehr 
selten,  und  es  liätte  bemerkt  werden  sollen,  dass  es  weit 
häufiger  nächst^  zunächst^  also  ein  Superioritätsverhältniss  des 
von  ihm  regierten  Substantivs  bedeute.  Tacit.  H.  2,  76.  Gell. 
4,  9.  und  eben  so  hätten  auch  die  zwei  andern  übertragnen 
Bedeutungen  nahebei^  nahezu^  hei^  (Tacit.  An.  6,  13,  Germ. 
21.  30.)  und  zufolge^  in  Angemesseiilicit^  (lustin.  2,  12,  25; 
12,  3,  11;  36,  1,  6.)  nicht  übergangen  werden  sollen.  Eben 
so  ist  esadversus^  exadversmn  ganz  übergangen;  bei  adver- 
sus  fehlt  die  Bedeutung  gegenüber-,  bei  circa  die  bei  den  Spä- 
tem sehr  häufige  Bedeutung  in  Betreffe  in  Ansehung  ;  bei  suh 
die  zeitliche  Bedeutung  gegen;  dagegen  ist  die  zu  praeter  ge- 
gebne Bestimmung ,  dass  es  ausser^  ansgenommen  ^^nach  Ne- 
gationen'-'-  bedeute,  eben  so  überflüssig  als  vmrichtig.  Cic. 
pr.  Cluent.  20:  Omnibus  sententiis  praeter  tmam  condemnalus. 
Weit  nöthiger  dagegen  war  eine  andre  Bemerkung,  nämlich 
dass  es  wie  unser  ausser  und  das  griecli.  naQÜ  eine  zwei- 
fache, ganz  verschiednen  Sinn  gebende  Beziehung  zulässt, 
durch  deren  erste  der  im  Accusativ  genannte  Gegenstand  von 
der  über  die  übrigen  Gegenstände  des  Satzes  ausgesprochnen 
Behauptung  ausgeschlossen  (Cic.  Attic.  7, 3  s.  fin. :  Omnes  prae- 
ter cum  —  rentur.^  durch  die  andre  gemeinschaftlich  einge- 
schlossen und  nur  in  andrer  Rücksicht  abgesondert  wird. 
(Liv.  23,  11::  Romanos  praeter  insitam  industriam  animis  for- 
tuna  quoque  cunctari  prohibebat.)  Die  letztre  Beziehung  wird 
in  der  Regel  durch  ein  folgendes  etiam  oder  quoque  angedeu- 
tet, doch  nicht  immer,  (Pomp.  Mel.  3,  8,  4:  praeter  capita 
toto  corpore  hirsuti.)  und  giebt  der  Präposition  den  Ton,  wäh- 
rend bei  der  ersten  Beziehung  der  Accusativ  betont  wer- 
den muss. 

Was  der  Hr.  Verf.  über  den  Unterschied  der  Formen  a 
und  e  von  ab  und  ex  sagt,  scheint  uns  zu  spitzfündig  und  un- 
haltbar. Ab  nämlich  soll  etwas  als  dicht  von  eitlem  Gegen- 
stand weg ,  ex  als  vo7i  dem  Innersten  eines  Gegenstandes  aus 
kommend  bezeichnen,  so  dass  bei  ab  und  ex  mehr  die  Nähe  des 
Gegenstandes,  von  welchem  unmittelbar  etwas  ausgehe,  bei 
a  und  e  hingegen  der  Standpunct  in  der  Entfernung,  von  wel- 
chem aus  jene  Tendenz  beurtheilt  werde,  in  Rücksicht  komme. 
Uns  scheint  es  höchst  sonderbar,  dass  wenn  die  Römer  jene 
Rücksichten  durch  verschiedne  Formen  überliaupt  hätten  son- 
dern wollen,  sie  diess  doch  nur  bei  Wörtern,  die  mit  Consonan- 
ten  anfangen,  gethan  haben  sollten.  Wir  glauben  daher,  dass 
auch  in  diesem  Falle  vor  allem  euphonische  Gründe  die  Wahl 
zwischen  beiden  Formen  bedingten;  und  wo  diese  nicht  ent- 
scheiden können,   begnügen  wir  uns  im  Gebrauch  der  vollem 


28  R  ü  m  i  s  c  li  e  L  i  1 1  e  r  a  t  u  r. 

Formen  ab  und  ex  eine  gewisse  Ilervorlieljung  des  Bejjriffes 
der  Präposition  zu  finden,  aber  nur  im  Allgemeinen  und  nicht 
nach  der  subtilen  Deutung  des  Hrn.  Verfassers,  deren  Gültigkeit 
sich  gewiss  nur  in  den  wenigsten  Fällen  möchte  nachweisen  las- 
sen. Uebrigens  sind  beide  Präpositionen  gut  behandelt ,  und 
die  früher  oft  in  Widersprnch  zn  der  i\atnr  der  Präposition  a 
aufgestellte  Behanptnng  ,  dass  sie  auch  nach^  S^S^^'^  u.  s.  w. 
bedeute ,  durch  die  Bemerkung  zurückgewiesen,  dass  der  Ho- 
mer sich  die  Sache  in  entgegengesetzter  Richtung  oder  umge- 
kehrtem Verhältniss  gedacht  habe,  eine  sehr  richtige  Be- 
merkung, die  auch  im  Griecliischen  häufig  Anwendung  findet, 
aber  nicht  blos  von  «,  sondern  auch  von  e  hätte  ausgesprochen 
werden  sollen.  Weit  weniger  gut  ist  de  und  pro  behandelt. 
Bei  de  ist  nicht  nur  unbemerkt  geblieben,  dass  es  auch  bei 
Zeitbestimmnngen  gesetzt  werde,  sondern  auch  die  Bedeutung 
des  yhis^efiens  von  etwas  oder  des  i  eranlassinignehmeiis  zu 
wenig  berücksichtigt j  was  doch  um  so  nöthiger  war,  da  nur 
dadurch  der  Zusammenhang  sichtbar  wird,  in  welchem  seine 
der  ursprünglichsten  am  fernsten  liegende,  aber  gerade  am 
häufigsten  vorkommende  Bedeutung  ivegen^  in  Ansehung^  übef\ 
zu  der  ersten  örtlichen  steht  Ueber  p7'o  sagt  der  Hr.  Verf. 
es  heisse  ^^vor ^  vorwärts  und  bezeichne  bald  den,  der  auf  ei- 
ner Fläche  vorwärts  stehe  (pro  sitggestu)^  bald  den,  den  ich 
vor  mir  habe  ('?)  (pro  concioiie  ('?)),  bald  den,  der  vor  mir 
stehe  und  mich  schütze  (jjro  castris) ,  mithin  ('?)  auch  den, 
der  in  einem  gewissen  Verhältniss  zu  meinen  Kräften  stehe  (*?), 
daher  (?)  fär^  anstatt^  und  nach^  ticich  Beschoffenheit^  nach 
Verhältniss. '•'•  Unstreitig  ist,  Mie  schon  die  Alten  selbst  an- 
erkennen (A.  Gell.  11,  3),  die  Entwicklung  der  so  verschie- 
denartigen Beziehungen,  welche  diese  Präposition  zulässt,  sehr 
schwierig;  allein  wir  gestehen,  dass  die  Sprungfolgerungen, 
womit  hier  selbst  die  entgegengesetztesten  Verhältnisse  in  Ver- 
bindung, und  Bedeutungen ,  welche  die  Präposition  hat  und 
nicht  hat,  auch  ihrer  ISatur  nach  nicht  haben  kann,  doch  in 
einen  scheinbaren  Zusammenhang  gebracht  werden,  uns  nicht 
nur  zu  kühn,  sondern  bei  aller  ihrer  Kühnheit  auch  unbefrie- 
digend vorgekommen  sind,  da  sie  gerade  die  Puncte  übersprin- 
gen, welche  für  die  richtige  und  gründliche  Erklärung  der 
Sache  die  wesentlichsten  sind. 

Pro  heisst  nach  unsrer  Ansicht  ursprünglich  vor^  im  Ge- 
gensatz von  pone^  und  ist  zuvörderst  von  ante  zu  unterschei- 
den. Das  Wesentlichste  dabei  ist ,  dass  man  den  Gegenstand, 
der  pro  aliquo  ist,  mit  dem  andern  auf  einem  tind  demselben^ 
d.  h,  in  u?igetrenntem  Ztisammenhung  gedachtem  Kaume^  l^-'lg- 
lich  nahe  an  den  andern  Gegenstand  gestellt,  und  mit  ihm 
in  enger  Berührung ,  in  friedlicher  und  freundschaftlicher  V  er- 
bindung  stehend  denkt,  während  bei  ante  die  beiden  Gegen- 


Raiufliorn:   Latclntsclic  Graiuniatik.  29 

stände  als  auf  zivei.,  niilhin  geseilte  dem  g^edochlen  Räumen  und 
in  keiner  solchen  nähern  Feröindung  stehend  gedacht  Averdcn. 
In  der  guten  Latiiiitiit  ist  bei  pro  noch  ausserdem  als  iNebenbe- 
deutung  die  Bczeicluning  der  gleichem  Fronterichlting  beider 
Gegenstände  eingeschlossen,  während  bei  «wfe  die  oppositio 
frontis  zwar  niclit  geradezu  behauptet,  aber  anch  keineswegs 
ausgeschlossen  ist;  da  es  \\\  den  meisten  Fällen  fast  natiirlich 
ist,  Dinge,  die  in  solcher  JNähc  znsammengestcllt ,  doch  in 
keiner  nähern  freundschaftlichen  Verbindung  zu  einander  ste- 
hen ,  sich  in  entgegengesetzier  Fronterichtung  zu  denken. 
Daher  sitzt  man  pro  aede,  Cic.Phil.  3,  11,  Suct.  Aug.  26,  da- 
her steht  die  lleuterei /;/o  co/w/Yws,  (^uinct.  2,  13,  daher  seilt 
Cäsar  die  Legionen  pro  casfris,  Caes.  ß.  G.  7 ,  70,  cf.  ibid.  1, 
51  ,  Sali.  lug.  100,  4  u.  04,  4,  daher  stehen  die  Schildwacheii 
pro  port/'s  castrorinn  ^  Caes.  B.  G.  4,  32,  daher  kämpfen  die 
belagerten  Juden  j;/o^07-i/s,  Tacit.  Hist.  5,  11,  aber  der  ge- 
furchteteHannibalist  ante  portas.  Spätere  berücksichtigen  diese 
gleiche  Fronterichtung  nicht  immer,  sondern  setzen />ro  auch 
bei  entgegengesetzter  Stellung  blos  um  die  grössere  JSähe  zu 
bezeichnen.  Sueton.  Tib.  32,  Oth.  3:  pro  foribiis  adstare. 
Fällt  die  Rücksicht  der  grossen  Nähe  und  der  gegenseitigen 
nähern  Verbindung  weg,  so  steht  das  den  Begriff  Vor  blos  im 
Allgemeinen  bezeichnende  mite^  die  Stellung  mag  seyn,  wie 
sie  will.  Der  Lictor  steht  und  geht  ante  consuleni;  und  in 
einem  Zusammenlauf  des  Volkes  steht  alius  ante  alium^  sie 
mögen  so  nahe  oder  so  fern,  in  gleicher  Fronterichtung 
oder  nicht,  kurz  überJiaupt  stehen,  wie  sie  wollen.  Leicht  er- 
klärt sich  ,  wie  bisweilen  beides  stehen  könne;  vergl.  Sueton. 
Caes.  61  und  Plin.  IL  N.  8,  64,  welche  beide  den  Aufstellungs- 
ort eines  und  desselben  Bildnisses,  der  erstere  bestimmter  und 
genauer  mit  pro  aede^  der  andre  blos  im  Allgemeinen  mit  ante 
aedem  Veneris  Genetricis  bezeichnen.  Zu  bemerken  ist,  dass 
es  in  der  Regel  auf  die  Frage  Wo^  selten  nur  mit  Verbis  der 
Bewegung  auf  die  Frage  Wohin  stehe,  wo  es  dann  vor  —  hin 
heisst.  Caes.  B.  G.  1,  48,  Sali.  lug.  59,  1.  Dass  es  aber  auch 
auf  die  Frage  Woher  stehe  und  dann  von  —  herab  bedeute, 
scheint  ungegründet  und  kann  wenigstens  durch  Stellen ,  wie 
Sali.  lug.  67 ,  1:  mulieres  ptterique  pro  tectis  aedificiorum 
saxa  et  alia^  quae  locus  praebebat^  certatim  mittere^  nicht 
bewiesen  werden.  In  den  Redensarten  pro  rostris^  pro  tri- 
bunali^  pro  suggestu^  pro  concio?ie  soll  es  selbst  nach  dem 
Zeugniss  der  alten  Grammatiker  in  bedeuten.  Allein  diess 
ist  eine  blosse  Erklärung  des  Sinnes  im  Allgemeinen.  Der 
Gebrauch  von  pro  nämlich  wird  in  diesen  Redensarten  durch 
die  Eigenthümlichkeit  des  Locals  und  der  Stellung  bedingt, 
welche  bei  allen  von  der  Art  sind  ,  dass  die  Präposition  rich- 
tig gesetzt  werden  konnte.     Es  sind  uäralich  ihrer  Ursprung- 


so  RomisclieLitteratnr, 

liehen  Bedeutung  nach  alles  erhahene  Orte  *),  deren  Haupt 
bestandtheil  im  Kücken  dessen  ist,  welcher  dort  steht.  Indess 
sind  alle  jeneRedensarten  bei  den  frVihern  Schriftstellern  zieni- 
iicli  selten  und  nicht  auffällig-,  während  die  Spätem  dagegen 
in  Folge  einer  verkehrten  Nachahmungssucht  in  jenen  früher 
seltnen  Formeln  eine  gewisse  Eleganz  suchen,  und  sie  nicht 
nur  sehr  häufig,  sondern  auch  ganz  gegen  den  frühem  Sprach- 
gebrauch und  wirklich  falsch  brauchen. 

Inwiefern  nun  eine  Sache,  die  pro  flZj'aist,  mit  dieser  an- 
dern in  nächster  BerVihrung  und  freundschaftlicher  Verbindung 
gedacht  wird,  so  heisst  es  auch////-,  sowohl  in  der  Bedeutung 
zuGinisten^  als  anstatt;  und  axis  der  letztern  entwickelt  sich 
endlich  die  noch  mehr  übertragene  Bedeutuug  im  Verhältnisse 
in  Angemessenheit^  wobei  man  wohl  \on\  Preis  ausging,  der 
für  etwas  gegeben  wird,  und  Redensarten,  wie  pro  merito  gra- 
tiam  referre  (Terent.  Phonn.  2,  2,  23.)  und  äluiliche  den  üe- 
bergang  zeigen,  cf.  Drakenb.   zu  Liv.  3(>,  7,  IX 

Bei  tenus  irrt  der  Ilr.  Verf.,  wenn  er  um  den  Ablativ  zu 
erklären  annimmt ,  die  Römer  liätten  sich  die  Richtung  eben 
so  wie  bei  a  im  entgegengesetzten  Verhältnisse  gedacht,  als 
sie  der  Deutsche  in  seinem  bis  on  denke.  Tenus  ist  ursprüng- 
lich Substantiv,  wie  die  Zeugnisse  des  Festus  und  Servius  und 
Stellen  des  Plautus  zeigen,  und  bezeichnet  die  ausgespannte 
Schnur^  das  gezogene  Seil,  und  wegen  seines  bei  Greuzbe- 
stimmungen  Statt  findenden  Gebrauchs  (Isidor.  15,  14.)  die 
gezogene  Grenzlinie ,  das  Knde.  Daher  kommt  es  auch ,  dass 
es  in  der  altern  Latinität,  gerade  wie  instar,  mit  dem  Genitio 
construirt  w  ird.  Der  Ablativ  also  kann  nicht  das  Woher  oder 
WovoJian  bezeichnen ,  sondern  steht  auf  die  Frage  if  o ,  denn 
hactenus  ist  hac  parte  temis  {est^  esto).  In  fast  gleicher  Weise 
construirte  man  auch  den  alten  Ablativ  ^z»',  A.  Gell.  1.  3;  Cat. 
R.  R.  21,  3;  ibid.  28,  2:  operito  terra  r adicibus  fini, 
d.i.  radicibus  tenus.  üebrigens  steht  tenus,  was  der  Hr.  Verf. 
hätte  bemerken  sollen,  zuweilen  auch  mit  dem  Accusativ ;  vergl. 
F  e  a  zu  Horat.  Ep.  1 ,  1 ,  32. 

Die  zweite  Abtheilung  des  ersten  TheiU ,  vom  Gebrauch 
des  Namens  insbeso?idre,  handelt  vom  Nomen  als  Apposition, 
§151,  dem  Adjectivura,   152,   der  Coraparation,   153  — 156, 


"*)   UeLer  concio  vergl.  in  dieser  Hinsicht  Verriiis  Flaccus   bei  Aul. 
Gell.  18,    7:    concionem  autcm  tria  signißcare,    locum  (et  verba)   sug- 

gestumque ,  unde  verba fierent.  .   item  significare  coetum 

popitli  assistentis ,  item  orationcm  ipsam ,  quae  ad  pojmlum  diceretur.  Die 
eing:esclil()ssiirn  Worte  et  verba  würden  m  ir  auch  ohne  handschriftliche 
Auctorität  für  ein  aus  nur  oberflächlicher  Betrachtung  der  Stelle  her- 
rührendes Einschiebäel  erklären. 


Rainshorn  :  Lateinische  Grammatik.  31 

den  Numerallbns,  157,  den  Pronoraiaibus,  158 — 160,  unil 
den  Präpositionen,  Ißl.  Fiir  am  besten  gearbeitet  halten  >vir 
die  Lehre  von  der  Comparation,  welclie  wir  noch  nirgends  so 
umfassend  und  griindlich  beliandelt  gefunden  haben,  nur  dass, 
Mie  schon  oben  bemerkt  wurde,  verschiedne  Regeln  bei  wei- 
tem niclit  klar  und  populär  genug  sind.  Im  Einzelnen  erin- 
nern wir  Folgendes: 

§  152  wäre  es  weit  zweckmässiger  gewesen.  Statt  der  so 
nicht  haltbaren  Unterscheidung  von  dhnidius  und  dimidiatus 
lieber  den  Unterschied  von  reliquns  und  ceterus  anzugeben; 
(vergl.  Bei  er  in  Friedemanns  und  Seebodes  Miscell.  crit.  vol. 
1  part.  1  pag.  181  IF.)  und  von  ceterus  insbesondere  hätte 
ferner  auch  der  eigenthiimliche  Gebrauch  erwähnt  und  er- 
klärt werden  sollen,  nach  welchem  es  mit  Begriffen,  von  de- 
nen es  tler  Sinn  zu  trennen  gebietet,  grammalisch,  docli  so 
verbunden  wird,  als  stünde  es  mit  denselben  in  der  gewöhnli- 
chen engen  Beziehung.  Die  Construction  ist  griechisch,  näm- 
lich eine  Nachbildung  des  schon  so  viel  besprochnen,  aber 
immer  noch  nicht  gehörig  erklärten  Gebrauches  von  K/l/log 
und  6  älkog,  wo  nach  der  allgemeinen  Annahme  jene  Worte 
pleonastisch  gesetzt  seyn  sollen  ,  genau  betrachtet  aber  viel- 
mehr eine  elliptisclie Attractionsconstruction  Statt  findet,  de- 
ren Zweck  Vermeidung  schleppender  Weitläuftigkeit  ist.    Tacit. 

Hist.  4,  56:  Legatis  — interfectis ^    cetertini  viilgus  

facile  accessurum  (cf.Plut.Alex. 4T:  xo  ^Iv  c(U.o  nX^d'os 
—  Tovg  ÖB  dgiörovs) ,  Id.  Germ.  13  :  ceten's  robustioribus^  und 
25 :  cetera  doynns  ofjicia.  Dass  auch  ulius  so  gebraucht  werde, 
bemerkt  Wal  ch  Emendätt.  Liv.  p.  59  f. 

§  155  Not.  1  und  §  179,  B,  a,  4  scheint  uns  der  Ilr. 
Verf.  zu  irren ,  wenn  er  bei  der  Unterscheidung  der  Partikel 
quain  von  ac  und  affpie  den  letztern  durchaus  abspricht,  ein 
6r/'fff?verhältniss  bezeichnen  zu  können  und  Und  als  ursprüng- 
liche und  einzige  Bedeutung  derselben  statuirt.  Nach  unsrer 
Ansicht  heissen  sie  ursprünglich  Wie  ^  und  jene  zweite  Bedeu- 
tung ist  blos  eine  abgeleitete,  welche  man  ihnen  insofern 
leicht  beilegen  konnte,  in  wiefern  es  in  vielen  Fällen  ziemlich 
gleichgültig  ist,  ob  man  zwei  Gegenstände  im  Verhältniss  der 
Vergleichung,  oder  der  blossen  Verbindung  denke.  Die  Con- 
struction derselben  mit  alius^  par^  similis  u.  s.f.  erscheint  dann 
ganz  natürlich,  während  sie  bei  des  Hrn.  Verf.  Annahme  in 
vielen  Fällen  nur  gezwungen  und  in  den  meisten  gar  nicht  als 
richtig  gedacht  gerechtfertigt  werden  kann;  denn  die  am  zwei- 
ten Orte  (p.  520)  an  einem  nach  unsrer  Ansicht  selbst  auch 
unpassenden  Beispiele  versuchte  Erklärungsweise  ist  in  den  mei- 
sten Fällen  durchaus  unanwendbar.  Hieraus  ergiebt  sich  dann 
von  selbst,  dass  der  Unterschied  zwischen  quam  und  atque 
nicht  so  gross  sey ,  als  der  Hr.  Verf.  annimmt ,  und  die  Be- 


32         _  RüiuischeLitteratur. 

zeiclimmg  des  Gradverliältnisscs  mit  der  Natur  der  letzten) 
Partikel  niclit  in  wirklichem  Widerspruch  stehe.  Dafür  spricht 
miii  auch  der  gesammte  Sprachgebrauch,  In  der  äiteru  Lati- 
uität  nämlich  bezeiclinen  sie  nicht  selten  ein  wirkliches  Grad- 
verhältniss,  Plaut.  Mercat.  5,  2,  56,  Terent  Andr.  4,  2,  15, 
und  selbst  in  vielen  Redensarten  der  gewöhnlichen  Prosa,  z.  B 
aeque  oc^  perinde  uc  und  dergl,  fiudet  sich  wenigstens  eine 
Annäherung  an  diese  Bedeutung,  wodurch  dann  auch  der  ent- 
gegengesetzte Sprachgebrauch  der  Späteru  veranlasst  ward,  in 
vielen  Fällen  quam  zu  brauchen ,  wo  Cicero  nur  ac  und  atque 
setzte. 

In  Bezug  auf  die  Comparative  selber  hätte  hier  wohl  auch 
eine  kurze  Erwähnung  verdient,  dass  die  Form  auf  or  in  der 
frVihern  Latinität  für  alle  drei  Genera  gebraucht  ward.  Prise. 
T,  13  sub  fin.  —  §  150,  3,  b,  Anmerk.  ist  wohl  die  Bemer 
kung,  dass  der  Superlativ  zuweilen  auch  von  zweien  gebraucht 
werde,  riclitig  und  hätte  auch  auf  primus  ausgedehnt  werden 
können,  Cic.  lnveiit.2,  3  §  1 1,  Suet.  Aug.  35 ;  allein  die  dafür  ange- 
fiihrte  Stelle  Terent.  Adelph.  5,4,  27  ist  zu  streichen,  Aunnnatu 
7naximus  ist  nicht  in  Rücksicht  auf  den  Bruder  gesagt,  sondern 
heisst  sehr  alt. 

Bei  den  Numeralien,  §  157,  haben  wir  den  freilich  seltnen 
Fall  übergangen  gefunden ,  dass  w  enn  zw  ei  zusammengesetzte 
grössere  Zahlen  kurz  nach  einander  zu  nennen  sind,  die  bei- 
den gemeinschaftliche  Hauptzahl  das  einemal  weggelassen  wer- 
den kann.  Plin.  H.  N.  18,  12,  2:  In  Tianspadaua  Ilalia  scio 
(er  spricht  vom  triticum)  viceuas  quinas  librasfarris  viodios 
pendere:  circa  Clusiiim  et  senas^  d.i.  20.  vergl.  die  Interpre- 
ten zu  Suet.  Aug.  43,  wo  Streit  darüber  entstanden  ist,  die 
Natur  der  Sache  aber,  so  wie  die  Analogie  unsrer,  so  wie  auch 
der  griechischen  Sprache  (s.  Xenoph.  Cyrop.  1 ,  2,  8  und  1,  4, 
10.)  für  die  spricht ,  welche  zu  quater  aus  dem  Folgenden 
vieles  heraufziehn. 

§  158,  2  scheint  uns  der  Unterschied  der  Pronomina  ä/c, 
«s^e,  nie ^  wie  ihn  der  Ilr.  Verf.  nach  Linacer  bestimmt,  nicht 
völlig  richtig  angegeben  zu  seyn.  hie  nämlich  soll  den  bezeich- 
nen, der  dem  Redenden^  iste ^  den,  der  dem  Angeredeten 
näher,  ille  den,  der  beiden  entfernter  sey.  Allein  isle  und  ille 
stehen  eben  so  wie  hie  blos  in  Relation  zu  der  Person  des  Spre- 
chenden, niclit  zu  der  des  Angeredeten.  Beide  bezeichnen  eine 
dritte  Person ,  die  mit  dem  Sprechenden  nicht  auf  einem  und 
demselben  Räume  sich  befindet,  und  bilden  mitbin  Gegensätze 
zu  hie  nur  in  verschiedner  Weise,  iste  7nit^  ille  ohne  nähere 
Angabe  des  Ortes.  Ille  ist,  der  iiberliaupt  nicht  hier^  d.  i.  der 
nicht  beim  Redenden,  sondern  anderswo  ist;  iste  ist,  der  dort 
ist,  d.h.  an  einem  Orte,  den  der  Redende  zwar  zeigen  oder 
nachweisen  kann,  aber  doch  von  seinem  eignen  getrennt  und 


Rarasliorn:  Lateinische  Grammatik.  33 

verschieden  denkt,  lieber  die  ziemlich  hestrittne Beziehungs- 
weise des  hie  und  ille  ^  wenn  sie  auf  früher  erwähnte  Dinge 
zurückweisen ,  ist  der  Hr.  Verf.  zu  kurz ,  was  um  so  weniger 
zu  billigen  ist,  da  zuweilen  sehr  seltsame  Bestimmungen  dar- 
über gegeben  worden  sind  und  der  ziemlich  verkehrte  Sprach- 
gebrauch im  Deutschen  den  der  Sache  Unkundigen  leicht  zu 
Fehlern  verleiten  kann.  Eben  so  hätten  die  anscheinend  selt- 
samen Verbindungen  ille  ego  ^  ille  is  ^  ego  ille  ipse  ^  hie  ille 
(Virg.  Aen.  7,  255  u.  272)  ,  iUe  in  der  Bedeutung  des  Griechi- 
schen 6  Silva  ^  der  und  der  (Suet.  Caes.  41),  so  wie  auch  die 
Verbindung  mehrerer  Pronomina  mit  nee  wenigstens  eine  kurze 
Erwähnung  verdient. —  Mit  derselben  unbefriedigenden  Kürze 
ist  auch  die  so  viel  besprochne  Verbindung  des  Pronomens  ipse 
mit  Personalpronominibus  behandelt.  Zwar  ist  das,  Mas  unter 
2,  d  darüber  gesagt  Mird,  an  sich  nicht  falsch,  aber  es  ist 
weniger  eine  Regel  zur  Anwendung,  als  vielmehr  eine  kurze 
Hindeutung  zur  Erklärung  der  angeführten  Beispiele,  aber 
selbst  für  diesen  Zweck  nicht  umfassend  genug.  Der  Hr.  Verf. 
nämlich  scheint  darin  die  seit  Ernesti's  Zeit  fast  allgemein 
angenommene  Regel  zu  billigen,  dass  man  das  Pronomen  ?)jse 
mit  dem  in  einem  casus  obliquus  stehenden  Personalpronomen 
in  gleichem  Casu  zu  verbinden  habe,  sobald  in  den  übrigen 
Worten  des  Satzes  ein  Gegensatz  in  demselben  Casu  sicli  finde 
oder  zu  denken  sey.  Allein  so  richtig  dieses  Kriterium  in  man- 
cher Hinsicht  ist,  so  würde  es  doch  zu  einer  Menge  irriger 
Veränderungen  führen,  wenn  man,  so  oft  im  Satze  ein  in  ei- 
nen casus  obliquus  gestellter  Gegensatz  da  ist,  nun  gleich  auch 
annehmen  wollte,  dass  ausser  dem  Personalpronomen  auch  das 
Pronomen  ipse  in  diesem  casus  obliquus  stehen  müsse.  IniGe- 
gentheil  nämlich  bieten  die  besten  Handschriften  in  vielen 
Stellen  den  Nominativ  ipse^  wo  man  nach  jener  Regel  den  casus 
obliquus  erwartete;  und  so  wie  dadurch  manche  ältere  Gelehrte 
sich  zu  der  falschen  Behauptung  verleiten  Hessen,  dass  ipse 
überhaupt  nicht  anders  als  im  Nominativ  zu  dergleichen  Per- 
sonalpronominibus gesetzt  werden  dürfe,  so  fehlten  in  entgegen- 
gesetzter Weise  die  meisten  neuern  und  zwar  noch  mehr  dadurch, 
dass  sie  alle  ihrer  obenerwähnten  Regel  widerstrebenden  Bei- 
spiele oft  mit  geringer,  oft  ohne  alle  handschriftliche  Auctorität 
nach  derselben  corrigirten.  Am  meisten  haben  sich  diess  deutsche 
Editoren  zu  Schulden  kommen  lassen,  die  freilich  auch  sehr 
leicht  durch  den  abweichenden  deutschen  Sprachgebrauch  da- 
zu verleitet  werden  konnten.  Im  Deutschen  nämlich  setzen 
wir  nicht  nur  sehr  oft  zu  dem  Personalpronomen  mir^  dir  u.  s.  f. 
noch  ein  se/6s^  hinzu,  wo  im  Lateinischen  blos  ein  betontes  ?nihi^ 
tibi  steht,  sondern  wir  unterscheiden  auch  die  sehr  verscliied- 
nen  Fälle,  welche  die  Lateiner  durch  mihi  ipsi  und  mihi  ipse 
unterscheiden ,  gar  nicht  näher  durch  verschiedne  Pronuucia- 

Jahrh.f.Phil.u.  Pädagog.  JakigAU.  Heftb.  3 


34  Römische  Littefatur. 

tion,  sondern  legen  in  beiden  Fällen  den  Ton  auf  seihst  und 
lassen  so  das  Personalpronomen  immer  ohne  Ton  oder  enclitisch 
seyn.     Allein  der  Gebrauch  des  lat.  ipse  weicht  davon  ziemlich 
bedeutend  ab,  und  jene  anstössigen  Nominative  ipse^  /};s/,  sind, 
wie  schon  Bremi  zu  Cic.  de  Fat.  11,  Gernhard  zu  Cic.  de 
Offic.  1,  38,   IST  und  Wunder  Variae  Lectt.   Cic.   ex  cod. 
Erfurt,  enotatt.  p.  69  bemerken,  völlig   richtig.     Die  Hauptsa- 
che dabei  scheint  uns  zu  seyn,  die  einzelnen  möglichen  Fälle 
strenger  und  genauer  zu  unterscheiden,   in  welchen  überhaupt 
das  Pronomen  ipse    mit    einem  Personalpronomen    im  Lateini- 
schen verbunden    werden    könne.      Gewöhnlich  beriicksichtigt 
man  nur  die  Form  der  Constniction  und  unterscheidet  so  zwei 
Fälle :  mihi  ipsi  u.  s.  w.  und  7nihi  ipse  u.  s.  av.,  und  eben  so  viel 
würde  man  auch  nur  zu  unterscheiden  haben,  Avenn  man  blos 
das  Wesen  derselben  berücksichtigen  wollte.    Nach  unsrer  An- 
sicht dagegen  muss  man  beides  zugleich  berücksichtigen,    avo 
man  dann  f/re? Fälle  erhält,  von  denen  der  erste  und  zweite  der 
Form  nach  verschieden ,    dem  Wesen  nach  gleich  ;  der  zweite 
und  dritte  aber  der  Form  nach  gleich ,  Avesentlich  aber  völlig 
verschieden  sind.      Die  beiden  ersten  nämlich  (^mihi  iiisi  und 
viihi  ipse^  haben  das  gemein,  dass  in  beiden  nur  ein  Gegensatz 
vorhanden  und  das  Personalpronomen  unbetont  oder  ejiclitisch 
ist ;  während  im  3ten  Falle,  der  mit  dem  2ten  die  Form  gemein  hat, 
zwei  Gegensätze  gemacht  Averden,  so  dass   beide  Wörter,  das 
Personalpronomen   sowohl  als   der  Nominativ   ipse    besonders 
hervorgehoben    und   betont  Averden  müssen.     Die  beiden   er- 
sten Fälle  sind  hinreichend  bekannt  und  schon  von  andern  gnü- 
gend  erklärt  Avorden.    Man  setzt  nämlich  X)  mihi  ipsi^  te  ipsum, 
se  ipso  u.  s.  Av.,  d.  h.  das  Personalpronomen  ipse  in  demselben 
casus  obliquus,  in  Avelchem  das  pronomen  personale  steht,  Avenn 
der  Gedanke    blos    einen  Gegensatz  und  zwar  in  einem  casus 
obliquus  verlangt   (Cic.  de  Orat.  1,  26:  et  in  vobis^   et  in  me 
ipso.);  2)  mihi  ipse.,    te  ipse  u.  s.  w. ,  d.  h.  das  Pronomen  ipse 
ohne  Verbindung  zum  Personalpronomen,  sondern  als  Subjects- 
nominativ    mit    dem  Verbo    des   Satzes  verbunden,    wenn    der 
Sinn  den  gleichfalls  einfachen  Gegensatz  im  Nominitiv  zu  ma- 
chen gebietet.     (Cic.  Farn.  7 ,  1  post  init. :  tibi  ipse.)     Aus  die- 
sen beiden  Fällen  hat  man  nun  eben  die  oben  als  ungnügend  be- 
zeichnete Hegel  abstrahirt.     Allein  nun  ist  auch  noch  ein  3ter 
Fall  möglich,  der  die  Eigcnthünilichkciten  der  beiden  genann- 
ten zusammen  in  sich  vereinigt,  d.h.  zwei  in  verschiednen  ca- 
sibus  ausziulrückende Gegensätze  in  sich  schliesst.    Der  Gedanke 
nämlich  kann   auch  so  seyn,  dass  man  einerseits  einen  Gegen- 
satz in  einem  casu   obliquo    erwartet,     anderseits    aber   auch 
wegen  der  Art   und  Weise,  in  Avelclier  das  sonst  blos  im  Verbo 
liegende  Subject  die  Handlang   vollfiilirt,    die  besondere  Hin- 
zufügung des  Pronomens  ipse  als  betonten  Subjectsuominativs  ver- 


Ramshorn:    Lateiinsche  Grammatik.  85 

langt.  In  diesem  Falle  sagen  nun  die  Lateiner  gleichfalls  mihi 
ipsa  U.S.W.  Den  im  casu  obliquo  zu  machenden  Gegensatz  ma- 
chen sie  dann  nämlich  blos  mit  dem  Äe^o/^/ew  Personalpronomen 
(mihi) ,  das  also  in  diesem  Fälle  die  Stelle  des  nur  etwas  stär- 
kern niihiipsi^  des  ersten  Falles  allein^  vertritt;  und  den  No- 
minativ ipsc  l'iigen  sie  noch  ganz  in  derselben  Weise  und  Bedeu- 
tung (vcrgl.  Bremi,  Gernhard  und  Wunder  a.a.O.)  hinzu,  als 
wie  derselbe  im  zweiten  Falle  steht.  Cic.  Fam.  4,8:  Non 
ila  abiindo  ingcnio^  ut  te  co?isoler^  cum  ipse  7ne  non  jiossim. 
(cf.  ibid.  4,  5:  ipsi  se  curare  non  possunt.  ad  Quint.  fr.  1,  1,2: 
si  te  ipse  contineas.)  Nach  obenerwähnter  Regel  erwartet  man 
hier  offenbar  me  ipsum  als  Gegensatz  zu  dem  vorausgegangiiea 
te.  Aber  da  er  auch  sagen  will,  dass  ihm  selber  die  Kraft 
fehle,  sich  zu  trösten,  so  musste  er  den  in  piossim  nur  ohne 
Nachdruck  bezeichneten  Subjectsbegiiff  nothwendig  durch  ein 
liinzugefiigtes  ipse  noch  besonders  hervorheben.  Der  andre 
Gegensatz  bleibt  indess  darum  nicht  unberücksichtigt;  aber 
er  bezeichnet  ihn  nicht  in  der  sonst  gewöhnlichen  Weise 
durch  me  ipstim^  sondern  blos  durch  das  nun  nicht  mehr 
enclitische,  sondern  betonte  Personalpronomen  me,  das  in  die- 
ser Hervorhebung  auch  völlig  hinreicht,  dem  vorausgegangenen 
te  als  Gegensatz  zu  correspondiren.  Die  zwei  Fälle,  in  wel- 
chen beiden  7nihi  ipse  u.  s.  w.  gesagt  wird ,  sind  also  wohl  zu 
unterscheiden,  im  letztern  sind  beide  Pronomina  orthotonirt, 
während  im  erstem  das  Pronomen  personale  enclitisch  ist 
und  blos  ipse  betont  wird.  Indess  wird  die  richtige  Unter- 
scheidung dieser  verschiednen  Fälle,  namentlich  des  Iten  und 
Sten,  für  alle,  die  an  den  deutschen  Sprachgebrauch  gewöhnt 
sind,  immer  ziemlich  schwierig  bleiben,  zumal  da  oft  die 
Gegensätze  ziemlich  versteckt  sind,  und  in  manchen  Fäl- 
len die  Sache  selbst  auch  eine  verschied ne  Auffassung  und 
Darstellung  zulässt.  Nebenbei  ist  noch  zu  erwähnen,  dass, 
wie  schon  Gernhard  a.  a.  O.  richtig  bemerkt,  das  Pronomen 
ipse  nur  dann  in  gleichem  casu  mit  dem  Pronomen  personale 
stehen  könne,  wenn  letztres  voran  geht.  Im  entgegengesetz- 
ten Falle  steht  ipse  stets  im  Nominativ.  Der  Grund  davon 
liegt  in  der  Natur  der  Sache.  Ipsi  in  mihi  ipsi  enthält  trotz 
seiner  Betonung  doch  nur  eine  nähere  Bestimmung  des  Ilaupt- 
begriffes  mihi.  Eine  nähere  Bestimmung  der  Art  aber  kaim 
natürlich  dem  näher  bestimmten  Begriff  nicht  vorangehn,  eben 
so  wenig  als  eine  Apposition  vor  den  Begriff  gestellt  werden 
kann,  der  durch  sie  erläutert  werden  soll.  Die  wenigen  dage- 
gen streitenden  Beispiele,  wie  lustin.  12,  8;  Cic.  de  Fin.  5, 10, 
28  {nicht  Fam.  5,  10,  wie  der  Hr.  Verf.  citirt),  beruhen  auf 
spätem  nach  falschen  Lesarten  gemachten  Aenderungcn,  gegen 
welche  der  Hr.  Verf.  auch  noch  in  andern  Stellen  etwas  mehr 
auf  der  Hut  hätte  seyn  sollen.     Die  in  einer  Note  beigefügte 


3 


36  Römische  Littcratur. 

Bestimmung,  dass  Cicero  met  nur  dann  zu  setzen  pflege,  wenn 
das  Personalpronomen  und  ipse  in  gleichem  Casus  stelle,  hal- 
ten wir  schon  als  besondre  Bemerkung  über  den  Ciceroniani- 
schen  Sprachgebrauch  für  nicht  völlig  richtig;  denn  Cic.  de 
OlTic.  1,  32,  11.3  ist  die  Lesart  nobismel  ipsi  offenbar  die  al- 
lein richtige.  Noch  weniger  aber  kann  daraus ,  m  ie  andre 
wollten ,  eine  grammatische  Hegel  gemacht  werden,  da  ausser 
der  Mehrzahl  der  Beispiele  sich  durchaus  kein  Grund  dafür 
nachweisen  lässt.  Dass  diese  aber  hier  nichts  entscheiden 
könne,  zeigt  nichts  deutlicher,  als  die  Bemerkung  J.  F.  Gro- 
novs  zuLiv.  2,  lÖ,  welcher  aus  demselben  Grunde  vom  Sprach- 
gebrauch des  Livius  gerade  das  Gegentheil  behauptet.  Uebri- 
gens  finden  sich  über  dieselbe  Sylbe  mel  auch  schon  im  ersten 
Theil  mehrere  irrige  und  überhaupt  nur  unvollständige  Bestim- 
mungen, vergl.  §45,  B  mit  87,  -^,  1. 

Was  unter  5  und  6  dieses  Paragraphen  über  die  Pronomina 
reciproca  sui  und  s^ms  und  über  den  dabei  in  Rücksicht  kom- 
menden Gebrauch  der  Pronomina  is  und  ipse  gesagt  wird,  ent- 
hält nicht  nur  manche  gute  Bemerkung,  sondern  ist  auch  viel 
umfassender,  als  das,  was  viele  frühere  Grammatiken  darüber 
lehren.  Namentlich  zeigen  die  Anmerkungen,  sowie  die  Er- 
klärungen einzelner  Stellen,  dass  sich  der  Hr.  Verf.  nicht  mit 
den  gewöhnlichen  theils  nur  oberflächlichen,  theils  auch  völlig 
verkehrten  Bestimmungen  begnügte,  sondern  selbst  schärfer 
und  tiefer  über  die  Sache  nachgedacht  habe.  Allein  demohn- 
geachtet  glauben  wir,  dass  der  so  höchst  schwierige  Gegen- 
stand auch  nach  der  hier  gegebnen  Erörterung  immer  noch  ei- 
ner abermaligen  gründlichem  Untersuchung  bedürfe,  wenn 
endlich  einmal  klares  Licht  in  die  Sache  gebracht  werden  soll, 
über  welche  schon  von  den  ältesten  Zeiten  her  unter  den  Gram- 
matikern die  grösste  Unbestimmtheit  und  die  abweichendsten 
Meinungen  geherrscht  haben.  Es  kann  nicht  unsre  Absicht 
seyn,  diese  ein  eignes  Buch  erfordernde  Untersuchung  hier  füh- 
ren zu  wollen,  sondern  wir  geben  nur  an,  was  wir  an  der  Be- 
handlung des  Hrn.  Verf.  auszusetzen  haben,  und  machen  dabei 
auf  einige  Puncte  aufmerksam,  die  bei  dieser  Lehre  bisher  we- 
nig oder  nicht  beachtet  worden,  nach  unsrer  Meinung  aber 
ganz  vorzüglich  dabei  zu  berücksichtigen  sind.  Vor  allen  ver- 
missen wir  nun  bei  dem  Hrn.  Verf.  die  Angabe,  worin  denn  ei- 
gentlich die  Reciprocation  bestehe:  eine  Forderung,  die  sich 
in  Bezug  auf  das  Personalpronomen  sui  sehr  leicht,  in  Bezug 
auf  suus  nicht  ohne  grosse  Schwierigkeit  befriedigen  lässt;  und 
die  um  so  mehr  gemacht  werden  muss,  weil  ohne  jene  Erklä- 
rung die  an  sich  lichtigen  Angaben,  dass  sui  keinen  Nominativ 
haben  könne  und  keiner  Pluralform  bedürfe  wenigstens  für  Schüler 
gar  nicht  verständlich  sind.  Eben  so  wenig  aber  befriedigen  die 


Ramsliorn:  Lateinische  Grammatik.  87 

3  über  siii  und  suus  gegebne»  Regeln  selber.     Sui  und  suus 
nämlich  stellen,  wie  es  hier  heisst: 

1)  „Wenn  in  Einem  Satze  die  Person  eines  im  casu  obliquo 
ausgedrückten  Gegenstandes  dritte?'  Person^  oder  das  Ei- 
genthum  derselben  zu  bezeichnen  ist,  in  welchem  Falle  1)  ent- 
weder das  Subject  dieses  Satzes  Inder  ersten  oder  zweiten  Per- 
son stehen,  2)  oder  wenn  es  selbst  in  der  dritten  Person  steht, 
durch  das Reciprocum  bestimmt  seyn^?), oder  3)  einPrädicat  ha- 
ben muss,  das  die  Beziehung  des  Reciproci  auf  das  Subject  nicht 
gestattet." 

2)  „wenn  ebenfalls  (?)  in  einem  Satze  die  Person  des  aus- 
gedrückten oder  im  Verbo  gedachten  Siibjectsnominaiivs  zu  nen- 
nen ,  oder  ihr  Eigenthum  zu  bezeichnen  ist.  Ein  solches  Sub- 
ject ist  bei  allen  Theilen  desselben  Satzes  in  Hinsicht  der  Be- 
ziehung des  sui  und  suus  auf  sich  vorherrschend  " 

3)  „wenn  Ich  als  Redender  ein  Subject  der  dritten  Person 
als  selbstdenkend  oder  redend  einführe,  wo  ich  dieses  dann, 
so  oft  Ich  es  in  seiner  Gedankenreihe  oder  Rede  als  blosse  Per- 
son zu  nennen  brauche,  mit  sui^  sibi^  se,  und  das,  was  sein 
ist,  mitsMMS,  a,  wwi,  bezeichne." 

Mit  allen  diesen  Regeln  ist,  trotz  dem  dass  sie  keine  ab- 
solutfalschen Bestimmungen  enthalten,,  doch  nach  unsrer  An- 
sicht nicht  viel  ausgerichtet,  weil  sie  sämmtlich  mehr  Aeusser- 
lichkeiten  als  das  eigentliche  Wesen  des  Gegenstandes  beriih- 
ren.  Die  Sonderung  der  beiden  ersten  Regeln  ist  völlig  über- 
flüssig und  zwecklos ,  denn  die  Reciprocität  ist  in  beiden  Fäl- 
len ganz  dieselbe,  und  der  Umstand,  dass  das  Reciprocum  sich 
bald  auf  einen  casus  obliquus  des  Satzes,  bald  auf  dessen  Sub- 
jectsnominativ  bezieht ,  ist  durchaus  nicht  so  wichtig,  dass  er 
als  Eintheilungsgrund  dienen  könnte.  Ganz  derselbe  Fehler 
findet  sich  auch  in  den  drei  ünterabtheilungen,  in  welche  die 
erste  Regel  getheilt  ist,  da  auch  sie  nicht  das  Wesen  der  Re- 
ciprocation ,  sondern  nur  Besonderheiten  der  übrigen  Worte 
des  Satzes  berühren,  die  auf  Erörterung  der  Hauptsache  kei- 
nen Einfluss  haben.  Uebrigens  leidet  gerade  die  Hauptbe- 
stimmung der  Regel  (^Person  eifies  Gegenstandes  dritter  Per- 
sofi)^  so  wie  die  zweite  Uuterabtheilung  derselben  sehr  an  Son- 
derbarkeit und  Unbestimmtheit  des  Ausdrucks,  und  die  in 
der  dritten  Unterabtheiluug  gegebne  Bestimmung  ist  nicht  wahr; 
denn  in  Vermeidung  dergleichen  Amphibolien  w  aren  die  Alte» 
gar  nicht  so  bedenklichängstlich,  als  wir  jetzt  zu  seyn  pflegen; 
und  wenn  Qniiictil.  7,  9,  12  an  einem  leichtverständlichen  sibi 
bei  Cic.  Brut.  2ö  in  der  That  einen  solchen  Anstoss  nimmt ,  so 
halten  wir  diess  mit  S palding  und  andern  für  nichts  als  eine 
leere  augenblickliche  Grille  des  gelehrten  Mannes,  dem  bei 
seiner  Belesenheit  unghüch  auffälligere  Beispiele  bekannt  seyn 
mussten-     Solche  Zufälligkeiten  der  Form  können  nach  unsrer 


Sß  Römische    Litteratur. 

Ansicht  bei  Erörterung  der  Sache  gar  nicht  in  Betrachtung 
kommen ,  sondern  es  hängt  alles  ledi/^tich  von  dem  Verhülbiiss 
ah,  in  tvelcheni  die  Begriffe  tind  Gedanlcen  zu  einander  ge- 
dacht irerden^  wie  schon  Laurent.  Valia  und  Vossius 
riclitig  bemerken  und  der  Hr.  Verf.  theils  sclion  in  den  hier 
gegebnen  Beispielen  (Liv.  23,  32,  Caes.  B.  G.  5,  53.)  so  wie 
kurz  darauf  p.  341  seq.  selbst  anerkennt.  Nicht  besser  verhält 
es  sich  mit  der  dritten  Regel.  Die  die  Ilauptbestimmung  ent- 
lialtendea  Worte  „o/s  selbstdeiikend  oder  redend  einführe'-'-  sind 
durchaus  unzweckmässig  gevvählt  und  passen  nicht  einmal  zu 
den  vom  Hrn.  Verf.  selbst  angeluhrteu  Beispielen,  und  zwar 
weder  der  Saclie  (Cic.  Or.  2(5.)  noch  der  Form  (Cic.  N.  1).  2, 
63.)  nach.  Endlich  ist  auch  noch  die  Anordnung  dieser  Ke- 
geln zu  tadeln,  denn  die  zweite,  als  den  offenbar  einfachsten 
Kall  enthaltend,  liätte  billig  zuerst  gestellt  werden  sollen. 

Nach  unsrer  Ansicht  niuss  man  bei  der  ganzen  Untersu- 
chung durchaus  von  dem  Wesen  der  Reciprocation  selbst 
ausgehen  und  darauf  Eintheilung  und  Anordnung  der  Regeln 
gründen.  Die  Hauptsache  ist  also  zu  zeigen ,  wie  das  Verliält- 
niss  der  Begriffe  und  Gedanken  beschaffen  seyn  müsse,  wenn 
überhaupt  Reciprocation  möglicli  seyn  solle,  und  dann  deut- 
lich und  klar  zu  erörtern,  wie  dieselbe  unter  den  verschieden- 
artigsten Modificationen  der  Form  doch  regelmässig  statt  finde, 
wofern  nur  das  eiforderliche  eigenthümliche  Verhältniss  der 
Begriffe  und  Gedanken  zu  einander  dasselbe  bleibt.  Dass  man 
diess  in  der  Grammatik  bisher  wenig  oder  nicht  beachtete,  son- 
dern gerade  mehr  von  der  Form  der  Sätze  ausging,  hat  imn 
eben  jene  heillose  Verwirrung  in  die  Bestimmungen  der  einzel- 
nen Grammatiker  gebracht,  welche,  unter  einander  selbst  in 
vielen  Stücken  uneinig ,  in  der  That  fast  nur  darin  übereinstim- 
men, dass  sie,  statt  nach  dem  Sprachgebrauch  der  Alten  sich 
zu  richten,  in  wirklich  anmaassender  Einseitigkeit  an  demsel- 
ben herummeisterten  und  lieber  auf  eigne  Hand  festsetzten,  wie 
es  mit  dieser  Lehre  beim  Lateinischschreiben  gehalten  werden 
solle;  ohne  dabei  zu  bedenken,  dass  ihre  engherzigen  Regeln 
einen  Sprachgebrauch  bildeten ,  dem  alles  eclitrömische  Geprä- 
ge abgeht,  und  so  recht  eigentlich  dazu  gemacht  sind,  der 
Darstellung  alle  Lebhaftigkeit  und  Anschaulichkeit  zu  rauben 
und  zu  dem  trocknen  Erzählungston  eines  Hygin  oder  Eutropius 
zu  führen. 

Hirem  Wesen  nach  zerfällt  nun  die  Reciprocation  im  Lat. 
in  umiiittelbare  und  in  tnittelbare.  Die  unmittelbare  findet,  wie 
im  Deutschen,  wo  wir  blos  diese  Art  liaben,  nur  in  einem  e«w- 
/VicÄe«  Satze,  und  zwar  dann  statt,  wenn  der  Pronominalbegriff 
des  Satzes  auf  ein  Substantiv  desselben  Satzes  ohne  Daztois che Ji~ 
treten  einer  andern  Person^  oder  überhaupt  eines  neuen  Ge- 
danken bezogeft  wird.     Ob  das  Substantiv  Subject  des  Satzes 


Raniähorn:    Lateinische  Grammatik.  39 

sey,  oder  nicht,  kommt  niclit  ii»  Betracht.  Der  Gebrauch  des 
Ileciprocums  ist  absolut  noüiwendifi  und  zwar  in  beiden  Fällen, 
weil  die  BezieJjuni^  des  Prononiinalljeijriüs,  mag  er  nun  auf  das 
Subject  oder  auf  ein  andres  Substantiv  des  Satzes  gehen,  in 
gleicher  Weise  unmittelbar  ist.  Die  hier  mögliche  Zweideutig- 
keit muss  lediglich  durcli  den  Sii»u  gelös't,  und  darf  sogar 
nicht  durcli  eine  das  Pronomen  selbst  betreffende  Veränderung 
gehoben  werden,  eben  so  wenig,  als  man  im  Deutschen  in  ei- 
nem Satze,  wie  „er  brachte  seinen  Freund  wieder  zn  sich^^'' 
das  eine  doppelte  Beziehung  zulassende  Pronomen  sich  zu  Gun- 
sten einer  vermeintlichen  grössern  Verständlichkeit  verändern 
würde  und  könnte.  Zu  dieser  unmittelbaren  Reciprocation  ge- 
hören auch  alle  Sätze  mit  einem  Accusativ  cum  Infinit. ,  in  de- 
nen beide  Glieder  ein  Subject  haben.  Auch  sie  haben  also  ab- 
solutnothwendige  Reciprocität,  und  machen  daher,  wie  der 
Hr.  Verf.  p.  350  selbst  andeutet,  von  den  andern  gleich  zu  er- 
wähnenden zusammengesetzten  oder  verbuudnen  Sätzen  eine 
Ausnahme.  Der  Grund  davon  liegt  in  der  Art  und  Weise,  in 
welcher  bei  dieser  Construction  die  beiden  Glieder  verbunden 
werden.  Die  Verbindung  beider  Glieder  nämlich  ist  hier  weit 
enger,  als  in  andern  verbuudnen  Sätzen,  und  die  Lateiner  be- 
trachteten sie  deshalb,  eben  so  wie  die  Griechen,  ganz  als 
einfache  Sätze.     Vergl.  D  ö  1  c  c  k  e  Schulgr.  p.  164  Not.  3. 

Die  mittelbare  Reciprocation  findej;  statt  in  zusammenge- 
setzten Sätzen ,  und  zwar  so ,  dass  der  im  abhängigen  oder  re- 
gierten Satzglied  sich  findende  Pronominalbegriff  auf  das  im 
Hauptglied  des  Satzes  stehende  Substantiv ,  also  nicht  unmittel- 
bar ^  sonder?i  erst  vermittelst  eines  neuen  ^  dazwischentreten- 
den Gedanhen  bezogen  wird.  liier  ist  vorziiglich  darauf  auf- 
merksam zu  machen,  dass  der  Gebraucli  des  Reciprocums  in 
diesem  Falle  nicht  absolut  nothwendig  sey,  sondern  erst  durch 
besondre  Umstände  bedingt  werde;  indem  bei  völlig  gleicher 
Gestaltung  und  Form  des  Satzes  unter  gewissen  Umständen 
auch  die  blos  relativen  Pronomina  is^  ille^  ipsexi.  s.  w.  stehen 
können.  Die  reciproca  werden  nämlich  in  solchen  Sätzen  nur 
dann  gebraucht,  wenn  der  ganze  regierte  Satz  als  von  dem  im 
Ilauptglied  des  Satzes  sich  findenden  Substantiv  bedingt  darge- 
stellt werden  soll;  ist  diess  nicht  der  Fall,  so  stehen  die  Pro- 
nomina 2s,  ille^  ipse  u.  s.  w. ,  deren  Beziehung  auf  das  betref- 
fende Substantiv  dann  von  dem  Sprechenden  oder  Erzählenden 
abhängig  gedacht  wird.  Die  Erläuterung  der  Art  und  W^eise, 
wie  im  ersten  Falle  der  abhängige  Satz  von  jenem  Substantiv 
bedingt  sey,  hat  ihre  grossen  Scliwierigkeiten.  Leicht  einzu- 
sehn  und  zu  erklären  ist  jenes  Bedingtseyn  des  abhängigen  Sa- 
tzes, Avenn  derselbe  eine  Sentenz  oder  Absicht  jenes  Substan- 
tivs enthält,  wie  in  Sätzen  mit  quod^  ut.,  ne  u.  s.  w.  Aber  die 
Lateiner  betrachten  einen  solchen  regierten  Satz  auch  schon 


40  Römische  Litte  1* ata  1-. 

oft  dann  als  von  jenem  Substantiv  bedingt,  wenn  dasselbe  nur 
überhaupt  als  vorherrschend  im  Betracht  kommende  Hauptsa- 
che der  Erzählung  erscheint ,  und  mithin  alles  andre  in  dersel- 
ben als  jener  Hauptperson  untergeordnet  betrachtet  werden 
soll.  Dieser  Fall  ist  im  Lateinischen  sehr  häufig,  bedarf  aber 
einer  um  so  sorgfältigem  Erörterung ,  als  er  von  vielen  Gram- 
matikern verkannt  worden  ist,  und  von  den  meisten  unsrer 
jetzigen  Lateinschreiber  völlig  unbeachtet  gelassen  wird.  Gute 
Beispiele  giebt  der  Hr.  Verf.  p.  348  Not.  2. 

Der  erwähnte  zweite  Fall,  dass  in  Sätzen  der  oben  be- 
schriebnen  Art  aucli  die,  von  ihm  Demonstrativa  genannten, 
Pronomina  ?s,  ipse  u.  s.  w.  stehen,  ist  vom  Hrn.  Verf.  pag.  349 
seqq.  ziemlich  umfassend  und  wenigstens  weit  besser,  als  der 
erste  behandelt  worden.  Namentlich  giebt  er  sehr  gut  gewählte 
Beispiele,  welche  nicht  nur  deutlich  zeigen,  dass  im  Lateini- 
schen häufig  das  blos  relative  is  auch  da  steht,  >vo  das  Ver- 
hältniss  der  Gedanken  den  Gebrauch  des  Reciprocums  wohl  zu- 
gelassen hätte,  sondern  auch,  besonders  in  Vergleich  mit  den 
eben  citirten  Beispielen  des  Gegentheils,  recht  deutlich  bewei- 
sen, dass  die  Römer  beide  Fälle  gar  nicht  so  ängstlich  unter- 
schieden, als  wir  jetzt  thun  zu  müssen  glauben,  von  Jugend  auf 
dazu  verwöhnt  durch  einseitige  Regeln  mangelhafter  Gram- 
matiken, welche  den  freiem  römischen  Gebrauch  in  eine  unver- 
änderliche steife  Regelmässigkeit  zwängen,  und  selbst  in  den 
Fällen  jeder  gramraatischmöglichen  Amphibolie  vorbeugen  wol- 
len, wo  die  selbstdenkenden  Römer  billiger  Weise  auch  auf 
den  Verstand  des  Lesers  rechnen  zu  dürfen  glaubten.  Beson- 
ders hätte  übrigens  bei  diesem  zweiten  Falle  noch  bemerkt 
werden  sollen:  1)  dass,  wo  wegen  des  Sinnes  der  Pluralbe- 
griff des  Pronomens  sui  nicht  als  abstractes  Ganze  aufgefasst 
werden  kann,  sondern  nothwendig  als  aus  verschiednen  geson- 
derten Tiieilen  bestehend  gedacht  werden  muss,  in  Ermang- 
lung einer  besondern  Reciprocalform  das  relativum  is  gebraucht 
werden  müsse ,  auch  wo  die  Sache  durchaus  Reciprocation  for- 
dert. Liv.  1 ,  56 :  cupido  incessit  animos  juvenum  sctscttandi, 
ad  quem  cor  um  regnum  esset  venturum.  Das  Verhältniss 
der  Gedanken  forderte  Reciprocation,  aber  da  sz^«  eben  sowe- 
nig als  7iostri  und  vestri  eine  aus  einzelnen  Theilen  zusammen- 
gesetzte Pluralität  bezeichnen  kann,  und  doch  ein  Pluralbegriff 
der  Art  erfordert  wurde,  so  musste  das  blos  relative  eortim 
genommen  werden.  2)  Wenn  in  einem  Satze  die  Reciprocation 
schon  anfangs  durch  ein  Pron.  reciprocum  hinlänglich  bezeich- 
net ist,  so  kann,  wenn  es  in  den  folgenden  Worten  ohne  be- 
sondern Nachdruck  zu  wiederholen  wäre,  statt  desselben  auch 
das  relativum  is  gesetzt  werden.  Liv.  1,  54:  «S.  Tarquinius  e 
suis  unum  sciscitatimi  Romam  ad  pafrem  mittit ,  quiduam  s  e 
fucere  teilet^    quafidoquidem^  ut  omnia  imus  Gabiis  posset^  ei 


Ramshorn:    Latcinisclie  Grammatik.  41 

(h'i  dedissent.    cf.  Cic.  de  Orat.  1,  54  §  232,  ad  Farn.  6,  Tf,  4, 
Caes.  B.  G.  1,  11,  3  und  5,  27,  2. 

Sonderbar  ist  Vibrigeas,  dass  der  Hr.  Verf.  bei  diesem 
zweiten  Falle,  in  welchem  die  Reciprocation  unterbleibt,  nur 
die  bealen  Pronomina  is  und  ipse  erwähnt;  da  doch,  wie  selbst 
einige  der  von  ihm  anj^efiihrten  Beispiele  zeigen,  nach  Beschaf- 
fenheit der  Sache  auch  hie  und  ille  und  überhaupt  jedes  Pro- 
nomen stehen  kann,  das  eine  solche  riM^kweisende  Beziehung 
zulässt.  Mamentlich  ist  fiir  diesen  Fall  das  Pronomen  ille  gar 
nicht  selten,  und  Sallust  besonders  gebraucht  es  in  der  oratio 
obliqua  sehr  häufig,  um  damit  die  angeredete  Person  zu  be- 
zeichnen.    Sallust.  lug.  61  sub  f.,  62  ab  init.,  64,  67,  106,  111. 

Ausserdem  machen  wir  nun  noch  auf  einige  Puncte  auf- 
merksam, die,  wie  wir  glauben,  bei  dieser  Lehre  eine  genauere 
Beriicksichtigung  verdienen,  als  ihnen  bisher  zu  Theil  gewor- 
den. Der  erste  betrifft  die  Behandlungsweise  des  Pronom.  pos- 
sessiv, smis^  die  nach  unsrer  Ansicht  in  allen  unsern  Gramma- 
tiken zu  oberflächlich  und  einseitig  ist.  Fast  alle  uns  bekannte 
Grammatiker  nämlich  fassen  es  überall  und  durchaus  mit  dem 
Personalpronomen  sui  in  gemeinschaftlichen  Regeln  zusammen, 
und  bestimmen,  was  der  Hauptfehler  ist,  den  Gebrauch  des- 
selben nicht  an  und  für  sich  selbst,  sondern  immer  von  dem 
entgegengesetzten  Falle  aus  ,  in  welchem  das  enclitische  ejus 
entweder  nothwendig  steht  oder  doch  stehen  kann,  so  dass 
suus  fast  nicht  anders  in  Berücksichtigung  kommt ,  als  im  Ge- 
gensatz zu  jenem  ejus.  Allein  beides  ist  falsch  und  hat  zu  sicht- 
barem Nachtheil  geführt.  Das  erstere,  jene  gemeinschaftliche 
Behandhuig  überhaupt  nämlich,  führt,  wie  in  fast  allen  Gram- 
matiken sichtbar  ist,  zu  dem  Fehler,  dass  das  Pronomen  pos- 
sessivum  nur  so  nebenbei  und  mehr  als  Anhängsel  behandelt 
wird,  während  doch  der  Gebrauch  desselben  in  der  That  weit 
schwieriger  zu  bestimmen  ist,  als  der  des  Personalpronomens 
sui^  und  mithin  die  Natur  der  Sache  eher  die  umgekehrte  Be- 
handlungsweise zu  fordern  scheint.  Der  erwähnte  zweite  Um- 
stand aber  hat  den  Uebelstand  lierbeigeführt ,  dass  in  unsern 
Grammatiken  eine  grosse  Anzahl  Beispiele,  in  welchen  suus 
nolhwendig  stehen  muss,  in  Anmerkungen  und  mehr  als  Aus- 
nahmen nachgetragen  Averden,  mit  der  unbefriedigenden  Be- 
merkung: ^^stius  stehe  für  ejus^  weil  es  sein  eigen  bedeute." 
Allein  sinis  steht  in  solchen  Fällen  gar  nicht  für  e/?/s,  sondern 
ganz  eigentlich  für  suus^  und  dergleichen  Beispiele,  an  wel- 
chen bekanntlich  von  Grammatikern  und  Interpreten  vielfältig 
Anstoss  genommen  Morden  ist,  sind  keineswegs  wirkliche  Aus- 
nahmen, d.  li.  Abweichungen  vom  echtlateinischen  Sprachge- 
brauch, sondern  nur  Ausnahmen  von  den  einseitigen  Bestim- 
mungen unserer  Grammatiken,  und  dienen  somit  zum  spre- 
chendsten Beweis ,    dass  unsere  Regeln  über  das  Posscssivum 


42  Römische    LItteraiur. 

snus  einer  tiefern  Begründung  bedürfen.  Ganz  besonders  sicht- 
bar wird  diese  Mangelliaftigkeit  jener  Regeln,  wenn  maji  sie 
auf  Beispiele  anwenden  will,  in  denen  entweder  der  Nominativ 
suus^  oder  suianumi  sui  ah  Sabsfantiva  auf  einen  casus  obli- 
quus  des  Satzes  bezogen  stehen.  Für  diese  Fälle  ist  man  von 
der  Regel  so  gut  wie  verlassen ;  woher  es  auch  gekommen  ist, 
dass  man  Beispiele  ,  Mie  Hamiibalem  sui  cives  e  civitate  ejece- 
runt^  erst  durch  Annahme  einer  Formvertauschung  (//«//?2/6«Z  « 
suis  ciüibus  ejectus  est)  rechtfertigen  zu  müssen  glaubte,  und 
beim  eignen  Lateinschreiben  kaum  nachzubilden  wagt. 

Ein  andrer  noch  weit  wichtigerer  Punct  ist,  dass  fast  alle 
unsere  Grammatiken  bei  den  für  ihre  Regeln  zu  gebenden  Bele- 
gen so  gut  wie  keine  Rücksicht  auf  To/i  und  Colorit  der  Rede 
nehmen ,  sondern  ihre  Beispiele  aus  allen  Stijlgatiujigen  ohne 
Unterschied  entlehnen ,  und  selbst  nicht  genau  genug  auf  die 
Verschiedenheit  der  Zeilalter  achten.  Der  Hr.  Verf.  scheint  die 
Nothwendigkeit  dieser  Rücksichten  gefühlt  zu  haben,  denn  er  be- 
merkt S.  349,  dass  bisweilen  rhetorische  Zwecke  rathen  konnten, 
das  Fron,  is  statt  suus  u.  sui zn  brauchen,  und  eben  so  macht  er  S. 
348  eine  ähnliche  auf  den  verschiednen  Gebrauch  derverschied- 
iien  Zeitalter  hinweisende  Bemerkung.  Allein  uns  scheint  die  Sa- 
che eine  weit  gründlichere  und  tiefere  Berücksichtigung  zu  er- 
fordern, und  wir  sind  überzeugt,  dass  auf  obenerwähnte  Puncte 
nirgends  mehr  zu  achten  sey,  als  gerade  bei  dieser  Lehre,  in- 
dem der  Gebrauch  oder  Nichtgebrauch  des  Reciprocums  oft 
lediglich  von  dem  Ton  und  Colorit  der  Rede  abhängt,  und  so- 
mit dergleichen  vom  Hrn.  Verf.  sogenannte  rlietorische  Zwecke 
nicht  nur  den  Gebrauch  von  is  ^  sondern  eben  so  sehr  auch  in 
entgegengesetzter  Weise  den  Gebrauch  von  sui  und  suus  be- 
dingen können.  Die  nähere  und  genauere  Erörterung  jener 
Puncte,  deren  sorgfältige  Beachtung  vorzüglich  auch  beiju  eig- 
nen Lateinschreiben  nöthig  ist,  erfordert  grössere  Ausführlich- 
keit. Wir  erinnern  hier  blos  im  Allgemeinen,  dass  in  lebhaf- 
ter ,  Personen  handelnd  schildernder  Darstellung  der  Gebrauch 
des  Reciprocums ,  in  der  ruhigen.  Facta  und  Data  nur  berich- 
tenden Rede  der  Gebrauch  von  is  und  andrer  nichtreciproken 
Pronoraina  vorherrschend  sey.  Davon  ab,  oder  vielmehr  damit 
zusammen  hängt  nun  auch  der  Einlluss ,  den  die  verschiednen 
Stylgattungen  und  der  Sprachgebrauch  der  verschiednen  Zeit- 
alter auf  den  Gebrauch  oder  Nichtgebrauch  der  Reciprocatioii 
gehabt  haben.  Bei  den  verschiednen  Stylgattungen  lässt  sich 
nun  in  dieser  Hinsicht  ein  ziemlich  auffallender  Unterschied 
zwischen  der  bewegtem,  mehr  veranschaulichenden  Darstel- 
lung der  Redner  und  frühem  Historiker  und  der  ruhigen,  mehr 
auK  und  nach  dem  Urtheil  des  Schriftstellers  darstellenden 
Sprache  philosophischer  Schriften  bemerken.  Die  ersleie  be- 
dient sich  nämlich  der  Reciprocatiou  weit  häufiger,    als   die 


Rumshorn:    Lateinische  Grammatik.  43 

zweite.  Iiiiless  versteht  sich  dabei  von  selbst,  dass  diese  Be- 
hauptung nur  im  Allgeraeiaeu  mul  nicht  >oü  allen  einzelnen 
Stellen  dergleiclien  Schiii'tea  ohne  IJnterscliied  gelte;  denn  da 
auch  in  oratorischen  und  histoi'ischen  Schriften  die  Darstellung 
zuweilen  ruhiger,  und  umgekehrt  die  philosophische  Sprache 
zuweilen  bewegter  seyn  kann,  so  ist  es  sehr  natiirlich,  dass 
mit  Aufhebung  der  im  Character  der  Darstellung  tiegenden 
Grundbedingung  aucli  jener  davon  abhängige  Sprachgebraucli 
sich  nothwendig  und  regelmässig  umändern  müsse.  In  Bezug 
auf  die  verschiednen  Zeitalter  der  Sprache  bemerken  wir,  dass 
in  der  altern  Sprache  der  Gebraucli  der  Rcciprocation  häufiger 
und  von  grösserem  Umfang  gewesen  sey,  als  in  der  Sprache 
des  sogenannten  silbernen  Zeitalters,  welche,  wie  sich  aus 
vielen  Beispielen  darthun  lässt,  in  den  schon  obenberührteii 
Fällen,  in  denen  der  frühere  Sprachgebrauch  die  Anwendung 
beider,  der  reciproken  undder  nichtreciproken  Pronomina,  ver- 
stattete ,  fast  regelmässig  die  letztern  vorzieht.  Diese  Verän- 
derung des  Sprachgebrauchs  lässt  sich,  wie  wir  glauben,  in 
sämmtlichen  Schriften  der  spätem  Zeit,  namentlich  auch  in 
der  Sprache  der  spätem  Historiker  nachweisen;  und  der  Grund 
davon  liegt  offenbar  in  dem  Mangel  an  Lebhaftigkeit  und  An- 
schaulichkeit in  der  Darstellung ,  einem  Fehler ,  der  in  der 
ganzen  spätem  Latinität  so  auffallend  sichtbar  ist,  und 
was  die  Historiker  anlangt  ,  ausser  der  vernachlässig- 
ten Reciprocation  auch  noch  in  vielen  andern  Stücken, 
namentlich  in  der  Vernachlässigung  der  oratio  obliqua,  des  In- 
finitivus  historicus  und  in  dem  zum  wahren  Missbrauch  geword- 
nen Gebrauch  des  Conjunctivus  perfecti  in  abhängigen  Sätzen 
ganz  auf  ähnliche  Weise  sich  zeigt.  Nach  S.  348  zu  schliessen, 
ist  der  Hr.  Verf.  hierin  andrer  Meinung,  denn  er  bemerkt  da- 
selbst, aber  ohne  Belege  zu  geben,  dass  spätere  Schriftsteller 
und  besonders  Suetonius  in  Zwischensätzen ,  die  eigentlich  als 
Meinung  einer  drittenPerson  imConjunctiv  stehen  sollten,  häu- 
fig den  Indicativ  gebrauchten,  ohne  doch  deshalb,  wie  man  er- 
warten sollte,  das  Reciprocum  mit  andern  nichtreciproken 
Pronorainibus  zu  vertauschen.  Allein,  soweit  wir  die  Sprache 
der  Spätem  kennen ,  können  wir  ihm  selbst  nicht  für  diesen 
einzelnen  Fall  beistimmen,  und  aus  Suetonius  namentlich  wüss- 
ten  wir  uns  kaum  eines  einzigen  solchen  Beispieles  zu  entsin- 
nen, da  Caes.  34  s.  fin.  (quae  sibi  clanserat)  und  14  {qui  necem 
sicatn  promiserat)  und  einige  wenige  ähnliche  Stellen  von  ande- 
rer Art  und  gar  nicht  unregelmässig  sind.  Für  imsere  Meinung 
dagegen  sprechen  ausser  dem ,  was  wir  eben  im  Allgemeinen 
erinnert  haben,  noch  mehrere  entscheidende  einzelne  Umstän- 
de. So  z.  B.  die  frühere,  vom  Hrn.  Verf.  unerwähnt  gelassene, 
Häufung  der  Reciproca,  wie  sie  in  der  bekannten,  aber  fast 
nur  noch  bei  den  Comikern  sich  findenden  Formel  siiits  sibiy 


44  Römische    Littcratur. 

und  auch  noch  in  anderer  Weise  selbst  in  Stellen  der  alten 
Prosa  (cf.  Gellius  5,  19.)  sich  findet;  ferner  der  freiere  Ge- 
hranch von  suus  in  der  Dichterspraclie ,  der  nicht  etwa  hlos 
dichterische  Eigenlieit  überhaupt,  sondern,  wie  Beispiele  des 
Plautus  und  Terenz  zeigen,  gleichfalls  in  der  eigenthüin- 
lichen  Sprachweise  der  friihern  Zeit  begrVnidet  ist;  und  ganz 
vorzüglich  endlich  der  von  Quinctilian  an  so  hänfige  Gebrauch 
des  Pronomens  ipse  in  Fällen ,  wo  die  frühere  Sprache  unbe- 
dingt die  Reciproca  s?/2  und  smis  gebraucht  haben  würde,  ein 
Umstand,  der  sowohl  auf  die  in  Rede  stehende  Lehre  der  Gram- 
matik, so  wie  besonders  auf  den  Sprachgebrauch  unserer  jetzi- 
gen Latinität  sehr  einflussreich  gewesen  ist.  Jenem  einseitigen 
Bestreben  des  silbernen  Zeitalters  nämlich,  durch  den  Ge- 
brauch von  ipse  iei\e  Zweideutigkeit,  die  etwa  das  Reciprocura 
veranlassen  könnte,  zu  vermeiden,  verdanken  wir  es,  dass  sehr 
viele  unserer  jetzigen  Lateinschreiber  nach  einer  den  Alten 
ganz  unbekannten ,  aber  von  mehrern  unserer  Grammatiker 
fast  empfohlenen  Regel,  ipse  immer  dann  setzen,  wenn  sie 
nicht  wissen  ob  sui  und  suns^  oder  das  Pronomen  ts  stehen 
müsse,  und  sich  doch  auch  nicht  muth willig  in  Gefahr  bege- 
ben wollen,  durch  Anwendung  des  einen  oder  des  andern  ei- 
nen Schnitzer  zu  machen. 

§  159,  2,  /  sind  die  Worte  „oder  es  ist  der  Iiiüyiühms 
des  vorhergehenden  Verbi  weggelassen"  zu  ändern ,  denn  dass 
das  ausgelassene  Wort  nicht  gerade  ein  Infinitiv  seyn  muss, 
zeigt  gleich  das  aus  Suet.  Calig.  43  angeführte  Beispiel.  Eben 
so  bedarf  die  gleich  darauf  folgende  Anmerkung,  „dass 
statt  des  wiederholten  qui  bisweilen  ein  Demonstrativui^  (Js 
und  ideTTi)  stehe",  eine  Berichtigung.  Ideiti^  das  übrigens,  eben 
so  wenig  als  /s,  Demonstrativum  genannt  seyn  sollte,  steht 
nirgends  so,  und  die  aus  Cic.  Tusc.  3,  15  angeführte  Stelle  hat 
der  Hr.  Verf.  falsch  interpungirt  und  in  etwas  seltsamer  Weise 
raissverstanden.  Is  dagegen  wird  in  der  That  so  gebraucht, 
aber  nur  nicht  so  ohne  Weiteres  und  ohne  alle  Einschränkung, 
sondern  nur  in  Verbindung  mit  nee  oder  neqiie  ^  d.  h.  neque  is 
für  qiiique  non.  Die  Regel  darüber  ist  folgende:  In  doppel- 
gliedrigen  relativen  Zwischensätzen  verbinden  die  Lateiner  zu- 
weilen das  zweite  Glied,  wenn  solches  eine  Negation  enthält, 
und  das  Relativum  qui  in  einem  andern  casu  wiederholt  erfor- 
derte, als  es  im  ersten  Gliede  steht,  nicht,  wie  man  erwarten 
sollte ,  durch  qiiique  non  mit  dem  ersten ,  sondern  durch  neque 
is.  So  in  der  vom  Ilru.  Verf.  citirten  Stelle  und  anderwärts. 
Die  Hauptsache,  wodurch  überhaupt  der  Gebrauch  veranlasst 
wurde,  ist  dieNegation  des  zweiten  Gliedes,  welche  eineAnknüp- 
fung  mit  neque  rieth ,  bei  welcher  dann  nicht  weiter  das  Re- 
lativum qui  gesetzt  werden  konnte.  ReclU-  deutlich  zeigt  diess 
Cic.  Brut.  c.  74  §  258 :   Serf  omnes  tum  fere ,   qui  nee  extra 


Ramshorn:    Luteinläclic  Graininatlk.  45 

urhem  hanc  vixerant ,  nee  eos  aUqua  barharies  domeslica 
infuscaverat  ^  rede  loquebantiir.^  wo  das  erstere  nee  das  zweite 
nothwendig,  abci*  zuirleicli  auch  die  WiederJioliiiig  des  Relat. 
q7iüs  uiuuöglicli  maclite.  Kt  is  wird  nirgends  so  gebraucht; 
ja  es  kann  sogar,  wofern  es  die  Gestaltung  der  übrigen  Rede 
gestattet,  das  Pronomen  is  ganz  dal)ei  ausgelassen  werden. 
Sallust.  lug.  101:  Bacchus  cum  eqnilibus^  quos  l  olux  fiHus 
ejus  adduierat^  nequein  prior e  pugna  ilinere  morati  affue- 
ruul^  postremam  Romanorum  aciem  invadunt.  Der  Nomina- 
tiv «Vist  den  Sprachgesetzen  gemäss  ausgelassen,  so  dass  nun 
das  blosse  neque  für  quique  non  steht;  und  es  ist  irrig,  dass 
Ger  lach,  diesen  Gebrauch  verkennend,  aus  jenen  Worten 
neque  —  uffuerant  eine  Parenthese  gemacht  hat. 

S.  3()3  Not.  1    Z.  1  sollte  nacJi    dem  Worte  Substantiva 
wohl  noch  der  Zusatz  „row  vei schiedenem  Genus'"''  stehen. 

§  100,  der  die  Pronom.  interrogativa  und  indefinita  und 
zwar  ziemlich  umfassend  behandelt,  heisst  es  p.  367  in  der 
Note,  die  altern  Lateiner  hätten  auch  quid  statt  quod  ge- 
sagt. Diess  ist,  wenigstens  so  a.us gedrückt,  nicht  richtig;  denn 
auch  in  der  alten  Sprache  steht  dann  quid  nicht  adjective^  son- 
dern das  dazugesetzte  Substantivum  steht  gleichsam  in  Appo- 
sition^ ein  Gebrauch,  der  sich  in  der  Sprache  des  goldneii 
Zeitalters  nur  noch  beim  3Iasculino  findet.  Der  Sinn  ist  etwas 
verschieden.  So  heisst  in  der  vom  Hrn.  Verf.  angeführten 
Stelle  Plaut.  Pseudol.  2,  2,  41:  Sed  quid  est  tibi  nomen? 
Was,  d.  h.  was  für  eine  Bezeichnung  hast  du  als  Namen? 
Quod  tibi  nomen  est?  dagegen  würde  heissen ,  welchen  Na- 
men hast  du'?  und  nach  einem  Namen  aus  der  gewöhnlichen 
Namenreihe  fragen.  Daherkommt  es,  dass  quid  mit  einem 
Substantiv  in  gleichem  Casu  meist  dann  steht,  wenn  man  in 
etwas  seltsamer  Weise ,  auffallend,  mit  Befremdung  oder  Ver- 
wunderung fragt.  Plaut.  Trucul.  2,  4,  31;  Id.Poen.  4,  2,  7. 
Eben  so  steht  auch  quidquid  anscheinend  für  quodquod^  aber 
ganz  unter  denselben  Umständen.  Plaut.  Menaechm.  5,  2,  60. 
Was  von  Seite  369  an  iiber  das  indefinitum  quis  und  qui^ 
sowie  über  den  Unterschied  desselben  von  aliquis  und  aliqui^ 
quispiam  und  quisquam  und  über  ähnliche  Verschiedenheiten 
der  Pronoraina  quidam^  ullus  u.  s.  w .  gesagt  wird ,  scheint  uns, 
selbst  wenn  man  das  §  87  darüber  Gesagte  dazunimmt ,  nicht 
immer  umfassend  und  genau  genug  und  überhaupt  mancher  Be- 
richtigung zu  bedürfen. 

Den  eigentlichen  und  Hauptunterschied  zwischen  quis ,  qui 
und  aliquis^  aliqiii^  dass  erstere  nämlich  durchaus  enclitisch 
sind,  also  nie  Gegensätze  haben,  oder  cum  emphasi  gesagt  seyn 
können,  wie  die  letztern,  hat  der  Hr.  Verf.  ganz  unberücksich- 
tigt gelassen;  und  doch  würde  die  Beachtung  desselben  ihn 
nicht  nur  gegen  das  anderwärts  sehr  scharf  gerügte  Missver- 


46  Römische  Litteratur. 

ständniss  jenes  Ilorazischen  iVbw  g-?//«,  sondern  auch  gegen  einen 
andern  nicht  minder  auffälligen  Irrthura  gesichert  liaben  ,  nach 
welcliem  er  hier  sowohl,  Mie  §  156,  1,  d  in  Formeln,  wie 
quam  qiii  ?na.rhne  und  ähnlichen  das  offenbare  Pronomen  relati- 
vum  fjiti  seltsamer  Weise  fiir  das  indefinitum  angesehen  hat. 
Aliquis  und  aliqui  wird  gar  nicht  unterschieden ,  und  doch 
muss  zwischen  beiden  natürlich  derselbe  Ujiterschicd  statt  fin- 
den, der  zwischen  dem  intcrrogativum  und  indefinitum  quis  und 
9?// sich  zeigt  und  bei  dem  erstem  namentlich  auch  klar  und  rich- 
tig nachgewiesen  worden  ist.  Dass  aliquis  auch  für  aliiis  quis  stehe, 
ist,  so  unbestreitbar  die  Etymologie  dafür  spricht,  doch  iiicht 
so  sicher,  als  man  gewöhnlich  glaubt.  Die  meisten  Stellen,  die 
man  dafür  anführt,  sind  entweder  kritisch  nicht  sicher  genug, 
oder  lassen  eine  andre  Erklärung  zu ;  wenigstens  sind  sehr  viele 
tlieils  nnnöthigcr,  theils  fälschlicher  Weise  so  verstanden  wor- 
den. Dagegen  hätte  als  eigenthümlicher  Gebrauch  desselben 
noch  bemerkt  werden  sollen,  dass  es  in  Verbindung  mit  Zaltl- 
wörtern  die  Zahlangabe  unbestimmt  macht.  Plaut.  Menaechra. 
5,  5,  47:  aliquos  riginti  dies  d.i.  etwa  zwanzig  Tage.  Varr. 
R.  R.  1,  2,  28,  Cic.  de  Fin.  2,  19,  62.—  Quispiam  soll  irge?id 
einer  ^  im  Gegensatz  von  multi,  plurcs;  qnisquam  ivgend  ainer^ 
im  Gegensatz  von  nemo,  nihil  bedeuten,  und  daher  immer  (?) 
in  negativen  Sätzen  gebraucht  werden,  Auch  dieses  ist  nur 
eine  halbwahre ,  mehr  aus  dem  gewöhnlichen  Gebrauch ,  als 
aus  der  Natur  der  Partikeln  entlehnte  Bestimmung.  Quispiam 
(nicht  aus  quis  und  einem  sonst  nirgends  in  der  Sprache  nach- 
weisbaren pia?n^  sondern  aus  quips  und  ia?n^  ist  jemand  niin^ 
also  ein  ah  Beispiel  angenommener  Jemand,  gerade  jemand^ 
etwa  jemand ;  daher  nie  mit  Negationen  verbunden;  weshalb 
auch  nuspiam^  was  gerade  nirgends  heissen  miisste,  ein  erst 
in  neuerer  Zeit  geschaffnes  Unding  ist,  das  die  alte  gesunde 
Logik  der  Lateiner  nicht  kannte.  Quisquam  dagegen  enthält 
den  Begriff  irgend  jemand  stets  mit  einer  gewissen  Assevera- 
tion  von  Seiten  des  Redenden  ausgesprochen,  ein  contendiren- 
des  und  daher  stets  stark  betontes  irgend  jemand.  Dass  nun 
dasselbe  sich  ganz  vorzüglich  zu  einer  Verbindung  mit  Negati- 
onen eigne,  ist  sehr  begreiflich,  allein  daraus  zu  folgern,  wie 
von  vielen  neuern  Granmiatikern  geschehen  ist,  dass  es  nie 
ohne  Negation  stehen  könne,  bleibt  demohngeaclitet  ein  voreiliger 
Schlnss,der  durch  eine  grosse  Masse  Stellen  hinreichend  wider- 
legt wird.  Ganz  dieselbe  Bedeutung  hat  auch  idlus,  das  sich  von 
quisquam  nur  wie  qui  von  quis  oder  wie  Adjectivum  von  Sub- 
stantivum  unterscheidet,  woraus  sich  zugleich  auch  leicht  er- 
giebt,  warum  von  ersterem  die  Formen  qnaeqiiam.,  quodquam^ 
quanquam,  qnaquam  und  der  Plural  nicht  vorkommen.  Jene 
vis  asseverandi  bei  qtiisquam  und  vUus  ist  übrigens  gleich  in 
dem  Ursprung  der  Wörter  bedingt  und  liegt  bei  fiuisqnam  in 


Rainshorn :   Lalcinische  Grammatik.  47 

quam  (wie  sein),  bei  nlhis  aber  \\\  der  Natur  des  Deminutivs 
{iimis^  wmliis^  wdus^  ?///?^9, s.  Sclineiderl  p. 300).  Qm'damist  ein 
^ewisser^  jemand,  den  man  wolil  als  bestimmtes  Individuum  ira 
Sinne  hat,  aber  niclit  namentlich  und  näher  bezeichnet,  und 
zwar  entweder,  weil  man  nicht  kann,  oder  weil  man  nicht 
will ;  etwas  verscliicden  davon  ist  das  häufig  mit  quidam  ver- 
bundne  cerlus ^  d.  i.  ein  besliinmtcr,  ein  gewisser,  den  man 
wohl  näher  angeben  könnte,  aber  gerade  nicht  will.  Der  Ge- 
brauch, quidam  zu  Nominibus  propriis  zu  setzen,  um  damit 
die  Obscurität  der  Person  zu  bezeichnen,  sclieiut  mehr  bei  den 
Spätem,  als  in  der  friiliern  Spraclie  sicli  zu  finden. 

Vergessen  hat  der  Ilr.  Verl',  etwas  Näheres  über  die  Pro- 
nomina zu  sagen,  welche  jeder  bedeuten.  Er  erwähnt  nur, 
dass  quisquis^  qiiisque  und  quicunque  zuweilen  mit  einander 
verwechselt  wiirden;  qnilibet^  qiiivis^  singtdi^  ojnnis  aber,  de- 
ren Zusammenstellung  und  Verglcichung  gewiss  auch  sehr  wiin- 
schenswerth  gewesen  Aväre,  werden  ganz  übergangen.  Die 
früher  §  8T,  2  über  den  Unterschied  zwischen  qiiisqiiis  und 
quicunque  aufgestellte  Meinung,  dass  ^^quisqiiis  wer  es  auch 
scyn  mag,  d.  i.  Einer,  unbestimmt,  welcher;  quicunque \QiSiGV 
welcher,  d.i.  alle"  bezeichne,  hat  der  Hr.  Verfasser  in  den 
corrigendis  wieder  zurückgenommen,  aber  ohne  dafür  etwas 
andres  aufzustellen,  und  auch  ohne  hier  am  zweiten  Orte 
jene  Zurücknahme  seiner  Meinung  zu  berücksichtigen.  Wir 
halten  indess  diese  Zurücknahme,  die  wohl  nur  durch  eini- 
ge Dichterstellen,  in  denen  quicunque  mit  der  zweiten  Per- 
son des  Verbi  sich  findet  (Ovid.  Met.  9,  312;  14,  378  u. 
e.  a.)  und  nicht  durch  Burm  a uns  seichtes  Raisonnement  zu 
Quinctil.Declam.  8,9  veranlasst  wurde,  für  unnöthig,  und  glau- 
ben vielmehr ,  dass  jener  Unterschied  im  Allgemeinen  wenig- 
stens für  die  Prosa  als  richtig  gelten  könne,  und  liöchstens 
noch  einige  genauere  und  näher  bestimmende  Bemerkungen 
erfordert  liätte.  Nach  unserer  Ansicht  ist  darüber  zu  bemer- 
ken, zuvörderst,  dass  quisquis  ^  als  Substantivum ,  blos  die 
Personalität^  das  zugleich  auch  adjectivische  quicunque  aber 
ausser  derselben  auch  die  Qualität  und  letztre  nicht  selten  al- 
lein berücksichtige ,  weshalb  es  auch  oft  ziemlich  soviel  als 
qualiscunque  ht.  Für  den  andern  Fall  aber,  in  welchem  qui- 
cunque die  Personalität  mehr  oder  allein  berücksichtigt,  unter- 
sclieiden  wir  beide  Pronomina  ohngefähr  eben  so,  wie  derllr. 
Verf.  sie  früher  unterschieden  wissen  wollte.  Quisquis  und  qtä- 
cunque  näjulich  heissen  dann  beide  zwar  deijenige  von  allen^ 
welcher^  allein  mit  dem  Unterschiede,  dass  man  bei  quisquis 
vorzugsweise  nur  an  ein  einziges  bestimmtes  Individuum  denkt, 
welches  unter  allen  andern  zwar  verborgen  und  uns  unbekannt 
ist,  im  Ganzen  aber  doch  als  nur  einmal  in  jener  ganzen  Menge 
wirklich  sich  befindend  gedacht  wird.     Daher  heisst  es  in  der 


48  Röniisclie  Litteratur. 

Prosa,  so  wie  iii  der  Sprache  der  Comiker  stets  quisquis  es, 
weil  der  in  dem  Du  begriflTene,  so  sehr  er  auch  unbekannt  ist, 
doch  nur  einer,  nur  ein  gewisser  von  allen  seyn,  niclit  aber 
wirklich  in  mehrern,  oder  allen  Subjecten  der  ganzen  Menge 
aufgefunden  werden  kann.  Bei  quiciuique  dagegen  ist  die  ge- 
dachte Individualität  nur  logische  Form,  d.  h.  man  spriclit 
zwar  nur  von  einem  Individuum,  aber  mit  dem  Gedanken,  ent- 
weder, dass  jedes  Subjcct  der  ganzen  Menge  wirklich  der  Ge- 
meinte seyn  könne,  oder  dass  es  wenigstens  nicht  blos  einer 
seyn  müsse,  auf  den  die  Sache  bezogen  werden  könne,  sondern 
auch  wohl  mehrere  zugleich  seyn  können.  Die  Form  des  Be- 
griffs sagt  also  freilich  nur,  derjenige  von  allen  ^  tvelcher^  aber 
der  Gedanke  ist, /erfe/"  z'ow  a//eyz,  welcher,  —  olle,  welche.  Ucbri- 
gens  begreift  man  leicht,  wie  in  vielen  Fällen  beide  Prono- 
mina stehen  können,  und  namentlich  steht  das  Neutrum  quid- 
qidd  in  Ermanglung  der  Form  quidcunque  häufig  da,  wo  man 
im  Masculinum  nicht  quisquis  ,  sondern  quicunque  gesagt  ha- 
ben würde.  Wirkliche  Verwechslungen  in  den  andern  Generi- 
bus  kennen  wir  in  der  Prosa  wenigstens  nicht,  denn  bei  Cic. 
ad  Farn.  10,  31  (^quicunque  is  est)  steht  quicunque  nur  schein- 
bar für  quisquis ,  und  eben  so  wenig  können  entgegengesetzte 
Beispiele  dafür  gelten ,  in  welchen ,  obschon  quicunque  auch 
hätte  stehen  können,  doch  das  weniger  umfassende  quisquis, 
als  auch  schon  ausreichend,  gesetzt  worden  ist.  Wo  die  Na- 
tur der  Sache  bestimmt  nur  an  ein  Individuum  zu  denken  ge- 
bietet, steht  überall  quisquis,  so  wie  dagegen  stets  quicunque, 
wenn  man  den  Gedanken  ausdrücklich  auf  mehrere  bezogen 
haben  will.  Man  sagt  also  nicht  quicunque,  sondern  quisquis 
hoc  miruni  abstulit,  da  man  weiss,  dass  es  doch  nur  einer  gewe- 
sen ist ;  anderseits  aber  nicht  quisquis,  sonderji  quicunque  vult  sal- 
vusfieri,  weil  man  die  Sache  nicht  auf  einen  beschränken,  son- 
dern ausdrücken  will,  edle,  welche.  Daher  steht  bei  quicunque 
zuweilen  auch  noch  omnis  ausdrücklich  dabei,  was  vor  quisquis 
nie  sich  iindet.  Das  andre  mit  quicunque  noch  mehr  sinnver- 
wandte, im  Ganzen  aber  eben  so  zu  unterscheidende  Prono- 
men quiqui  ist  vom  llrn.  Verf.  gar  nicht  angeführt  worden. 

§  161,  2,  S.376  ff.,  handelt  der  Ilr,  Verf.  von  den  Fäl- 
len, wo  Präpositionen  wiederholt  oder  nicht  wiederholt  werden. 
Er  führt  darunter  auch  Beispiele  von  inter  auf,  wie  Liv.  10,  4: 
cei  latum  inter  App.  Claudium  niasime  ferunt  et  int  er  P. 
Decium  Murem,  und  hält  im  entgegengesetzten  Falle,  wie  Cic. 
Lael.  10:  inter  me  et  Scipionem  disserebatur,  die  Präposition 
für  ausgelassen.  Allein  das  Verhältniss  ist  hier  von  ganz  and- 
rer Art  als  bei  den  übrigen  Präpositionen.  Die  Präposition  in- 
ter nämlich  setzt  ihrem Begrilf  nach  zweiSubjectc  voraus,  die 
durch  et  zu  verbinden  sind;  z.H.  iis  est  inter  me  et  te,  d.i. 
inter  nos ,  woraus  also  sogleich  erhellt ,  dass  in  solchen  Fäi- 


Leloup :  De  poesi  cpica  et  Pharsalla  Lucani.  49 

len  die  Präposition  keineswegs  zweimal  zu  denken  ist.  Dasa 
sie  hier  mm  dennoch  zweimal  gesetzt  werden  könne,  ist 
zwar  von  Bentley  zu  Horat.  Serm.  1,  7,  11  fälschlich  ge- 
läugnet  worden,  allein  in  dergleichen  Beispielen  findet  jsich 
dann  nicht  eine  iViederholung^  sondern  eine  Verdopplung  der 
Präposition ,  die  bei  dem  deutschen  zwischen  ebenfalls  und 
zwar  in  beiden  Sprachen  sogar  regelmässig  statt  findet ,  wenn 
der  zweite  Accusativ  vom  erstem  weiter  entfernt  steht,  als 
dass  seine  Beziehung  auf  das  friiher  vorausgegangene  inter  noch 
völlig  deutlich  wäre.  Wirkliche  Wiederholung  findet  sich  nur 
in  Beispielen,  wieTibuU.  2,  1,  67  seq.:  Ipse  inter qiie  gre- 
ges  inter  que  armenta  Ciipido  JSaliis  et  indnmitas  diciiur  in- 
ter eqnas  ;  und  diese  scheint  in  solchen  Fällen  durchgehends 
statt  zu  finden,  weshalb  man  behaupten  kann,  dass  inter  nicht 
wie  andre  Präpositionen  das  zweitemal  ausgelassen  werden  kön- 
ne. AmScJilusse  des  Paragraphen  behauptet  der  Ilr.Verf.,  dass 
nur  Dichter  in  Betheuei'ungen  Personalpronomina  zwischen  per 
und  seinen  Accusativ  einzuschieben  pflegten;  allein  der  von  ihm 
selbst  in  der  Note  für  einen  andern  Zweck  citirte  Livias  ent- 
hält gerade  in  demselben  Capitel  (üb.  23,  9)  ein  Beispiel,  dass 
diess  auch  der  Prosa  nicht  fremd  sey. 

[Die Fortsetzung  folgt.]   3^^    HoJJmann. 


Programme  der  Königl.  Preussischen  Gymnasien  im  Gross-: 
herzogthum  Niederrhein  aus  dem  Schuljahr  18|^^. 


-i^a  dem  unterzeichneten Recensenten  immer  noch  nicht  sämmt- 
liche  Programme  der  Königl.  Preussischen  Gymnasien  am  Rhein 
aus  dem  Schuljahr  18|4  ^"^  Gesichte  gekommen  sind,  so  ist  er 
ausser  Stand  gesetzt,  die  zweite  Sendung  seiner  Beurtheiluiig 
dieser  Schulschriften  jetzt  schon  an  die  Redaction  der  Jahrbü- 
cher abzuschicken.  Er  hegt  jedoch  die  Hoffnung,  diesen  Man- 
gel bald  ersetzen  zu  können,  indem  er  zu  Breslau  die  ihm  noch 
nicht  zugekommenen  Programme  anzutreffen  glaubt;  wiewohl 
es  immerhin  sehr  zu  bedauern  ist,  dass  trotz  der  Hohen  Miiii- 
sterial- Verfügung  die  Bibliothek  des  Königl.  Gymnasiuiiis  zu 
Oppein  einen  unverschuldeten  Verlust  erleiden  soU. 

1)      T   R  I   E   R. 
De  poesi    epica    et   Phar salia    Lucani  disputatio    pM- 
lologica.      Scripsit  P,   J.   Lelvup.      Aiigustae    Trevirorum ,    typis 
Hetzrodtli.   4.  32  S.  u.  S.33  —  54:    Schulnachricliten. 

Der  Verfasser  eröffnet  seine  Abhandlung  mit  der  Definition 
des  Aristoteles,  und  zwar,  weil  es  in  Trier  an  Griechischea 

Jahrb.  f.  Phil.  u.  Pädag.  Jahrg.  III.  H  :ft  5.  ^ 


so  Programme. 

Typen  fehlte,  iiiLateinisclier  Uebersetzung  nacli  Hermann; 
wir  wollen  der  grösseren  Genauigkeit  halber  den  Griechischen 
Text  hierhersetzen,  A.  poet.  cap.  5,  7  sqq.:  ?J  }iev  ovv  InoTCotta 
rij  TQayadicCf  fiexQt  ^lovov  ^largov  zal  Xoyov ,  [iißj^öig  ilvai 
öTiovöaiav  'r]'KoKovQ^7]62.  ■  ra  de  ro  ^ttgov  aTtXovv  f^eiv  nal 
{XTcayyEkiav  tlvai  tavTr]g  dLaq)BQEi.  trt  Ös  reo  (17]KEL'  tJ  ^sv  yuQ 
ort  fialiöra  TceiQärat  v:i6  (ilav  tieqloöov  yjXlov  Eivai,  ij  (ilkqov 
t'^ciXkdzTSLV  Tj  dh  InoTioua  äÖQLözog  reo  %q6vc>'  aal  xovtco 
dittcpegsi.  niXitOL  ro  tiqcötov  o^iolcog  iv  ralg  tQayaöuag  xovto 
Itioiovv,  aal  Iv  toig  snEGi.  h^qy]  da  iözi  rd  filv  tavxd  ^  za 
öf  l'ötß  ziig  zQaycpdlag .  diüTtEQ  uötig  ^eqI  zgaycoöiag  oids  ötcov- 
daiag  xai  cpavXrjg ,  oids  aal  tieqI  Inüv.  d  ^Iv  yaQ  Inonoua 
l%Ei,  vjidgxEi  zij  tgaycodUr  d  dl  avziq,  ov  ndvza  Iv  zfi  ino- 
Ttoitcf.  Hiergegen  bemerkt  Herr  Leloup,  dass  es  dieser  De- 
finition an  Deutlichkeit  des  Begriffes  felile  und  das  Wesentliche 
mit  dem  Unwesentlichen  vermengt  sey,  das  Aeussere  (Metrum) 
mit  dem  Innern  und  Nothwendigen  (Eizählung  d.  h.  dem  rein 
epischen  Element)  ;  über  die  Erzählung  hätte  Aristoteles  etwas 
umständlicher  sprechen  sollen.  Wir  möchten  jedoch  das  Me- 
trum in  der  Griechischen  Poesie  gerade  nicht  mit  Hrn.  L.  et- 
was W Ulk  Uhr  liehe  s  nennen;  denn  sonst  müsste  es  ja  auch  epi- 
sche Gedichte  geben,  die  nicht  im  daktylischen  Hexameter  ab- 
gefasst  wären.  Die  äussere  Form  war  in  der  Hellenischen  Poe- 
sie ebenso  wenig  etwas  Willkührliclies,  als  der  innere  Gehalt; 
beides  stand  in  der  engsten  Beziehung  zu  einander.  Denn  alles, 
was  der  Geist  zufolge  eines  innern  Dranges  der  Natur  aus  der 
Dunkelheit  ans  Licht  fördert,  ist  als  nothwendiges  und  wesent- 
liches Gesetz  zu  betrachten.  Dem  Hellenischen  Geiste  war  es 
nun  einmal  nicht  anders  möglich ,  als  sich  zur  epischen  Poesie 
des  Hexameters  zu  bedienen;  mithin  war  für  ihn  dieses  Metrum 
nothwendiges  Gesetz.  Denn  wollen  wir  über  die  geistigen  Er- 
zeugnisse eines  Volkes  ein  richtiges  Urtheil  fällen,  so  müssen 
wir  uns  auch  seine  Individualität  anzueignen  verstehen  und  nicht 
raitürtlieilen  a  priori  hervortreten,  die  grösstentheils  aus  der 
Luft  gegriffen  sind.  Das  Urtheil  des  Aristoteles  ist  also  ganz 
richtig,  insofern  wir  an  ihm  einen  Kritiker  haben,  der  den  Hel- 
lenischen Geist  (keinen  andern),  sowie  ersieh  in  den  poetischen 
Darstellungen  der  schönsten  Zeit  gestaltet  hatte,  rein  und  lau- 
ter zu  erfassen  verstajid.  Will  aber  heutigestages  Jemand  iiber 
die  epische  Poesie  überhaupt  handeln ,  dann  muss  er  freilich 
von  einem  m  eitern  Gesichtspunkte  ausgehen  und  manches  als 
unwesentlich  ansehen ,  was  dem  Griechischen  Kritiker  noch 
wesentlich  erscheinen  musste. 

Die  Thaten  der  Vorfahren  können  auf  zwiefache  Art  be- 
schrieben der  Nachwelt  iiberliefert  werden,  „vel  ita  ut  intelle- 
ctus  ea,  quae  vere  gesta  sint,  nulla  re  mutata,  disponat,  vel 
ut  imaginandi  facultas  fortibus  et  claris  virorum  f actis  fortitudi- 


Lelou^) :    De  poesi  eplca  et  Pharealla  Lucan!.  51 

ncm  et  decus  ad  dat.  Uni  rationi  veritas  et  res  (das  Reale), 
alteri  idea  (das  Ideale)  lex  et  noriiia  crit."  Die  letztere  Art  der 
gescliichtliclieiiUeberlieferungen  wird  bei  jedem  Volke  das  Ue- 
bergewicht  behaupten,  dessen  geistige  und  sittliclie  Entwicke- 
lung  auf  dem  Wege  der  Natur  ohne  fremde  Zuthat  vor  sich 
geht.  Schon  in  den  Ilonierisclien  Gedichten  erscheinen  die 
Sänger  Phemios  und  Demodokos.  Ilr.  L.  erwähnt  bei  dieser 
Gelegenheit  auch  die  kyklischen  Dichter,  scheint  aber  noch 
eine  falsche  Ansicht  über  dieselben  zu  haben ,  die  er  gewiss 
fahren  lassen  wird,  wenn  er  Wüilners  gehaltvolle  Abhand- 
lung de  Cyclo  epico  mit  Aufmerksamkeit  gelesen  hat.  Was 
über  die  ältesten  Heldengesänge  der  Römer  beigebracht  wird, 
gehört  weniger  zur  Sache.  Sodann  wird  über  die  Bedeutung 
des  epischen  Gedichts  im  Allgemeinen  gesprochen ,  aber  sehr 
ungenügend  und  einseitig.  Ks  würde  hier  zu  weit  führen,  die 
Behauptungen  des  Verfassers  Wort  für  Wort  durchzugehen  und 
zu  widerlegen,-  wir  wollen  daher  nur  in  aller  Kürze  bemerken, 
dass  zu  einer  richtigen  Beurtheilung  der  epischen  Poesie  der 
Gegensatz  zwischen  ihr  und  der  lyrischen  streng  hervorgeho- 
ben werden  muss  :  diese  stellt  die  innere  Welt  des  Dichters,  sein 
eignes  Gefühl,  dar;  jene  das  äussere  Leben,  M'ie  es  in  der  Seele 
des  Dicliters  sich  abspiegelt.  Das  Hauptelement  der  epischen 
Poesie  ist  also  das  Objective^  der  lyrischen  das  Siibjeclive. 

Hierauf  gelit  Hr.  L.  zu  des  Lucanus  Pharsalia  über:  „Phar- 
galiae  libr.  I —  IX,  a  Rubicone  trajecto  scilicet  usque  ad  Caesa- 
ris  in  Aegyptum  adventuni,  cyclum  quendam,  meo  judicio,  ab- 
solutum  efficiunt.  Caput  enim  Pompeji ,  quod  ibi  Caesari  afFer- 
tur,  victoriae  foedae  pignus  est,  cupitque  scire  lector,  quos- 
nam  animos  Caesar  prae  se  ferens  triste  hoc  spectaculum  viderit. 
Quae  decimo  libro  de  Cleopatra,  Achilla  et  Pothino  subjecta 
sunt ,  quorsum  tendant  et  quomodo  cum  praecedentibus  cohae- 
reant ,  parum  constat.  Certe  a  summa  nostri  carminis  ,  quale 
liodie  est,  aliena  sunt.  Neque  ab.solutus  est  über  iste  decimus, 
cum  Caesar  optetne  antimeatraoridubius  narratioque  imperfecta 
relinquatur.  Vel  angustiae  illius,  cum  versus  545  modo,  ceteri 
695  — 1105  habeant,  eum  non  absolutum  esse  significant.  Adde 
Catonem ,  qui  post  Pompeji  necem  Africae  cum  copiis  advectus 
per  inhospitas  regiones  ad  regem  lubam  tendebat,  niedio 
in  itinere  a  Lucano  mitti,  neque  nllani  amplius  de  eo  men- 
tionem  fieri."  Diese  in  dem  Gedichte  auffallenden  Erscheinun- 
gen haben  früher  schon  allerhand  Vermuthungen  veranlasst. 
Jacobs,  Nachträge  zu  Sulzers  Theorie  Bd.7  Th.  2  S.  5>-l:7,  glaubt, 
Lucanus  habe  die  über  die  Ermordung  Cäsars  triuniphirende 
Freiheit  besingen  wollen.  Hr.  L.  bemerkt  mit  Recht  hierge- 
gen, dass  diese  Ansicht  der  Aussage  des  Lucanus  selbst  wider- 
spreche, gleich  im  Eingange:  Jusque  datmn  sceleri  canimus. 
„iVihil  aliud  mea  sententia,  si  sibi  coustare  vohiit ,    IVoster  ca- 

4* 


52  Programme. 

nere  potnit,  quam  \iros  qiii  a  partibus  Pompeji  stelerant  a 
Caesare  ipso  subactos.  Ac  fortasse  ,  proelio  ad  Mniidam  ne- 
glecto,  iiiCatone  illo,  cujus  copiae  victae,  animus  indevictus  fuit, 
constitisset."  Als  Zweck ,  welchen  sicli  Lucauus  bei  Dichtung 
der  Pharsalia  gesetzt  habe,  wird  die  Uebermacht  eines  einzi- 
gen Mannes  (des  Cäsars)  Vibcr  die  Gesetze  angegeben.  Alle 
Begebenheiten,  die  sich  in  diesem  Kreise  bewegen,  überschrei- 
ten kaum  den  Zeitraum  Eines  Jahres,  und  Aviderstreiten  daher 
nicht  der  epischen  Einheit;  aucli  bieten  sieneben  vielen  Schrek- 
kensscenen  manches  Ermunternde  und  Erhabene  dar.  „Caesar 
enim  (heisst  es  S.  1-4.),  quamvis  patriae  hostis,  anirais  geiiero- 
sis  et  acribus  eminet,  atque  ubique  amor  patriae  ac  defensio 
libertatis  commendantur.  Deindc  in  suo  carmine  monstrat  no- 
bis  poeta  numen  aeternum ,  quod  rerum  ortum  et  interitum,  li- 
bertatis aut  tyrannorum  dominatum  imperat."  —  Schon  Her- 
mann im  Anhang  zu  seiner  Ausgabe  der  Aristotelischen  Poetik, 
de  tragica  et  epica  poesi  p.  209,  tadelt  den  Anfang  desLucani- 
schen  Gedichtes : 

Bella  per  Emathlos  plus  quam  civilta  campos. 
„Sic  qui  dixit,  nihil  dixit  poeticum.  Quamquam  enim  plus  quam 
civilia  bella  intelligiraus,  quae  gravius  quiddam  et  atrocius 
sunt,  quam  civiüa,  non  habemus  tanien  qualia  ea  esse  dicamus, 
quia  quid  non  sint,  non  quid  sint,  iudicat.  Quid  vellet  intelligi, 
pauUo  post  dixit, 

cognatasque  acles  ; 
quod  melius  l'ortasse  et  majore  cum  vi  dixisset, 

fraternasque  acies.'"'' 

Hr.  L.  entgegnet,  fast  in  jedem  andern  Bürgerkriege  kämpf- 
ten Verwandte  oder  gar  Brüder  gegeneinander ;  der  Dichter 
aber  nenne  dai'um  diesen  Krieg  plus  quam  civile  ^  weil  hier 
nicht  freie  Bürger  gegen  einander  kämpften,  sondern  weil  liier 
die  Freiheit  mit  der  Tyrannei  im  Kampfe  stand.  Gotter  und 
Religionen  üben  nur  dann  in  einem  epischen  Gedichte  den  ge- 
hörigen Eindruck,  wenn  sie  mit  dem  Volksglauben  eng  ver- 
schmolzen sind,  und  der  Dichter  selbst  von  ihrem  Einfluss  auf 
das  menschliche  Gemüth  durchdrungen  ist.  Sonst  ist  es  nur 
eitles  Spiel  und  leeres  Blendwerk.  Im  Zeitalter  des  Lucanus 
war  Frömmigkeit  und  Mahre  Gottesfurcht  aus  dem  Bu-en  des 
Volkes  gewichen:  an  ihrer  Statt  erblickte  man  einersets  sitt- 
liche Versunkenheit,  andrerseits  blinden  Aberglauben  und 
feile  Sterndeuterei.  Daher  Tacitus  Hist.I,  22  von  den  Mathe- 
maticis  :  genus  hominutn  potentibus  iiifidum^  sperantibus  fal- 
lax^  quod  in  civüole  nosiraet  vetabitur  semper  et  relinebi  iir. 
Wir  haben  diese  Stelle  hier  abgeschrieben,  Aveil  sie  bei  Hrn. 
L.  sowohl  durch  Druckfehler  als  durch  falsche  Interpunction 
entstellt  ist.    Es  ist  also  d,er  Sitte  des  Zeitalters  angemessen, 


Lcloup :  De  pocsi  epica  et  Fharsalia  Lucani.  53 

wenn  Liicanus  dergleichen  Weissagerscenen  seinem  Gedichte 
einwebt.  Das  scliönste  Bild  gewährt  jedoch  die  Stelle,  wo  das 
Vaterland  dem  Cäsar  erscheint ,  als  er  über  den  llubico  gehen 
wollte,  I,  185  sqq.: 

Ut  venttim  est  parvl  Rubiconis  ad  undas, 
Ingens  visa  diici  patriae   trepidantis  iniagfo, 
Clara  per  obscurani   vuUu  raoestissiina  iioctem, 
Turrigero   canos   elFiindcns  verticc   crines, 
Caesarie  lacera,  nudisque  adstare  iacertis, 
Et  geraitu  permista  loqui  u.s.  w. 

Hierauf  wird  von  S.  20  ab  über  die  Helden  des  Gedich- 
tes gesprochen.  So  trefflich  dem  Horaeros  die  Charakteristik 
des  Achilleus ,  so  wenig  gelungen  ist  dem  Virgilius  die  Schil- 
derung des  Aeneas.  Unter  den  neuern  Dichtern  liebt  der 
Verf.  hauptsächlich  den  Tasso  hervor,  der  da  besungen  Var- 
me  pietose ,  durch  welche  befreit  worden  //  gran  sepolcro  di 
Cristo.  Näher  aber  liegt  uns  das  epische  Gemälde ,  wel- 
ches der  Dichter  der  Nibelungennoth  in  der  Zeichimng  des 
Siegfrieds  entworfen  hat.  Ueber  die  Pharsalia  bemerkt 
Hr.  L, :  „Quam  incertis  lineamentis  Caesar  et  Brutus,  ante  alios 
Porapejus  descripti  sunt!  in  exponendis  natura  et  dotibus  eo- 
rum ,  quam  parum  vigoris  et  roboris!  Certe  Pompejus  ille, 
qui  1 ,  131  pace  dedidicit  ducem  et  totus  j^opularibus  auris  im- 
pellitui\  non  is  est,  qui  magnam  sui  exspectationem  moveat."  — 
Als  fehlerhaft  in  der  Darstellung  des  Lucauus  wird  erstlich 
angegeben  „rigor  quidam,  quo  sententiae  non  suopte  fluunt, 
sed  operose  conglutinatae  esse  videntur.  Quare  Lucani  poesi 
deest  id,  quod  narrantis  carmiais"  (ich  weiss  nicht,  ob  die- 
ser Ausdruck  für  das  Deutsche  erzählendes  Gedicht  im  Latei- 
nischen seine  Gewähr  findet)  „ante  omiiia  proprium  esse  debet, 
lucida  illa,  rebus  et  personis  apta  narratio."  Ei  i  zweiter  Feh- 
ler ist  „inanis  abuudantia,  quae  sophistam  vel  rabulam  ma- 
gis  quam  poetam,  cujus  os  magna  ^  non  tnulta  sonare  opus  est, 
refert.*"'  Auch  in  den  Veigleichiuigen  ist  Lucanus  nicht  mu- 
sterhaft. 

Um  uns  kurz  zu  fassen ,  wollen  wir  das  Resultat  der 
ganzen  Untersuchung  mit  den  eignen  Worten  des  Verfassers 
wiedergeben : 

I)  „Pharsalia,  qualis  hodie  circumfertur ,  non  est  perfe- 
cta; at  novem  priores  libri  per  se  corpus  quoddam  efficiunt. 
U)  Älateria  novem  horum  librorum,  siveres,  sive  tempus  eo- 
rura  intueris,  cum  iis,  quae  poesis  epica  postulat,  congruit. 
HI)  Argumentum  Pharsaliae  est  Imperium  hominis  imperio 
legiim  potentius  factum.  IV)  Ob  religiones  priscas  in  car- 
mine  omissas  laudem  potins  quam  vituperationem  Lucanus  mere- 
tur.     V)    Heroes  Pharsaliae    incerte  ac  male    sunt    delineati. 


&4  Programme. 

VI)  De  dicendi  genere:  a)  Vel  cum  alias  personas  loquenteg 
Lucanus  inducit,  poeta  semper  et  artlfes^  at  raro  is,  qui  magna 
sonat,  deprehenditur.  b)  Dicendi  generi  in  Universum  senten- 
tiarum  luciditas"  (das  ist  gar  kein  Lateinisches  Wort ;  Hr.  L. 
hat  es  wahrscheinlich  nach  dem  Französischen  fabricivt)  „et 
mollities  verborum  deest.  c)  In  narratione  Noster  languidus, 
in  orationibus  justo  plus  longus ,  in  descriptione  parum  accura- 
tus  ,  in  comparationibus  novi  appetens,  at  non  seraper  verns. 
d)  Vel  in  orationibus  non  oratoribus ,  ut  de  tota  Lucani  opera 
ait  Qiiintilianus,  sed  rhetoribus  potius  vel  sophistis  annuraeran- 
dus  est.  e)  Sententiae  interdum  vel  versus  singuli,  totus  raro 
sententiarum  ordo,  virtutibus  nitet."  (Wir  hätten  besseres 
Latein  fiir  diesen  Satz  gewünscht.) 

Die  Veranlassung  zu  dieser  Abhandlung  gab  eine  Hand- 
schrift einigerstellen  des  Lucanus,  die  sich  auf  dem  Deckel 
des  Buches :  Epithoma  (sie)  expositionis  CanoJiis  ?nissae  tnagi- 
stri  Gabrielis  Biel  sacre  theologie  Ucentiaii  befindet.  Sie  ent- 
hält V,  663  —  702;  706  —  747;  VI,  304  —  345;  352—390; 
490—503;  532  —  549,  VII,  367  —  384;  416  —  429.  Hr.  L. 
setzt  diese  Handschrift  ins  zwölfte  Jahrhundert,  und  theilt 
daraus  folgende  Lesarten  mit:  V,  667:  ad  iimbras  mit  darüber 
geschriebenem  ad  U7idas.  696:  ad  swnmani  belli ^  darüberge- 
schrieben ad  fatum ,  wie  Vulg.  698 :  hie  ne  usus.  709  :  veli 
ventique.  722.  Ueber  collatis  steht  collectis.  739:  non  nunc 
mihi  vita.  747:  satis  est  Magtii  audisse  pericla.  VI,  318: 
hortantur  patrias  sedes.  321:  remisso,  darüber  remoto  a  me^ 
und  am  Rande  dimisso.  337:  rapidi.  352:  Theleos.  354:  M. 
sagitlis^  dditüher  pkaretris.  364:  Eveneus^  darüber  ^^'e/^os. 
384:  s.  fregere.  388:  Monice.  390:  everteret.  544.  Ueber 
rumpit  steht  geschrieben  rapidt.  VII,  374:  populum^  jedoch 
ist  durch  spätere  Hand  der  letzte  Buchstabe  min  s  verwandelt 
worden.     421:  omiiibiis  armis  ^   darüber  annis. 

Den Schulnachrichten  ist  von  dem Director  Wyttenbach 
ein  kurzer  Ueberblick  der  Geschichte  des  Trierischen  Gymna- 
siums beigefügt  worden,  woraus  wir  Folgendes  mitzutheilen 
geneigt  sind:  „In  unsrer  Stadt  wurden  die  alten  Dom-  und 
Rlosterschulen  des  Mittelalters  mit  ihremTrivium  und  Quadri- 
vium ,  ^e^ge,ii  das  Ende  des  15ten  Jahrhunderts  durch  das  neu 
entstandene  CoUegium  zum  h.  German  verdunkelt,  worin  Welt- 
geistliche lehrten,  welche,  ihres  edlen  Eifers  wegen,  von  ih- 
ren dankbaren  Zeitgenossen  die  goldenen  Priester,  auch  die 
guten  Brüder  genannt  wurden.  Ein  Jahrhundert  später  war 
die  Zeit  des  Abstcrbens  auch  für  diese  braven  Schulmänner 
gekommen.  Die  Jesuiten,  die  bald  überall  Boden  und  Macht 
fanden,  hatten  sie  verdrängt.  Als  auch  diese,  nach  einer 
Dauer  von  zwei  Jahrhunderten,  die  ausschliessliche  Führung 
der  gelehrten  Schulen  bei  uns  verloren ,   sahen  wir ,  in  einem 


Fiedler :  De  crrorlbas  Aeneac  ad  Phoenic.  coIon.  pertinentt.     55 

Zeiträume  von  nicht  30  Jahren ,  wcclisehid  bald  Weltgeistli- 
che, bald  Piaristen  an  der  Spitze,  In  der  Periode  der  ver- 
schiedenen Französischen  Regierungen  erlebten  Avir  wieder 
völlig  neue  Umwandlungen.  Neue  Formen  folgten,  innerhalb 
20  Jahren,  schnell  auieinsnder  —  bis  cndlicli  auch  diese  zu 
Grunde  gingen."  —  Darauf  wird  die  Frage  berührt,  ob  das 
Alte  besser  sei ,  oder  das  JNeuc,  und  dahin  beantwortet,  dass 
man  keinem  von  beiden  einen  entschiednen  Vorzug  einräumen 
dürfe.  „Auf  allen  Fall  bedürfen  alle  Formen  des  tuahreii  Gei- 
stes^ der  einzig  und  allein  lebendig  zu  machen  versteht.  Der 
blosse  Buchstabe  ist  todt.  —  In  der  Bildung  des  Menschen 
unterschied  man  als  eine  ewige  Wahrheit  von  jeher,  in  der  al- 
ten wie  in  der  neuen  Zeit ,  nur  bald  heller ,  bald  weniger  hell, 
drei  Vollkommenheiten,  welche  die  Resultate  jener  Bildung 
ausmachen:  erjistes  Forschen  nach  Wahrheit^  lebendige  Ach- 
tu?ig  des  Guten  durch  JVeckiing  der  sittlichen  und  religiösen 
Gefühle ,  und  reines  Wohlgefallen  am  Schönen}'' 

Das  Verzeichniss  der  Lehrgegenstände  ist  nicht  nach  der 
bestehenden  Ministerial  -  Anordnung  eingerichtet. 


2)     Wesel. 

De  err  oribus  Aeneae  ad  Phoenicum  colonias  per- 
tinentibus.  Scripsit  Fr.  Fiedler.  Vesaliae,  Becker.  4. 
20  S.  u.  S.  21—26:    Schulnachrichten. 

Seitdem  das  kritische  Studium  des  classischen  Alterthnms  im 
höheren  Sinne  immer  mehr  Wurzel  fasste  und  namentlich  durch 
Heynes  unsterbliche  Verdienste  in  hohem  Grade  gefördert 
wurde,  fieng  man  auch  endlich  an,  dasjenige  nicht  mehr  als 
baare  Münze  anzuerkennen,  was  Lateinische  Dichter  und  Ge- 
schichtschreiber iiber  die  Irrfahrten  des  Aeneas  niederge- 
schrieben haben.  Dieser  Zweig  der  Gescliichtsforschung  fand 
nun  an  Niebuhr  einen  Mann,  der  mit  tiefer  Kenntniss  des 
Alterthums  ruhige  Besonnenheit  verband ,  wodurch  er  seinem 
Ziel  immer  näher  kam  und  die  schlichte  Wahrlieit  von  will- 
kührlichen  Zudichtungen  zu  untersclieiden  verstand.  Weniger 
bedeutend  ist  die  durch  Niebuhrs  Werk  veranlasste  Römi- 
sche Geschichte  von  Wachsmuth.  Scharfsinnige  Bemer- 
kungen hat  auch  A.  W.  Schlegel  in  seiner  Itecension  von 
Niebuhrs  Rom.  Geschichte  (Heidelberger  Jahrbücher  1816  N. 
53  ft.)  niedergelegt.  Was  nun  aber  gerade  die  Irrfahrten  des 
Aeneas  betrilft,  so  ist  uns  bis  jetzt  nichts  Scharfsinnigeres  vor- 
gekommen, als  was  C.  O.  Müller  im  Classical  Journal  (wir 
können  in  diesem  Augenblick  den  Band  und  die  Seitenzahl  nicht 
genau  angeben)  mit  grosser  Gelehrsamkeit  vorgebracht  hat. 
Herr  Fiedler  scheint   von   dieser   Lateinisch    geschriebenen 


56  Programme. 

Abhaiulluiij»  nichts  gewusst  zu  haben;  sonst  hätte  er  mancher- 
lei daraus  lernen  können. 

Die  Trojaner,  welche  unter  Anfiilirung  des  Aeneas  nach 
Italien  geschifft  sein  sollen  ,  sclicincn  unserm  Verfasser  Phö- 
niker  gewesen  zu  sein,  auf  jeden  Fall  aber  Menschen,  die  aus 
Phönikischen  Colonien  ausgegangen  und  zur  GrVmdung  neuer 
Wohnsitze  ausgezogen  sind  Aus  diesem  Umstände,  meint 
er,  Hessen  sich  eine  Menge  Dunkelheiten  in  der  Italischen  Ge- 
schichte erklären.  Einen  Theil  seiner  dessfalls  angestellten 
Untersuchungen  liat  Hr.  F.  in  diesem  Programm  niitgetheilt. 
„Quamquam  plurima  (heisst  es  S.  4.)  in  rerum  Phoeniciarum  et 
Trojanarum  historia  dubia,  incerta  suspensaque  habentur ,  ex- 
stant  tamen  indicia  quaedam,  non  itafallacia,  quae,  si  sobrie 
et  caute  iis  utamur,  in  vero  indagandt)  nos  adjuvare  et  ad  res 
Phoenicum  illustrandas  Graecorumque  mytlios  explanandos  op- 
portunam  saue  facultatem  dare  possiiit.  lila  autem  indicia  par- 
tim ex  veterum  scriptorum  testimoniis ,  partim  ex  artium  operi- 
hus ,  numis ,  deorum  simulacris  signisque ,  partim  ex  com- 
paratione  linguaruni  veterum  et  vocabulorum  originatione, 
caute  prudenterque  tractanda,  petenda  sunt,  unde  simi- 
litudo  et  convenientia ,  quae  Phoenicum  inter  et  Graecorum 
Italorumque  Sacra  intercesserit,  luculenter  appareat:  quae  res 
in  coloniarum  origine  et  cognatione  investiganda  sujiima  cum 
diligentia  observentur."  Hier  wird  nun  zunächst  von  der  Reli- 
gion gesprochen.  Leider  aber  müssen  m  ir  zum  voraus  gestehen, 
dass  des  Vei'fassers  mythologische  und  etymologische  Träu- 
mereien und  Sprachmischereien  unsrer  Ansicht  durchaus  nicht 
zusagen  wollen.  Die  Syrer  und  Phöniker  vereinten  Sonne  und 
Mo?id,  wovon  die  erstere  auch  die  einheimischen  Namen  Mo- 
loch  und  Baal  geführt.  Mit  dem  letzteren  Worte  sind  dem 
Verf.  Belus^  "Hliog,  'Jßehog  verwandt.  Wer  das  zu  glau- 
ben Lust  hat,  der  mag  sich  mit  sich  selbst  abfinden;  dem  Re- 
censenten  kommt  es  zu  tiefsinnig  vor,  und  er  bekennt  offenher- 
zig, dass  er  nicht  zu  den  Eingeweihten  dieser  etymologischen 
Secte  gehört.  Der  Mond  als  zeugende  Naturgottheit  oder  Erde 
hiess  bei  den  Orientalen  ^starte  oder  Astaroth^  bei  den  Grie- 
chen'y^qppoötri;  OvQKvla,  fenus  coelestis  ^  die  nach  Cicero 
(N.  D.  III ,  23)  in  Syrien  und  in  Tyros  aufgenommen  worden 
und  Aqix  Adonis  geheurathet  haben  soll,  bald  Juno^  bald  Diana 
und  Lucina  genannt.  Die  Verehrung  des  Herakles  unter  den 
Tyriern  ist  allgemein  bekannt;  es  ist  aber  sein  Cultus  mehr 
dem  Namen,  als  der  Sache  nach,  denn  der  Hellenische  i/e/-«- 
kles  enthält  einen  ganz  andern  Begriff  in  sich.  Die  Kabiren  w  er- 
den den  Römischen  Penaten  zur  Seite  gestellt.  Die  hier  und 
da  sich  findenden  Spuren  von  Menschenopfern  sollen  von  den 
Phönikern  und  ihren  Colonien  ausgegangen  sein.  Wer  das 
Hrn.  F.  aufs  Wort  glauben  w  ill ,   der  mag  es ;  wir  verlangen 


Fiedler:   De  crrorlbus  Aencae  ad  Phoenic.  colon.  pertlnenlt.     ölf 

Beweise  dafiir,  die  wir  verfreLens  suchten.  —  Zu  den  Inseln, 
worauf  sich  Pliönikcr  niederliessen,  gehört  auch  Tenedos^  die 
darum  nach  Plln.  II.  N.  V,  31)  auch  Plioenlce  genannt  wurde. 
Von  daher  seien  manche  Pliönikisclie  llcligionsgebräuche  nach 
Troja  verpllanzt  worden.  Die  Einwohner  von  Tenedos  niin,  so- 
wie Aon  Chios,  opferten  dem  /JiövvGoq  (o^iäöiog  einen  Men- 
schen, AvelcJien  Brauch  Böttiger  {Idee7i  zur  Ärmst- Mijtho- 
lo^ie  I  p.  389  f.)  auf  den  Phönikischcn  Sonnengott  zurVickgc- 
fiilirt  hat,  nach  dem  sich  der  Hellenische  Dionysos  gebildet 
habe.  Ferner  wurde  Mehx^Qttjg  auf  Tenedos  durch  Knaben- 
opfer verelirt,  der  hier  für  den  Moloch  ausgegeben  wird.  Auf 
Münzen  aou  Tenedos  erscheinen  die  Köpfe  der  Sonnen-  und 
Mondgottheit  (wenn  anders  die  Erklärung  richtig  ist)  vereinigt, 
woraus  sich  nach  Bot tig er  der  zweiköpfige  Jcmus  gestaltete. 
Aus  Samothrake  soll  Dardanos  den  Phönikischen  Dienst  der  Ka- 
biren oder  Dioskuren  mitgebracht  haben.  Aus  Kreta ,  worauf 
seit  uralter  Zeit  Phöniker  hausten,  kam  Teuker  nach  Troja, 
was  uns  natürlich  auf  Phönikische  und  Kretische  Colonien  zu- 
rückführt, cf.  Heynii  Excurs.  V  ad  Yirgil.  Aen.  III.  Die  Troi- 
schen  Penaten  werden  für  die  PJiöuikischen  Kabiren  gehalten. 
Eine  der  Ilauptgottheiten  Trojas  war  unstreitig  'AcpQOÖlr^],  wie 
aus  den  Homerischen  Gedichten  hinlänglich  hervorgeht.  — 
Nachdem  Aeneas  am  Thrakischen  Ufer  gelandet  war,  gründete 
er  die  Stadt  Äivua.  v.  Ilellauic.  ap.  Dionys.  Hai.  I,  47  und  40, 
Steph.  Byz.  v.  AXvblcc.  Nun  kamen  209  Jahre  nach  der  Troi- 
schen  Zeit  die  von  den  Ephesieru  vertriebenen  Samier,  deren 
Insel  vor  Alters  Phöniker  bewolinten,  nacli  Samothrake.  cf. 
Müllers  Orchomenos  p.  452.  Hr.  F.  fügt  noch  hinzu :  „partim 
ad  Aeniam  urbem  munisse  castellum."  In  der  uns  vorliegenden 
Ausgabe  des  Pausanias  (VII,  4,  3)  heisst  aber  die  Stadt  nicht 
AXvblu^  sonAexw  "Avaia.  Wir  können  nicht  angeben,  ob  es 
hier  verscliiedene  Lesarten  gibt;  als  gründlicher  Forscher  aber 
hätte  Hr.  F.  diesen  Umstand  nicht  stillscliweigend  übergeheji 
dürfen.  Hierauf  steuerte  Aeneas  nach  Delos ,  wo  König  Anios 
ihm  seine  Tochter  Lavinia  oder  Launia  zur  Gemahlin  gibt. 
Auch  hier  wittert  Hr.  F.  Phönikischen  Cultus,  der  uns  aber 
nicht  recht  klar  werden  will.  Von  Delos  aus  kam  Aeneas  nach 
Kreta,  wo  er  die  Stadt  Pergamos  oder  Pergauieia  gegründet 
haben  soll.  cf.  Böttiger.  1.  c.  p.  S07  sqq.  377  sqq.  So  wird 
nun  der  Zug  des  Aeneas  noch  weiter  verfolgt,  dem  wir  aber 
nicht  Spur  für  Spur  nachgehen  wollen,  weil  im  Ganzen  doch 
nicht  viel  dabei  herauskommt.  Noch  wollen  wir  erwähnen, 
dass  S.  17  f.  sogar  das  Orakel  zu  Dodona  für  Pliönikisch  ge- 
halten wird,  welches  Herodotos  (II,  54),  durch  Aegyptische 
Priester  getäuscht,  aus  dem  Aegyptischen  Theben  herleitete. 
Kein  Mensch  aber ,  dem  das  Studium  des  Alterthums  nicht  ein 
leeres  Spielwerk  ist ,  wird  die  Auctorität  des  Homeros  und  He- 


5S  Programme. 

Biodos,  wenn  sie  irgendwo  das  Dnnkel  der  Hellenischen  Vorzeit 
beleuchten,  mit  Füssen  treten  wollen,  lioraeros  mm  II.  ^,  233 
erwähnt  den  Dodonäischen  Zens  und  nennt  ihn  Pelasgisch: 

Zev  ava^   zJadavals,    TiEXaöyL'jis ,  rr]Xö^^L  vaiaVy 

^codavrjg  ^sdeav  Övgx^i^BQov  '/.■  x.  k. 
Ferner  Ilesiodos  Fragm.  XVIII  (Gaisford)  hei  Strah.  p.  475 : 

Jco8mn]V  (pijyov  t£,  Ilslaöycov  tÖQavov ,  ii'Kiv. 
Wer  wird  also  noch  im  mindesten  Bedenken  tragen,  das  Orakel 
zu  Dodona  für  Pelasgisch,  d.  h.  für  echt  Hellenisch  zu  halten? 
Wenn  Horaeros  und  Hesiodos  von  Phönikischera  Einfluss  auch 
nur  das  geringste  gewusst  hätten,  so  würden  sie  es  unstreitig 
auf  irgend  eine  Weise  zu  erkennen  gegeben  haben;  wer  aber 
über  das  graue  Alterthum  etwas  mehr  und  etwas  besseres  wis- 
sen will,  als  die  ältesten  Hellenischen  Sänger,  der  baut  Luft- 
schlösser. 

Fragt  man  sich  endlich ,  was  das  Resultat  der  ganzen  Un- 
tersuchung sei ,  so  wird  man  in  Verlegenheit  gerathen  ,  eine 
bestimmte  Antwort  zu  geben.  Wir  wenigstens  glauben  mit  der 
innigsten  Ueberzeugung  versichern  zu  dürfen,  dass  nichts  Be- 
sonderes dabei  herausgekommen  ist.  Der  Verfasser  schweift 
zu  sehr  herum,  und  versteht  sich  nicht  genug  darauf,  seine 
Blicke  auf  Einen  Punct  zu  concentriren.  Bei  dem  reinen  und 
fliessenden  Lateinischen  Ausdruck ,  den  er  sich  angeeignet  hat, 
wäre  nur  zu  wünschen,  dass  er  damit  etwas  mehr  Gründlich- 
keit in  der  Untersuchung  verbinden ,  und  sich  nicht  so  leicht 
auf  fremde  Auctorität  verlassen  möchte. 

Das  Lectionsverzeichniss  ist  ebenfalls  nicht  verfassungs- 
mässig. 

3)     MUNSTEREIFEL. 

De  poetis  Aeneae  fzigam  atque  fata  ante  Virgi- 
Uum  de  scrib  entibus  dissertatio  philologiea.  Scripsit  ^. 
Scheben.      Coloniae,   typis  J.  G.  Schmitz.   4.   10  S.    u.  11  —  20: 

Schulnachrichtfii. 

Der  Verfasser  meint  im  Eingange  seiner  Schrift ,  eine  Auf- 
zählung der  Dichter ,  welche  vor  Virgilius  die  Schicksale  des 
Aeneas  beschrieben  hätten,  Aväre  einestheils  sehr  nützlich  für 
die  Jugend,  anderntheils  auch  den  Gelehrten  gerade  nicht  un- 
erwünscht. Indem  wir  ihm  dieses  gern  zugestehen,  wollen 
wir  untersuchen ,  in  wieweit  er  seine  Aufgabe  gelöst  hat. 

1)  Homer  OS.     II.  XX,  307  sq.  weissagt  Poseidon: 
Nvv  8b  di]  AlvHao  ßtr]  Tqcoböölv  dvd^sc, 
Kai  naidcjv  nalÖBS,   roi  hbv  fiBTOTtLö^B  ytvcovtai. 
„His  versibus  nihil  aliud  indicatur,  nisi  Aeneam,  cxciso  Priamo 
ejusque  genere,  Trojanis  imperaturum  esse,  utrum  in  ipsa  urbe 


Schebcn :  De  poetiä  Aeneae  fiigam  ante  Virgil.  descrlbcntibus.    59 

Troja,  an  loco  ei  finitimo,  non  declaravit  poeta ;  sed  cum  idem 
in  plurlbus  Iliadis  locis  Trojam  a  stirpc  inteiituvam  signiücet, 
idque  factum  esse  in  Odyssea  narret,  statuendum  est  eo  loco 
praedici,  hoc  fore,  ut  Aeneas  de  Trojaiiorum  reliquiis  non  qui- 
dem  in  iirbe  Troja,  at  tarnen  in  loco  ei  linitimo  regium  impe- 
rium  exerceat;  de  emigratione  ne  verbum  quidem  inest  in  versi- 
biis  illis.'^  Auch  hier  wäre  zu  Aviinschen  gewesen ,  dass  Hr.  S. 
M  Vi  1 1  e  r  s  oben  schon  angeführte  Abhandlung  im  Classical  Jour- 
nal gekannt  hätte. 

2)  Arktlnos.  Nach  diesem  kam  Aeneas  mit  seinen  Beglei- 
tern auf  den  Berg  ida;  von  einer  weitern  Fahrt  hat  er  nichts 
berichtet,  cf.  WüUner  de  cyclo  epico  poetisque  cyclicis  p. 
89  sq. 

ö)  Lesches.  Das  hierher  gehörige  Fragment  aus  der  klei- 
nen Ilias  hat  Tzetzes  ad  Lycophr.  v.  1263  erhalten: 

avTov  X  'Ayiiöao  yövov  jcAutov  in7(o8cc^Oio  ^ 
Alviiav^  Iv  V7]v6lv  sß/jöcao  tcovtojioqolölv  , 
tx  TtdvTOV  ziuvacöv  dys^av  ysQug  tt,oxov  äKXcov. 

üeber  die  '/Aiag  ^lkqcc  s.  Wüllner  I.  c.  p.  87,  und  vergleiche  da- 
mit ,  was  wir  in  der  llecension  dieses  trefflichen  Büchleins  in 
diesen  Jahrbüchern  gesagt  haben.  Was  Hr.  S.  darüber  bei- 
bringt, schwimmt  zu  sehr  auf  der  Oberfläche. 

4)  Feisand  ras.  Macrobius  in  Saturn.  V,  2:  Vel  quod 
(Virgilius)  eversionem  Trojae  cum  Sinoue  suo  et  equo  ligneo 
ceterisque  omuibus ,  quae  librum  secundum  faciunt^  a  Pisandr o 
paene  ad  verbum  transcripserifi  Qui  inter  Graecos  scriptores 
eminet  opere ,  quod  a  nuptiis  Jovis  et  Junonis  incipiens  univer- 
sas  historias ,  quae  mediis  omnibus  saeculis  usque  ad  aetatem 
ipsius  Pisandri  contigerunt ,  iJi  unam  seriem  coactas  redegerif, 
et  unum  ex  diversis  hiatibus  temporimi  corpus  effecerit.  In  quo 
opere  inter  historias  ceteras  interitus  quoque  Trojae  in  hunc  mo- 
dum  relatus  est ;  qiiae  fideliter  Maro  interprttando  fabricatus 
est  sibi  lliacae  urbis  ruinam.  Der  berühmte  Verfasser  der 
Herakleia  kann  hier  nicht  gemeint  sein.  Heyne  Excurs. 
I  ad  Aen.  II  vermuthet  daher,  dass  hier  der  Pisander  Larau- 
densis  gemeint  sei,  der  zu  Anfange  des  3ten  Jahrhunderts 
nach  Chr.  gelebt  und  ein  Gedicht  unter  dem  Titel  'Hgcomal 
d'Eoyaplav  verfasst  hat.  cf.  Keitemeier  ad  Zosimum  V,  29. 
Diesen  Pisander  nun  hat  nach  Heynes  Meinung  Macrobius 
mit  dem  älteren  verwechselt,  indem  er  dem  Virgilius  Com- 
pilation  vorwarf.  Herr  Scheben  findet  diese  Vermuthung  un- 
statthaft. Niebuhr  i2öV«.  Gesch.  l  S.  187  neue  Ausg.  nimmt 
an,  dass  Peisandros  der  ältere  (Ol.  33)  ausser  der  Herakleia 
noch  ein  anderes  Gedicht  geschrieben  habe ,  worauf  sich  Ma- 
crobius beziehe.  Hr.  S,  ist  damit  nicht  zufrieden,  und  spricht 
sogar  dieser  Conjectur  alle  Wahrscheinlichkeit  ab,  weil  Pisan- 


60  Programme. 

der  zu  berühmt  gewesen,  als  dass  nicht  irs:endwo  eine  Spur 
von  der  Existenz  eines  zweiten  Gcdiclites  sich  finden  sollte. 
Das  klingt  doch  ein  bischen  sonderbar;  denn  wenn  sich  Hr.  S. 
etwas  mehr  in  der  Geschichte  der  Griechischen  Litteratur  um- 
gesehen hätte,  so  wiirde  er  gefunden  haben,  dass  Beispiele  der 
Art  eben  keine  Seltenheit  sind.  Und  was  er  an  die  Stelle  der, 
wie  es  uns  wenigstens  vorkommt,  sehr  wahrscheinlichen  Ver- 
muthung  Niebuhrs  setzt,  hat  weder  Hand  noch  Fuss.  „Legerat 
ille  (Macrobius)  Pisandrum  Camircnsem  poetara  cyclicum  s. 
cycli  poetam  ;  jam  conferebat  multorum  poetai'ura  cyciico- 
rum  carmina  in  unum  Pisandrum."  Kann  man  sich  wohl  etwas 
Abgeschmackteres  denken?  Erstlich,  wo  sollte  Macrobius  ge- 
lesen haben,  dass  Pisander  ein  poeta  cyclicus  gewesen,  da  auch 
nicht  die  leiseste  Spur  von  einer  solchen  Vermuthung  vorhan- 
den ist?  cf.  Wüliner  p.  52.  Sodann  müsste  doch  Macrobius 
gar  zu  unwissend  gewesen  sein,  wenn  man  ihm  zumuthen  soll- 
te, er  habe  sich  unter  dem  Einen  Pisander  alle  kyklischen 
Dichter  vereinigt  gedacht.  Wir  glauben  steif  und  fest,  Hr.  S. 
würde  nicht  so  geurtheilt  haben,  wenn  er  sich  selbst  erst  aus 
Wüllners  Schrift  einen  bessern  Begriff  von  dem  epischen  Kyklos 
verschafft  hätte. 

5)  Stesichoros.  Auf  der  berühmten  Tabula  Iliaca  wird 
des  Stesiclioros  lyrisches  Gedicht,  ^lUov  TtBQöcg^  dargestellt, 
und  zwar  des  Aeneas  Fahi't  nach  Hesperien  bemerkt,  cf.  ]Nie- 
buhr  I  p.  187.  Auch  Müller  im  class.  Journal  verdient  hier- 
über nachgelesen  zu  werden. 

G)  Sophokles.  Dionys.  Hai.  I,  p.  48  hat  aus  dem  Laokoon 
folgende  Verse  erhalten: 

Nvv  ö'  Iv  TtvXaiGiv  Alvüccqy  6  rtjg  d'Bov 
yiccQSöT  ,  iii  ä^cov  TtaxhQ    sxav  xegawLOV 
växov  aaraötä^ovra  ßvööLVov  q)(xQog. 
üvkIbI  di  Tiäöav  olxEtav  jiaii7ih]%^iav, 
övvoTtä^erai  da  jtlrjQ'og,    ov^  oöov  donelg^ 
OL  tijgd'  Iqcoöl  r^g  0Qvy(ov  dnoLzlag. 

Aus  dem  Worte  aTtomiag  ergibt  sich  zwar ,  dass  nach  Sopho- 
kles Aeneas  ausgewandert ,  und  nicht ,  wie  Arktinos  berichtet, 
dem  jener  im  übrigen  gefolgt  ist,  im  Trojanischen  Gebiete  ge- 
blieben. Dass  aber  Sophokles  gerade  an  eine  Auswanderung 
nach  Italien  gedacht  haben  sollte,  weil  Stesichoros  schon  lange 
vorher  ihrer  Erwähnung  gethan,  kann  ebensowohl  falsch,  als 
wahr  sein. 

1)  Naevius.  Dieser  Dichter  hat  zuerst  unter  den  Lateini- 
schen die  Fahrt  des  Aeneas  nach  Latium  besungen,  cf.  Ma- 
crob,  Saturn.  VI,  2.  Aus  den  Fragmenten  des  Gedichtes  über 
den  Punischen  Krieg  geht  hervor,   dass  die  drei  ersten  Bücher 


Schebeii :  De  poetis  Aeiieae  fiigara  ante  Virgil,  describentlbus.     Cl 

die  Schicksale  des  Aeneas  umfasst  haben.     Die  hierher  gehöri- 
gen Fraf^mente  werden  -wörtlich  angeluhft. 

8)  Ennius.     Hierher  gehören  seine  Annalen. 

Ilieraui'  \^ird  von  den  Römischen  Geschichtschreibern  Ei- 
niges gesagt,  was  jedoch  allgemein  bekannt  ist. 

l)as  Lectionsverzeichniss  ist  weder  verfassungsmässig,  noch 
logisch  richtig  Noch  halten  Avir  uns  fiir  verpflichtet,  aus  den 
Schulnachrichten  S.  14  niitzutheilcn,  dass  Hr.  Hack  den 
Schillern  der  ersten  und  zweiten  Classc  das  Griecliische  Origi- 
nal des  neuen  Testamentes  in  den  ausgesetzten  ileligionsstun- 
den  erklärte;  denn  als  wir  in  diesen  JahrbVichern  181(5  Ud.  2 
S.  170  f.  dessen  Abhandlung  de  reUgionis  doctrina  in  Gymna- 
siis  tradenda  anzeigten ,  schien  es  uns  zweifelhaft ,  ob  er  die 
Interpretation  des  neuen  Testamentes  und  andrer  heiligen 
Schriften  im  Urtexte  gehandhabt  wissen  wolle.  Nunmehr  aber 
dürfen  wir  keinen  Augenblick  mehr  Anstand  tragen,  weil  er 
unsern  Wunsch  durch  die  That  bekräftigt  hat.  Älöchte  dieses 
segensvolle  Beispiel  unter  den  Religionslchrern  unsrer  Gymna- 
sien viele  Nachahmer  finden !  Anderswo  vergisst  man  über  der 
Schaale  den  Kern,  namentlich  da,  wo  mehrere  Monate  mit 
Erklärung  von  kirchlichen  Cärimonien  hingebracht  werden. 
Wir  wollen  das  gerade  nicht  an  und  für  sich  missbilligen  — 
denn  allen  äussern  Formen  in  der  Kirche  liegt  ein  tieferer  Sinn 
zum  Grunde  —  allein  es  ist  ein  Gegenstand ,  der  sich  besser 
gelegentlich  und  kurz  abfertigen  lässt. 

Dr.  N.Bach. 


4)     Kreuznach. 

Zu  den  üffentlichen  Prüfungen ,  welche  den  fiten  und  7ten  September 
1827  mit  den  Schülern  des  Königl.  Gymnasiums  zu  Kreuznach 
angestellt  werden  sollen,  ladet  die  Gönner  und  Freunde  dessel- 
ben —  ergebenst  ein  der  Dlrector  des  Gjmnnasinms  Dr.  Q.  Ei- 
lers. Inhalt:  I)  Abhandlung  des  Professors  Voss  über 
einige  Stellen  des  Horaz.  S.  1  —  13.  11)  Schul- 
nachrichten. S.  14  —  26.  Gedruckt  bei  Henss  in  Kreuznach. 
1827.    4. 

Der  Herr  Professor  Voss  sagt  im  kurzen  Vorworte ,  seine 
Bemerkungen  über  einige  Stellen  des  Horaz  machten  keinen  An- 
spruch auf  Neuheit,  und  würden  ihren  Zweck  erreichen,  wenn 
es  ihm  etAva  gelungen  sein  sollte,  eine  gewagte  Ansicht  oder 
Vermuthung  neuerer  Erklärer  in  ihrer  Unhaltbarkeit  darzustel- 
len, eine  alte  Lesart  zu  rechtfertigen,  einen  Zweifel  zu  lösen, 
oder  eine  Dunkelheit  aufzuklären.  Die  Noten  zu  Odar.  I,  3,  6. 
ö.  IX  26  und  zu  I,  7,  27  sind  ^,^^z\\  Einfälle  von  Reuter  im 


62  Programme. 

Torjälirigen  Mindener  Scliulprogramme  gerichtet,  welches  in 
diesen  JahrhVichcrn  IV,  3  S.  313  —  315  bereits  eine  gerechte 
Wiirdigung  erhalten  hat.  Die  übrigen  Bemerkungen  berichti- 
gen Meinungen  von  B o  t  li  e  und  H  e  i n  d  o r  f.  Od.  I,  4,  8  vird 
uril  vertheidiget.  Man  habe  an  den  in  eifriger  Geschäftigkeit 
von  der  Ghit  seines  Elements  wiederstralenden  Gott  zu  den- 
ken, der  alle  Schmiedelieerde  seiner  Werkstatt  in  Flammen 
setze,  d.  h.  erleuclite.  Von  Tautologie  könne  niclit  die  Rede 
seyn,  wenn  man  sich  der  Sitte  der  alten  Dichter  erinnere,  den 
Gott  und  sein  Element  in  einander  zu  mischen.  So  Od.  II,  6, 
V^  f er  Ulis  Bacchus.  Sat.  II,  2,  124  Ceres  ut  culmo  surgeret. 
Ref.  erinnert  noch  an  Iluschke  Anal.  Grit.  pag.  33.  Od.  1,  17, 
14  wird  Hie  vorgezogen ,  weil  es  im  Uten  und  2lsten  Verse 
wiederkehrt*).  Od.  I,  20,  8  wird  das  Fragzeichen  verwor- 
fen, Modurch  Bot  he  den  Dichter  gegen  einen  Widerspruch 
sicher  stellen  wollte.  Od.  I,  24,  8  wird  der  Singularis  inveniet 
gegen  die  Mehrzahl  der  Handschriften  in  Schutz  genommen; 
worin  Ref.  auch  nach  Durchsicht  der  Bentleyschen  Parallelstel- 
len nicht  beistimmt.  Od.  I,  31,  3  Avird  aus  einigen  Hand- 
schriften empfolen:  ISon  ojn'mas  Sardiniae  segetes  feracis. 
Od.  I,  33,  1  sei  das  Comma  vor  und  nach  ^j/ws  nimio  zu  tilgen. 
Od.  I,  37,  4  Mird  die  Interpunction  und  Construction,  welche 
Botlie  wollte,  mit  Grund  verworfen.  Od.  II,  13,  ]  -r-  10 
konnte  sich  auch  Ref.  noch  nie  mit  der  Fassung  und  Interpun- 
ction, welche  Bothe  gab,  befreunden.  Aber  dass  Hr.  Voss 
sich  damit  begnügt ,  zusagen,  quicanque  j)ri/nwn  sei  Ausdruck 
des  heftigen  Unwillens,  und  jeder  Unbefangene  ergänze  von 
seiher  das  nahe  posuit .,  wundert  ihn  sehr«  Nach  Allem,  was 
er  bis  jetzt  über  diese  Stelle  gelesen  hat,  spricht  ihn  noch  im- 
mer am  meisten  der  Vorschlag  Buttmanns  an:  Illian,  ne- 
fasto  te  posuit  die  qiiic/mqiie  primum  et-'-^.  Siehe  Seebode's 
Miscell.  Grit.  Vol.  II  P.  1  S.  46  —  48.  Od.  H,  16,  19  wird 
sehr  richtig  auf  den  schönen  Gegensatz  zwischen  patriae  und 


*)  Hr.  Dr.  Bach,  welcher  von  diesem  und  dem  folgenden  Pro- 
gramm ebenfalls  eine  Beurtlieilung  später  als  die  gegenwärtige  einge- 
sendet hat,  beraerkt:  „Voss  vertheidigt  hie  ohne  Gnind  j  denn  an 
unserer  Stelle  folgt  das  Verbum  manabit,  das  weit  mehr  für  hinc,  als 
für  hie  spricht;  an  den  beiden  andern  Stellen  dagegen  würde  hinc  gar 
nichts  sagen.  Nur  muss  man  hinc  nicht  mit  V  a  n  d  e  r  b  o  u  r  g  ex  hac  causa, 
quod  deis  acceptus  sum,  sondern  überhaupt  a  diis  erklären.  Das  darauf 
folgende  tibi  ist  so  zu  fassen ,  dass  der  Dichter  zwar  zunächst  alles  auf 
die  angeredete  Person  bezieht,  sich  selbst  aber  mit  darunter  versteht. 
Es  ist  überhaupt  natürlicli,  dass  Avir  selbst  dasjenige  auf  den  geliebten 
Gegenstand  übertragen,  was  an  und  für  sich  uns  selbst  angeht.  Darum 
ist  Bcntle;j 's  Einwand  ohne  Gewicht."  Anmerk.  d.  Red.. 


Voss:    lieber  einige  Stellen  des  Honiz.  63 

se  aufmerksam  ^cmaclit.     Uebii^eiis  s.  Jahn  zu  dieser  Stelle. 
Od.  ni,  3,    12  wird  bibit  gebilligt,    weil  bibet  prosaisch  sei. 
Od.  III,  3,  51  soll  das  Comma  nach  cogere  Avieder  weg.     Od. 
III,   14,  10  sei  c.tperiae  richtig  nnd  ium  damit  zu  verbinden; 
die  neuvermählten  Jünglinge  und  Jungfrauen  könnten  nunmelir 
wegen    der  Zukunft  ganz  siolier  sein.      Od.  III,  25,  12    wird 
wegen  der  Fügung  JSoii  secits  ?/t  verwiesen  auf  Voss  zu  Virgils 
Georg.  II,  279.     Od.  IV  ,  4,  24  wird  die  Vulgate  revtctae  aus 
denselben  Griinden  vorgezogen,  welche  Jahn  zu  dieser  Stelle 
anführt*).     Od.  IV,    14,  24  sei  es  falsch,    dass  Bothc  mit 
Sanadon  an  die  hier  ganz  ungehörigen  nächtlichen  Wacht- 
feuer denke ;    -Od.  I,    10,   15  sei  der  Fall  ein  ganz    anderer. 
Epod.  X,  1  wird  plangit  für  eine  unnöthige  Aenderung  erklärt 
und   wegen   der   Vulgate    auf  Fca    und   Döring    verwiesen. 
Ebenso  urtheilte  Jahn.     Epod.  XVI,  33  wird  7'avos  vorgezo- 
gen, und  so  erklärt,   wie  es  von  Mitsclierlich  hier  und  zu 
Od.  III,  27,  3  geschehen  ist.     Sat.  I,  1,  Jj5  wird  qnidam  bei- 
behalten,  weil  eine  bandlose,    scheinbar  auseinandcrfallende 
Rede  im  gemüthlich  schlendernden  Sermonenstile  gerade  an  ih- 
rem Orte  sei.     Dives  könne  gux  tarn  leicht  entbehren,    welches 
öftrer  fehle,  vergl.  Sat.  I,  5,   33;   7,  13;     Epist.  I,  10,  12; 
II,  2,  87-  —  Sat.  1,4,   35  drücke  sibi   aus,    dass  er  zu  sei- 
nem Behagen  ein  Lachen  aufschlägt  ♦*).     Ebend.  100  beziehe 
sich  notando  nicht,  wielleindorf  will,  auflloraz,  sondern 
auf  den  Vater ,    der  durch  vorgehaltene  Beispiele  seinen  Sohn 
vom  Bösen  abschreckt.     Sat.  1,5,  6.     Die  via  Appia  sei  nach 
Kephalides  in    seiner  Reise  durch  Italien  Bd.  II  S.  1(50  mit 
schwärzlich  grauen  Platten  belegt  gewesen.     Vers  7  gefalle  te- 
terrima  melir,  wegen  der  launigen  üebeitreibung.    Sat.  I,  (»,  43 
sei  die  Verbindung  magna  cornua  zu  matt  und  prosaisch.    Vers 
47  sei  sum  gerechtfertiget  durch  FJpist.  II,  2,  192.  —  Sat.  I,  9, 
1  soll  theils  die  Unschicklicheit  des  Gedankens,  theils  der  ru- 
hige Fortgang  des  Verses,  dessen  rhythmische  Periode  mit  der 
logischen  hier  in  einen  unangenehmen  Widerspruch  gerathen 
würde,    es   verbieten,    dass  man  sie  ut  meus  est  ?nos  auf  das 
Folgende  ziehe,   llefereut  kann  sich  von  Beidem  nicht  überzeu- 


*)  Schon  Wakefield  zu  Lucret.  1 ,  594  hat  Bentley's  repressae 
widerlegt.   [Bach.] 

'*)  Sollte  aber  die  Stelle  nicht  noch  anders  verstanden  werden 
können,  wenn  wir  sibi  als  Dativus  commodi  nehmen?  „Wenn  er  nur 
sich  (d.  h.  seinen  satirischen  Einfällen)  Lachen  erregt."  Es  versteht 
sich,  dass  man  dazu /rg-cnfZii-o ,  bei  andern,  leicht  ergänzen  kann.  Der 
Sinn  ist  also  dieser:  der  Dichter  nimmt  durchaus  keine  Rücksicht,  wenn 
er  nur  seine  Snclit,  bei  andern  durch  seine  Einfälle  Lachen  hervorzu- 
bringen ,  befriedigt  glaubt.   [B  a  c  h.] 


64  Programme.* 

gen  und  stimmt  mit  Jahn  und  mit  Göller  in  seiner  Griechi- 
schen Uebersetzung  dieses  Gedichts  inSeebode'siVrchiv  llJhrg. 
1 H.  Seite  81.  Vers  16  wird  persequar  vorgezogen.  Dieselben 
Gründe  gab  schon  Jahn.  Sat.  I,  9,  44  wird  dieselbe  Abthei- 
lung und  Erklärung  gegeben,  welche  von  Frenz  el  in  Eisenach 
in  Seebode's  Krit.  Bibl,  III,  6  Seite  547  bekannt  gemacht  wor- 
den ist,  und  welcher  Refer*;nt  vollkommen  beistimmt.  Nur 
wollte  jener  noch  ein  überflüssiges  te  vor  iisus  einschieben. 
Alle  Ausstellungen  gegen  dexterius  (s.  SeebodtiMisc.  Grit.  I,  1 
Seite  94)  fallen  nun  von  selbst  weg. 

5)  Wetzlar. 
Zu  den  öfTentllchen  Prüfungen  der  Schüler  des  Königl.  Gymnasium  zu 
Wetzlar  am  18  und  19  September  1827  ladet  hochachtungsvoll  ein 
JuJt.  llcib.st^  Prof.  und  Director.  In  extrema  scriptionis  parte 
explicattir  Horatii  locus.  Wetzlar  1827.  4.  S.l  —  18: 
Schulnachrichten,   S.l!) — 25:   Abhandlung. 

Die  Abhandlung  betrifft  die  Stelle  im  Isten  Buche  der  Epi- 
steln, 2tenBr. 21  —  31.  Die  Schwierigkeiten,  welche  sich  Bent- 
ley  beim  Slsten  Vers  gemacht  hatte,  werden  zunächst,  beson- 
ders mit  Zuziehung  der  Homerischen  Stelle  Odyss.  VIII,  248 
—  49  befriedigend  weggeräumt.  Die  Vulgata  hält  der  Herr 
Verfasser  zwar  für  richtig,  aber  di«  gewöhnlichen  Erklärungen 
genügen  ihm  nicht.  Er  glaubt,  dass  das  Deutsche  zvr  Ruhe 
führen^  bringen.,  oder  einschläfern^  ei/iltfllen^  KOLf^ii^stv  am 
nächsten  komme.  Weil  aber  doch  auch  so  dieser  Ausdruck 
„cessatum  ducere  curam"  ungewöhnlich  und  sonderbar  bleibe, 
nimmt  er  an ,  lloraz  habe  diese  Stelle  ,  wie  er  es  so  oft  ander- 
wärts thut,  aus  irgend  einem  schlechten  Dichter  übergetragen, 
um  dem  Lollius  ein  sanftes  Lächeln  zu  entlocken.  Er  erinnert 
an  Sat.  II,  5,  41  u.  A.  P.  137  und  an  die  epischen  Verse  in  Sat. 
I,  2,  37;  II,  4,  63;  II,  1,  72;  I,  6,  23.  AuchSat.II,  8,34 
sei  der  Schluss:  moriemur  t'nulti^  ebenso  zu  beurtheilen. 

Cöslin.  Müller. 

6)    C    O    E    L    N. 

a)Karmeliten -Gymnasium 
Loci  aliquot  Horatii  illustrativ  vom  Oberlehrer  P. //os«. 

Ist  schon  beurtheilt  in  den  Jahrbb.  1827  Bd.  IV  Hft.  3 
S.  302  ff. 

b)   Jesuiten  -  Gymnasium. 
Vo n  der    Ue bersetzungskunst.  Vom  Oberlehrer  Dr.  Will- 
mann.  Cocin,  bei  Thuiart.  4.   12  S.  und  S.  13  -  2i> :  Schulnachrichten. 

Es  wird  die  Bemerkung  vorausgeschickt,  dass  von  jeher 
bei  weniger  gebildeten  Völkern  die  Schriftwerke  der  mehr  ge- 


Willraann:  Von  der  Ucbersetzungskunst.  65 

bildeten  übersetzt  wurden.  „Als  die  Hellenen,  fährt  der  Verf. 
fort,  die  üeberlegenheit  des  ägyptischen  Geistes  erkannten 
und  sich  durch  denselben  zu  bilden  strebten,  übersetzte  der 
Sage  nach  Manetho  —  die  Geschiclite  Aeg;yptens  in  die  Helle- 
nische Spraclie."  Das  Factum  wollen  wir  hier  unangefochten 
lassen;  ob  aber  die  Hellenen  je  die  Ueberlegenheit  eines  bar- 
barischen Volkes  fühlen  konnten  und  zu  iiihlen  brauchten,  mag 
Hr.  W.  vertreten.  Dem  Rec.  scheint  es  unmöglich.  Glückli- 
cher Weise  seilen  wir  auch  gar  nicht  ein ,  warum  nur  aus  dem 
Gefühl  einer  geistigen  Ueberlegenheit  die  Uebersetzung  irgend 
eines  schriftlichen  Denkmals  wünschenswerth  *;rscheinen  sollte; 
denn  dagegen  streitet  die  Litteraturgeschiclite  fast  aller  Natio- 
nen. Uebersetzungen  ,  welche  Sinn  und  Form  der  Urschrift 
nach  Möglichkeit  wiedergeben,  werden  mit  vollem  Recht  für 
eine  Bereicherung  der  Litteratur  gehalten.  Durch  die  Ueber- 
setzung der  Odysee  soll  Vossens  Luise,  Göthe's  Hermann  und 
Dorothea,  Baggesens  Parthenais,  Neuffers  Tag  auf  dem  Lande 
etc.  angeregt  worden  sein.  „Frühere  Philologen,  heisst  es 
weiterhin,  z.B.  Ernesti,  hielten,  entweder  weil  es  noch  keine 
deutsche  Litteratur  gub^  oder  weil  sie  dieselbe  nicht  kannten, 
nicht  viel  von  deutschen  Uebersetzungen  hellenischer  oder  rö- 
mischer Meislerwerke."  Der  von  uns  durch  Cursivschrift  aus- 
gezeichnete Satz  ist  zweifelsohne  grundfalsch;  denn  wollen  wir 
auch  nicht  weiter  zurück gehen,so  gab  es  doch  schon  wenigstens  im 
eilften  und  zwölften  Jahrhundert  eine  Deutsche  Litteratur,  ja 
sogar  die  ächte  National -Poesie  hatte  den  Culminationspunct 
ihrer  Blüthe  erreicht.  Hierauf  wird  Wolfs  Aeusserung  über 
die  Uebersetzungskunst  aus  der  Vorrede  zu  Aristophanes  Wol- 
ken mitgetheilt. 

In  der  letzten  Zeit  gab  es  hauptsächlich  zwei  Methoden 
der  Uebersetzungskunst,  von  welchen  die  eine  als  höchsten 
Grundsatz  bloss  klare  Deutlichkeit ^  die  andre  A^L^^gcn  strenge 
Treue  aufgestellt  hat ,  wiewohl  die  grosse  Mehrheit  der  Stim- 
men sich  für  die  Vereinigung  beider  Grundsätze  erklären  dürfte. 
Zu  der  ersten  Classe  gehören  unter  andern  Bahr  dt 's  Juve- 
nalis  in  lamben  und  Wielands  Uebersetzung  der  Horatischen 
Satiren  und  Episteln.  Hr.  W.  bemerkt  richtig,  dass  solche 
Uebersetzungen  nur  die  Summe  der  Gedanken  Miedergeben, 
aber  wie  der  Dichter  die  Gedanken  ausgCoprochen,  die  Färbung, 
die  Stellung  der  Begriffe,  die  Kürze,  die  Anmuth  des  Rhyth- 
mus etc.  auf  dem  W^ege  der  Uebersetzung  verloren  gegangen 
sind.  Dann  erst  Avurde  das  Uebersetzen  zu  einer  eigentlichen 
Kunst  erlioben,  als  man  einsah,  dass  bei  einem  Kunstwerke  so- 
wohl Inhalt  alsForm  ausEinera Gusse  hervorgegangen  seien, und 
darum  auch  zugleich  in  holder  X'erschwisterung  wiedergegeben 
werden  müssten.  —  E  s  c  h  e  n  b  u  r  g  übersetzte  Shakespeares  Som- 
mer nacht  straum   und    Richard    den  Dritten    zuerst    metrisch, 

Jahrb.  f.  Phil.  u.  Fädag.  Jahrg.  lU.  Hfft  5.  5 


66  Programme. 

hielt  aT)cr  nicht  Stand.  —  Als  Vertreter  der  strengen  Treue 
wird  J. IL  Voss  bezeichnet.  Der  Verf.  widerspricht  sich  aber 
gleicli  darauf  selber,  wenn  er  von  Voss  sagt,  dass  er  durch 
die  That  gezeigt  habe,  die  Kunst  des  üebersetzens  bestehe 
darin ,  die  strengste  Treue  mit  der  höchsten  Deutlichkeit  auf 
das  innigste  zu  vermählen.  Auf  diese  Weise  wVirde  er  ja  zu 
der  dritten  Classe  gehören,  zu  der  er  im  Allgemeinen  doch  kei- 
neswegs gerechnet  werden  darf:  wer  z.B.,  der  des  Lateinischen 
unkundig  ist,  würde  Vossens  LTebersetzung  des  Lloratius  ver- 
stehen? Als  ältestes  Meisterwerk  der  Deutschen  Uebersetzungs- 
kunst  wird  Luthers  Bibelübersetzung  genannt,  indem  er  die 
Vereinigung  der  möglichsten  Treue  und  Anschliessung  an  die 
Urschrift  mit  der  Achtung  der  Eigenthiimlichkeit  und  des  Gei- 
stes der  Deutschen  Sprache  als  höchsten  Grundsatz  aufstellte. 
Cicero s  Reden  sind  am  besteu  vonF. C.Wolf  übersetzt. 

S.  8.  „Deutlicher,  als  der  Originalschriftsteller  ist,  braucht 
die  Üebersetzung  nicht  zu  seyn.  Wird  mehr  Deutlichkeit  zum 
Verständniss  erfordert,  so  muss  die  Gelehrsamkeit  ihre  Schätze 
öffnen,  und  dem  minder  unterrichteten  Leser  die  erforderliche 
Aufklärung  gewähren.  Da  der  Geist  des  Alterthuras  oder  des 
Auslandes  uns  aus  der  Üebersetzung  anwehen  muss,  so  muss 
^\\\  gewisses  Dunkel,  gleichsam  das  (sie!)  nobilis  aerugo  der 
Münzen,  auf  Uebersetzungen  aus  dem  fernen  Alterthume  oder 
dem  fremdgesitteten  Auslande  haften;  dieses  Dunkel  ist  wie 
das  Fremdartige,  Momit  auch  in  der  Thier-  und  Pflanzenwelt 
uns  die  Erzeugnisse  fremder  Zonen  überraschen.  Allein  was  die 
Treue  anbelangt ;  ihr  darf  nichts  vergeben  werden ;  sie  ist  das 
erste  Grundgesetz  der  üebersetzung;  denn  sie  umfasst  die 
ganze  Darstellungsweise  der  Urschrift;  die  einzelnen  Gedanken 
müssen  in  gleicher  Stärke  Aviederersch einen,  damit  derselbe 
Nachdruck  oder  dieselbe  leidenschaftliche  Bewegung  das  Ge- 
müth  der  Lesers  mit  gleicher  Macht  erfasse  und  aufrege.  Der 
Strom  der  Rede  darf  im  Periodenbaue  nicht  unterbrochen  und 
geliemmt  werden.  Gleicher  Wohllaut  in  der  Wortverbindung, 
gleiche  Wohlbewegung  (sie!)  in  den  Sätzen,  in  sofern  es  mü- 
der Genius  beider  Sprachen  erlaubt,  muss  mit  gleicher  Anmuth 
dem  Ohre  des  Lesers  schmeicheln."  —  Noch  hätten  wir  ge- 
wünscht, der  Verfasser  möchte  auf  A.W.  von  Schlegels 
Aeusserung  in  der  Indischen  Bibliotliek  genauere  Rücksicht  ge- 
nommen, und  Wil  heim  von  Humboldts  Üebersetzung  des 
Aeschylischen  Agamemnon  als  Vorbild  aufgeführt  haben.  Ein 
kräftiges  Wort  über  diesen  Gegenstand  hat  auch  einer  der  aus- 
gezeichnetsten Uebersetzer  aus  der  neuesten  Zeit,  W.  E.  We- 
ber zu  Frankfurt  a.  M. ,  in  der  Vorrede  zu  den  elegischen 
Dichtern  der  Hellenen  S.  XIII  f.  ausgesprochen:  „Zweierlei 
bestimmt  zunächst  den  Beruf  zum  Uebersetzer  der  Alten.  Ein- 
mal, dass  man  entweder  überhaupt  nicht  ein  grösseres  Maass 


Menge:  Vorgeschichte  von  Rhoduß.  67 

eigener  Scliöpfungskraft  zu  seinem  Schriftsteller  hinznbringe, 
oder  die  Ueberfiille  in  so  weit  zu  bändigen  wisse,  als  genügt, 
um  einer  geistig  treuen  Wiedergabe  mächtig  zu  seyn;  zweitens 
aber ,  dass  man  den  Sinn  für  Form  und  die  Gabe  der  Form  in 
demjenigen  Grade  besitze,  nach  welchem  ein  übersetztes  Werk 
zugleich  ein  antikes  bleibt,  und  doch  dem  Deutschen  Leser 
auf  die  ansprechendste  Weise  zugänglich  wird.  Mit  Einem 
Worte,  dass  jenes  zarte  aber  sichere  Band  zwischen  Geist  und 
Form,  welches  durch  dieAVerke  des  Alterthums  gezogen  ist, 
von  der  übersetzenden  Hand  nicht  zerschnitten  werde  und 
entweder  das  gediegene  Gold  alterthümlicher  Ideen  aus  dem  ro- 
hen Gestein  einer  sorglosen,  unschönen  Darstellung  wie  verlo- 
ren hervorschimmere,  oder,  was  noch  unerfreulicher,  das  edle 
Metall  zu  unbehülflichcm  seelenlosen  Schnitzwerke  verarbeitet, 
statt  des  Eindruckes  einer  Phidiassischen  Pallas  den  einer  Nürn- 
berger Gliederpuppe  hervorrufe." — Des  JNachlesens  werth  ist 
auch,  was  ebenderselbe  ganz  kürzlich  im  Januar-  undFebruar- 
heftc  der  Berliner  Jahrbücher  für  wiss.  Kritik  bei  Veranlassung 
der  llecension  der  Üebersetzung  des  Sophokles  von  Thudichura 
gelehrt  hat. 

H)     A    A    C    H    E    N. 

Vorgeschichte  von  lihodos  bis  zur  herakliäisch" 
dorischen  Siedehmg.  Von  Dr.  3%.  Menge.  Cöln  bei 
Du  Mont- Schauberg.  4.  IV  u.  12  S.  ii.  S.  13  — 22:  Schulnachr. 

In  dem  Vorworte  werden  die  bisherigen  Leistungen  in  der 
philologisch  -  historischen  Behandlung  Hellenischer  Inselge- 
schichte, hauptsächlich  durch  Boeckh  angeregt,  rühmend 
erwähnt,  C.  0.  31  ü  1 1  c  r  s  Aeginetica  und  H o  e  c k  s  Kreta.  Un- 
gern vermissen  wir  die  Anführung  von  Plehns  ebenso  gründ- 
licher als  inhaltreicher  Schrift  über  Lesbos  (Berlin  ]82{».  8.). 
Eine  Compilation  von  lihodos  hatte  schon  Meursius  zusam- 
mengeschrieben, und  die  neueste  Behandlung  von  Kost  hat 
nur  eine  Sehnsucht  nach  dem  Bessern  erweckt,  „Gelungener 
ist  vonPaulsen  der  Handel  und  die  Verfassung  behandelt: 
aber  doch  der  Wichtigkeit  des  Gegenstandes,  dem  Cicero  in 
seiner  neu  aufgefundenen  Republik  besondere  Aufmerksamkeit 
zuwendete,  nicht  völlig  angemessen.  Das  Ganze,  die  Geschichte, 
die  Verfassung  und  den  Handel  von  Rhodos  gedenkt  der  Ver- 
fasser künftig  in  einer  ausführlichen  Schrift  zu  behandeln:  „Man- 
ches ist  gesammelt,  aber  zur  Fortsetzung  und  Vollendung  der 
Arbeit  bedarf  es  grösserer  Hülfsmittel,  als  mir  gegenwärtig  zu 
Gebote  standen." 

§  1.  Telchi7ien  und  Ileliaden.  Nach  Diodoros  V,  55  be- 
wohnten in  ältester  Zeit  die  Teichinen,  Söhne  dea  Meeres, 
die  Insel  Rhodos.  Die  Hellenen  verbanden  mit  diesem  Namen 
die  Erinnerung  gewisser,  aus  uralter  Zeit  überkommener Er- 


68  Programme. 

findiingen  und  Kunstfertigkeiten,  woraus  erhellet,  dass  man 
sie  für  keinen  bestimmten  Volksstamm  hielt.  Sie  treten  mit 
übermenschlichen  Kräften  sowohl  in  geistiger  als  in  physischer 
Hinsicht  auf,  so  dass  man  sie,  wie  in  Hellas  überhaupt  die 
Herakliden,  für  Widersacher  des  Pelasgischen  Wesens  halten 
möchte.  Daher  muss  die  Ableitung  des  Namens  Tslylvsg  einen 
allgemeinen  Charakter  haben.  Sie  kommen  auch  vor  auf  Ky- 
pros,  Kreta  und  in  Sikyon  im  Peloponnes;  auf  Rhodos  aber 
sollen  sie  geboren  sein.  Diodovos  I.e.  sagt  von  ihnen:  reveö^at, 
Si'avTOvgaaltsxvävrivcDv  EVQsräg^  xal  alXa  xav  dg  tov  ßlov 
^QT^öincov  £lg7]yr]aa6d'aL  Tolg  dv&QcoTiOig,  dyccluard  te  Qecöv 
TtQÖitOL  xaraöxEvdöat  kiyovrai  aaC  xiva  tav  ccQxalcov  aqctöpu- 
^dtav  dit  tXBiVCJV  eTicovo^idö&at  %.  x.  A.  —  Nach  dem  Be- 
richte desselben  Geschichtschreibers  (V,  5ß.  cf.  Strab.  XIV, 
9(K).)  waren  nach  den  Teichinen  die  Ileliaden  Bewohner  von 
Rhodos.  ,,Es  sollen  zwar  die  Teichinen ,  eine  nahe  verderbli- 
che Wasserfluth  vorahnend,  die  Insel  verlassen  und  nach  ver- 
schiedenen Gegenden  sich  zerstreut  haben  (Diod.  I.  c.)  ,  doch 
der  Connex  zwischen  Teichinen  und  Ileliaden  ist  unstreitbar. 
Die  Sage  suchte  nur  für  den  stillen  und  langsamen  Uebergang 
vom  ersten  feindseligen  Erscheinen  der  seeräuberischen  Fremd- 
linge, und  einer  strengen  Herrschaft  über  die  Urbewohner  der 
Insel  zur  Verschmelzung  mit  diesen,  und  zur  allgemeinen  Ver- 
breitung edler  Gesittung  unter  dem  Schutze  der  Götter  einen 
zusammengedrängten  Moment,  und  knüpfte  diesen  Durchgangs- 
punkt an  die  Erscheinung  einer  verheerenden  Wasserfluth.'''  — 
Diodoros  selbst  leitet  die  Ileliaden  von  "/fAtog  ab,  was  haupt- 
säclilich  auf  den  Sonnen-  oder  Apollon- Cultus  zu  beziehen  ist. 
Sowie  sie  sowohl  unter  sich,  als  auch  unter  den  Ureinwohnern 
in  ijjrer  Ausbildung  fortscluitten ,  knüpfte  sich  auch  das  Band 
der  Gesellschaft  fester,  und  Hr.  31.  glaubt  aus  folgender  Stelle 
des  Diodor.  V,  57  auf  die  Gemeinschaft  des  ins  connubii  schlie- 
ssen  zu  dürfen :  6  TiQiGi^vxBQog  "Oyji^og  ßaGLlsvcov  tyrjus  [itav 
xcov  lyxcoQLOJv  vv^q)äv  'Hyr^roQiav.  cf.  IlüUmanns  Anfänge 
der  Griech.  Gesch.  S.  T. 

§  2.  Die  Phöniker.  Schon  in  sehr  früher  Zeit  beschiff- 
ten die  Phöniker  das  3littelmeer.  Um  1519  v.  Ch.  kam  Kad- 
mos  nach  Europa,  welcher  Name  natürlich  in  collectivem  Sinne 
zu  fassen  ist.  Ausser  den  hier  angeführten  Schriften  (Voss. 
Etym.  v.  Cadmea.  Hüllmann  Anfänge  der  Gr.  Gesch.  S.  34.) 
wäre  noch  hinzuweisen  auf  Weicker  über  eine  Kretische 
Kolonie  ^ViT/^eÄe/^ (Bonn  1824.)  S.  22  ff., 42  f.  Ueberhaupt  wVirde 
der  Verf.  aus  dieser  Schrift  noch  mancherlei  gelernt  haben, 
was  ihm  ohne  dieselbe  entgehen  rausste.  Weil  einige  alte 
Schriftsteller  (Herodot.  II,  49;  IV,  147;  V,  58)  Phönikien, 
namentlich  die  Stadt  Tyros  (Arrian.  Exped.  Alex,  II,  16),  andre 
dagegen   (Diodor.  I,  40)  Aegypten,  namentlich  Theben   (Eu- 


Menge:  Vcrg;cä(;lutlite  von  Rhodus.  69 

seb.  Cliron.  Lat.  p.  15,  70)  tlas  Vaterland  des  Kadmos  nennen, 
so  glaubt  Hr.  M.  diesen  W  iderstreit  so  auszui^leichen,  dass  die 
durch  den  Namen  Kadmos  bezeiclinete  Kolonie  grössten  Theils 
Phöniker  enthalten  habe,  mit  denen  Aegypter  verbunden  wa- 
ren. Dass  aber  der  Name  Kadfiog  selbst  kein  ausländischer, 
sondern  ein  echt  Griecbischer  ist,  liat  Weicker  mit  überzeu- 
gender Gewissheit  dargethan;  und  wie  es  mit  derPhönikischen 
Colonie  in  Theben  aussieht,  dariiber  vergleiche  S.  57  iF. —  Aus  Dio- 
doros  V,  58  geht  klar  hervor,  dass  die  Phöniker  nicht  der 
Herrschaft  wegen,  sondern  um  Rhodos  zu  einem  lümporäum  zu 
erheben ,  daselbst  sich  niedergelassen  haben. 

§  3.  Die  Karer ^  als  Bewohner  der  Insel  Rhodos.  Ueber 
die  grosse  Seemacht  der  Karer  ist  die  berühmteste  Stelle  in 
dem  Proömion  des  Thucydides.  cf.  Herodot.  I,  171.  Diodor. 
V,  84.  „Dass  aber  kein  Schriftsteller  ausser  Konon  die  Be- 
sitzergreifung der  Insel  Rhodos ,  deren  Nähe  und  Fruchtbar- 
keit doch  gewiss  lockte,  von.  jenen,  die  dem  hellenischen 
Meere  ihren  Namen  liehen,  erwähnt,  scheint  mit  Recht  merk- 
würdig. Diodor,  in  rhodisc'her  Urgeschitjhte  sonst  die  frucht- 
barste Quelle,  erwähnt:  Phorbas,  Sobn  Triops,  habe  Hellenen 
nach  Rhodos  geführt  (IV,  58);  aber  in  ^  Widerspruch  mit  sich 
selbst  behauptet  er  später  (V,  58),  P.borbas  selbst  habe, 
nacbdera  er  sein  Vaterland  Thessalien  i verlassen,  dort  sich 
gesiedelt;  und  zuletzt  vermehrt  er  die  Seh  wierigkeiten  (I,  61) 
durch  die  Behauptung,  dass  viele  Geschieh  tschreiber  und  Dich- 
ter über  das  Geschlecht  des  Triops  uneinig  ^  seien.  In  der  An- 
nahme, dass  unter  der  Kolonie  des  Phorba:  ?,  oder  Triop^,  Xa- 
rer,  deren  Macht  zu  dieser  Zeit  gefürchtet,  und  die  mit  sechs 
Völkern  Griechenlands  durch  Am3)hiktiont  in- Bündniss  verbun- 
den waren  (Müller.  Aeginet.  p.  83),  zu  vei -stehen  seien,  ist  je- 
ner Anstoss  gehoben  und  Konons  sonst  ver  einzelte  Angabe  er- 
hält ihr  Licht.'^  Conon.  narrat.  47:  ^OLvbtG>v  d'  SKTtsöovrav, 
Kägsg  töxov  [Poäov],  örs  vmI  rag  ctXlag  v7jöovg  rccg  7r.^Ql  rd 
MyalüV  wK)](3m>.  Nacbmals  ward  Minos  von  Kreta  Beherr- 
scher der  Inseln  und  der  See. 

§  4-  Z/f^  der  Dorier  und  Her  aUiden  muck  Bhodos.  CO. 
Müller  (Aeginet.  p.41  sq.  cf.  Dorier  I  p.  56,  103,  420.)  hat 
den  Zug  des  Tiepolemos  nach  Rhodos  in  vortiroischer  Zeit  mit 
triftigen  Gründen  bestritten ,  und  seiner  Kritik  müsste  die  Pal- 
me aufgesetzt  werden,  wenn  es  sich  um  ein  rein  historisches 
Factum  handelte.  Hr.M.  erM ledert  mit  Recht,  dass  der  Nie- 
derlassung des  Tiepolemos  auf  der  Insel  kein  innerer  Grund 
der  Unwahrsclieinlichkeit  entgegentrete.  Ob  übrigens  dieser 
Heraklide  Dorier  aus  dem  Peloponnes,  oder  aus  einer  andern 
Gegend  von  Hellas  mit  sich  geführt  habe,  sei  für  das  Fa- 
ctum selbst  von  keiner  erheblichen  Wichtigkeit.  „Als  aber  nach 
der  Rückkehr   der    mit  den  Dorieru  verbundenen  Heraklideu 


TfO  Programme. 

in  den  Peloponnes  Althämenes  eine  zweite  viel  berühmtere  und 
zahlreichere  Dorische  Colonie  nach  Rhodos  führte ,  und  die 
Herrscliaft  dieser  Insel  g;ewann,  wuchs  ohne  Zweifel  jene  frü- 
here von  geringerm  Umfange  mit  dieser  zusammen,  und  von 
nun  floss  auch  die  Geschichte  beider  vielfach  in  einander."  — 
„Tlepolemos  —  ward  zum  König  der  ganzen  Insel  gewählt, 
und  regierte  mit  der  grössten  Uilligkeit  und  Gerechtigkeit. 
Als  er  endlich  sich  znm  Zuge  gegen  Troja  rüstete,  übergab 
er  die  Regierung  deraHutas,  welcher  mit  ihm  von  Argos  ge- 
flohn  war.  Er  selbst  zeichnete  sich  im  Kampfe  vor  Troja 
aus,  ward  aber  von  Sarpedon  getödtet.  Diellhodier  feierten 
in  dankbarer  und  ehrender  Erinnerung  Spiele,  die  seinen  Na- 
men führten."  S.  üiodor.  IV,  58;  V,  59;  Homer  II. /3',  65S 
sq.;  £,  ()55  sqq.;  Piudar.  Olymp.  VII,  20  sq.;  Pausan.  II,  22, 
8;  III,  3t>,  lü.  Bald  nach  der  Rückkehr  der  Ileraklidea  in 
den  Pelopoimes  schili'te  Althämenes  über  Kreta  nach  Rhodos, 
und  gewann  gleichsam  nach  angestammtem  Erbrecht  die  Herr- 
schaft über  die  Insel. 

§  5.  Lindas.  lalysus^  Äamirus.  Diese  waren  die  drei 
alten  Städte  der  Insel.  Lindos  nahm  die  erste  Stelle  ein,  be- 
rühmt als  Vaterstalt  des  Kleobulos.  Auf  der  westlichen  Seite 
lag  Kameiros  (beiStrabon  XIV  p.655  stimmen  alle  Handschrif- 
ten in  der  Schreib«ng  Kä^BiQog  überein,  weshalb  die  Conje- 
ctur  desMeursius  ad  Macrob.  I,  17  Kd^igog  hier  wenigstens 
unhaltbar  ist.  Jectoch  hätte  die  Sache  genauer  untersucht  wer- 
den sollen,  da  bei  Thucyd.  VIII,  44  und  anderwärts  die  Les- 
arten variiren.),  welche  am  wenigsten  berühmt  gewesen  zu 
eein  scheint;  na^h  Thucyd.  VIII,  44  war  sie  unbefestigt: 
drsixiötov  ov6rjg  i^g  TtolBcog.  Auf  der  Nordseite  lag  lalysos. 
Der  Schoiiast  ad  ^ionys.  V ,  505  will  das  Wort  o^vtovag  ge- 
schrieben wissen.  Strabon,  Diodoros  und  Athenäos  schreiben 
'JttAvödg,  die  übr%en  Schriftsteller  fast  alle  nach  Homerischer 
Weise  'Jrjkvöög  oder  'Irjlvööög.  cf.  Wass.  ad  Thucyd.  I.  c. 
„Dass  es  Sitte  den  Alterthums  gewesen  sei,  zuerst  höhere  Oerter 
zur  Bewohnung  und  Befestigung  auszuwählen,  ist  bekannt  (Ci- 
cero de  repub.  Jp.22;  II  p.43,  cd.  Heinrich  ) ;  deswegen  sind 
zuweilen  die  Burgen  schlechthin  Altstadt  genannt,  so  dass  auch 
die  Burg  von  lalysus,  vonStrabo  6%vQ(0^a  genannt,  die  alte 
Stadt  scheint  gewesen  zu  seyn.  Die  um  die  Burg  allmählig  er- 
baute lalysus  ist  nach  und  nach  mit  der  Altstadt  zusammenge- 
wachsen." 

Die  in  diesem  Programm  gegebene  Probe  einer  vollständi- 
gen Monographie  von  Rhodos  hat  in  uns  grosse  Lust  zu  dem 
Ganzen  erweckt ,  wozu  wir  dem  Verfasser  Kraft  und  Müsse  von 
Hersen  wünschen. 

Mit  Vergnügen  haben  wir  unter  den  Verfügungen  des  Königl. 
Provinzial '  Schul -Collegiuras   zu  Coblenz  auch  eine  vom  18 


Hopfensack :  Grundäätzc  des  historischen  Unterrichts.  71 

Februar  1827  bemerkt,  noria  die  Form  eines  über  dicGymna- 
sial-Bibliothckcii  auzurorti^euilen Katalogs  vorgescbrieben  wird. 
Möchte  diese  Vorscliril't  auch  in  aiulcrii  Provinze»  des  König- 
reichs uacligeahmt  werden!  Es  versteht  sich  übrigens  von 
selbst,  dass  hier  von  einem  wissenschaltlichen  (Real-)  Katalog 
die  llede  ist ,  und  nicht  von  einem  so  genannten  Journal ,  das 
als  Beleg  für  die  Gymnasial -Casse  geführt  werden  muss.  Vergl. 
Jahrbücher  1S2C  Bd.  II  S.  180  f.  Auch  wird  in  der  Chronik 
der  Ajistalt  die  Ausscheidung  des  Directors  Rigler  (gegen- 
wärtig in  Clcve)  um  so  mehr  bedauert,  als  seine  CoUegen  in 
der  schönsten  Harmonie  an  der  Vervollkommnung  des  Gymna- 
siums mit  ihm  arbeiteten.  Der  bisherige  Ilülfslehrer  Franz 
Oebeke  ist  zum  ordentlichen  Lehrer  ernannt  worden, 

8)   Duisburg. 

Grundsätze  des  his torischen  Unterrichtes  auf 
Gymnasien.  Von  Ilopfensavk,  Düsseldorf,  Lei  Schreiner.  8, 
39  S.  nehst  'H  S.  Schuluachr. 

I)  Vo7n  Zweck  und  Umfange  des  historischen  Gymnasial- 
Unterrichtes.  Der  unermesslich  weite  Umfang  des  historischen 
Studiums  mit  allen  seineu  unbedingt  nothwendigen  Hülfswis- 
seuschafteu  (Chronologie,  Geographie,  Staatenkunde  u.  s.  w.) 
darf  zwar  von  dem  Geschichtsforscher  nie  aus  dem  Auge  ge- 
lassen werden,  aber  in  den  engen  Kreis  des  Gymnasial- Unter- 
richtes lässt  er  sich  unmöglicii  einschliesseu.  „Das  Gymna- 
sium, sagt  der  Verfasser  S.  7,  soll  ein  verbindendes  Mittel- 
glied zwischen  dem  triviellen  und  dem  academischen  Unter- 
terrichte  sein;  aber  es  hat  auch  noch  einen  nicht  zu  verken- 
nenden sehr  wichtigen  Nebenzweck :  es  soll  überhaupt  auf  eine 
harmonische  Ausbildung  des  jugendlichen  Geistes  in  dem  Fach 
der  allgemeinen  Wissenschaften  v/iiken,  umso  auch  denjenigen, 
welcher  sich  nicht  zum  Gelehrten  bestimmt  hat ,  vorzuberei- 
ten, und  seiner  Bildung  eine  feste  und  gründliche  Richtung 
zu  geben,  welche  wohlthätig  auf  ihn  in  allen  folgenden  Ver- 
hältnissen wirke,"^  Hiergegen  finden  wir  erstlich  einzuwen- 
den ,  dass  der  Ausdruck  Irivieller  oder  besser  trivialer  statt 
Elementar  -  Unterricht  sehr  übel  gewählt  ist;  denn  wer  möchte 
die  Grundlage  alles  Wissens  etwas  Triviales  nennen'?  Sodami 
verwirrt  Ilr.  II.  dieBegrilfe,  wenn  er  von  solchen  Knaben  oder 
Jünglingen  spricht,  die  ein  Gymnasium  besuchen,  ohne  sich 
gerade  zu  Gelehrten  bestimmt  zu  haben,  und  in  einer  Note 
darunter  solche  Subjecte  versteht,  die  eigentlich  in  höhere 
Bürgerschulengehören  und  keine  Universitäts- Studien  machen. 
Wer  sind  denn  also  diese  Gelehrten.,  die  hier  gemeint  sein 
sollen?  Etwa  alle,  die  eine  Universität  besuchen*?  Nun  da 
würde  ein  schöner  Gelehrtenstand  herauskommen.     Um  uns 


72  Programme. 

kurz  zu  fassen ,  der  Verfasser  bat  die  eigentliche  Bestimmung 
der  Gymnasien  ganz  verkannt,  und  scheint  in  gewisser  Hin- 
sicht geneigt  zu  seyn,  sie  mit  ins  Nützlichkeits- System  hin- 
einzuziehen. Man  kann  freilich  nicht  wissen,  ob  irgend  ein 
Subject  für  liöhere  Studien,  wie  die  akademischen  sind,  beru- 
fen sei;  aber  dadurcli,  dass  die  Grenzen  des  Gymnasial -Un- 
terriclites  nicht  immer  streng  genug  abgesteckt  sind  und  inner- 
halb derselben  mitunter  auch  den  Mitzlichkeilskräraern  ein 
Plätzchen  vergönnt  wird  ,  dadurch  wird  mancher  böse  Saame 
ausgestreut,  der  das  ideale,  in  sich  selbst  abgeschlossene  Leben, 
wie  es  sich  in  der  Seele  eines  jugendlich  unverdorbenen  Ge- 
müths  entfalten  soll,  nur  zu  oft  vergiftet  und  schmählich 
entweiht.  Unsre  Gymnasien  müssen  ilirem  Zweck  als  Vorbe- 
reitungsschulen für  die  akademischen  Studien  entweder  voll- 
ständig genügen  und  diesen  Gesichtspunct  einzig  und  allein  im 
Auge  behalten,  oder  sie  zerfallen  zuletzt  in  sich  selber.  Die 
Vorbereitung  in  der  Geschichte  will  der  Verf.  so  eingerichtet 
wissen ,  dass  der  Studirende  auf  der  Universität  im  Stande  sei, 
mit  klarem  liewusstsein  das  ganze  Gebiet  der  Geschichte  zu 
übersehen,  und  jede  wichtige,  ein  allgemeines  Interesse  in  An- 
spruch nehmende  Begebenheit  richtig  nach  ihrem  Ursprünge 
und  ihren  Folgen  zu  würdigen.  Ob  das  überhaupt  bei  einem 
Jünglinge  bis  ins  18  oder  19  Jahr  erreicht  werden  hönne,  mag 
die  Erfahrung  lehren,  wobei  wohl  zu  unterscheiden  ist,  was 
reines  Gedächtnisswerk,  was  aus  einem  klaren  und  richtigen 
Blick  hervorgegangen.  Diesen  Einwurf  liat  Hr.  H.  selbst  ge- 
fühlt, und  bemerkt  dagegen:  „Fordern  wir  mit  Recht  eine 
gründlicheKenntniss  der  alten  Sprachen  und  der  Mathematik,  so 
begreife  ich  nicht,  wie  man  die  von  mir  für  die  Geschichte  auf- 
gestellte Forderung  zu  weit  ausgedehnt  finden  kann ,  da  nur 
durch  ihre  Erfüllung  die  Harmonie  der  verschiedenen  Lehrge- 
genstände herbeigeführt  wird."  Der  Verf.  mengt  hier  wieder 
verschiedenartige  Begriffe  durcheinander,  Gründlichkeit  und 
Ausdehnung ;  denn  wenn  wir  gründliches  Sprachstudium  for- 
dern, so  geht  natürlich  dieselbe  Anforderung  an  das  Geschichts- 
studium: ob  dieses  aber  in  dem  Umfange,  wie  ihn  der  Verf. 
angiebt,  in  der  That  gründlich  getrieben  werden  kann,  müssen 
wir  sehr  bezweifeln.  Wollte  man  sich  einfallen  lassen,  aus  un- 
sern  Gymnasien  die  meisten,  wenigstens  alle  berühmten  Grie- 
chischen und  Lateinischen  Schriftsteller  mit  den  Schülern  zu 
lesen,  so  müsste  die  Gründlichkeit  zu  Grabe  getragen  werden. 
An  diesen  Maassstab  hätte  Hr.  H.  seinen  Vergleich  anlegen 
müssen,  wenn  er  den  Gesetzen  der  Logik  gemäss  hätte  verfah- 
ren wollen.  Bezwecken  wir  ein  im  strengen  Sinne  des  Wortes 
gründliches  Studium  der  alten  Geschichte,  dann  erreichen  wir 
schon  ausserordentlich  Vieles:  wie  sich  aber  ein  solches  mit 
dem  Studium  der  Sprachen  selbst  recht  gut  vereinigen  lasse,  hat 


Hopfensack :    Grundaätzo  des  historischen  Uuterrichta.  73 

Thiersch  gezeigt  in  seiner  Sclirift  über  die  Gelehrten -Schu- 
len in  Baiern.  Aus  dem  weiten  Kreise  der  historischen  Ilülfs- 
wissenschaften  zieht  der  Verf.  Geograpliie ,  Chronologie  und 
Archäologie  mit  in  den  Gymnasial  -  Unterricht.  Die  durch 
Heyne  allgemein  §äng  und  gebe  gewordene  Bedeutung  des 
Wortes  ^Archäologie  beschränkt  dasselbe  auf  die  alte  Kunst; 
Hr.  H.  aber  verwechselt  es  mit  dem  allgemein  angenommenen 
Ausdruck  -r^//<?/*^Aw;/jer,  indem  er  S.  13  sagt,  dass  der  Lehrer 
auf  Gymnasien  am  besten  thun  werde ,  wenn  er  bei  der  Ge- 
schichte der  Griechen  und  Römer  das  NöthigeViber  den  bürger- 
lichen und  religiösen  Zustand  dieser  Völker  anführe,  und 
dann  bei  dem  Lesen  der  Alten  das  zum  Verständnisse  der 
vorkommenden  Stellen  aus  der  Alterthumskunde  Erforderliche 
hinzufüge. 

II.  Methode  des  historischen  Unterrichtes.  Als  Grund- 
lage zu  dem  historischen  Unterricht  lässt  der  Verf.  den  geogra- 
phischen vorausgehen,  um  in  der  Seele  des  Knaben  die  ersten 
Begriffe  von  der  Beschaffenheit  der  Erde  in  physischer,  niathe- 
raatischer  und  politischer  Hinsicht  zu  erwecken.  Wenn  der 
Lehrer  in  dem  ersten  historischen  Cursus  dem  Schüler  einen 
Begriff  von  Zeitrechnung  und  Perioden  beigebracht  hat,  soll 
er  ihm  nach  des  Verf.  Ansicht  die  Ilauptepochen  mit  der  dazu 
gehörigen  Chronologie  sorgfältig  einprägen.  Uns  erscheint 
dieses  Verfahren  ganz  verkehrt,  wie  überhaupt  jedes  gedan- 
kenlose Einprägen  von  allgemeinen  apriorischen  Begriffen:  al- 
les ,  was  in  der  Seele  eines  Knaben  feste  Wurzel  fassen  soll, 
rauss  ihm  a  posteriori  beigebracht  werden,  und  nur  nach  einer 
auf  diese  Art  gelegten  Grundlage  lassen  sich  erst  Begriffe  a 
priori  entwickeln.  Darum  sei  der  erste  Cursus  in  der  Ge- 
schichte rein  biographisch ,  und  zwar  so ,  dass  das  beugsame 
jugendliche  Gemüth  durch  Darstellung  der  seiner  Fassungs- 
kraft angemessenen  Handlungen  eines  Individuums  aufgeregt 
und  überhaupt  die  Liebe  für  das  geschichtliche  Studium  erst 
geweckt  werde.  In  dieser  Beziehung  hat  uns  ein  Programm 
des  Directors  Imanuel  zu  Minden:  Bemerkungen  über  den 
historischen  Unterricht  auf  Schulen  (1827.  4.)  besser  gefallen, 
aus  dem  wir  die  hierher  gehörige  Stelle  mitzutheilen  uns  ge- 
drungen fühlen,  S.  11:  „Fragt  es  sich  nun,  wie  dieser  Un- 
terricht zu  ertheilen  sei,  so  wird  es  bei  aufmerksamer  Betrach- 
tung bald  klar  werden,  dass  es  ein  Irrthum  ist,  wenn  mau 
wähnt,  man  müsse  von  dem  Allgemeinsten  auf  der  unteren 
Stufe  ausgehn,  und  das  ganze  Feld  der  Geschichte  dort  in  eine 
Uebersicht  bringen,  die  man  erst  später  ins  Einzelne  ausfüllen 
und  ausmahlen  könne.  Denn  zuerst  ist  dieser  Weg  der  am  we- 
nigsten der  Natur  gemässe;  die,  wie  wir  sehen,  das  Kind  im- 
mer von  der  Anschauung  und  Erkenntniss  des  Einzelnen  aus- 
gehn ,  und  so  zur  Uebersicht  der  Allgemeinheit  und  des  Ganzen 


74  Programme. 

fortschreiten  lässt;  zweitens  aber  möchten  die  oben  angegebe- 
nen Zwecke  des  historischen  Unterrichts  auf  der  untersten 
Bildungsstufe  auf  diesem  Wege  niclit  zu  erreichen  sein.  Denn 
was  ist  es,  was  des  Kindes  Phantasie  und  Gemütli  weckt  und 
anregt  *?  die  Begriffe  etwa  des  weiten  Raums  oder  der  langen, 
fernen  Zeit?  sie  sind  ihm  unfassbar  und  unbegreiflich,  wie  sie 
die  Seele  des  reiferen  Menschen  ja  nie  in  der  Phantasie,  son- 
dern nur  durch  Berechnung  und  Vergleichung  im  Verstände  er- 
fassen kann.  Eben  so  wenig  wird  der  Zusammenhang  von  Be- 
gebenheiten durch  Ursache  und  Wirkung,  der  Zusammenhang 
der  Erscheinungen,  eben  so  wenig  der  Begriff  von  Volk  und 
Staat  dem  Knaben  interessant  sein  können,  da  er  durchaus  ohne 
irgend  eine  lebendige,  ihn  fesselnde  Anschauung  davon  blei- 
ben muss."  —  Ferner  S.  12:  „Und  so  wäre  der  Gang  dieses 
Unterrichts  auf  der  untersten  Stufe  der,  dass  man  als  eine 
Vorbereitung  dazu  die  Mittlieilung  der  ältesten,  demMährchea 
am  nächsten  kommenden  Völkersagen  annehme,  in  ihrem  er- 
sten kindlichen  Geist  und  Gewände,  alsdann  aber  die  Ge- 
schichte der  Völker  durch  die  Lebensbeschreibungen  ihrer 
ausgezeichnetesten  Männer  hindurch  verfolgte,  sie  so  chrono- 
logisch ordnend,  dass  man  dem  Knaben,  ohne  dass  er  die 
Schwierigkeit  fühlt ,  eine  hinlängliche  Anzahl  von  Namen  und 
Zahlen  für  sein  Gedächtniss,  für  künftige  Zeit  mit  auf  den 
Weg  gäbe.  Kenntniss  des  Schauplatzes  der  Begebenheiten,  der 
Sitten,  Gebräuche,  und  andrer  interessanten  Züge  aus  dem 
Leben  der  3Ienschen  und  Völker  würden  damit  verbunden, 
und  allmählig  dem  Knaben  eine  Ahndung  geben,  dass  neben 
der  Einzelnheit  auch  das  Weitere  und  Allgemeinere  intertjssant 
sein  könne;  doch  müsste  die  Auswahl  darin  sehr  verständig 
geschehn."  —  Nur  auf  diese  Weise  lässt  sich  unsrer  Ueber- 
zeuguug  nach  das  Avahre  Heil  von  dem  historischen  Unterricht 
erwarten.  Was  ferner  von  Ilrn.  Ilopfensack  über  diesen  Un- 
terrichtszweig in  den  mittleren  und  höheren  Bildungsstufen  ge- 
sagt wird,  ist  im  Ganzen  genommen  zu  flach  und  oberflächlich 
geiasst,  als  dass  wir  unsre  Leser  weiter  damit  behelligen 
möchten. 

In  den  Schulnachrichten  wird  einer  Verfügung  desKönigl. 
Prov. -Schulcollegiums  über  den  Religionsunterricht  gedacht, 
und  dabei  hat  derDirector  folgende  höchst  merkwürdige  Worte 
aus  einer  Cabinets- Ordre  des  Königs  von  Preussen  (Berlin  12. 
Jan.  1T98)  ins  Gedächtniss  zurückgerufen:  „Ich  selbst  ehre 
die  Religion,  folge  gern  ihren  beglückenden  Vorstellungen,  und 
möchte  um  vieles  nicht  über  ein  Volk  herrschen,  welches  keine 
Religion  hätte.  Aber  Ich  weiss  auch ,  dass  sie  die  Sache  des 
Herzens ,  des  Gefühls  und  der  eignen  Ueberzeugung  seyn  und 
bleiben  muss,  und  nicht  durch  methodischen  Zwang  zu  einem 
gedaukeülosenPlappcrwerk  herabgewürdigt  werden  darf,  wenn 


Durst:    lieber  die  Methode  des  naturlüätoriächen  Unterrichts.      75 

sie  Tugend  und  Reclitschaffenlieit  befördern  soll."  —  Dieses 
Ziel,  gewiss  das  höchste,  das  sich  der  lleligionslehrer  stellen 
kann,  wird  aber  in  Gelehrten -Schulen  weder  durch  Katechis- 
men, noch  durch  LehrbVicher,  wie  etwa  das  IN iemey ersehe 
beschaHcn  ist,  je  vollständig  erreicht  werden:  dem  nach  höhe- 
rer Ausbildung  aufstrebenden  JVingiing  muss  das  Wort  Gottes 
in  seiner  reinsten  Originalität,  der  Kern,  und  nicht  die  Schaale, 
vorgelegt  und  erklärt  werden.  Vergleiche,  was  wir  hierüber 
gesagt  haben   Jahrb.  1826  ßd.  II  S.  171. 

9)   DÜSSELDORF. 

lieber  die  Methode  des  natur historischen  Unter- 
richts tmd  den  Nutzen  desselben  im  Allge- 
meinen. Von  Dr.  JB.  A,  Durst.  Düsseldorf,  hei  Däuzer. 
4.    10  S.  und  S.  11  —  23:    Schulnachrichten. 

Die  Wichtigkeit  des  hier  behandelten  Gegenstandes  wird 
kein  Verniinftiger  bestreiten,  wenn  er  nur  mit  der  erforderli- 
chen Einsicht  gehandhabt  wird.  Der  Verfasser  dieser  Schrift 
scheint  von  seinem  Berufe  als  Lehrer  der  INaturgeschichte  tief 
durchdrungen  zu  sein  und  sich  im  Allgemeinen  den  richtigen 
Standpunct  gewählt  zu  haben.  Nach  der  auf  den  Königl.  Preu- 
ssischen  Gymnasien  eingeführten  Anordnung  wird  dieser  Un- 
terricht in  den  drei  untersten  Classen  ertheilt.  Der  Lehrer 
beginnt  in  Sexta  mit  einer  allgemeinen  Einleitung  in  das  Ge- 
sammtgebiet  der  Naturgeschichte  (sollte  diese  wohl  nicht  bes- 
ser noch  verspaart  werden*?)  und  an  diese  schliesst  sich  die 
Lehre  von  den  Säugethieren ,  als  den  vollkommensten  Erschei- 
nungen in  der  tliierischen  Schöpfung.  „Der  Typus  thierischer 
Gestaltungen  ist  für  dieses  Jugendalter  am  ansprechendsten, 
und  enthält  auch  den  grösstcn  Keichthum  des  Geschichtlichen 
im  strengen  Sinne  des  Wortes.  Das  Anschauliche  spricht  sich 
hier  in  starken,  ja  oft  grossartigen  Bildungen  aus;  der  jugend- 
liche an  feinere  und  zartere  Formen  noch  nicht  gewöhnte  Sinn 
kann  sich  hier  leichter  als  in  andern  Classen  die  in  der  Einlei- 
tung aufgestellten  Grundsätze  versinnlichen ,  und  ist  der  Schü- 
ler einmal  für  die  Einsicht  in  die  Ilauptregeln  der  grossen  Na- 
tur-Grammatik gewonnen,  so  machen  solche  ihn  begierig, 
auch  die  untergeordneten  Organisationen  kennen  zu  lernen,  an 
denen  gleichsam  abstractere  Thcile  der  Thierwelt  erklärt  wer- 
den.'' In  Quinta  beginnt  der  Unterricht  mit  dem  Urthiere 
(Protozoa),  woran  sich  die  Eingeweidewürmer  (Enthelmintha), 
liiegelwürmer  (Annularia)  und  Strahlenthiere  (Iladiaria)  an- 
schliessen.  Sodann  folgen  die  Insekten,  Mollusken,  Fische 
und  Vögel.  In  Quarta  Avird  der  Anfang  gemacht  mit  der  Mi- 
neralogie ,  als  der  geheimnissvollen  Lehre  von  dem  Krystallisa- 
tiousvermögen    unsers  Erdkörpers,  und  alsdann  zur  Botanik 


70  Programme. 

fortgeschritten.  „Sie  ist  die  Wissenschaft  von  einer  gleichsam 
Tegetabilischen  Krystallisation,  und  es  lassen  sich  in  ihr  ana- 
loge geometrische,  ja  sogar  arithmetische  Bildungsverhältnisse 
nachweisen.  Das  Leben  spricht  sich  an  den  Pflanzen  zwar  stil- 
ler als  in  der  Thierwelt  aus  ,  nämlich  in  der  geringsten  Potenz ; 
je  tiefer  man  aber  in  die  Entzifferung  dieser  Naturhieroglyphen 
eindringt ,  desto  ehrfurchtsvoller  lernt  man  auch  hier  den  gro- 
ssen Gott  einer  erhabenen  Naturordnung  erkennen."  — -  In  letz- 
ter Zeit  ist  durch  den  naturhistorischen  Atlas  von  Goldfuss  ei- 
nem dringenden  Bedürfniss  abgeholfen,  und  derselbe  durch  die 
Fürsorge  der  höchsten  Staatsbehörde  an  alle  Gymnasien  ver- 
breitet worden.  Naturheschreibtmg  heisst  diese  Wissenschaft, 
insofern  sie  das  in  der  Anschauung  Gegebene  an  organischen 
oder  mineralischen  Naturkörpern  beschreibt;  Naturgeschichte^ 
insofern  das  Naturproduct  nicht  nur  eine  Entstehung  und  Ent- 
wickelung  in  der  Zeit  voraussetzt,  sondern  weil  sie  es  nicht 
wohl  umgehen  kann,  in  ihre  Beschreibungen  Naturhistorisches 
im  strengen  Sinne  des  Wortes,  also  Geschehenes  in  Verbindung 
mit  Thierhandlungen  aufzunehmen.  Philosophische  Naturlelire 
muss  zwar  zunächst  vom  Gymnasialkreise  ausgeschlossen  blei- 
ben; aber  soviel  als  möglich  davon  die  Schüler  fühlen  zu  las- 
sen ,  wird  kein  Lehrer  versäumen,  dem  es  auch  um  die  sittliche 
und  religiöse  Veredlung  der  Jugend  zu  thun  ist ;  denn  während 
•wir  in  der  Geschichte  den  Gott  der  moralischen  Weitordnung 
kennen  lernen ,  offenbart  sich  uns  in  der  Geschichte  der  gro- 
ssen Naturwelt  derselbe  Gott  in  einer  bewunderungswürdigen 
Naturordnung,  in  einer  über  alles  weisen  Gesetzmässigkeit  und 
als  das  Ideal  einer  ewigen  Liebe.  Nützlich  ist  die  Naturge- 
schichte auch  in  der  Beziehung,  als  dadurch  der  Beobach- 
tungssinn, ein  richtiger  Blick  bedeutend  geübt  wird;  und  durch 
genauere  Kenntniss  des  Organismus  sowohl  andrer  Thiere  als 
seines  eignen  Körpers  wird  der  Knabe  zu  einer  desto  grössern 
Schoimng  dieses  wundervollen  Organismus  geleitet.  Der  Ver- 
fasser schliesst  mit  Friedrich  Richters  Worten  in  der  Le- 
vana:  ,,Das  Kind  lerne  alles  thierische  Leben  heilig  halten, 
denn  Grausamkeit  ^egen  Thiere  weissagt  eine  gegen  die  Men- 
schen; es  versündigt  sich  am  Leben ,  indem  es  dasselbe  aus- 
einanderzieht wie  ein  Räderwerk.  Oder  soll  das  schlagende 
Herz  unter  Borsten,  Federn,  Flügcldeckeu  darum  keines 
seyn'J"  — 

10)  Saarbrücken. 

lieber  die  innigere  Ver einigung  der  höhern  Bür- 
ger-    und      der     Gelehrten  -  Schule     in     dem 
Gymnasium.     Von  F.  G.iSchwalb.     Saarbrücken.  4.  28  S. 
2y  ~—  89:  Schulnaclu'lchten. 


Schwalbe :  Heber  Vereinig,  d.  höhern  Bürger  -  u.  Gelehrt.  -  Schule.  77 

Es  ist  unverantwortlich,  dass  an  diesem  Gymnasium  drei 
Jahre  hintereinander  die  Programme  nur  in  Deutscher  Sprache 
abgefasst  worden  sind,  obgleich  die  Königl.  Ministerial- Verfü- 
gung vom  23sten  August  182-1:  N.  III  ausdrücklicli  vorschreibt: 
„Die  den  Schuliiachrichten  vorauszuschickende  wissenschaftli- 
che Abhandlung  soll  abwechselnd  das  eine  Jahr  in  Lateinischer, 
das  andre  in  der  Deutschen  Sprache  geschrieben  werden." 
Wird  solclier  Unfug  von  der  vorgesetzten  Provinzial- Behörde 
niclit  aufs  strengste  geahndet,  nnd  werden  die  erforderlichen 
Maassregeln  nicht  dagegen  ergriffen^  so  soll  er  wenigstens  vor 
den  Augen  des  grössern  Publicums  nicht  verschwiegen  bleiben. 
Pünktliche  und  strenge  Ausführung  des  Gesetzes,  namentlich 
da  wo  es  der  Ehre  einer  Anstalt  gilt,  muss  dem  gewissenhaf- 
ten Schulmann  stets  die  erste  seiner  Pflichten  sein,  oline  wel- 
che der  Geist  im  Leben  erschlalft,  der  den  Lehrenden  und  dea 
Lernenden  gleichmässig  durchdringen  soll. 

Das  vorliegende  Programm  erstreckt  sich  mehr  auf  flache 
und  oft  zu  wenig  begründete  Räsonnements ,  als  auf  eine  tie- 
fere Erfassung  des  Gegenstandes  selbst.  Die  drei  untersten 
Classen  eines  Gymnasiums  stellt  der  Verf.  den  höheren  Stadt- 
schulen oder  Progymnasien  gleich,  „welche  zunächst  das  Ge- 
meingut jedes  gebildeten  (sie!)  Bürgers  mittheilen  durch  Wei- 
terbildung des  Stoff's  der  Elementarschule ,  und  Ilinzunahme 
von  neuem  ;  dadurch  zugleich  vorüben  und  Grund  legen  für  das 
Gymnasium,  welcher  wieder  das  Gemeingut  Aq.x  Höher  gebilde- 
ten (wie  wird  doch  das  schöne  Wort  gebildet  so  schmählich 
gemissbraucht! )  und  der  sogenannten  Gelehrtenstände  mit- 
theilt, indem  es  die  Lehrstolfe  des  Progymnasiums  weiter  und 
wissenschaftlicher  aus-  und  umbildet,   und  neue  hinzunimmt.'* 

—  Lieber  Himmel,  wie  werden  zuletzt  unter  solchen  Händen 
unsre  Gymnasien  noch  zugeschnitten  werden !  Es  scheint,  das 
Niltzlichkeits- Evangelium^  Morüber  Passowin  der  Einleitung 
zu  diesen  Jahrbüchern  1826  S.  2  f.  ein  so  kräftiges  Wort  ge- 
sprochen hat,  soll  an  den  Marken  von  Frankreich,  von  woher 
es  zunächst  ausgegangen  war,  allmählig  wieder  Eingang  fin- 
den. Der  Hang  dazu  mag  ziemlich  sichtbar  sein,  Avie  sich  un- 
ter andern  aus  der  Vertheidigung  dieser  Ansicht  vom  Director 
zu  Duisburg,  J.  D.  Schulze,  (Schulnachrichten  zum  Progr. 
von  1827  S.  1  f.)  und  aus  dem  dieser  Ansicht  mit  Kraft  gelei- 
steten Widerstand  durch  den  Director  Birnbaum  zu  Cöln  im 
Programme  von  1825  ergibt.  Wir  dürfen  uns  jedoch  vollkom- 
men beruhigen,  weil  das  Königl.  Ministerium  die  weise  Mittel- 
strasse zu  halten  und  dem  gesammten  Unterrichtswesen  eine 
zweckmässige  Gestalt  zu  geben  sich  stets  angelegen  sein  lässt. 

—  Es  wird  in  dieser  Abhandlung  noch  Mancherlei  über  den 
Deutscheti  Sprachunterricht  vorgebracht,  worunter  wir  aber 
nichts  einer  allgemeinem  Mittheilung  wertli  fanden. 


78  Programme. 

11)      C  0  B   L   E   ]V  z. 

a)  Sacra  natalicla  —  Frlderici  Guilelmi  III  —  indlcit  Fr.  Nie. 
Kleinius.  Inest  dis'putatio  de  Rigodulo  ad  Rhe- 
num.  'pro'pe  Confluentes  Oppido  e  [immo  ex]  Jo. 
Phil.  Reiffenbergii  Antiquitatibus  Saynensibus  excerpta  et  nunc 
primum  edita.      Conflucntibus  exe.  Heriot.  4.   8  S. 

b)  Programm  zur  Herbst -Prüfung  —  herausgegeben  von  Dr.  Fr. 
KIc.  Klein.  Coblenz ,  Heriot.  4.  40  S.  Inhalt:  1)  Darstel- 
lung einiger  ivichtigen  Lehrsätze  aris  dein 
Gebiete  der  gesaminten  Analysis  von  Fr.  Leu- 
zinger.  2)  Schulnachrichten.  3)  Eingeschaltet  in  diese  letz- 
teren, eine  antiquarische  Untersuchung  über  die  in  der 
Bibliothek  des  Gynmasii  befindliche  Steinschrift  von 
ßoppard    (Baudobriga),    \  oii  Joh.  Aug.  Khin. 

Wir  haben  uns  liier  iiisonderlich  mit  a  und  6,  3  zu  be- 
schäftigen, indem  wir  die  mathematischen  Programme  der 
vollständigen  Uebersicht  halber  nur  aufluhren ,  ihre  nähere 
Beurtheilung  aber  gern  andern  llecensenten  überlassen  wollen. 

Die  Alterthümer  von  Sayn  sind  durch  Joh.  Phil,  von 
Reiffenberg  vom  J.  1(581:  an  gesammelt  und  wahrscheinlich 
nach  dem  J.  1708  überarbeitet.  Der  Stoff  ist  folgend ermaassen 
vertheilt:  1)  Saynae  Origines,  2)  Castelli  Cunostein- Engers 
primordia ,  3)  Reol  sive  Rigodulnm  ad  Rhenum ,  4)  Paroeciae 
Heimbaceiisis .,  quae  est  in  confiiiiis  Saynae,  laudes  et  decora. 
Hier  ist  Nr.  3  aus  lleiffenbergs  Handschrift  selbst  abgedruckt, 
welche  in  der  Bibliothek  der  Grafen  von  Boos-Waldcck  be- 
wahrt wird.  Eine  andre  Handschrift  befindet  sich  in  der  Bi- 
bliothek des  Matth.  Jos.  Grebel ,  die  hier  und  da  etwas  voll- 
ständiger ist,  als  die  Reiffenbcrgische,  und  den  gewöhnlichen 
gleich  kommt,  aber  mit  grösserer  Nachlässigkeit  geschrieben  ist. 
Hr.  von  Stramberg  zu  Coblenz  gedenkt  den  ganzen  schriftli- 
chen Nachlass  Reiffenbergs  herauszugeben.  —  In  der  von  Hrn. 
Rlein  hier  zuerst  herausgegebenen  Abhandlung  wird  zunächst 
die  bekannte  Stelle  des  Tacitus  Hist.  IV,  71  hei-vorgehoben, 
sodann  die  des  Ammianus  Marcellinus  XVI,  6,  bei  welcher  Hr. 
Klein  auf  des  Recensenten  Conjectur  und  Erklärung  in  den 
Jahrbb.  1826  Bd.  2  S.  166  f.  verwiesen  hat.  Reiffenberg  be- 
merkt dazu :  „Ubi  ^  quod  obitcr  notare  volui ,  per  turrim  mu- 
nimentum  intelligere  Amraianum  credo,  quod  castrura  et  arcem 
hodie  diciraus."  Darauf  werden  Belegstellen  aus  dem  alten 
Testament  angezogen,  womit  freilich  hier  nicht  viel  bewiesen 
wird.  Wichtiger  ist  folgende  Aeusserung:  „Et  quisquis  vetu- 
stissimas  illas  Gerraaniae  arces  observabit,  videbit  turres  totius 
structurae  fuisse  principium ,  reliqua  paulatim  addita."  —  Fer- 
ner glaubt  R.,  wie  auch  andre,  Tacitus  und  Ammianus  handel- 
ten von  zwei  verschiedenen  Orten  mit  Namen  Rigoduhim,  weil 
Cerialis  von  der  Gegend  um  Coblenz  aus  nicht  in  Einem  Tage 


Rciffeiiberg :    De  Rig^odulo  ad  Rbenuiu   oppido.  79 

bis  Trier  liätte  kommen  können.  „Et  quis  rci  bellicae  (heisst  03 
weiterhin)  peritus  credet,  Valentinum  Trevironim  ducem,  stan- 
tibus et  apiid  Bin^iiim  et  Mcdiomatricos  legionibus  Roraanis,  ab 
iirbe,  quam  perculsam  et  jam  arma  omittentem  sua  praesentia  vix 
confirniarat,  tarn  procul  recedere  et  apud  Coiifliientes  locum  na- 
tura munitum  voluisse  quaerere*?  ubi  denique  circa  Confluentes 
locum  iikim,  cui  Taciti  descriptio  convcaiat,  inveniemus*?  — 
Non  dubitandum  autem  Rigodulum  Taciti  esse  pagum  illum, 
qui,  ut  Browerus  ait  Ann.  Trevir.  Tom.  I  p.  157,  ad  ripam 
Mosellae  fluvii  veteri  etiamnum  appellatione  a  Treviris  abest 
railia  passuum  quinque  versus  orienteni ,  quemque  Lipsius  Rigol 
vocat,  iios  [«/.  add.  et]  Jtieol  et  Reiil\\\\^o  dicimus.  —  At  Ri- 
godulum  Ammiani  ci'/ca  Confliientes  quaerendum  quonam  alio 
loco  stetisse  probabiiius ,  quam  ubi  ad  Rhenum  pari  cum  illo  ad 
Mosellara  nomine,  bis  mille  circiter  infra  Cuuostein- Engers 
passibus,  patrum  adhuc  memoria  iiabitatus  pagus  Reol  sive 
Reid  nunc  in  rudcribus  et  agris  tantum  ,  qui  das  Reulerfeldt 
Tocantur,  Rigoduli  veteris  memoriam  retinet,  cujus  ultimara 
paucis  abhinc  annis  alio  transportatam  domura  ipsi  vidimus  et 
plurium  allarum  areae  cellaeque  subterraneae  (quas  inter  una 
cum  certis  quibusdam  agris  rae  quoque  dominum  agnoscit) 
etiamnum  apparent."  —  Ohne  uns  in  eine  weitere  Erörterung 
der  hier  gegebenen  Ei'klärung  einzulassen,  berufen  wir  uns 
auf  dasjenige,  was  wir  früher  in  diesen  Jahrbüchern  ausge- 
sprochen haben.  Nacli  Römischem  Brauche,  die  Castelle  auf 
Anhöhen  zu  errichten ,  glaubt  R.  zu  Reul  oder  Rigodulum, 
als  einem  erhöheten  Orte,  ein  solches  Castellum  zu  finden, 
und  beruft  sich  auf  Caesar  B.  G.  VI,  29:  praesidiumqtie 
cohoitiuin  duo5ecim  pontis  tuendi  causa  po7itt  magiiisqiie  eum 
locum  munitionibus  firmat ;  ei  loco  yraesidioque  C  Volcatium 
Tullum  adolescentem  praefecit.  Wie  man  überhaupt  berech- 
tigt sein  dürfe,  diese  Worte  auf  Rigodulum  zu  beziehen, 
hätte  vor  allen  Dingen  dargethan  werden  müssen.  Nun  aber 
folge  erst  ein  Specimen  von  ReifTeubergs  Etymologie:  „eas- 
que  demum  raunitiones  a  praeside  C.  Volcatio  TuUo  regionem 
Tulli  primum,  dein  breviato  vocabulo  Ä/^orf//^?/m  sive  sermone 
patrio  das  Righ  Tulli  per  jocum,  aut  eo  sensu  quo  das  Greuen- 
Reich  etiamnum  dicimus,  vocasse  übios."  Mit  solchen 
Gründen  erweist  R.  sein  Rigodulum  am  Rhein;  das  an  der 
Mosel  steht  durch  Caesars  Bericht  auf  zu  festen  historischen 
Pfeilern,  als  dass  ähnliche  etymologische  Grillen  gewagt  wer- 
den dürften.  Daher  sagt  auch  R.  S.  6  f.:  „Num  \ er o  Rigo- 
dulum od  Mosellam  (quod  similitudo  nominum  persuadet)  ab 
eodem  TuUo  nomen  acceperit,  uti  ex  nulla  historia  eruere, 
ita  affirmare  non  possum,  contentusque  ignotum  hactenus 
Rigoduhun  ad  Rhenum  ostendisse  de  conditore  et  nomine  11- 
lius  ad  Mosellara  aliorura  judicia  expectabo." 


80  Programme. 

Die  noch  zu  betrachtende  AhhancUung  über  die  Stein- 
schrift von  Boppard  steht  in  dern  Programm  S.  80  —  36. 
Bei  dem  Abbrechen  einer  uralten  Micliaelis-Capelle  zu  ßop- 
pard  fand  sich  ein  Stein  mit  einer  für  die  Geschichte  der 
dortigen  Gegend  merkwürdigen  Inschrift,  den  Hr.  ßauinspe- 
ctor  de  Lassaulz  der  Gymnasial- IJibliotliek  zu  Coblenz  zum 
Geschenk  gemacht  hat.  Die  Inschrift  ist  zuerst  bekannt  ge- 
macht in  Brewers  Vater lätulischer  Chronik  der  Konigl. 
Mhein- Provinzen  J.  1826  p.  10  S.  581  ff.  „Dagegen  (bemerkt 
Ilr.  Director  Klein  in  einem  Vorworte  zu  der  Abhandlung) 
hat  Ilr.  V.  Haupt  Irrthümer  in  der  Abschrift  oder  Dentung 
der  Schriftzüge  keineswegs  vermieden,  und  die  Erklärung 
dessen,  was  er  mittheilte,  wie  billig,  den  gegenwärtigen 
Besitzern  des  Steines  überlassen."  Hr.  Professor  Job.  Aug. 
Klein,  der  sich  nunmehr  zum  drittenmal  in  den  Program- 
men des  Coblenzer  Gymnasiums  liören  lässt,  uud  dadurch 
sein  reges  Streben  für  Erforschung  des  vaterländischen  Al- 
terthums  aufs  bestimmteste  beiirkundet,  eröffnet  seinen  Auf- 
satz mit  folgenden  sehr  bemerkenswerthen  Worten:  „Noch 
Vieles  mag  vorhanden  seyn  zwischen  der  Nahe  und  Mosel, 
die  Bemühungen  des  Forschers  zu  lohnen!  Das  im  Laufe 
von  mehr  als  anderthalb  Jabrtausenden  gewiss  bedeutend  er- 
höhte Flussbett  des  Rheines  längs  den  Ufern  hin,  die  Grund- 
mauern der  Tliürme,  Unterlagen  von  Chorgewölben,  die  Pfei- 
ler jener  uralten  Rheinischen  Kirchen,  die  Substructionen  be- 
moster  Ritterburgen  enthalten  sehr  Avahrscheinlich  noch  man- 
chen Denkstein  aus  Römischer  Zeit^  deren  Inschriften,  von 
oben  oder  unten  durch  andere  Massen  verdeckt,  weil  die 
grösseren  Flächen  gewöhnlich  aufliegen,  freilich  so  leicht 
nicht  ins  Auge  fallen".  Der  Stein  ist  nur  theilweise  erhal- 
ten, indem  der  obere  Theil,  welcher  wahrscheinlich  die 
Eigennamen  enthielt,  abgeschlagen  ist;  seine  Höhe  beträgt 
24|  Zoll  Preussisch,  die  Breite  27 1  die  Dicke  10|.  Die  In- 
schrift selbst  ist  in  folgenden  Zügen  wiedergegeben; 

PRTNCEPS.    II  LEG.  XIIII 
GEM.  AN.  LXIV.  STIP. 
XL  VI.  31ILIT.  XVI.  CVRA 
TORIA.  VETERAN.  IV. 
EVOCATIVA  HL 

Nach  Tacitus  An.  I,  37  stand  die  14te  Legion  unter  des 
Germanicus  Oberbefehl  zugleich  mit  der  12ten,  ISten  und 
16ten  in  Obergermanien,  cf.  I,  70;  Hist.  II,  68;  Dio  Cass. 
H.  R.  LV,  23.  Beide  Heere,  sowohl  in  Ober-  als  in  Unter - 
Germanien,  standen  in  der  Nähe  des  Rheines  (Tacit.  An.  I,  31: 
Duo  aj)ud  ripam  Rheni  exercitus  erant ;  cui  nomen  superiori^ 
sub  C.  Silio  legato^  inferiorem  A,  Caecina  curabat).     Zu  dem 


Klein:    lieber  die  Steinschrift  von  Boppard.  81 

erstereii  gehörte  die  auf  der  Inselirift  erwähnte  14te  Legion, 
Hr.  Klein  folgert  daraus,  dass  ßoppard  (Baiidobriga,  Bonte- 
brice,  Bodobrica,  welcher  Name  f iir  Celtiisch  erklärt  wird)  als 
Fundort  des  Monuments  das  Standquartier  eines  Theiies  jener 
Legion  gewesen  sein,  der  Ort  selbst  also  in  Ober -Germanien 
gelegen  haben  müsse.  Ist  es  aber  gerade  nothwendig,  dass 
an  dein  Orte,  wo  der  Stein  gefunden  wurde,  aucli  die  bezeich- 
nete Römische  Legion  oder  ein  Tlieil  derselben  gestanden 
habe*?  Konnte  er  nicht  ebenso  gut  anderswolier  per  varios  ca- 
sus nach  Boppard  gebracht  worden  seyn*?  Wir  müssen  diese 
Einwürfe  machen,  damit  Ilr.  Kl.  nicht  auf  willkührliche  Vor- 
aussetzungen ,  die  ebenso  gut  falsch  als  m  ahr  sein  kön- 
nen ,  zu  viel  Gewicht  legt ,  oder  gar  Folgerungen  daraus  zieht, 
die  in  Ermangelung  eines  festen  Grundsteines  alsdann  in  sich 
selbst  zerfallen  würden.  Diese  allzu  kühne  Kritik,  die  augen- 
blicklichen Einfällen  nur  zu  schnell  ein  geneigtes  Ohr  leiht, 
hatten  wir  schon  früher  einigemal  Gelegenheit  in  diesen  Jahr- 
büchern zu  rügen.  Nach  der  berührten  Voraiissetzung  nun 
will  Hr.  Kl.  die  Grenze  von  Ober-  und  Unter -Germanien  an 
die  Mosel  setzen.  „Jener  Moselgrenze,  die  beyde  Landstriche 
schied,  nahe  muss  dann  Baudobriga  gesetzt  werden,  weil  die 
erst  erwähnte  Stelle  (Tacit.  An.  I,  37)  auf  eine  genaue  Berüh- 
rung mit  den  aufrührerischen  Cohorten  Mieder -Germaniens 
deutet.''  So  also  (wohl  gemerkt!)  glaubt  Hr.  Kl.  nach  einer 
baufälligen  Kritik  die  Grenze  beider  Germanien  aufgefunden 
zu  haben.  S.  32  wendet  er  sich  selbst  ein:  „Aber  diese  Lage, 
wie  stimmt  sie  mit  Ptoleraäus,  der  seine  Obriiiga  (oder  Obrin- 
gus)  als  Grenze  beyder  Römischen  Germanien ,  vierzehn  Stun- 
den aufwärts  und  jenseits  Moguntiacum  in  den  Rhein  fliessen 
lässt*?''  Diese  Eintheilung  fällt  natürlich  in  eine  weit  spätere 
Zeit(Trajans  und  der  Antonine)  und  konnte  daher  recht  gut  von 
der  früheren  verschieden  sein.  Lieber  die  Obringa  ist  viel  ge- 
stritten worden,  ohne  dass  ein  ganz  befriedigendes  Resultat 
herausgekommen  wäre.  Hr.  Kl.  erklärt  sich  für  den  Main  (er 
schreibt  unrichtig  Mayti)^  jedoch  nicht  mit  zureichenden  Grün- 
den, zu  deren  näherer  Erörterung  hier  nicht  der  Ort  ist.  — 
GEM.  ist  zu  lesen  Geniina ^  ein  Beiname  den  auch  andre  Le- 
gionen führten,  in  denen  nach  Dio  Cassius  (LY,  23)  mehrere 
durch  Kriegsverlust  geschwächte  Legionen  vereinigt  waren. 
Sonst  kommt  nur  ein  Princeps  I  bei  einer  Legion  vor;  Hr.  Kl, 
erklärt  den  Princeps  II  für  einen  riyi^fov  tcov  bvcovv^ov  dv- 
ÖQCöVf  wie  er  von  Polybios  (Mil.  Rom.  VI,  24)  geschildert 
wird,  „der  in  Abwesenheit  jenes  (6  /tev  TtQcörog  im  Gegensatz 
zu  dem  divtsgos)  der  rechten  dem  ganzen  ersten  Manipel  der 
ersten  Cohorte  [ivas  fiir  eine  steife  Wo?'tsteU/ing\]  vorstand, 
und  wenn  er  zur  höheren  Stelle  des  Centurio  primi  pili  stieg, 
nach  allgemein  eingeführter  Römischer  Kriegsordnung  (Veget. 
Jabri.f.Fhil.u.Fädagog.  Jahrg.lll.  Heft  5.  6 


82  Programme. 

II,  21)  den  Vordermann  ersetzte.  Ein  solcher  war  wohl  derPrin- 
ceps  secundus  legionis  auf  unserer  Steinschrift.''  Ueber  die  Le- 
gio  IUI  gem.  vergl.  noch  Iscrizioni  antiche  Veliterne  illustrate  da 
Clem.  Cardinalt.  Rom.  ]823.  4.  Ergänzungsblätter  zur  Ilal- 
lischen  Litt.  Z.  1827  N.  87.  —  Die  nächstfolgenden  Worte  der 
Inschrift  sind  so  zu  erklären,  dass  der  fragliche  Princeps  64 
Jahre  alt  war,  46  Jahre  als  Krieger  und  unter  diesen  16  in  ge- 
wöhnlichem Felddieiiste  gestanden  hatte.  —  CÜRATORIA 
VETERAJV.  IV.  Die  hier  bezeichneten  Stipendia  curatoria 
müssen  sich  natiirlich  auf  ein  militärisches  Amt  beziehen.  In 
Theodosiani  Codicis  gen.  fragm.  ed.  Puggaeus  (Bonnae  1825.) 
stehen  I,  6  die  Worte:  Primicerius .,  adjiitor  tiiae  sedis  ofßcii 
per  bienmim ,  quod  in  eode/n  gradu  ex  consuetudine  priscae 
ordinationis  emeruit.^  curam  insuper  personarutn.,  nsurpatiotie 
omni  alque  ambitione  cessante.,  siiscipiat.  —  „Der  erste  Amts- 
gehülfe  also  des  Piäfecteu  sollte,  nach  diesem  Rescripte, 
zivey  Jahre  hindurch,  so  lange  derselbe  alter  Anordnung  ge- 
mäss seine  Stelle  behielt,  zugleich  mit  der  rechtlichen  Perso- 
nen-Vertretung, worin  Vibrigens  auch  diese  bestanden  haben 
mag,  als  mit  einem  Ehrenamte,  ohne  irgend  einen  Einspruch, 
beauftragt  seyn.  Von  dem  Geschäftskreise  des  Primicerius 
sagt  Pancirolli  in  seinen  gelehrtenAnmerkungen  zur  Not  itia 
dignitatum  Utr.  I/np.  unter  andern:  „Magistros  militum,  Le- 
giones,  Cohortes,  Auxilia,  Vcxillationes  cum  earum  praefectis 
et  stipendiis  notabat."  Hierzu  kam  also  noch  die  fragliche 
cura  zwey  Jahre  hindurch,  oder  bestand  diese  vielleicht  eben 
in  dem  Angeführten'?  Auf  dem  Denksteine  eines  solchen  Pri- 
micerius würden  demnach  Stipendia  curatoria  II  sich  von  selbst 
erklären,  sowie  Stipendia  curatoria  Veteranorum  IV  auf  dem 
unsrigen ,  sobald  wir  annehmen ,  beym  Heere  habe  der  Pria- 
ceps  secundus  Legionis  vier  Jahre  hindurch  das  Nämliche  hin- 
sichtlich der  Veteranen ,  in  früherer  Zeit  wenigstens,  besorgt, 
was  der  Primicerius  späterhin  für  die  ganze  Provinz  übernom- 
men: dem  Princeps  Primus  Legionis  aber  sey  vielleicht  dieses 
Amt  für  die  übrige  Legion  zugetheilt  gewesen."  Wir  geste- 
hen ,  dass  uns  diese  Erklärung  noch  keineswegs  befriedigt  hat, 
dass  wir  aber  vor  der  Hand  auch  nichts  Besseres  an  die  Stelle 
zu  setzen  vermögen.  —  Die  Adjectivform  evocativus  ist  nach 
Analogie  von  provocativus  gebildet ,  und  kommt  sonstwo  nicht 
vor.  Nun  war  es  Sitte,  dass  die  vollständig  entlassenen  Ve- 
teranen bei  ausserordentliclien  Gelegenheiten  nochmals  zu  den 
Waffen  gerufen  wurden,  cf.  Caesar  B.  C.  91  p.  757;  Vellej. 
Fat.  II,  36,  4;  Sneton.  Vesp.  1.  Diese  waren  bei  der  Legion 
besonders  ausgezeichnet  und  hiessen  evocati,  dvccx^T^roL  bei 
Dio  Cassius  XLV,  12:  ort  TiBitaviiivoi  rrjs  örgateiag  In 
avT^v  avd'LQ  dvexlT^^Tjöav.  „Die  evocatio  selbst  geschah 
durch    evocatores,     bei    Aushebungen    im    Allgemeinen   con- 


Zirkel:  Bchand.  der  Au%.  über  die  Berühr.     Paulssen:  Sclmlredc.  83 

quisitores  genannt.  Die  in  der  Inschrift  vorkommenden  Stipen- 
dia  Evocativa  III  waren  demnach  dreymalige  Kriegsdienste  ei- 
nes evocatus  oder  auch  eines  evocator.  Verfasser  möchte  die- 
selben der  Wortform  nach  eher  für  letztere  halten,"  — 

12)     Bon   n. 

Behandlung   einiger  Fälle  der  Aufgabe  über  die 

Berührungen.      Von  P.  J    Zirkel.      Bonn   bei  Neusser.  4. 

22  Seiten  nebst  ZAvei  Tafeln  mit   matbematisclien  Figuren.    12  S. 

Schuinncbriditen. 

Diese  Schrift  hat  der  Verfasser  hauptsächlich  den  Schü- 
lern der  oherii  Classen  des  Gymnasiums  als  Anleitung  be- 
stimmt zur  Auflösung  der  berühmten  Aufgabe  des  Apollonios 
Ton  Perga  iiber  die  Berührungen,  sowohl  auf  rein  geometri- 
schem ,  als  analytischem  Wege. 

13)  Essen. 

Jahresbericht  über  das  Gymnasium  zu  Essen.  Von  ^.  J.  Paulssen. 
Vorgedruclit  ist  die  am  3ten  August  d.  J.  von  Ebendemselben  ge- 
haltene Rede.  Essen  bei  Bädecker.  4.  12  S.  u.  S.  13  — 24:  Schul- 
nachrichten. 

Es  ist  auffallend,  dass  Hr.  Paulssen,  der  im  Jahre  1825 
seine  eigne  Biographie  als  Programm  hat  drucken  lassen,  im 
J.  1827  abermals  statt  einer  wissenschaftlichen  Abhandlung 
eine  Rede  gewählt  hat,  die  bei  dem  grösseren  Publicum  kein 
Avissenschaftliches  Interesse  erwecken  kann.  Um  eine  Probe 
von  der  Schreibart  des  Verfassers  zu  geben,  möge  der  erste 
Satz  hier  eine  Stelle  finden  :  „Ilochzuverehrende  Ver- 
sammlung !  Ich  darf  wohl  voraussetzen,  dass  am  dies- 
maligen Jahrestage  der  Geburt  unseres  geliebten  Königs 
Ihre  auf  Seine  Majestät  Bezug  habenden  (sie!)  Ge- 
fühle, verstärkt  durch  den  innigsten  Dank  zu  Gott  für  die 
Wiederherstellung  des  Allverehrten  und  Allgeliebten  von  dem 
nicht  gefahrlosen  Beinbrüche,  höher  und  freudiger  ge- 
stimmt seyn  werden  als  in  irgend  einem  andern  Jahre  seit  der 
furchtbaren,  aber  auch  grossartigen  und  erhebenden  Zeit,  wo 
der  theure  Monarch  durch  tyrannische  Wülkühr  jenes  imer- 
sättlichen  Staatenzertrümmerers  und  Menschenverderbers  der 
Liebe  und  Verehrung  seiner  treuen  Unterthanen  entrissen  wer- 
den sollte,  doch  unter  Gottes  allmächtigem  Beistand  durch 
ihre  ewig  preiswiirdigen ,  aufopferungsvollen  Anstrengungen, 
ihm  selbst  zu  hoher  Freude,  uns  aber  zu  dauerndem  Heil,  da- 
vor bewahrt  wurde."  — 

14)  DÜREN. 

Die  Weihe  des  Gymnasiums  in  Düren,  a)  Rede  des 
Landraths     von    liipperda.       b)    Bede    des    Consi&torialraths 

C* 


84  Kui'zeAnzeigen. 

Klaessen.      c)    Rede  des  Directors  Meyer.    Düren  bei  Knoll.  8. 
24   S.   u.  S.  25  —  44 :   Schulnachrichten. 

Schon  seit  dem  Anfange  des  Ißten  Jahrhnnderts  war  in 
Düren  eine  Lateinische  Schule.  Im  J.  1628  errichteten  die  Je- 
suiten daselbst  ein  CoUegium,  mit  welchem  1636  die  Lateini- 
sclie  Schule  verbunden  wurde.  Nach  der  Auflösung  dieses  Or- 
dens ward  der  Unterricht  durch  Exjesuiten  fortgesetzt,  die 
nachmals  durch  Weltpriester  ergänzt  wurden.  In  dieser  Ge- 
stalt erhielt  sich  die  Schule  unter  der  Französischen  Regierung, 
und  behauptete  unter  der  Preussischen  den  Rang  eines  Pro- 
gymnasiums oder  einer  höheren  Stadtschule,  bis  sie  im  J.  1826 
durch  das  Königliche  Ministerium  zu  einem  Gymnasium  erster 
Classe  erhoben  wurde. 

Wir  haben  oben  bei  einigen  Gymnasien  bemerkt,  wenn 
die  den  Programmen  angehängten  Schulnachrichten  verfas- 
sungsmässig ausgearbeitet  waren,  und  wenn  nicht:  der  Mini- 
sterial  -  Verfügung  entsprechen  ausserdem  die  von  den 
Directoren  der  Gymnasien  zu  Wetzlar,  Duisburg,  Co- 
blenz,  Bonn,  und  Düren  ausgefertigten  Schulnachrichten  ;  will- 
kührlich  abgefasst  sind  sie  von  den  Directoren  der  Gymnasien 
zuCöln,  Aachen,  Düsseldorf,  Saarbrücken  und  Essen.  Denn 
in  der  betreffenden  Verfügung  (S.  v.  Kamptz  Annalen  Bd.  8  S. 
827  ff".)  wird  N.  IV,  A  vorgeschrieben:  „Der  erste  Abschnitt 
stellt  die  allgemeine  Lehrverfassung  des  Gymnasii  dar,  führt 
die  Classen  in  ihrer  Reihenfolge  von  der  Prima  abwärts  auf, 
und  bei  jeder  derselben:  1)  den  Classenordinarius  und  die 
übrigen  Lehrer ;  2)  die  Lehrgegenstände  und  die  für  einen  je- 
den derselben  bestimmte  wöchentliche  Stundenzahl;  3)  die 
Lehrbücher"  u.  s.  w. 

Es  fehlen  noch  die  Programme  der  Gymnasien  zu  Cleve 
und  Elberfeldt,  die  wir  später  zugleich  mit  den  aus  dem  Jahre 
1826  rückständigen  einer  näheren  Erörterung  zu  unterziehen 
uns  vorgenommen  haben. 

Dr.   N.   Bach. 


Kurze     Anzeigen. 


Hellas  oder  geogr aphisch  -  antiquarische  Dar~ 
Stellung  des  alten  Griechenlandes  und  sei- 
ner Colonien  mit  steter  Rücksicht  auf  die  neuern  Ent- 
deckungen von  Dr.  Friedr.  Carl  Hermann  Kruse,  Prof. 
d,  Gesch.  und    Geogr.    zu   Halle.       Ister,     allgemeiner    Theil. 


Kruse'sHellaa  85 

Leipzig,  L.  Voi^s.  1825.  XXXII  u.  624  S.S.  Zweyter  Theil,  erste 
Abtheil.  1826.  652  S.  Dazu  Atlas,  8  Tafeln  enthaltend,  in  Folio. 
Die  specielle  Beschreibung  von  Griechenland  in  der  ersten  Ab- 
theilung des  2teu  Thls.  umfasst  Attika ,  Megaris  u.  Bootien. 

Mßes  Verfassers  Hauptaugenmerk  in  diesem  Werke  ist,  wie 
er  es  selbst  deutlich  und  bestimmt  ausspricht,  die  Erklärung 
der  Verhältnisse  des  Allcrthums  aus  der  Gegemvart  ^  das  soll 
wohl  heissen :  dessen  was  die  Alten  über  Griechenland  sagen  aus 
den  Schriften  der  Neueren ,  welche  Griechenland  bereist,  topo- 
graphische Charten  davon  aufgenommen  oder  seine  Kunstdenk- 
niäler  und  Ruinen  gezeichnet,  gemessen  und  beschrieben  ha- 
ben. Er  wollte  also  nicht  so  wohl  eine  Mythologie,  als  Geo- 
graphie Griechenlandes  liefern,  und  hebt  mehr  das  Geographi- 
sche als  das  Ethnographische  hervor.  S.  1,  461.  Da  der  Hr. 
Verf.  sich  selbst  auf  mehrere  Anzeigen  und  Recensionen  sei- 
nes Werkes  beruft*),  so  ist  anzunehmen,  dass  der  Zweck, 
Plan  und  die  Eigenthümlichkeiten  dieses  Werkes  dem  grössten 
Theile  unsrer  Leser  bekannt  sind.  Darum  will  Ref.  hier  nur 
auf  einiges ,  was  ihm  unrichtig  oder  weniger  begründet  zu  seyn 
scheint,  aufmerksam  machen,  nicht  um  zu  tadeln  oder  den 
Werth  des  Buches  herabzusetzen,  sondern  um  zur  Verbesserung 
desselben  einiges  beyzutragen,  wenn  eine  zweyte  Ausgabe  nö- 
thig  wird.  Das  Buch  ist  lehrreich ,  aber  es  würde  vielleicht  an 
Zuverlässigkeit  und  Brauchbarkeit  gewinnen,  wenn  das  heil- 
same öTiBvÖB  ßgadscog  noch  mehr  die  Fortsetzung  leitete. 

Wenn  man  das  einem  Schriftsteller  selbst  zuschreibt,  was 
er  nur  als  Sage,  Erzählung,  Meinung  Andrer  anführt,  so 
scheint  dieses  eine  Verletzung  nicht  nur  der  dem  Schrift- 
steller, zumal  dem  verstorbenen,  schuldigen  Achtung,  son- 
dern auch  der  historischen  Treue  zu  seyn.  Sonderbar,  dass 
gerade  dieser  Verletzung  sich  schon  so  Mancher  schuldig 
gemacht  hat;  möchte  daher  jene  Bemerkung  beym  Athenäus : 
ovnt  e'itL  KsyEtcci  nag  'Oiir]Qcy,  rovd^  "O^rjgog  kiyu,  zum 
warnenden  Sprichwort  werden!  Auch  Hr.  Prof.  Kruse  hat 
nicht  immer  genau  unterschieden,  was  bey  einem  Schrift- 
steller gesagt  wird,  und  was  er  selbst  sagt,  noch  überall 
genau  bemerkt ,  wie  er  es  sagt,  Tb.  1  S.  5ß6  lesen  wir  den 
ungerechten  Tadel:  „Pausanias  VllI,  10  (sollte  heissen  X,  8) 
drückt  sich  falsch  aus:  unter  Deucalion  bildeten  diese  Völ- 
ker die  Amphictyonenversaramlung.",  da  doch  Pausanias  die- 
ses nicht  als  seine  eigene  Meinung  vorträgt,  sondern  aus- 
drücklich sagt:    v%6    'JiKptxTVOVOS    avTOv   gjaötv   kg  övv- 


•)  Vgl.  Jahrbb.  1826  Bd.  11  Bibliogr.  Verzeichmsa  S.  35  u.  1821 
Bd.  V  S.  387. 


86  Kurze      Anzeigen. 

iÖQiov  xoLvöv  toödds  yevrj  rot;  'EXXtjvlkov  övvayprivai.  Wel- 
ches Subject  mit  diesem  (faölv  zu  verbinden  sey ,  erhellt  aus 
dieser  vorangehenden  Stelle:  Kataötr^öaö&aiövvtdQiov  Ivravdu 
'EXh]VC3v  ot  [lEV  'AyicpLTitvova  rbv  zJsvxriXiavog  voju/^ovöi, 
welclien  sogleich  Androtion,  der  den  Ursprung  des  Namens 
der  x^mphictyonen  ganz  anders  ei'klärte,  entgegengesetzt  wird. 
Da  nun  der  Schriftsteller  von  jenen  sein  qxxöl  gebraucht  hat, 
80  können  wir  nicht  sagen ,  dass  er  sich  falsch  ausgedrückt 
habe.  I,  162  steht  diese  Anmerkung:  „der  Euripus  ändert  sei- 
nen Lauf  siebenmal  bey  Tage  und  eben  so  oft  zur  Nachtzeit 
nach  Strab.  IX  p.  403."  Strabon  aberdrückt  sich  über  den  Eu- 
ripus so  aus:  ETitccxtg  ^EraßäXlBLV  cpaöl  xaO''  rj^igav  ayMöri]V 
■aal  vvxra,  wo  wieder  (paöl  übersehen  ist.  II,  (Sil  wird  über 
Ascra  berichtet :  „Nach  Zenodot  brachte  es  viele  Weintrau- 
ben hervor,  indem  dieser  Schriftsteller  es  noXvötätpvXog^  das 
weinreiche,  nennt;"  und  zum  Beleg  Strabon  citirt.  Allein  Stra- 
bon merkt  IX,  413  an,  dass  der  Grammatiker  Zenodotus  beyra 
\\om.e.v"A(j'A.Qriv  statt "y/pvr^r  TCoXvördcpvXov  lese,  dass  aber  der 
gute  Kritiker  wohl  nicht  gelesen  habe,  Mas  Hesiodus  selbst  von 
seinem  Vaterlande  sage,  "AöKQr]  XEi^a  jc«x^,  &BQeL  agyalirj, 
ovdk  710T  iö^krj  •  auf  gleiche  Weise  widerlegt  den  Zenodot  der 
Venetianische  Scholiast  zu  Hom.  II.  2,  507.  So  muss  Askra  auf 
den  fälschlich  beygelegten  Beynamen  des  Weinreichen  verzich- 
ten. Aber  reich  an  Getreide  war  es  doch:  denn  Hr.  Pr. Kr.  führt 
dafür  das  iroAvAT^iog  aus  der  Grabschrift  des  Hesiodus  beyPau- 
san.  IX,  38,  3  an.  Dagegen  hatte  aber  schon  der  genannte 
Scholiast  eben  wegen  jenes  Zeugnisses  des  Hesiodus  von  seinem 
Vaterlande  bemerkt:  agtomöTOTf^6s£örti'.f/ö/o(5osA£j'fov  "AöxQrj 
X^l^K  'ji-  T.  A.  äöTE  ovdh  nolvxccQTtog  liyoixo  äv,  welches  letz- 
tere sich  auf  das  lobende  Bey  wort  in  der  Grabschrift  noXvXr^^Cog 
zu  beziehen  scheint.  II,  290  wird  zu  dem,  was  vom  Kolonos 
Ilippios  angeführt  worden  ist,  hinzugesetzt:  „Ein  Heroon  des 
Oedipus  deckte,  nach  Pausanias  I,  30,  des  unglücklichen  Soh- 
nes ,  Gemahls  und  Vaters ,  Asche."  Allein  erstlich  versetzte 
die  atheniensische  Sage  nach  Pausanias  I,  28,  7  das  Grab- 
mal des  Oedipus  nicht  auf  den  Kolonos  Hippios,  wo  er  ein  He- 
roon hatte ,  sondern  auf  den  Areopagus.  Dann  bezeugt  Pausa- 
nias I,  30,  der  Kolonos  Hippios  sey  nach  der  Sage  der  Athener 
der  Ort  in  Attika  gewesen,  wohin  Oedipus  zuerst  gekommen 
sey.  Pausanias  selbst  aber  bestreitet  beydes  als  Sagen,  die 
mit  dem  Homer  nicht  übereinstimmen.  II,  307  wird  auf  Pau- 
sanias I,  35  folgende  Vermuthung  gebauet :  „Das  Grabmal  des 
Ajax  ist  wahrscheinlich  an  der  Südküste  (der  Insel  Salamis)  bey 
der  alten  Stadt  zu  suchen."  Dort  aber  wird  es  wohl  schwer- 
lich jemals  gefunden  werden ;  denn  das  Grab  des  Ajax,  dessen 
Pausanias  in  der  angezogenen  Stelle  gedenkt,  war  nicht  in  Sa- 
lamis sondern  an  der  Trojanischen  Küste.     II,    598:    „Nach 


Kruse   'sHellas.  87 

Strabo  IX,  408  soll  Baccfms  dort  (bey  Scolos)  den  Pentheus 
zerrissen  haben."  Das  wird  Niemand  im  Strabon  weder  linden 
noch  suchen. 

Andere  ähnliclie  Unrichtigkeiten ,  die  wir  bemerkt  zu  ha- 
ben glauben,  sind:  ü,  ()03:  „Die  Stadt  (Thespiä)  war  die 
Vaterstadt  des  Praxiteles^  der  deslialb  den  berühmten  Eros 
der  Glycera,  einer  Buhlerin  in  Thespiä  schenkte,"  mit  dem 
Citat  Strab.  IX,  403  (vielmehr  410).  Aliein  weder  Strabon 
noch  ein  andrer  Schriftsteller  Iiat,  so  viel  uns  bekannt,  Thespiä 
zur  Geburtsstadt  dieses  Praxiteles  gemacht.  Ebd. 85:  „Pausanias 
nennt  das  Arsenal  des  Lycurgus,  aber  innerhalb  der  Akropolis, 

I,  29."  Wir  wollen  glauben,  dass  der  Setzer  das  Wörtchen 
nicht  vor  innerhalb  ausgelassen  habe,  denn  nach  Pausanias  war 
dieses  Arsenal  im  Piräeus.  Elbend.  140:  „Es  war  hier  ein  Al- 
tar des  Prometheus ,  von  wo  aus  bey  den  Lampadophorien  die 
Fackelträger  mit  P^euerbränden  durch  die  Stadt  liefen.  Paus.  I, 
30."  Sind  das  die  Xa^inädEg  und  öadic;  des  Pausanias,  und  ist 
sein  %iHv  nQog  ti]v  tlÖIlv  durch  die  Stadt  laiifenl  Eb.  106: 
„Dann  folgte  der  Tempel  des  ylpollo  Patrons^  am  Eingange  mit 
zwey  Statiien  des  Apollo  von  Calamos  "  (lies  Calamis).  Allein 
das  eine  Bild  hatte  Leochares,  das  andere,  mit  dem  Beynamen 
Alexikakos,  hatte  Calamis  verfertiget,  s.  Paus.  I,  3,  3.  Eh.: 
„die  Stoa  (des  Königs)  hatte  den  Namen  von  dem  Basileus  oder 
ersten  Archon  Athens"  (*?).  Eb.  107:  „von  Praxiteles"  statt 
von  den  Söhnen  des  Prax.  Eb.  557  wird  ohne  Bedenken  die 
Meinung  einiger  Gelehrten  wiederholt,  dass  der  bey  Pausanias 
/X,  10,  4  erwähnte  J)ret/fuss  derselbe  sei/ ?nit  dem  bey  Hero- 
dot  V^  59.  Dagegen  ist  neulich  in  einer  Anmerkung  Viber  die 
erstere  Stelle  Widerspruch  erhoben  worden.  Dass  nachPausan. 
/,  19,  6  der  Altar  des  Boreas  dem  Kinflusse  des  Eridamis  in 
den  Ilissus  gegenüber  gelegeii  haben  müsse ^  wie  ebend.  131 
angenommen  wird,  kann  aus  dieser  Stelle  selbst  nicht  gefolgert 
werden.  Ebend.  173  wird  über  den  Theodektes^  den  Phaseli- 
ten, dieVermuthung  vorgetragen,  er  sey  wahrscheinlich  ein  be- 
rühmter Seher  gewesen ,  da  doch  aus  zwey  Stellen  der  Alten 
hinlänglich  bekannt  ist,  was  er  gewesen,  s.  zu  Pausan.  1,37,  3. 

II,  183  wird  ein  Ort  Oerioe^  Pijiluum  genannt.  In  den  Coi'ri- 
gendis  heissts  :  man  solle  lesen  Oenoe  Pythium  ohne  Comraa. 
Dagegen  wird  der  Ort  211  gesclirieben  Oenoe  Pythiciim  und 
hinzugesetzt ,  die  Thriasische  Küste  habe  auch  die  Pythische 
geheissen  von  Oenoe  Pythicmn^  wozu  citirt  wird  Soph.  Oed.Col. 
1102.  Da  stehen  allerdings  IJv&Lat  axzai ,  allein  nichts  von 
einem  Orte  Oenoe  Pythium  genannt.  Der  Ort  hiess  to  sv  Oivoy 
Tlvdiov  das  pythische  Heiligthum  in  Oenoe\  wovon  die  Pythi- 
sche Küste  bey  Sophokles  den  Namen  hat.  s.  Philochorus  in 
den  Scholien  zu  der  Stelle  des  Sophokles.  Und  nun  ist  noch 
die  Frage,  wo  ist  dieses  Oenoe  zu  suchen?   Die  Scholien  wei- 


68  Kurze     Anzeigen. 

Ben  hier  auf  Marathon  hin;  aber  hier  ist  wohl  ein  Oenoe,  mir 
keine  Thriasische  Ebene.  Von  Oenoe  bey  Maratlion,  nord- 
westlicli  davon,  handelt  Ilr.  Pr.  Kr.  ebend.  S.  213  f.;  des  Apol- 
locultus  zu  Marathon  gedenkt  er  ebenfalls  selbst  S.  2(57.  Dem- 
nach möchten  die  nv&icci  dxral  und  das  Uvd'iov  ev  Oivoj]  wohl 
nicht  in  der  Thriasischen  Ebene,  sondern  bey  Marathon  zu 
suchen  seyn.  An  diese  Stelle  von  dem  Cultus  des  Apollo  zu 
Marathon  knüpfen  wir,  was  Ilr.  Pr.  Kr.  I,  545  geschrieben 
hatte:  „Zwar  führten  die  lonier  auch  den  Apollo- Cult  in  Athen 
ein;  allein  dies  war  der  Apollo  Patroos,  der  Sohn  der  Athene 
und  des  Hephästos ,  wahrscheinlich  der  Pelasgische."  Dage- 
gen möchte  nun  der  Verf.  II,  267,  da  Marathos,  von  dem  Ma- 
rathon den  Namen  bekommen,  von  Einigen  für  einen  Sohn  des 
Apollo  ausgegeben  wurde,  auf  eine  ursprünglich  dorische  Co- 
lonie  in  Marathon  schliessen.  Nimmt  man  dazu,  dass  doch  au- 
sserdem nach  Pausanias  1, 19  in  Atben  ein  ayaX^a  AnöXkavoq  IIv- 
Qlov  und  ein  uqov  ^ATCoXlavog  ^sXcpiviov  erwähnt  werden,  so 
scheinen  die  Angaben  des  Hrn.  Vf's.  an  Zuverlässigkeit  zu  ver- 
lieren. Des  Alexikakos  in  Athen  ist  schon  vorher  gedacht 
worden,  vgl.  Paus.  VIII,  41,  5.  Gegen  das,  was  der  Hr.Vf.  I, 
180  in  der  Abhandlung  über  die  Stadien  beJiauptet,  „dass 
die  Griechen  nicht  so  genau,  wie  hier  das  Stadium  angegeben 
ist,  rechneten,  beweiset  indess  schon  der  Umstand,  dass /re?« 
Beyspiel  vorkommt^  wo  ein  halbes  Stadium  mir  als  Kntfernung 
angegeben  wird.  Also  auf  ein  paar  hundert  Fiiss  katn  es  ih- 
nen flicht  an.'-'-^  sey  es  genug  nur  folgendes  Beyspiel  aus  Strabo 
X,  459  (114)  anzuführen:  rj  ^Iv  ovv  Kvvia  {li^vrj)  kxöCdco- 
öiv  dg  TTjv  ^fäkattav  •  ai  koLTcal  Öh  {Xi^vat)  VTiigneivtaL  oöov 
•^ ^LötccÖLOV.  Und  tadelte  nicht  Avenigstens  Polybius  bey 
Strabo  X,  465  (146)  die  Xaodoy^aviicäs  ccTiocpdöeLg  tieqI  täv 
ÖLaötTjßccTcov  in  den  Werken  der  Schriftsteller'?  Bey  den  Wor- 
ten II,  64:  „Theseus  vereinigte  die  12  Städte  des  Attischen 
Staates  zu  e/wer  Volksherrschaft,"  möchte  man  fragen,  wie 
der  Vf.  dieses  gemeint  habe :  doch  scheint  er  sich  liierüber 
S.  77  etwas  näher  in  den  Worten  zu  erklären:  Erechlheus 
begründete  unter  dem  Schutze  der  Athene  eine  Volksherrschaft 
trotz  der  königlichen  Würde ,  und  Homer  nenne  Athen  drj^ov 
'EQExd^ecog.  Aber  dies  lässt  sich  weder  mit  der  bekannten  Stelle 
des  Aristoteles  Polit.  111,14:  sldog  fiovaQXcag  ßaöihxijg  at  natu 
tovg  T^gmtcovg  XQOVOvg  tnovöiai  ts  %al  TtaTQiai  yiyvouBvai. 
xccrcc  vö^ov,  noch  mit  dem  Widerspruche  des  Pausanias  I,  3 
gegen  die  attische  Volkssage  vereinigen,  dass  Theseus  die  Re- 
gierung dem  Volke  übergeben  habe,  und  dass  dieses  von  der 
Zeit  an  bey  der  deraokratisclien  Verfassung  geblieben  sey.  Den 
^CMs«7a?/s  nennt  unser  Vf.  II,  631  ainen  Dichter ;  nach  welchen 
Zeugnissen*?  II,  626  schreibt  der  Hr.  Vf.  also:  ^^Graia  (ein 
Ort  in  Böotien)  ist  nach  Pausanias  IX,  20,  2  eins  mit  dem  spä- 


Krusb'sHcliae.  89 

ter  so  genannten  Taiiagia,^  und  soll  davon  benannt  seyn,  weil 
die  Tochter  des  Aeolus  Tanagra  später  eine  Gräa  (d.  i.  ein  al- 
tes Weib)  wurde.  DieLädierlichkeit  dieser  EtymoIo«j:ie  springt 
in  die  Augen."  Wer  denPaiisanias  selbst  nicht  darüber  befragt, 
wird  nach  dem,  was  er  hier  gelesen,  leicht  glauben,  dass 
Pausanias  es  sey,  der  sich  durch  diese  Etymologie  läclierlich 
gemacht  habe.  Dass  alle  Leser  die  vom  Hrn.  Pr.  Kr.  citirten 
Stellen  nachschlagen,  ist  kaum  zu  erwarten ;  Mancher  also  wird 
im  Vertrauen  auf  des  Hrn.  Pr.  Kr.  Zeugniss  und  nach  einer  leicht 
sich  darbietenden  Deutung  seiner  Worte  glauben,  dass  Pausanias 
der  Urheber  einer  so  lächerlichen  Etymologie  sey.  Allein 
Pausanias  sagt  ja  ausdrücklich:  TOt»g  TtSQLoinovg  (puölv  dq)E- 
Kovtag  ro  ovo^a  (nämlich  Tanagra)  tt^V  t£  yvvalxa  ccvt^v 
xakelv  Fgalav  aal  dva  iq6vov  vtjv  jcohv.  Ist  also  hier  etwas 
lächerlich,  so  fällt  es  wenigstens  nicht  auf  den  Pausanias.  Allein 
nicht  nur  das  griechische,  sondern  auch  das  hebräische  Alter- 
thum  zeigt  deutlich,  wie  sehr  sich  die  Menschen  damals  in  dem 
Spiele  mit  Etymologien  der  Eigennamen  gefielen ,  und  der  un- 
befangene Forscher  des  Alterthums  wird  jene  Spiele  der  Kinder- 
weit  nicht  lächerlich  finden,  ja  er  wird  es  dem  Pausanias  Dank 
wissen,  dass  er  ihn  mit  den  Sagen  und  der  Denkart  des  Volkes 
mehr  als  Andere  bekannt  macht. 

Der  Zweck  dieser  Anzeige  lodert,  dass  wir  noch  auf  einige 
andre  Stellen  aufmerksam  machen,  welche  bey  einer  zweyten 
Ausgabe  dieses  Buches  einer  zweyten  Priifung  bedürfen  möchten. 
Pausanias  erwähnt  IX,  34,  3  am  Berge  Libythrion  zwey  Quel- 
len, die  ähnlich  den  Brüsten  eines  Weibes  Milch  ähnliches  Was- 
ser ausströmen  lassen.  Einen  heissen  Strom,  den  Dodwell  in 
dieser  Gegend  gefunden  haben  will,  nimmt  Hr.  Pr.K.  II,  473 
unbedenklich  für  den  Milchbach  der  Alten,  und  den  sich  mit 
ihm  vereinenden  kalten  Strom  für  die  Quelle  Petra  ^  welches 
der  Name  der  andern  von  den  beyden  Quellen  bey  dem  Pausanias 
ist.  Allein  Pausanias  redet  nicht  von  einem  Milchbache,  son- 
dern von  sjf^ej/ Quellen ,  die  Wasser  geben,  welches  der  Milch 
ähnlich  sehe.  Auch  nicht  von  warmen  Wasser  spricht  Paus., 
sondern  von  Wasser,  dessen  Farbe  der  Milch  ähnlich  sey.  I, 
404.  437.  439  wird  die  Bedeutung  des  Wortes  "/^pyog  Ebene^ 
Thalfläche  ^  als  eine  altgriechische  angesehen  und  vermuthet, 
dass  auch  die  alten  Pelasger  das  Wort  so  gebraucht  haben. 
Allein  bey  Strabo,  der  dafür  beweisen  soll,  heisst  es  VIII,  372 
(22f)^ :  "/^pj'og  st«!,  ro  mölov  khystai  Tiagd  TOtg  vawrEpotg, 
Ttag  'OfirjQCj  ö'ovÖ'  ccjia^'  ^älLöta  d'oYovtaiMaxEdovixov 
xai  ©sttahicöv  üvai.  Eustathius  erklärt  die  Worte  des  Strabo 
so  zu  Odyss.  p.  1845:  vbcSxbqoi  MaxBÖövbq  xal  ©strakol  "Agyoq 
xal  to  dnXdog  tieölov  (vielleicht  xal  ktiIcös  to  naöiov)  q)aöiv.l, 
407,  f.  wird  gesagt,  Achilleus  rufe  beym  Homer  den  dodonäischen 
Zeus  an,  und  hinzugefügt:    „das  dodonäische  Orakel  lag  bey 


90  Kurze        Anzeigen. 

den  Molossern,  welche  mit  den  Aeaciden  verwandt  waren." 
Diese  Verwaiultscliaft  aber  Avurde  erst  nach  dem  Trojanischen 
Kriege  durch  Neoptolemus  gestiftet,  s.  Paus.  I,  11.  Spuren 
älterer  Verwandtschaft  weist  die  angezogne  Stelle  Strab.  Vll, 
324  nicht  nach,  nnd  eine  poetische  Prolepsis  nimmt  auch  der 
Vf.  nicht  zu  Hiilfe.  Sonderbar  scheint  uns  II ,  271  und  "219 
die  Deutung  der  Aethiopen  an  der  Schaale  der  Nemesis  bey 
Pausanias  I,  33,  3,  weil  nämlich  Aethiopen  im  Ileei-e  desDa- 
rius  gewesen  Avären,  das  zu  Marathon  landete.  Allein  dass 
Aethiopen  so  wie  im  Heere  des  Xerxes  also  auch  in  dem  des  Da- 
rius  gewesen  seyen,  war  doch  zu  beweisen. 

Auch  findet  man  in  diesem  Buclie  hin  und  wieder Vermuthungen 
aufgestellt, die  auf  schwachen,  oder  strenggenommen  gar  keinen 
Gründen  ruhen :  z.B.  1, 43,  dass  PausaniasAetolien,  Acarnanienund 
Thessalien,  als  zu  Hellas  gehörig,  auch  einzehie  Bücher  gewid- 
met habe;  II,  647  über  die  Mythe  von  der  Heriyna.  11,315  wird 
angeführt,  Stephanus  aus  Byzanz  leite  den  Namen  Megaris  ab 
yiagcc  rd  rga^v  rijg  yßgag,  was  Hr.  Pr.  Kr.  übersetzt  vo/i  den 
zerklüfteten  Felsen^  mit  dem  Zusätze,  Stephanus  habe  wahr- 
scheinlich bey  seiner  Etymologie  die  Semitischen  Dialecte  zu 
Hülfe  genommen.  Das  Unwahrscheinliche  dieser  Meinung  ver- 
anlasste uns  zum  Nachschlagen,  und  wir  fanden,  dass  Ab r. 
B  e  r  k  e  1  dieselbe  Meinung  vorgetragen  hatte.  Wir  glauben  da- 
gegen, dass  Stephanus  auf  die  Ableitung  der  Alten  von  ^syaC- 
QUV  ^  missgünstig  seyn^  wovon  ^iyRQöLg^  Missgnnst^  oder  von 
lisyaQit,ELV  AA.  h^cÖTxSLV ,  hungrig  .seyn^  Rücksicht  genom- 
men habe.  M.  s.  Etym.  M.  574  und  Phavor.  Was  Hr.  Kr.  S. 
353  nicht  erwähnt,  wo  er  Megorisiren  erklärt.  Etwas  stark 
oder  pythagoräisch  drückt  sich  Hr.  Kr.  I,  622  aus  :  „die  Four- 
montschen  Inschriften  bekommen  alle  erst  ihren  wahren  Werth, 
indem  dieser  Critiker  ihreAechtheit  oder  ünächtheit  verbürgt." 
Spuren  der  Flüchtigkeit,  die  eine  zweyte  Herausgabe  tilgen 
wird,  sind  die  Nice  xQVöonxiQri  II,  89,  Thebanisch  in  Aegy- 
pten  I,  443,  Aegyptisches  Maal  ebend.  425,  Karen  II,  93  u. 
94,  Pytheisten  eb.  128  und  288,  llharisches  Gefilde  und 
'PaQLOvnediov  I,  286  und  II,  35,  Jägerin  Kora  II,  644,  Mar- 
cellin  in  v.  Themistocl.  II,  98,  ZniQavr]  II,  324,  die  Minerva 
Promachos,  die  man  vonSunium  aus  sehen  konnte,  II,  592, Ptole- 
maeus  Lagi  statt  Philadelphus  II,  308;  und  Citate  dieser  Art 
H,  73:  in  Gronovii  Thes.  Antiq.  Graec,  eb.  122:  Strabo  p., 
eb.  267:  Plut.  Theseus,  eb.  293:  Aeschiues  in  Timarch.,  eb. 
600:  Lysimachus  Thebaica  in  den  Schollen  des  Oedipus  zu  Co- 
lon., eb.  265  f.,  wo  dreymal  II,  33  steht  statt  I,  32,  dass 
nach  II,  311  Megaris  ivestlich  an  Attika,  südlich  an  Böotien, 
nördlich  an  Korinth  grenze,  womit  zu  vergleiclicn  II,  4.  Auch 
manche  Nachlässigkeilen  im  Style,  z.B.  I,  337:  „Ausser  diesen 
grossen  Marmorbrücheu  giebt  es  in  Griechenland    aber  auch 


Taciti  Agricola.     Edid.  Schede,  91 

noch  an  vielen  andern  Orten  Marniorfelsen."  II,  28:  „Schon 
am  Fusse  des  Berges  verschwindet  das  Wasser  aber  fast  ji^anz.'*" 
S.  99:  „Die  Einwolmer  erwerben  der  Stadt  aber  durcli  ihre 
Kunsti'ertifrkeiten  grossen  Ruhm.''  S.  StJfJ:  „jetzt  hey  geringe- 
rer Bevölkerung  bringt  der  Boden,  nacli  Ponciuevilie,  indess  Ge- 
treide im  Ueberflnss  hervor,"  S.  21t:  „er  reichte  —  zu  den 
Ruinen''  statt  gelangte.  S.  240  f.:  „  die  Spitze  der  Halb- 
insel ist  Sunion.  —  Ein  Punkt ,  welcher  auf  dessen  Höhe  der 
Athene  Sunias  ein  weit  ins  Meer  hineinstrahlender  Tempel 
erbauet  war."  Wohin  man  auch  das  fremdartige  placiren^ 
taxiren  u.  d.  gl.  rechnen  kann.  Vosses  Sprache  war  auch  in 
seinen  kritischen  Schriften  immer  rein  und  gewählt.  Eine  Stelle 
desStrabo  übei'setztlT.Pr.K.  also  II,  100:  „da  ich  in  die  Fülle 
von  Gegenständen  hineingerathe,  welche  von  dieser  Stadt  be- 
sungen werden"  u.  s.w.  Endlich  sind  uns  noch  die  Ungleich- 
heiten aufgefallen:  Triptolem ,  Triptolemos,  Euraolpus,  Icti- 
nus,  Coröbos,  ApoUonins,  Jacchos,  Cephalns,  Corydalos,  Har- 
pelus,  Meilichios,  Patroclos ,  Ptolemäus,  und  so  manche  Druck- 
fehler, die  nicht  angezeigt  worden  sind,  z.  B.  II,  292:  Sophro- 
nices  statt  Sophroniskus,  I,  159  n.  160:  VIII  statt  FII^  eb. 
576:  KAKON  zweymal  für  KAAON.  II,  35:  Paucilos  ^  dies 
wird  in  den  Corrigendis  verändert  in  Peiicilos  st.Poicüus.  eb.  638 : 
„Zu  seiner  (des  Pausanias)  Zeit  existirte  noch  der  Tempel  und 
die  Statue  des  Poseidon,  ja  sogar  auch  der  Hoya^  dessen  Exi- 
stenz Strabo  läugnet"  statt  Hayn.  eb.  198  f.  muss  in  folgendem 
„derColoss  (der  Ceres)  wurde  von  hier  —  eingeschifft,  um  eine 
zweyte  Wanderung,  dem  Zorn  der  Göttin  selbst  nicht  unähn- 
lich, anzutreten,"  ein  Sinn  entstellender  Druck  -  oder  Schreib- 
fehler verborgen  liegen. 

Dieses  lehrreiche  Werk,  das  sich  selbst  lobt,  bedarf  unsers 
Lobes  nicht ,  wohl  aber  wird  es  Dilettanten  und  Gelehrten  sich 
noch  mehr  empfehlen,  wenn  es  von  Flecken,  Avie  die  hier  an- 
gedeuteten sind ,  sich  reinigen  wird,  und  dass  dieses  geschehe, 
dazu  einiges  beyzutragen,  ist  der  einzige  Zweck  dieser  Anzeige, 
mit  der  wir  den  innigen  Wunsch  verbinden ,  dass  der  Hr.  Vf. 
sich  Zeit  nehmen  und  alle  3Iühe  anwenden  möge,  wo  möglich 
jede  Art  des  Irrthums  im  Erklären  alter  Schriftsteller  zu  ver- 
meiden ,  da  solche  leicht  und  weit  sich  verbreitende  Irrthümer 
unendlichen  Schaden  zu  stiften  pflegen. 

Siehelis. 


C.  Corn.  Taciti  Agricola.  Cum  interpretatlone  a  GM*^a^'o 
Schede.  Ihnenaviae,  1827.  Sumtibus  Voigtü.  IV  et  56  S.  gr.  8. 
6  Gr. 

Da  die  Vorrede  zu  vorliegender  Ausgabe  kurz  ist ,  so  wol- 
len wir  sie  ganz  hersetzen.     „Hac  nova  vitae  Agricolae  editione 


92  Kurze     Anzeigen. 

iis  pro  virili  portione  subvenire  volui  ^  quibus ,  licet  amor  iion 
desit,  haec  prisitinae  magnitudinis  monurnenta  tarn  saepe  sunt 
occlusa,  propterea  quod  facultas  deest,  editiones  istas  adeundi, 
quae  plemmque  omnia  Taciti  opera  coutineut  et  in  quibus  inter- 
pretatio  locorura  difficilium  passira  inter  animadversiones  criti- 
cas  involuta  invenitur.  Quodsi  ergo  iuterpretatio  nostra  hunc 
atque  illuin  ad  hoc  praeclarissimum  auctoris  [scriptoris]  nostri 
opus  accuratius  cognoscenduiii  duxerit:  satis  magno  praemio 
opera  nostra  erit  afFecta.  Der  Yf.  scheint  bei  seiner  Ausgabe 
zunächst  Dilettanten ,  Freunde  des  römischen  Alterthums  vor 
Augen  gehabt  zu  haben,  denen  es  nicht  sowohl  um  scharfsin- 
nige Kritik  ,  um  Kenntniss  der  Varianten  und  der  verscliiede- 
nen  Meinungen  der  Ausleger  von  einzelnen  Stellen,  sondern 
vielmehr  um  reinen  Genuss  des  Schriftstellers  selbst  zu  thun 
ist,  doch  so,  dass  ihnen  das  Verständniss  des  betreffenden 
Schriftstellers  bei  schwerern  Stellen  durch  eine  hinzugefügte 
Verbal-  und  Real -Interpretion  erleichtert  wird.  Nun,  eine 
solche  Ansicht  ist  ganz  und  gar  niclit  zu  verwerfen.  Diesen 
Gesichtspunkt  darf  die  jetzt  anzustellende  Beurtheilung  nicht 
ausser  Acht  lassen.  Der  Herausgeber  selbst  ist  gegen  die  Kri- 
tik des  Textes  nicht  gleichgültig  gewesen.  Er  weicht  ohnge- 
fähr  an  50  Stellen  vonOberlin  ab,  hält  sich  in  Feststellung  des 
Textes  grösstentheils  an  ältere  Herausgeber,  z.  B.  an  Pichena, 
jedoch  mit  Benutzung  neuerer  Bearbeitungen  des  Agricola,  z.B. 
von  Dronke,  Döderlein  u.  a.  Es  lag  nicht  ijn  Plane  des  Heraus- 
gebers ,  in  den  Anmerkungen  die  Gründe  anzugeben,  warum 
der  einen  oder  der  andern  Lesart  der  Vorzug  gegeben  worden 
sey.  Rec.  will  indessen  seiner  Pflicht  gemäss  zuvor  einige,  wenn 
auch  nicht  alle  Lesarten ,  wo  er  verschiedner  Meinung  ist, 
durchgehen,  und  dann  sein  Urtheii  über  die  Anmerkungen 
abgeben. 

C.  1  lies't  derHerausg.  mit  Dronke:  ni  cursaturus.  Indes- 
sen hat  Dronke  diese  Lesart  bereits  selbst  wieder  aufgegeben. 
Vergl.  Neues  Archiv  für  Philologie  und  Pädagogik  vonSeebode. 
Jahrg.  I,  1826,  H.  5.  C.  V:  neque  segniter  ad  voluptates  et 
commeatus,  titulum  tribunatus  et  inscitiam  retulit.  Das  Komma 
nach  commeatus  ist  mit  Woltmann,  Bekker,  Lünemann,  Becker 
zu  streichen,  wenn  durch  eine  gehörige,  wenn  auch  etwas 
harte,  grammatische  Konstruktion  ein  passender  und  ungezwun- 
gener Sinn  herauskommen  soll.  Vgl.  unsere  Jahrbücher  Jahrg. 
1  B.  2  H.  1  S.  145.  C.  VI:  Ludos  et  inania  honoris  modo  ratio- 
nis  et  abundantiae  duxit.  Die  Lesart  des  Cod.  Vat.  1,  medio 
rationis,  welche  Becker  und  Hertel  aufgenommen  haben,  scheint 
dem  Rec.  die  wahre  zu  seyn ,  insofern  man  ohnehin  im  Tacitei- 
schen  Zeitalter  so  zu  sprechen  pflegte.  Vgl.  Archiv  a.  a.  0.,  wo 
Rec.  bereits  diese  Lesart  als  solche  bezeichnet  hat.  C.X:  Di- 
specta  est  et  Thyle,  quam  hactenus  nix  et  hiems  abdebat.  Statt 


Taciti  Agricola.     Edid.  Schede.  03 

dieser  Lesart  des  llhenanus  hätte  die  der  Codd.  Vatt.  und  der 
alten  Ausgaben  appetebas  aufgenommen  scyn  sollen ,  zu  wel- 
cher auch  Oberlin,  Uloch ,  Dronke,  Ilertel  und  Becker  zurück- 
gekehrt sind,  nur  dass  Letzterer  ohneNoth  appetebant  schreibt. 
Ebcnd.  tributorum  auctionem.  Der  Cod.  Vat.B.  hat  am  Rande 
exactionem,  welche  Lesart  (aufgenominen  Aon  Bloch,  Seebode 
Bekker,  Herlel)  wegen  des  niollire,  wie  Ilertel  richtig  bemerkt, 
den  Vorzug  verdient.  C.  XIX:  quam  provinciam.  Regere  nihil 
per  libertos  servosque  reipublicae.  Diesen  Weg  hat  bereits  der 
Rec.  des  Dronke'schen  Agricola  im  Pädagogisch -Philologischen 
Litteratur- Blatte  Nr.  42  ,  1825,  S.  34'J  eingeschlagen,  in- 
dem er  zu  provinciam  aus  dem  Vorhergehenden  coercere  supplirt, 
dagegen  aber  glaubt,  dass  von  einem  unwissenden  Abschreiber 
wegen  provinciam  ageie  in  regere  verwandelt  worden  sey.  Bei 
obiger  Interpunktion  würde  Tacitus  schwerlich  regere  für  agere 
in  dieser  Verbindung  geschrieben  haben.  C.  XXV:  infesta  ho- 
stili  exercitui  itinera  timebantur.  Dem  Rec.  ist  keine  x\usg.  zur 
Hand,  die  exercitui  liat ,  ausgenommen  dass  Selling  in  seinen 
Observatt.  critt.  in  C  Corn.  Taciti  Agricolam  1826,  wovon 
wir  in  diesen  Jahrbüchern  Jahrg.  2  B.  3  H.  3  8.14  —  79  eine 
Beurtheilung  geliefert  haben,  S.  21  vorschlägt,  exercitu  als 
alten  Dativ  für  exercitui  anzusehen,  wenn  die  Worte  hostili 
exercitu  sonst  nicht  als  Glossem  zu  betrachten  seyen.  Bezieht 
man  die  Worte  mit  Selling  und  dem  Herausg.  auf  die  Römer, 
so  geben  sie  einen  matten  Sinn,  weil  sich  die  Sache  so  wol  von 
selbst  versteht,  aber  nicht  umgekehrt.  C.  XXX:  et  iuteriores 
Romani.  Der  Cod.  Vat.  A.  lies't  infestiores ,  was  hier  unter 
den  Varianten  den  besten  Sinn  gibt.  C.  XXXVIII:  proxirao 
litore  Britanniae  lecto,  omnis  redierat.  Diese  Korrektion  Pi- 
chena's  ist  nicht  nöthig.  Die  Lesart  des  Cod.  Vat.  1  ist  der 
Taciteischen  Schreibart  ganz  angemessen.  C.  XLIX:  Nam  licet 
durare — augurio  votisque-  ominaretur;  ^ame«  festinatae  mor- 
tis etc.  Diese  hier  angenommene  Korrektion  ist  nicht  nöthig. 
Auf  jeden  Fall  gibt  der  Text:  Nams/c?^^«  —  ominahatur  ;  ita  etc., 
wie  wir  ihn  bei  Grouov,  Sörgel,  Oberlin,  Weikert,  Seebode 
Dronke,  Bekker,  Lünemann,  Bloch,  Schlegel,  Becker,  Hertel  finden, 
deren  Ausgaben  wir  bei  dieser  Beurtheilung  verglichen  haben, 
einen  guten  Sinn.  Nur  müssen  wir  bemerken,  dass  einige  quod, 
andere  quodam  augurio,  und  noch  andere  weder  quod  noch 
quodam  haben. 

Die  Anmerkungen,  die  zum  Theil  von  andern,  aber  nur 
selten  genannten  Erklärern  des  Agricola  herrühren,  sind  für  den 
angegebnen  Zweck  im  Ganzen  zweckmässig  und  nützlich.  Sie 
erläutern  sowol  Worte  als  Sachen.  Mit  einigen  Erklärungen 
ist  indessen  Rec.  nicht  einverstanden.  Einige  wollen  wir  durch- 
gehen. C.  I:  Clarorum  virorum  facta  moresque.  Dazu  die  An- 
merkung: Mores  hoc  loco  neque  nostrura:   Sitten,  neque,  quod 


9^  Kurze     Anzeigen. 

Doederlein  vult,  Seele  significat,  sed  potius  propviam  sentiendi 
cogitaiidique  rationera,  in  vita  conspicuara.  Die  Erklärung  von 
mores  ist  offenbar  zu  weit  gefasst.  Mores  ist  der  Gegensatz 
von  facta,  also  das  Pi'ivatleben.  Vgl.  Klein  und  Ilertel  ad  h.  1. 
C.  IV:  avum  Procuratorem  Caesarura  Iiabuit.  Dazu  die  Anni.: 
Erant  procuratores  in  provinciis,  qui  reditus  possessionum 
principis  peculiarium  adrainistrarent.  So  nimmt  auch  Klein  die 
Sache.  Die  richtige  Erklärung  findet  sich  bei  Hertel  ad  h.  1, 
in  Dezug  auf  Creuzer's  Abriss  der  römischen  Antiquitäten. 
Leipzig,  1824,  S.  216.  C.XV:  ex  facili  tolerautibus.  Darzu  die 
Anm. :  i.  e.  qui  in  perferendis  injuriis  quasi  a  levioribus  incipi- 
entes  ad  graviora  progrederentur,  ita  ut  es  facüi  nostrum  signi- 
ficet:  vom  Leichten  an.  Für  diese  Bedeutung  hätte  der  Her- 
ausgeber uns  irgend  eine  Parallelstelle  beibringen  und  diesen 
Latinismus  durch  analoge  Redeweisen  darthun  sollen.  Ganz 
der  Analogie  gemäss  ist  ex  facili  wie  ex  composito  und  dergl. 
gebildet.  C.  XVI:  comitate  quadam  curandi  provinciam  tenuit. 
Zu  curandi  die  Anm,:  i.  e.  imperandi  regendique.  Curare  wird 
hier  deutlicher  im  Gegensatze  des  nullis  castrorum  experimeu- 
tis  durch  res  civiles  obire  erklärt,  wie  es  auch  die  meisten  Er- 
klärer und  üebersetzer  gefasst  haben.  C.  XXII:  vastatis  usque 
ad  Taum  —  nationibus.  Dazu  die  Anm.:  i.  e.  hello  adactis,  ut 
Romano  imperio  se  dedei'ent.  Offenbar  verheerte  Agricola  diese 
Völker,  weil  sie  gegen  die  Römer  als  Feinde  auftraten,  im  ent- 
gegengesetzten Falle  würde  er  eine  solche  harte  Maassregel 
unterlassen  haben.  Unterwerfung  Britanniens  w  ar  ja  die  Absicht 
der  ganzen  Expedition.  Obige  Anmerk.  war  mithin  auf  jeden 
Fall  überflüssig.  €.  XXV:  sequebatur  egregia  specie.  Dazu  die 
Anm.:  Eventus  ejus  rei,  quod  classe  assumta  et  mari  dimica- 
vit,  egregie  consiliis  Agricolae  respondit.  Diese  Anmerk.  kann 
leicht  Missverständnisse  veranlassen.  Es  musste  zunächst  der 
Wortsinn  von  egregia  specie  erklärt  werden.  C.XXX:  Quotiens 
: —  necessitatcm  nostram  intueor.  Dazu  die  Anm.:  i.  e.  casum 
et  fortunam  adversani,  in  quam  incidimus  et  quam  ferre  necesse 
est.  Diese  Erklärung  ist  dem  Zusammenhange  gemäss  nicht 
genau  genug.  Bloch  deutlicher:  necessitas  belli  gerendi^  oder 
wie  Hertel :  necessitas  vel  vincendi  vel  moriendi.  C.  XXXVII : 
paucitatem  nostrorum  vacui  spernebant.  Dazu  die  Anm.:  vacui 
sive  pugnae  expertes,  laboris  nondum  participes,  sive  melius: 
inanes,  qui  se  longe  altiores  ac  potentiores  putabant.  Letztere 
Erklärung  ist  durchaus  unstatthaft.  C.  XL :  Tradiderat  Interim 
Agricola  successori  suo  provinciam.  Dazu  die  Anm.:  Successor 
Agricolae  in  Britannia  erat  Sallustius  LucuUus.  Vor  erat  hätte 
ein  fortasse  nicht  fehlen  sollen. 

In  Hinsicht  der  Orthographie  bemerken  wir  Folgendes. 
C.  Vlll  Vectius  Bolanus.  Richtiger  Vettius.  Vgl.  Lipsius  und 
Eruesti  ad  Annal.  XV,  3.    C.  XXIII  Glota.     Die  Codd.  Vatt.  V 


Taciti  Agricola.      Edid.   Scliode.  95 

nnd  II  haben  Clota,  welche  Schreibart  Oberlin,  Dronke,  Bek- 
kcr,  Becker,  Ilertel  u.  a.  belolfren.  Da  der  Herausjr.  durch- 
weg das  Gesetz  der  Assimilation  belolg^t,  so  hätte  C.  XXII  an- 
nolabanl  st.  adnotabant  stehen  sollen.  Ferner  ist  bald  extin- 
^uerennd  dann  wieder  exstinguere  ijednickt.  Anf  die  Korrektur 
liätte  weit  melir  Sorgfalt  verwendet  werden  sollen.  So  finden 
sich  mehrere  Auslassungen.  C.  X  fehlt  nach  den  Worten:  Na- 
tnram  Oceani:  atque  aestiis.  C.  XVI  nach  similis  petulantia: 
castrorum.  C.  XXXIII  zwischen  Equidem  in  agmine:  saepe. 
C.  XXXVII  nach  silvis  appropinquarunt:  collecti.  Ferner  ist 
an  mehrern  Slelien  unnötiiiger  Weise  ac  in  et  und  umgekelirt 
et  in  ac  verwandelt  worden.  An  Druckfehlern  ist  kein  Mangel. 
Da  dieselben  nicht  angemerkt  sind,  so  woUeji  wir  hier  einige 
anführen.  S.  7  Z.  v.  u.  liesßlius  st.  fllius.  S.  9  Z.  lo  v.  u.  I. 
oportebat  st.  opportebat.  S.  11  Z.  (j  1.  ostentanda  st.  osten- 
danda.  Ebend.  Z.  10  1.  atieri  st.  alteri  und  so  in  der  Anm.  Z. 
14  V.  u.  S.  15  Z.  9  1.  caliäioribus  st.  callidioribus.  S.  20  Z. 
5  V.  u.  1,  Hist.  4,  60  st.  14,  CO.  S.  27  Z.  2  1.  eoqiie  st.  atque. 
S.  31  Z.  5  V.  u.  1.  mifugere  st.  auffugere.  S.  39  Z.  15  v.  u.  1. 
aliorum  esercitimm  st.  exercitum.  S.  43  Z.  6  v.  ii.  1.  artiora 
st.  artoria.  S.  51  in  der  Anm.  1)  steht  einige  Mal  Calligula  st. 
Caligula.  Auch  finden  sich  einige  sonstige  Unrichtigkeiten  in 
den  yVnraerkungen.  So  wird  S.  51  die  Anmerk.  6)  Dronke  bei- 
gelegt, da  sie  doch  von  Oberlin  herriihrt ,  wie  Dronke  selbst 
bemerkt.  Der  lat.  Ausdruck  ist  im  Ganzen  gut.  S.  4  wäre  in 
der  Anm.  4)  iram  in  se  convertit,  sibi  conscuit^  letzterer  Aus- 
druck besser  weggeblieben.  S.  9  Anmerk.  2)  ist  alacris  als 
gen.  masc.  für  alacer  genommen,  wie  es  bei  Dichtern  vorkommt. 
Dergleichen  Dinge  sind  jedoch  in  Prosa  ,  zumal  im  Notenlatein, 
nicht  nachzuahmen.  Ueber  die  bei  Tacitus  übliche  Form  ce- 
lebris  für  celeber  sind  zu  vergleichen  Ernesti  und  Rupert!  ad 
Annal.  II,  88.  In  der  Verbindung  S.  43  Anmerk.  12)  modo  hie 
atque  illic  erinnert  sich  Rec.  atque  nicht  gefundeJi  zu  haben, 
wol  aber  statt  des  zweiten  modo  nunc^  interdum,  tum  u.  s.  w. 
S.  35  Anmerk.  81  steht:  Nihil  ergo  est,  quo  sperare  possiraus 
a  Romanis  veniam  ac  vitam,  in  welcher  Ideenverbindung  die 
Römer  quod  oder  cur  setzen.  Ein  andrer  Fall  ist  es  mit  der  S. 
30  Anmerk.  1)  gebrauchten  Wendung.  Trotz  dieser  unserer 
Bemerkungen  empfehlen  wir  auch  diese  Ausg.  des  Agricola  als 
nützlich  und  brauchbar. 

Druck  und  Papier  sind  sonst  gut. 

Damit  verbinden  wir  folgende  Schrift: 

De  fide  Taciti  scriptio  I  (,)  qua  disseritur  (,)  quatenus  Tacitus  fidem 
ipse  sibi  habendain  indicaverlt.  Auetore  (Vj  Herinanno  Justo. 
Piaefatus  est  Fridericus  hindemannus.  Zittaviae,  1827. 
In  CüDamissiä  apud  J.  D.  Schoeps.      VI  et  35  S.    8.    4  gr. 


96  KurzeAnzeigen. 

Hr.  Direktor  Lindemann  zu  Zittau  begleitet  vorliegeudes 
Schriftchen  mit  einer  Vorrede.  Der  Verf. ,  ein  hoffnungsvol- 
ler Zögling,  konnte  wegen  körperlicher  Schwächlichkeit  mit 
den  übrigen  Abgehenden  sich,  wie  es  auf  der  Zittauischen 
Schule  üblich  ist ,  durch  keine  öffentliche  Rede  dem 
Wohlwollen  der  Einwohner  der  Stadt  empfehlen.  Um 
jedoch  diesen  Zweck  auf  irgend  eine  andere  Weise  zu  errei- 
chen, rieth  der  verdienstvolle  Vorredner  dem  Vf.  einen  Theil 
dessen,  was  er  bei  seinem  fleissigen  Studium  des  Tacitus  über 
denselben  bis  dahin  schriftlich  aufgesetzt  hatte,  durch  den 
Druck  bekannt  zu  machen,  so  sehr  er,  Hr.  Direktor  Lindemann, 
sonst  gegen  Bekanntmachung  von  SchViierarbeiten  eingenom- 
men zu  seyn  aufrichtig  bekennt.  Nicht  nur  die  edle  Absicht 
an  sich  selbst,  welche  die  Bekanntmachung  unseres  Schrift- 
chens veranlasst  hat ,  sondern  auch  die  wohlgerathene  Bear- 
beitung des  Gegenstandes  entschuldigen  auf  jeden  Fall  diese 
Bekanntmachung.  Im  Eingange  seiner  Abhandlung  macht  der 
Vf.  auf  die  Vorwürfe  aufmerksam ,  die  dem  Tacitus  in  neueren 
Zeiten  gemacht  worden  sind ,  unter  denen  er  vorzüglich  zwei 
anführt:  erstlich  dass  seine  Schreibart  oft  unelegant  und  dun- 
kel ,  und  zweitens  dass  seine  historische  Treue  nicht  von  alle« 
Seiten  beglaubigt  sey.  Der  erstere  Vorwurf  sey  vor  mehrern 
Gelehrten  hinlänglich ,  der  letztere  aber  noch  nicht  gründlich 
genug  widerlegt  worden.  Rec.  hat  bei  seinem  fortdauernden 
Studium  des  Tacitus  in  neueren  Schriftstellern  manche  den 
Tacitus  als  glaubwürdigen  Geschichtschreiber  trefflich  verthei- 
digende  Stelle,  aber  nirgends  eine  so  vollständige  Zusammen- 
stellung der  einzelen  Stellen  aus  dem  Tacitus  selbst  gefunden, 
woraus  seine  historische  Glaubwürdigkeit  hervorgeht.  Unter 
den  drei  Fragen ,  die  Avir  bei  einem  historischen  Schriftsteller 
aufzuwerfen  pflegen:  1)  an  scriptor  vera  tradere  voluerit'J 
2)  an  vera  tradere  potuerit*?  3)  an  vera  tradiderit'?  hat  der 
Vf.  aus  angegebenen  Gründen  bloss  die  erste  zu  beantworten 
gesucht.  Rec.  hat  den  Inhalt  vorliegender  Abhaudl.  genau  ge- 
prüft, und  er  hat  die  Aufgabe,  die  sich  der  jugendliche  hoff- 
nungsvolle Vf.  gesetzt  hat,  im  Ganzen  gut  gelös't  gefunden. 
Der  Stoff  ist  gut  verarbeitet,  die  Sache  einfach  und  klar  dar- 
gestellt. Genug,  das  Ganze  zeugt  sehr  vortheilhaft  für  die 
Studien  des  Vis.  Von  Neuheit  der  Ansichten  kann  hier  frei- 
lich nicht  die  Rede  seyn.  Diess  thut  dem  Verdienste  des  Vfs. 
auch  nicht  den  geringsten  Eintrag.  Rec.  stimmt  mit  dem  Vf. 
fast  überall  überein.  Nur  wünschten  wir ,  es  nähme  derselbe 
im  Fortgange  seiner  Darstellungen  auf  die  S.  10  und  11  enthal- 
tenen Worte :  „uec  desunt ,  qui  Tacitum  castigatorem  sui  tem- 
poris,  quam  narratorem  esse  maluisse  dicerent"  mehr  Rück- 
sicht. Aus  dem  Zusammenhange  ergibt  sich,  dass  der  Vei'f. 
diess  durchaus  läugne.    Rec.  möchte  den  Tacitus  eben  so  we- 


Just:    De  Cdo  TacitL  9t 

nig  einen  castigator  nennen;  allein  Ruperti's  Worte  in  seinem 
Px'ooemium  de  Taciti  Vita  et  Scriptis  (welches  Prooem.  sehr 
lesenswerth  ist)  S.  22  und  23  von  den  Worten:  Neque  tarnen 
dissiniilo —  bis  zu  memoria — ,  praeseiitium  aiigen<eseiisum  schei- 
nen doch  Manches  fiir  sich  zu  haben.  Zu  dieser  oder  jener 
Stelle  Zusätze  zu  machen,  ist  wol  nicht  nöthig'.  Nur  bemer- 
ken wir,  dass  der  \T.  auch  an  vier  Stellen  sich  in  der  Kritik 
versucht  hat.  S.  lo  wird  zu  Anual.  I,  1  die  am  Rande  der  Gry- 
phianischen  Edition  vom  Jahre  1.342  befindliche  Lesart  detere- 
rentur  st.  deterrerentur  recht  ^ut  vertheidigt  und  sonst  beige- 
bracht, was  sich  zur  etwaigen  VertJieidigung  sagen  lässt.  In- 
dessen ist  die  Lesart  deterrerentur  dem  Cliarakter  des  Tacitus 
weit  mehr  angemessen ,  w  enn  man  zur  Erklärung  derselben 
Agricola  III  zu  Hülfe  nimmt,  welche  Stelle  uns  den  CJiarakter 
des  Tacitus  lebendig  darstellt.  Konnte  derselbe  dort  nicht  z. 
B.  den  Livius  im  Sinne  haben,  der  seine  Geschichte  bereits 
mit  Drusus  Ileerziigen  in  Germanien  schloss'?  Vgl.  Probe  einer 
Uebersetzung  des  Tacitus  von  Greverus.  Lemgo,  1821.  S.  5. 
S.  17  fasst  der  Vf.  die  Stelle  Anual.  II,  88  Scriptores  Senato- 
resque  als  Hendiadys,  nimmt  also  das  que  mit  mehrern  frühe- 
ren Erklärern  explicative,  was  auf  jeden  Fall  weit  richtiger 
ist,  als  die  Konjektur  des  Lipsius  senioresque,  welcher  die 
Worte  eorumdcm  temporum  entgegen  sind.  Bedenkt  man  aber, 
dass  die  Senatoren  gewöhnlich  das,  was  sie  im  Senate  selbst 
sagten  oder  horten,  schriftlich  aufzeichneten  und  in  ihren  Fa- 
milien aufbewahrten,  so  braucht  man  auch  nicht  einmal  das 
que  explicative  zu  nehmen,  sondern  man  kann  es  hier  in  kopu- 
lativer Bedeutung  fassen.  S.  24  und  25  wird  zu  Annal.  XV, 
C4  statt  der  Vulgate  incertum  an  ignarae  die  Konjektur  des 
Acidalius  ingratae  recht  wacker  vertheidigt.  Indessen,  da  die 
Vulgate  einen  sehr  passenden  Sinn  gibt,  so  bleibt  Rec.  dabei 
stehen,  eingedenk  des,  von  ihm  schon  öfter  vertheidigten, 
Grundsatzes,  der  Konjektural- Kritik  nur  da  Eingang  zu  ge- 
statten, wo  die  Vulgate  ohne  Sinn  ist.  S.  30  und  31  verthei- 
digt der  Verf.  zu  Hist.  V,  7:  Nani  cuncta  sponte  edita  —  in  ci- 
nerem  venerant,  die  Vulgate  und  beruft  sich  auf  Virg.  Aen.  XII, 
684  sq.,  wo  „sive  —  auf'  im  Gegensatze  gebraucht  werde.  Rec. 
ist  bei  dieser  offenbar  verderbten  Stelle  selbst  in  Zweifel,  fiir 
welche  Lesart  er  sich  entscheiden  solle.  Doch  hat  er  längst 
die  Vulgate  für  das  Richtigere  gehalten.  Der  lat.  Ausdruck  ist 
für  eine  so  jugendliche  Arbeit  lobenswerth.  Was  wir  aber 
durchaus  nicht  billigen,  ist  der  S.  9  und  11  gebrauchte  Aus- 
druck interpretatio  vernacula^  so  wie  das  S.  13  zweimal  ge- 
brauchte seHsim  sensimque  st.  sensini. 

Möge  der  hoffnungsvolle  Vf.  in  dieser  unserer  Anzeige  eine 
Anerkennung    seiner    rühmlichen  jugeudliclien    Bestrebungen 

Jahrb.  f.  JPhit.  u.  Pädag.  JalirgAU.  Heßb.  «J 


98  Fri derlei  Lindemanni 

finden,   denen  wir  den  erfreulichsten  Fortgang  aus  der  Fülle 
unseres  Herzens  wünschen. 

J.  A.   G.  Steuber. 


Friderici  Lindemanni  iter  in  Bataviam  susceptuin. 


*^  uere  liaud  pauci ,  qui  mirarentur,  quid  esset,  quod  ego ,  qui  all- 
quaiido  litteraruiu  caussa  iter  in  Bataviam  suscepisseni,  nihil  de  eo  nar- 
rationis  in  vulgtus  edidisseni,  quum  scitu  iion  iniucnndnm  videi'etur,  quid 
reruiu  gesseriin,  qiialis  interior  rei  apud  Batavos  litterariae  statiis  mihi 
apparuerit.  Eius  rei  caussae  fuerc  permiiltae.  Et  ut  quasdam  tan- 
tum  coramemorem,  primura  non  piitaram ,  quod  ego  voluissem  et  ex 
parte  perfecisscm,  id  ad  quemquara  alium  spectare,  aliisque  relatu  di- 
gnura  videri;  tum  censebam,  quos  fructus  inde  retulerira,  eos  partim 
iam  orhi  litterato  innotuisse,  partim  ad  hominum  notitiam  in  posterum 
pervcnturos;  deinde  existimabam ,  quae  mea  esset  opinio  de  rei  litte- 
rariae statu  apud  illam  gentem,  quae  tam  diu  in  litteris  humanioribus 
principatum  tenuit,  eam  vel  propter  temporis  ibi  transacti  brevitatem  vel 
propter  meae  doctrinae  tenuitatem  non  posse  cuiquam  veram  rei  ipsius 
ac  iustara  praebere  adumbrationem.  Quare  taceresatius  ducebam,  neque 
ab  isto  consiUo  decessissem,  nisi  reputassem,  nunc  quidera,  tam  gran- 
di  temporis  intervallo  interposito ,  non  tilitcr  lectum  iri  meara  narra- 
tioncm ,  nisi  quemadmodum  cuiusvis  hominis ,  etiam  qui  nihil  habeat 
litterarura,  itinerarium  legimus  audimusque.  Cogitabam  etiam,  si  quid 
errasset  iudicium  meum ,  aut  si  quae  falsa  protulissem ,  quae  mihi  uni 
Tera  visa  essent,  ea  hoc  saltem  habitura  esse  excusationis ,  quod  con- 
cedi  solet  scnibus,  qui,  sive  laudatores  sive  obtrectatores  temporis  acti, 
tarnen  libenter  audiuntur ,  quum  qui  eos  audiunt  intelligant ,  omnia 
iam  immutata  et  in  alium  statum  esse  conversa.  Accesserunt 
quaedam  doctorum  Batavorum  criminationes,  eorum  quidera,  quos,  dum 
in  Batavia  eram ,  non  laesi ,  nc  vidi  quidem;  nee  vidi,  sed  ne  nomen 
quidera  eorura  audivi.  lis  nunquam  respondissem ,  nisi  convicia  in  me 
iactassent  turpia.  Quid  enira  infelix  ego  feci  aut  quid  commerui? 
Scilicet  vitas  duuravirorura  in  Batavia  cditas  a  viris  nee  natione  Ba- 
tavis et  qui  studiis  suis  de  toto  genere  huraano  bcne  meruerunt  neque 
unius  gentis  sunt  proprii,  recudendas  curavi,  vel  potius  earum  recuden- 
darum,  quum  iam  olira  in  Gerraania  recusae  essent,  petentibus  libra- 
riis  curam  recepi ;  adiectis  notis  orationem  Latinara  scriptorura  illu- 
etravi,  eraendavi,  rem  litterariam  promovcre  pro  virili  studui;  edere 
volui  vitam  Wyttcnbachii  a  Mahnio  conscribendara ,  tura  nondura  con- 
scriptam,    qaod  non  constituissem ,  ei,   qualis  futura  esset  qualisque 


ItcrinBataviamsusceptura.  09 

nunc  est,  cognovisscra.  Hoc  nimiriira  summum  fuit  piaculum,  At  nonne, 
ego  quod  noii  fecissciu,  alii  fccisscnt,  id  quod  accidit?  Nonne  bene 
nieretur  de  siia  gcntc ,  qui  allarum  gentium  scripta  pi'aestabilla  intro- 
dueit  corumque  uäuiu  patufacit'?  O  inhumanum  et  crudele  genus !  No- 
bis  pauperibus  Germanis ,  inter  quos  litterarum  doctores  et  studiosi 
saepe  cum  tristissima  peuuria  conflictant ,  qui  ab  omnibus  Oceani  et  In- 
diarum  divilils  exciusi  sumus ,  nobis  invident  Batavi  suorum  librorum, 
longe  cariorum ,  quam  ut  nos  craerc  possimus ,  usum  et  lectionem,  in- 
sano  pretio ,  veluti  adiecto  crudelis!>imo  interdicto ,  venundantes.  Uli 
intcrdicto  si  quis  in  Germania  litterarum  studlosus  se  subtcrducere  et 
vlliori  pretio  recudendos  curare  studuerit  Butavorum  libros ,  quod  pro- 
fecto  non  turpe  fuerit  Batavis  scriptoribus;  elieu,  conclamant  vicinos 
ac  populäres,  furta  ac  latrocinia  ci-epant,  lucripetas  et  alicnarum  mes- 
sium  collectores  nos  vocant.  Qui  si  scirent ,  quantillum  a  nostris  nos 
librixriis  honorarium  accipere  soleamus ,  profecto  turpe  saltem  lueri 
Studium  nobis  non  imputarent  et  furti  crimen  a  nobis  amolirentur.  Sed 
qui  tam  tcmere  ac  tam  impudenter  tam  turpes  criminationes  in  homi- 
nem  litterarum  studiosura  confert ,  is  non  dignus  est,  qui  amplius  in 
liominum  eruditorum  numero  censeatur.  Alii  etiam  Batavi ,  rumori- 
bus  de  me  sparsis  nimium  tribuentes,  ingratuiu  mihi  animum  expro- 
braverunt,  quod  scilicet  dixissem,  bibliothecam  Lugdunensem  vermi- 
bus  nutriendis,  non  litteratorum  usui  destinatam,  et  a  barbaris  quibus- 
dam  de  stirpe  Vandalica  custoditam  videri.  Nimirum  hoc  est  viri  con- 
siderati,  liominum  rumusculis  tantum  confidere  ,  ut  bonam  existima- 
tionem  probitatisque  laudem  aliculus  iure  laedere  te  posse  credas ! 
Quos  riimores  ut  refutarem ,  quid  iudieaverim  de  Batavis  litteratis,  pu- 
blice et  palam  prodendum  esse  existimavi;  ceterum  de  persuasione  mea 
nihil  detracturus  neque  commissurus,  ut  aliquid  veri  reticeara ,  quod 
eine  damno  palam  dici  posset. 

Igitur  haec  etiam  in  caussa  fuerunt ,  ut  consilium  mutarem  et  iter 
meum  Batavura  describendum  susciperem.  Volebani  enim  lioniinibus 
ostendere ,  me  nondum  oblitum  esse  neque  unquam  obliturum ,  quid 
Batavis  deberera ;  putabam  non  posse  me  melius  significare,  quantope- 
re  non  commeruerim  istorum  liominum  inconsiderata  convicia ,  quam 
si  ,  me  summam  adhuc  illis  habere  gratiam ,  publice  confessus  cssem. 
Quare  nolui  diutius  hoi'tantibus  amicis  repugnare;  quamquam  de  me 
dicere  ipsura ,  semper  mihi  et  fuit  et  erit  odiosum.  Ceterum  non  in- 
iucundam  lectu  spero  fore  meam  narratiunculam ,  etiamsi  nihil  magno- 
perc  habitura  sit  utilitatis.  Nam  tametsi,  quae  mihi  acciderunt  et  quae  ego 
\-idi,  nee  magnas  rcrum  mutationcs ,  neque  gravia  eventu,  neque 
egregia  facinora  et  fortiter  facta  complectuntur ;  tamen  et  humana  sunt, 
quorum  nemo  cordatior  quicquam  a  se  esse  alienum  putat ,  et  ad  lit- 
tex-as  spectant  omnium  liominum  communes.  Quapropter  benivolen- 
tiam  lectorum  singulari  captatione  venari ,   non  erit  opus. 

Anno  MDCCCXVII  A,  D.  XXVIII  mensis  Martii  Torga  In  Saxo- 
nla ,  nbi  tum  Lyccum  regcbam ,  una  cum  uxore  profectus  sum.  Im- 
petraveram  ab  üs,  qui  rebus  scholastlcis  iu  provincia  Saxonia  Borusso- 


100  Fri derlei  Lindemanni 

mm  praesunt,  coinmeatum  satls  diutlnuni,  ut  tum  mihi  videbatur.  lam 
vernuiu  tempus  iiigruebat;  iam  pullulabant  germina,  iara  arbores  fron- 
descere  incipiebant ;  sed  liae  limüsae  et  vectura  paene  insuperablles. 
Tarnen  quuni  sumino  mane  profecti  essemus ,  eodem  die  JLipsiam 
transeuntes  Mtrutburgum  pervenimus.  l^ipsicie  in  transitu  Spoli- 
n  i  u  ni  meum,  tum  vegeta  adhuc  iuveuta  llorentem ,  pauUisper  con- 
veni  cum  eoque  de  itineris  mei  consilio ,  de  quo  iam  antea  per  litteras 
multum  dlsputarara  ,  iam  postremum  auguriura  expetens,  quamvis  ra- 
ptim,  sum  coUocutus.  Hac  bona  ave  iter  optima  me  confecturum  esse 
opinabar.  Mersehurgi  duo  curanda  erant,  quapropter  diem  ibi  con- 
sumsi.  Primum  valc  dicendnm  erat  Christiano  Weisio,  pbi- 
losopho ,  patrono  raeo,  regis  cunsiliariu  in  Coliegio  Merseburgico. 
Deinde  syngrapha  petenda  erat,  qnae  me  tutum  ubique  transmitteret. 
Weisius  dumi  non  erat,  sed  liüeras  ab  eo  commendatitias  iam  ante  ac- 
ceperam;  syngrapha  mira  benivolentia  eodem  etiam  die  mihi  ab  illu- 
stri  Coliegio  rectorum  provinciae  confecta  et  tradita  est.  Iam  omnibus 
recte  procuratis  securo  animo  atqne  hüari  patriam  reliqui. 

Tristissimo  coelo  ,  irapeditlssimo  itinere  CastUas  advenimus.  Ibi 
pauUisper  morari  et  vires  reficere  decreviraus.  Ac  primo  statim  die 
eol  redditus  regionis  amoenitatera  urbisque  splendorem  illustrabat  nos- 
que ,  ut  diutius  manereraus ,  invitabat.  Suranio  visnndi  ardore  pro- 
spectabamus  coUem  Vilelmi  ac  montem  ilhim ,  in  cuius  altissimo  cacu- 
mine  pyramis  saxea  cum  statua  Ilerculis  grandissima;  aedium  magni- 
iicentiam  in  meliori  et  recentioi'i  nrbis  parte  mirabamur./  Ad  hoc  ho- 
niines  laeti,  liilari  vultu,  quippe  crudelissima  dominatione  nuper  exerati 
et  priscae  stirpi  dorainatrici  redditi ;  mores  siniplices  et  caudidi;  vivendi 
ratio  non  nimis  luxuriosa,  sed  lauta  satis  et  commoda;  sermo  antiquua 
et  iam  ad  dialectum  Saxoniae  inferioris  vergens :  orania  haec  nobiä 
nova,  iucunda,  grata,  invitantia  et  ad  se  allicientia.  Iam  dierum  sum- 
ma matutina  lectiunculis  et  litterulis  scribendis  consumebamus.  Tum 
ientaculo  sumto  excurrebamus  in  montes  vicinos,  ad  Ilerculem  illum 
ealutandum,  in  cuius  vicinia  adhuc  nives ;  in  arcem  Leoninam,  qua  vi- 
senda  et  perlustranda  exsatiari  non  pnteramus;  deinde  in  urbem  redtJ^ 
ces  coenam  sumebamus  ad  mensam  hospitis ,  ubi  multi  peregrinantes, 
multuä  Icpos,  multae  facetiae;  coena  sumta  Musea,  bibliothecam,  bal- 
neum  marmoreuni,  hnrtos  publicos  aliaque  permulta  adibamus,  et 
eumma  cum  voluptate  et  delectatione  spectabamus.  Prorsus  beatissimi 
isti  nobiä  dies  illuxisse  videbantur.  Adii  etiam  Gymnasium  Fridericia- 
num,  cui  tum  praeerat  (nescio  an  adhuc  inter  vivos  sit)  Vir  Clarissimua 
Caesar.  Is  mihi  multa  de  Gallorum  superba  dominatione,  barbarie 
prorsus  \  andalica,  intolerabili  arrogantia,  rerum  omnium  devastatione, 
lurium  ac  leguni  eversione.  Aspera  sane  pertulerant  per  orane  illud 
barbaricae  dominalionis  tcmpus  maxime  litterarum  doctores  publici.  Et 
praeter  alia  ,  quae  mihi  narrabat  satis  gravia  et  quae  prius  longe  secus 
se  habere  cogitarara,  de  Joanne  Muellero,  cui  per  terras  imperii 
Westphalici  suprema  rei  litterariae  ac  publicae  institutionis  cura  fuerat 
dcmandata,  ea  mihi  teatimoniis  satis  firmata  exposuit,    quae  audüäse 


Iter  in  BataTiam   eusccptum.  101 

nollcm,  ,  Eius  in  negotlis  g-erundls  tergiversationes ,  in  resistendo  im- 
probis  exteroruni  stipulatioiiibus  imbccillitas,  in  tuendis  ac  defendendiai 
tuteliie  suae  traditis  rebus  et  hominibus  tarditas,  maxime  vero  eins 
in  Omnibus  rebus,  quae  ad  suain  curara  pcrtinercnt ,  negligentia  tanta 
apparcbat,  ut  civitati  gravissima  indc  dainna  infligerentur.  Non  igi- 
tur  vir  sumnius  ad  res  gereiidas  natus  fuit;  et  si  fuisset,  in  illa  snlteni 
oinnium  verum  pcrturbatioiie  non  constitisset.  Quae  enim  tanta  gu- 
bernatoris  fortitudo,  quae  in  gravissima  tempestate ,  ubi  omneä  vento 
auferuntur,  sola  inconcussa  et  illibata  maneat?  Quis  tantus  animus, 
qui  solus  resistere  possit  perditissimorum  Iiominum ,  qui  omnia  agunt 
et  ferunt,  rapinis  et  devastationibus?  Profecto  non  credo ,  malitiose 
fecissc  virum  summum  et  immortali  gloria  dignissimum.  Sed  quid 
terapora  possint  in  hominibus  qui  mecum  reputet;  profecto  satis  excu- 
eationis  ei  habebit  paratum. 

Casellis  adliuc  versantes  diu  dcliberavimus  ,  utrum  Bataviam  in- 
gressi  itcr  terrestre ,  an  maritiraum  in  lacu  Flevone  usque  ad  Amstelo- 
damuiu  persequereraur,  Atque  uxor  quidem  et  socius  itineris,  qui  iam 
inde  a  Lipsia  nobiscum  coniunctu»  in  Batiaviam  pvoficiscebatur ,  ut  ibi 
studia  nobiliä  adolescentuli  regeret,  iter  maritimum  commendabant. 
Yidebatur  id  raultum  habere  et  amoenitatis  et  novitatis.  Quae  postea 
eententia  vicit.  Sed  pauUo  post  a  nobis  intellectum  est,  quantura  noceat 
impetura  potius  animi,  quam  deliberatara  rationem  sequi.  Facile  enim 
poteram  coniicere,  iter  maritimum  uec  mihi  neque  uxori  salutare  fu- 
turum. 

Percursis  inferioribus  Westphaliae  regionibua ,  Paderhorna  et 
Monasterio  nonnisi  in  transitu  et  obiter  conspectis  ,  pluviosa  tempe- 
state ,  interdum  frigidissirao  coelo  ,  tandem  vicum  Bataviae  in  confiniis 
positum  ,  -nfixtAwe  Easchede ,  feria  Pascbatls  secunda  intravimus.  Iam 
coelum  pauUisper  serenari  videbatur,   sed  per  breve  tantum  tempus. 

Iam  nova  ubique  facies.  Vicorum  plateae,  ut  in  oppidis  ,  stratae, 
purae,  nitidae;  aedes  fenestrarum  magnitudine  et  multitudine  pelluci- 
dae ,  muiiditiis  splendidae;  homines  nitoris  et  antiqui  cuUus  studiosis- 
rimi ,  graves ;  templa  musico  carapanarum  et  tintinnabulorum  sonitu 
varioque  et  composito  concentu  resonantia;  in  muito  hominum  et  vege- 
to  comniercio  niagnus  decor  et  antiqua  quaedam  gratitas.  Sed  plebs 
abiecta  et  ignobilis;  egenorum  et  mendicorura  otiosa  et  molestIs*ima 
turba;  multique  ex  eo  nuniero  efToeto  «;orpore  et  tetro  plane  aspectu, 
ut  nnsqnam  in  omni  Germania  tale  quid  vidjsse  meminerim.  Et  ta- 
rnen egenorum  publicam  curam  praeclare  institutain  es^,  homines  cre- 
pabant.  Quod  quäle  fuerit ,  perspicere  non  potui.  Noio  tarnen  dif- 
fiteri,  annonae  caritatem  tum  fuisse  gravissimam,  quae  res  in  causäa 
esse  potuit,  ut  tarn  teter  egenorum  aspectus  ubique  appatuerit. 

Xwollam  pervenimus  feria  Paschatis  tertia.  Adhuc  mane  erat. 
Mox  celorem  quaesivimus,  hora  deciraa  antemeridiana  conscendiraus. 
Ventus  vid;t:batur  operara  dare;  laeti  aniniis ,  corpore  validi ,  vultu  hi- 
lares  futuram  nayigationera  prospicicbamus.  Equi  trahebant  navem  per 
foisam  usque   in  altnm  iacns  Flevonis.     Vix  in  altum  provecti  eraraus, 


102  Friderici  Linde manni 

quiim  infestissima  teinpestas  orta  est.  Ventus  plane  advcrsus;  pluvia 
iiivihus  areiiosis  mixta;  frigoris  luultum,  coeli  aspectus  horridus.  Pror- 
sus  hienialis  et  procellosa  navigatio.  laui  fluctus  intumeseere ,  iam 
nos  trepidare,  sed  nautae  vel  ridere  vel  munia  siia  aequo  aiiinio  obire. 
Id  noljis  aniinuin  addebat,  quaiitiimvis  iiavis  vehemens  vacillatio  iam 
nauäeam  iiobis  procreaverat.  Dixerat  mihi  nauclerus,  si  vellem  a  nau- 
sea  me  defcnulere,  ut  in  tabulato  navis  manercm  et  frigido  aeri  me 
exponerem.  Id  feci,  donec  nox  ingi-ucret,  tibi  gubernatoris  cubicu- 
lum  adü ,  iixorem  revisurus.  Di  boni,  quae  ibi  rerum  facies !  Uxor 
nausca  fei'e  exanimata;  socius  itincris  graviter  afilictus;  rcHqui  in 
codem  cubiculo  versantes,  qiii  pauci  erant,  ingeraiscentes;  omnes  nau- 
sea  correpti;  odor  gravis  et  per  sc  iam  nauseam  moveiis.  Peruiansi,  ut 
uxorem  manibus  amplexus  in  sedili  retincrem,  ne  ad  @ohim  procide- 
ret;  tanta  erat  navis  iactatio.  Cetcrum  ego  cum  paucis  aiiis,  qui  uon- 
dum  gravius  laborabant  ex  nausea,  bene  sperabam.  Iam  gubernator 
cnbile  suum  petit,  nos  eo  lactiores  animo.  Sed  vix  ille  unani  sccii- 
buerat  liorulam,  quum  repente  iactationem  in  immensum  augeri  senti- 
mus,  homines  in  tabulatis  discurrere,  trepidare  audimus,  Descendit 
aliquls,  gubernatorem  expcrgefacturu;:.  Kos  retinere  ,  sciscitari ,  si- 
mul  escendere.  At  ille  prodeuntes  reprimit,  non  esso  multis  locum 
in  tabulato  dicens.  Ego  pauca  intelligebam ,  ex  gestu ,  imtu ,  viiltu 
multa  coUigens;  nondum  enim  Bata\ice  sciebam.  Iam  supra  nos  im- 
raani  voce  cultrum  aliquis  clamat;  quod  mihi  quidem  eo  terribilius, 
quo  tranquilliores  et  taciturniores  hucusque  fuerant  nautae.  Escendit 
allquis  nostrum.  Reversus  nunciat,  velum  maximum ,  a  procella  pro- 
digialiter  discissum,  vix  servatum  esse.  Iam  undique  lamentationes  et 
eiulationes  coortae,  pars  ad  prccationes  conversi,  ipse  tacite  mecum 
ardentes  preces  ad  Deum  O.  M.  fundebam  ut  mie  vivura  servaret ,  vel 
si  mori  iam  destinatum  mihi,  ut  id  sine  diutina  fierct  conflictatione,  ut 
facilis  esset  et  cita  exstinctio.  Erant  nobiscum  quidam  Romanae  lidei 
formulae  addicti ,  qui  litanias  decantabant ,  clara  voce  et  communiter 
orabant  tantoque  clamore  aures  opplebant,  ut  hac  molestia  gravius,  an 
infortunü  cogitattone  angeremur ,  incertum  esset.  Ego  ad  parietem  cu- 
biculi  sedebam,  altera  manu  uxorem  semianimem  in  sinu  mco  detinens, 
altera  ansam  aliquam  in  pariete  fixam  llrmiter  prehendens ,  ne  liumi 
proiicerer.  Hoc  ijisum  tanta  virium  contentione  fiebat ,  ut,  ni  anxietas 
vires  addidisset,  non  sufFecturus  fuissem.  Uxor  constupefacta  nihil 
omnium  recte  sentire  et  vix  quicquam ,  nisi  spirare ;  unuiu  hoc  gestu 
signiricabat,  se  nolle  cubile  petere.  Ita  aliquot  horas  misere  traximus. 
Tandem  descendit  aliquis,  nuncians,  ancoras  ad  insulam  Sc/tok- 
landlam  iactas  esse,  navemquc  consistere.  Igitur  animi  paullura  re- 
laxari  metuque  solvi.  Sed  iactatio  navis  eadem  vel  raaior  etiam ,  ut 
mihi  quidem  videbatur.  Brevi  lux  reddita ,  uxor  cubile  petüt ,  ego 
esccndi  in  tabulatum.  Adhuc  liber  eram  a  nausea.  Sed  nihil  come- 
deram  nisi  aliquot  mali  Sinici  frustula,  quapropter  quum  per  se  diffi- 
cile  esset  navi  tam  vehementer  vacillante  per  tabulata  discurrere,  ego 
viribus  attritus  rcptarc  tautum  poteram;  ut  plurimum   iaccbam,  vcuto, 


Itcr  in  Cattivlam  susccptum.  103 

iilvibus ,  undis  expositus  ,  6cd  liberum  tarnen  et  purum  spirltum  ducens, 
cjuod  in  cubiculü  licri  iion  anipüiis  potcrat,  aliquot  liominibus  etiara- 
uum  nausca  liiboniiitibus.  lnt(a-im  iiautae  velum  consucbant,  quae 
res  mira  mihi  accidit.  Quaercbam  ciiim ,  quid  esset,  quod  non  plura 
eiusmodi  vcla  raaxima ,  vcl  duo  ealtem ,  secuni  haberent.  Sed  nihil 
responsi  ferebam ,  vel  quod  me  non  rccte  loqucnteni  non  intelligerent, 
vel  quod  respoudere  noUent.  E  longinquo  conspiciebara,  a  latere  qui- 
dcm  villarum  cacuniiiia,  oppitli  alicuius  turres  ,  culta  homlnura.  In- 
tcrroganti  respondcrunt ,  esse  JLirdrov'icum.  Petii,  ut  nie  lintre 
transvehentes  ibi  appellerent ,  pretium  centura  florenos  monetae  Bata- 
vicae  pollicens.  Si  niillc  ponere  velles ,  inquiunt,  fleri  nequit.  Ora 
ijuportuosa,   ventus  nliuius.      Conticui ,   obduravi. 

Ita  meridics  advenit.  Pransi  porro  vecti  sumus ,  rento  vix  paul- 
lum  remitteiitc.  Descendi  in  cubiculum  ad  uxorcni.  Nox  insecuta  il- 
lunis,  proccllosa,  nee  tarnen  priori  similis.  Aliquoties  escendi,  vidi 
Pharos,  cursum  nionstrantes,  practerea  nihil,  Ilomeri  Odjsseam  in 
einu  mecum  ferebam.  Putaram ,  naufragium  Ulixis ,  tempestatis  de- 
scriptiones,  alia  huiuscemodi  summa  cum  voluptate  me  in  navigio  le- 
cturum  esse,  neque  exiguura  ex  ea  lectione  ad  Ilomericorum  carminum 
intelligentiam  iiicrementum  hausturum  sperarara.  Sed  Di  boni,  quam 
nihil  tale  fieri  poterat !  Satis  habebara  auras  vitales  carpere.  Neque 
enim  noctu  neque  interdiu  legendi  aliquam  Opportunitäten!  invenire  po- 
tul.  Ita  ex  Omnibus  rebus  commodis  atque  amoenis  exarueram;  ita 
omnia  infesta,  odiosa,  afiovaci  plane  et  aTiQosSiövvaa  erant ;  immo  e 
re  nata  ne  litterulam  quidem  potuisseem  legere,  si  vel  maxime  animus 
fuisset. 

Et  liac  altera  quidem  nocte  per  multas  iterum  molestias  superata, 
paullo  ante  diem  ventus  consedit,  fluctus  lenire  coeperunt.  Cum  prima 
luce  regressus  in  tabulatum  vidi  multa  turrium  cacumiaa ,  silvae  instar 
in  coelura  eminentia.      Quaesivi;  responderunt,   esse  ^nisie/odamuTn. 

Post  nonam  antemeridianam  in  terram  egressi  sumus  et  dcvex'so- 
rium  petiiraus.  Curatis  pauUum  corporibus  eodera  etiam  die  LiUgdu- 
nutn  perrexiraus.  Aquam  exosi  ippaginem  vitavimus  curruque  vecti  su- 
mus. Iter  erat  ut  pluriraum  per  amoena  vireta,  violaria,  prata,  areas 
narcissi,  hyacinthi,  tulipae  floribus  consitas,  qui  flores  illls  in  locis 
coluntur  et  tum  splendidissimis  coloribus  luxuriabant,  maxime  post- 
quam  ilarlcnunn  transiimus.  Sereno  coelo  Lugdiinum  ingressi  su- 
mus ,  quam  rem  in  bonum  oraen  interpretari  non  obliti  sumus. 

In  deversorium  publicum  advenimus  ante  noctem.  Omnia  mun- 
ditiis  splendescebant ,  omnia  animum  exhilarabant.  Uxor  mea,  quae 
Gallice  quaedam  eflari  poterat,  facile ,  quae  volebat,  impetrabat;  ho- 
mines  etiam  Germanice  pauUum  intelligebant.  A  ix  insequenti  die  de- 
versorium reliqueram,  quum  duo  iuvenes  mihi  obviam  facto»  Germa- 
nice loqui  audio.  Ego  hilari  animo  statim  adire,  salutare,  alloqui. 
Erant  litterarum  Studiosi,  alter  Brunsvico ,  alter  Lingia  oriundus,  qui 
ad  ampliora  litterarum  stadia  emetienda  Lugdunum  concesserant.  Uter- 
que  modestuä,  kumanus,  perdoctus,    uterque  me  invento  laetior,  si 


104  Friderici  Lindemanni 

id  fieri  potuit ,  quam  egomet  ipse,  Miiltum  illi  mihi  et  utilitatis  prae- 
etiterunt,  quippe  officiosissimi ,  et  consuetudiiie  sua  iucumlitatem  vitne 
nostrae  multain  addiderunt.  Quapropter  facere  non  possiira ,  quin 
eorura  nomina  grato  hie  animo  publice  prodam.  Erat  alter  Philologiae 
etudiosus,  Waardenburgius,  filius  rectoris  olim  Lingiensis  Gym- 
nasii,  alter  Bluiiiius,  arti  medicae  deditus,  qxii,  ut  nuper  Diaria 
publica  nunciaverunt ,  itinere  in  insnlam  Javam  facto  feliciter  reversus 
inclaruit,  multa  ad  historiam  naturalem  illuätrandam  pertinentia  per- 
tcrutatus. 

Ilorum  praestantissimorura  iuvenura  opera  et  auxilio  priraum  id 
effectum  est,  ut,  viri  docti  quo  quisque  tempore  adeundi  esseiit  et  com- 
modissime  adiri  possent,  planissime  edocerer,  et  uhi  habitarent,  f.icil- 
lime  iuvenirem.  Itaque  priraum  adii  W  y  1 1  e  n  b  a  c  h  i  u  m.  Horrebat 
animus  rcverentia  victus ,  quum  cogitarera ,  qualem  virum  mox  visurua 
essem.  Titubante  gressu,  palpitante  corde ,  trepida  manu  fores  pulsa- 
bara.  Habitabat  vir  suramu»  plerumque  in  villa  prope  urbem  non  splen- 
dida,  sed  percommoda,  Arboria  cilsae  (Je  hooge  Boom')  nomine  in- 
eignita.  Sed  quum  illo  tempore  adhuc  scholas  haberet,  in  urbem  do- 
mura  suam  ventitabat  ibique  convenientibus  ac  salutantibus  sese  prae- 
hehat.  Admi£>us  sum  ,  cubiculum  intravi.  Sedebat  cum  nepti  sua, 
quam  pauUo  ante  septuagenarius  uxorem  duxerat,  ad  focum,  pedes 
igni  admovens.  Statura  grandis ,  corpus  bene  nutritum,  iiec  tamen 
amplum,  rubor  iuvenilis  in  ore,  in  fronte  multa  severitas.  Sed  ocu- 
lis  non  amplius  valebat,  ita  ut  aegerrime  scriptum  legere  posset;  qua 
in  re  uxoris  ministerio  utebatur,  quae  surgentem  etiam  e  sedili  adiuTa- 
bat.  Casu  factum  erat,  ut ,  quas  mihi  Creuzerus ,  Vir  lUustris,  pro- 
niiserat  litteras  ad  Wyttenbachiura  commendatitias ,  eas  nondum  acce- 
pissem.  Quare  viro  summo ,  de  veritate  eorum ,  quae  exponebam, 
eubdubitanti,  alias  ostendi  Creuzeri  litteras,  ad  me  datas  illas,  in  qui- 
bus  de  itineris  mei  consilio,  de  quo  illum  consuluerara,  scriptum  erat. 
Tarnen  cunctabatur  opem  suam  in  libris  de  publica  bibliotheca  mihi 
commodandis  poUiceri.  Paullo  morosiorem  et  difficiliorem  fecerat  ae- 
tas ,  quod  etsi  primo  mihi  mirum  videbatur ,  paullo  tarnen  post  aetatis 
id  Vitium  esse  intellexi.  CoUocuti  sumus  Latine  et  Germanice.  Sed 
Germanicae  linguae  usus  ei  plane  in  desuetudinem  abierat,  quanquam 
libenter  eam  audire  videbatur.  Pro  se  respondere  uxorem  iubebat ,  si 
quid  commode  Latine  dici  posse  desperaret.  Interim  recte  sed  lente  et 
caute  Latine  loquebatur.  Ceterum,  ut  dixi,  spem  nuUam  de  liberi- 
ore  usu  bibliothecae  faciebat.  Discessi  tristis.  A  ix  domum  reversua 
eram,  venit,  ecce,  unus  de  eius  famulitio  ,  scidulam  afferens ,  in  qua 
muliebri  manu  scriptum  erat:  Qui  hoc  affert,  ei  scrinia  bibliothecae 
ea ,  in  quibus  Codices  manuscripti  continentur,  recludenda  iubcmus,  ut 
pervestigare  possit,  non  tamen  ut  domum  secum  asportet.  Haec  satia 
quidem  benigne,  mihi  tamen  non  poterant  esse  satis,  quippe  nisi  Co- 
dices domi  haberera,  tarde  tantum   labor  procedere  poterat. 

lam  ante  constitueram   adire    lanum  Bakium.     Is  rae  supra 
quam  sperare  poteram  benigne,    comiter,  llberaliter  excepit.     Homo 


Itcr  in  Bataviaiu  susceptum.  105 

gravis  et  plane  vir;  sed  suavis,  afTabilis,  comis,  seinper  tempcrata 
quadam  Iiilaritate  sedatoquc  vultii  totus  amabili;!.  Statiira  erccta,  corpus 
ouine  dccoruui,  ociili  lucentcä  et  candidi^sinli  aninii  indices.  Vellcra  eius 
onincm  vultum  nunc  etiani  pingere,  si  artem  tenerem ;  tarn  vivida  eiua 
adhuc  animo  meo  obversatur  imago.  Latliie  loquebatur  rectissime, 
eles^antissime ,  lingua  salis  volubili.  Pollicitiis  est  operam;  sed  ma- 
gis  etiaiii  postea  praestitit ,  quam  erat  pollicitus.  Diu  sermones  ccci- 
dinius.      Plane  ei  conciliatus  abii. 

Cognovi  subinde  alios ,  qui  tum  Lugduni  erant ,  viros  suninioa, 
iu  quibus  priuio  locoraibi  coramemorandus  est  Bil  der  dy  ki  u  s  ,  poeta 
illustris ,  hoino  ingeniosissimus ,  et  licet  provectus  iam  aetate ,  animo 
tarnen  prorsus  vegeto  ac  iuvenili,  quem  quoties  commemini,  Plautinum 
illud  in  mentem  vcnit : 

Si  albus  capillus  lue  videlur,  neutiqitam  ibi  ingeniiun  est  senis. 
Eius  consuetudini  hoc  maxime  debeo ,  quod  Batavorura  lin- 
guam  magnifacerc  didici.  Is  seditione  Francica  ad  Batavos  propagata, 
quum  stirpi  dominatrici  Oranitae  adhaeresceret,  in  Germauiara  liabi- 
tatum  concessit  ibique  diu  habitavit.  Sed  sub  Ludovico  Boiiaparta  re- 
versus ,  multis  honoribus  auctus ,  in  Societatcni  litterarum  alleetus ,  a 
rege  doctor  sermonis  B.itavi  in  cubiculum  ascitus ,  tum  quum  Bonapar- 
tidarum dominatio  tolleretur ,  fortunas  collabi  vidisset  suas,  nisi  a  rege 
novo  ex  Oranica  stirpe  \ilelmo  stipendio  esset  adiutus ;  quo  beneficio 
sie  utebatur,  ut  cum  uxore  sua,  honestissima  femina,  beato  otio  Lug- 
duni degeret  sibique  et  Musis  viveret.  Multum  cum  eo  et  satis  amice 
eatisque  hilariter  vixi.  Ipse  Germanice  recte  scribebat,  loquebatur  paullo 
secus ;  sed  uxor  eius  satis  scite  et  eleganter  et  scribebat  et  dicebat  Ger- 
manice. Uterque  carmina  faciebat  Batava ,  uterque  multa  eo  sermone 
scripta  edidit,  quoruni  magnam  partem  pellegi  et  multum  lade  volu- 
ptatis   sincerae  pcrcepi. 

E  reliquis  laudandus  mihi  magnopere  est  Tydemannus  filius, 
iuris  Professor.  Is  quamquain  serius  innotesceret  mihi,  tamen  et  multura 
profuit  et  sacpe  docto  et  hilari  sermone  me  suo  beavit.  Pater  eius,  item 
iuris  Professor ,  grandaevus  iam  tum  erat  senex ,  illo  ex  tempore  mor- 
tuus.  Praeterea  adii  van  Kampenium,  Germanicarum  litterarum 
in  universitate  Leydensi  doctorem  publicum ,  Lectorem  dicere  solent, 
qui  historia  Litterarum  Batavarum  Germanice  conscripta  aliisque  libria 
editis  orbi  doctorum  innotuit;  Molen  aarium,  verbi  divini  apud 
Anabaptistas  Leydenses  tunc  ministrum,  qui  olira  lenae  ampliora  Tlieo- 
logiae  studia  tractaverat,  nunc  vero  Elberfeldii,  nisi  fallor,  eodem 
munere  fungitur ;  Donkermannum,  privatum  in Acaderaia Leydensi 
doctorem  ,  hominem  valde  eruditum.  Cognovi  ctiam  K  e  m  p  i  u  m  , 
iuris  professorem  clarissimum ,  illo  tempore  senatorera  in  supreiuo  et 
amplissimo  reipublicae  concilio  ,  quos  status  generelles  dicunt,  ab  Aca- 
demia  electum,  qui  splendidissimam  et  instructissimam  possidebat  bi- 
bliothecam;  van  Voorstium,  theologum  celebratissimum ,  pro- 
fessorem theologicarum  disciplinarum  in  universitate  Lugdunensi  summe 
venerabilem ;  Brugmansium,  medicae  artis  doctorem  celebratissi- 


106  Friderici  Llndcmanni 

mum,  Speyertum  van  der  Eyk,  matliematum  professorem,  qui 
illo  tempore  Rectoriä  MagniGci  muuus  gerebat.  Quorum  multl  an  ad- 
huc  valeant  ctvivant,  parum  corapertum  liabeo.  Bakium  vivere  ex 
Bibliütheca  crltica  Batavorum  cognori;  Wyttenliachius,  Tyde- 
mannus  patcr,  Brugmansius  ad  plurea  abierunt ,  et  suis  pari- 
ter  atque  peregrinis  sul  desiderium  reliqueruut. 

laiu  si  quaeratur,  queraadmodum  litterarum  status  atque  conditio 
apiid  Batavos  mihi  apparucrit ,  qualis  mihi  visa  fuerit  doctrinae  ac  li- 
bcralium  artium  tiactatio,  quid  re»pondeam ,  dubius  haereo.  Etenim 
ei  de  singulis  hominibus  tale  ferreiudiciumiamsatis  lubricura  atque  invi- 
diosum;  quanto  plus  babcbit  et  dubii  et  invidiac,  de  universa  quadam 
gcnte  iudicare,  iutcr  quam  per  aliquot  tantum  menses  fueris  versatus. 
Quapropter  priusquara  hoc  faciam,  simpliciter  narrabo,  quid  mihi  in 
liominum  coiisuetudlne  ipso  facto  sese  obiecerit  tale,  unde  in  animi  in- 
geniique  cultum  litterarujnque  Studium  faciiis  fieri  possit  coniectura. 

Ac  primum  quidem  professorum  scholas  adii  publicas.  Quarum 
quascunque  audivi,  Latine  habebantur;  Latinus  sermo ,  vctere  atque 
untiquo  instituto  ,  doctorum  sermo  in  Academia  erat  Lugdunensi.  Au- 
divi Wy  t  tc  nb  a  ch  i  um  historiam  philosophiae  enarrantem,  atque 
istae,  quas  audivi  eins  scholae,  novissimae  erant  atque  ultimae  in  omni 
eins  vitae  curriculo.  Posthac  non  amplius  publice  docuit.  Igitur  iam 
ad  occasum  vergebat  aurcum  illud  sidus ,  quod  luce  sua  totum  littera- 
rum orbem  ad  reiuotissimas  usque  oras  iilustraverat.  Et  tarnen  quam 
Ti\ida,  licet  temperata,  eins  oratio!  Quam  rectus  et  simplex  sermo 
Latinus ,  quam  luciduiu  et  grave  narrandi  genus !  Dicebat  lente ,  sed 
tarnen  ita,  ut  nunquara  interpellaretur  oratio,  aequabili  quodam  et 
moderato  flumine  verborum ,  quae  non,  ut  apud  Homerum  est,  vi(pu- 
SsGGLv  ioLKozcc ,  cadebant,  sed  sie  ore  exibant,  ut  ingens  et  latum 
flumen  quod  tacita  aqua  ripas  mordet,  et  omnia  tamen,  quae  undi»  eins 
propinquant,  vi  terribili  secum  provolutat.  Poteram  eins  omnem  ora- 
tioncm  verbatim  litteris  consignare,  licet  nihil  in  calamum  dictitaret; 
tarn  gravi  et  lento  tenore  dicebat.  Auditores  scribebant  assidue ,  alii 
audicbant  acriter,  nemo  turbabat  quidquam;  numerus  tamen  auditorum 
haud  ita  magnus. 

Bakium  audivi  aliquoties  Euripidis  Orestcm  explicantem.  Pe- 
culiare  est  et  antiquum  in  Academiis  Batavis  institutum ,  ut  in  scho- 
lis  philologorum  ac  theologorum,  in  quihus  scriptores  veteres  et 
libri  sacri  explicantur,  fortasse  etiam  in  aliarum  doctrinarum  repe- 
titionibus,  singuli  auditores  nomine  evocentur,  veluti  in  Cymna- 
giis  ac  Lyceis  nostris  fieri  solet ,  aut  non  evocati  sponte  surgant ,  et 
verba  scriptorls  Graeca ,  accurate  recitata ,  Latine ,  Latina  Batavice 
reddant,  quibus  professor  explicationem  suam  et  annotationem  sub- 
iungit.  Quarc  accidit,  «t,  si  qui  discipulus  minus  cxercitatus  dicat, 
omnis  illa  publice  docendi  ratio  plane  siniilis  cvadat  nostrae  illius,  quae 
in  secundo  vel  etiam  tertio  nostrorum  Gyinnasiorum  ordine  obtinet, 
quaque  in  primo  ordine ,  quum  discipuli  iam  ad  maturitatem  Acade- 
micam   nspii'ant ,    parcius  uti  solcmus.     Id  institutum,    Batavis   haud 


Itcr  in  Jiatnviiim  susceptuin.  107 

duble  utile,  qui  nostris  Acadcniii.'3  nupcr  commendarunt,  plane  oLliti 
esse  videntur,  quuniudo  iiostri  discipuli  corum  quidem  Gjnnmsioruiu, 
quae  paullo  melius  iiistituta  sunt ,  doceautur  et  quid  corum  huuieri  va- 
leant ,  quum  ad  altiora  Academiae  studia  progrcdiuntur  et  scholaium 
umbracula  reliquunt. 

Ceterum  Bakius  recte ,  dilucide ,  dlligenter  doeebat ,  tranquillc 
et  sedate,  ut  omnia,  agens ,  libenter  auditus  ab  omnibus,  quuruiu 
tarnen  numerus  non  ultra  deceni ;  rari  enim  etiara  ibi  pliilologi. 

Logicam  doceri  audivi  a  Mro  VA.  van  der  Wynpersse.  la 
corapendium  suiim  dccantaliat,  qiiod  olim  ,  Wulllum,  nisl  fallor,  ee-> 
eutus  eonscrlpserat.      Auditores  tarnen   scribcbant  avide. 

Ex  reliquis,  quoruni  audivi  soholas,  maxime  mihi  plaeuit  Brug- 
mansius,  qui  Geologiam  doeebat  Latine,  recte  atque  eleganter.  Nam 
tametsl  quaedam  vocabula  non  Latina,  utpote  in  disciplina  tarn  recens 
uata  et  exeulta,  subinde  inleruiixta  essent  tersae  ceterum  orationi;  ta- 
rnen et  celeri  flumine  ,  et  faeilc,  et  recte  structa  oratione  et  dilucide 
dicebat ,  ita  ut  eius  scliolis  pcrmulti  Interesse  solerent  vlri  doctissimi 
atque  in  amplissirais  reipublicae  muneribus  constituti. 

Jnterfni  etlam  disputationibus  tum  publicis  tuinprivatis,  publi- 
cis  medicorum,  privatis  pliilologorura.  Medici,  utapudnos,  vix  La- 
tine  balbutiebant ,  in  schedulis  scriptas  liabebant  interrogationes  et  rc- 
sponsiones,  quas  reeitabant.  Atque  ita  summos  in  arte  medica^liono- 
res  sibi  vindicabant.  Pliilologi  dicere  Latine  ineipiebant,  tanquam  Se- 
cundani  nostri  vel  etiam  Tertiani  Gymnasiorum  discipuli.  Sed  quum 
sex  et  amplius  annos  studioruiu  in  Acaderaia  curriculum  extendatur, 
nibil  inde  damni  in  rempublicam  redundat,  nisi  lioe  unum,  quod  non 
adolescentuli,  sed  puei'i,  qui  a  ferula  etiam  formari  debent  et  paeda- 
gogoriun  imperio  nondum  subduci  possunt,  in  Academia  versantur  et  li- 
berorura  studiorum  arbitrium  babent.  Unde  plura  oriuntnr,  nee  levla 
incommoda,  quorum  hoc  est  levissimum,  quod  pueri  illi  litterarum 
Studiosi  saepe  in  locis  publicis  et  palam  omnibus  pngno  inter  se  decer- 
tant,  et  pueriliter  illatas  iniurias  pueriliter  depellunt  atque  ulciscun- 
tur.  Hoc  ego  levissimum  dico ,  si  eomparetur  cum  singularibus  illis 
nostrorum  studiosorum  certaminibus ,  quae  duella  voeant,  iibi  gladiis 
et  sclopetis  saepe  ad  necem  usque  dimicatur.  Ceterum  illa  puerilia  in 
Academiis  Batavis  certamina  longe  minus  sunt  frequentia  et  longe  ra- 
rius  accidunt,   quam  nostrorum  illae  digladiationes. 

Denique  orationem  audivi,  quam  Bakius  in  aditu  muneris  pro- 
fessoris  public!  liabuit ,  de  Grammaticorum  in  re  littei'aria  omni  tem- 
pore meritis  (ita,  nisi  falsus  sum  memoria,  inscripta  est),  quam  po- 
stea  typis  evulgavit.  Egregia  liaec  et  plena  rerum  optimarum  oratio, 
a  tanta  auditorum  frequentia,  tam  avide  est  audita.,  ut  non  memine- 
rim  alitim  quemquam  tall  studio,  tanta  audiendi  cupiditate,  tanto  omni- 
um  silcntio  dicentem  audiri.  Mulieres  etiam  multac,  matronae  pa- 
riter  atque  virgines ,  lionestissimis  locis  natae  inter  auditores ,  sed  loco 
discretae,  in  exedra  superiori,  quam  nos  Galleriam  voeamus,  assidentes. 
Aderaut  omnes  Academiae  profeasorcs,  togis  atrid  iuduti,  a  Rectore  et 


108  Friderici  Lindemanni 

Decemvlriä  solenni  pompa  introducti,  praeeiintibus  llctoribus,  qui  sci- 
piones  gerebant  argenteis  nianubrils  inslgnitos  ,  quo»  instar  sceptri  ela- 
tos  portabant.  Oratio  unius  liorae  spacium  excedebat  longe;  sed  ae- 
guali  ad  finein  usque  studio  audita  postquam  landein  finita  est,  ingens 
undique  seciitus  est  applausus ,  qui  in  aniplis  auditorii  public!  gpaciis 
fatis  augusto  sonitu  repulsu»  intonabat.  Ego  mirari  hoc  et  scenicum 
dicere  ;  at  illi ,  esse  hoc  sub  Gallorum  domlnatione  introductum  af- 
firmabant. 

Cum  litterarum  studiosis  adolescentibus  inultis  faniiliariter  con- 
ßuevi.  Videbantur  mihi  neque  ab  ingenio ,  neque  a  diligentia  et  studio 
contemnendi,  saltem  non  peiores  esse  nostratibus.  Sed  in  bibliotheca 
publica  non  multos  neque  libros  mutuare  neque  studere  vidi,  licet  fcre 
quotidie  ibi  fuerim.  Utrum  hoc  in  institutis  bibliothecae  fuerit,  an 
culpa  in  studiosorum  inertia,  dicere  non  possura,  Numerus  studioso- 
rum  haud  ita  grandis ;  nisi  fallor  vix  trecentos  superabat.  At  multi 
peregrini  inter  eos.  Aderant  Angli ,  üderant  Lusitani ,  aderant  plures 
ctiam  e  prttmontorio  JBunae  Spei  in  Africa,  quorum  hi  antiquam  aba- 
Torum  et  atavorum  suorum  Academiam  revisere  aparentibus  iussi  erant. 

Ex  bis  Omnibus  et  ex  aliis  rebus,  quae  mihi  obviam  fuere,  con- 
iecturam  faciens  sie  statuam  circa  Batavorum,  quae  illo  tempore  fue- 
rit, rei  littcrariae  rationem.  Scholae  philosophorum,  praeter  Logicaa 
etPhysicas,  fere  nullae  erant;  Acaderaici  in  philosophia  doctores  igno- 
ti  homines  et  obscuri  nominis.  Atque  in  philosophia  mihi  tum  raa- 
xime  claudicare  videbantur  Batavi.  Quae  res  minime  mira  vidcbitur 
ei,  qui  cognitum  habuerit  et  reputaverit,  quanto  despicatu  multi  do- 
ctissimi  Batavi,  in  priniis  vero  Wyttenbachius,  de  conarainibus  meritis- 
que  philosophorum  nostratium,  Kantio ,  Fichtio  aliisque  publice  sta- 
tuerint.  Et  Wyttenbachius  quidem  plus  uno  loco  sane  quam  acerbe 
febrira  Kantiauam,  ita  enim  Pbilosophiae  Kantianae  Studium  appellat, 
exagitat  ac  risui  propinat.  Quid  enim  mirum,  fugere  homines  pro- 
fectus  in  philosophia  et  conamina  recentia ,  si  qui  tantus  vir  ita  loqui- 
tur  de  iis,  queraadmodura  locutus  est  Wyttenbachius  in  Epistola  ad 
Lyndenum?  „Ego",  inquit,  „adolescentibus  metaphysica  febri  deliranti- 
hus  ignosco;  qui  eadem  et  ipse  adolescentulus  deliravi.  Ita  enim  na- 
tura fert,  ut  quisque  homo  semel,  aut  summum  iterura,  in  vita,  ve- 
luti  corpore  variolis,  sie  animo  amoris  aut  alia  studii  insania  corripia- 
tur,  postea  convalescens  sanus  et  immunis  vivat.  Cumqne  ista  febris 
fere  novos  et  imperitos  invadat,  peritos  doctosque  fugiat ;  ignoscitur 
adolescentibus:  aetate  provectis  minus  ignoscitur.  Quo  turpius  bis  est 
imperitis  et  indoctis  esse,  quoque  maiore  cum  dedecore  delirant,  et 
quo  graviore  cum  periculo  acgrotant."  Sic  Wyttenbachius.  Atque 
ista  quidem  et  talia  ubique  in  Batavia  resonabant,  ut  mirum  non  sit, 
philosophiae  recentissimos  progressus  et  incrementa  ignorari  tum  ab 
hominibiis  Batavis,  qui  quidem  docti,  elegantes  et  cordati  haberi  vel- 
lent.  Sed  tamen  etiam  antiquae  philosophiae  Studium  negligebatur, 
eive  id  doctorum,  quos  supra  dixi ,  culpa  factum  est,  sive  discipulornm 
crrore,  qui,  talia  audientes  e  viris  sumrais  suramaeque  in  re  litteraria 


Iter  in  Batavinm  susceptum.  109 

nuctoritatls,  quod  de  recentiori  accipIcLant,  ad  omnem  traduceront  plü- 
lüsophiam. 

Iiide  quid  detrlincnti  ccpennt  cetcrao  disciplinae,  niaxirae  theo- 
logia,  iiirisprudentia ,  quae  taiitum  non  iiitcj^rae  e  piiilo!>ophIa  pendent, 
facilc  est  ad  conicttandum.  Ac  theologia  (jiiideiii  videbatur  iiiilü  totlä 
quinquafjrinta  aniii!)  stcuiuluni  nostrain  es»e  posterior.  Quod  itiilii  eo 
accidit  maji^is  iniruiu ,  quo  libeiior  et  ex  onniünis  doniinatioiiis  sacer- 
dotaliä  vinculis  exenitior  et  doetiiua  et  excicitatio  sive  cultus  religionia 
est  apud  Batavos.  Kihil  eiiiiii  eorum,  quae  ad  sauctiorera  doctrinam 
Deique  cultuiu  spcctant,  impeditur  aut  remuratur  ab  iis,  qui  imperiuin 
habent;  id  quod  ex  longo  iain  tempore  ita  institutuni  viget.  Onines 
enim  omnium  doctrinariim  asseclae  et  sectatores  libere  ibi  agitant:  Ca- 
tbolici,  Lutherici,  Calvinici ,  Zwingliani,  Anabaptistae  ,  Ilemonstrantes, 
ludaei,,  Graeci ,  et  j^i  qui  sunt  alii,  onines  et  sua  Iiabcnt  tcnipla  et  pa- 
lam  oniniI)us  cerimonlas  suas  obcuiit,  et  nihil  inde  ortuni  intelligitur 
detriuienti  neqne  in  vitara  domeslicani  neque  in  renipnblicara. 

At  lurisprudentia  quo  loco  fuerit  et  nunc  etiam  sit,  gravissimo 
Bunt  arguinento  eae  leges,  quae  iam,  ut  publica  Diaria  narrant,  in  eo 
est  ut  fcrantur  ad  populum  de  publicis  iudiciis,  quam  nos  iustitiara  cri- 
niinalem  vocainus.  Quae  leges,  quum  sint  ab  omni  luimanitatis  fasti- 
gio  remotissimae ;  quum  sancirc  studeant,  quod  in  alüs  Europae  ter- 
ris  iam  dudum  ut  inhumanum,  crudeie,  medii  acvi  temporibus,  bar- 
baris  hominum  generibus  conveniens,  abolitum  sit  aut  aboleatur  nunc 
maxime;  facile  est  ad  intelligenduni,  qualera  fuisse  necesse  sit  ex  lon- 
go iam  tempore  iuris  disciplinam  in  Academiis  Batavorura.  Sed  studia 
iam  reviviscebant,  et  qui  in  Academia  Lngdunensi  constituti  erant  iuris 
disciplinae  doctores  publici,  summo  studio  videbantur  meliora  iam  et 
altiora  non  sine  prospero  eventu  sectari. 

Venio  nunc  ad  Fhilologiam,  quam  Lilteras ,  vel  etiam  Litteras 
Humaniores  appellare  solcnt  Batavi.  Eae  ab  omni  tempore  summo 
in  lionore  fuerunt  apud  Batavos  et  tum  etiam  erant.  Latine  omnia  do- 
cebantur  ,  Latine  omnes,  quos  conveni,  viri  docti  recte  et  scite  loque- 
bantur.  Sed  graviora  Graecae  liiignae  studia  tum  exardescebant  tan- 
tum.  Wy  1 1  enb  a  chi  US  remiserat  senio  confectns;  eins  discipuli  oc- 
cipiebant  demum.  lanus  Bakius  cdiderat  Posidonium  suum,  Cleo- 
medis  editionem  parabat;  sed  idem  multa  legebat  et  Graecos  bibliothe- 
cae  Lngdunensis  Codices  multum  tractabat.  liamakerus  scripserat 
lectiones  Pliilostrateas,  Reuvensius  collectanea  sua  iam  evulgave- 
rat;  qui  quid  pararent,  nesnire  non  potui.  Santenius  diu  iam 
mortuus.  Coeptara  ab  eo  Terentiani  3Iauri  editionem  Lennepius 
absolvendam  susceperat,  quam  inchoatam  a  biblinpola  Traiectino  me- 
cum  abstuli.  Nupei-rimo  tempore  absoluta  ea  ad  nos  perlata  est,  post- 
quam  per  triginta  annos  a  nobis  fuit  exspectata.  —  Ceterum  magni 
nostrae  gentis  in  bis  iitteris  viri  paucis  tantum  cogniti  erant :  Her- 
mannus,  Boeckhius,  Matthiae,  Lobeckius,  quorum  iam 
tum  merita  de  Graecis  Litteris  insignia,  a  primariis  tantum  Batavorum 
viriä  doctid  cognoscebantur;  ]Niebuhrium  malebant  Latine  conscri- 


110  Fr.  Linderaanni  itcr  in  Batav.  susceptum. 

psisse  historiam  suain  Romanam,  Voss  iura  interpretatlonera  Ilomeri- 
corum  carminum  vernaculam  versibug  Alexandrinis  homoeoteleutis 
composuisse.  Grammaticas  Herrn  an  ni  qnaestiones  ,  quippe  a  nostra 
philosophia  alieni,  nondum  fecerant  suas,  necdnm  in  adolescentium 
institiitionem ,  ut  no3  diu  fecinius,  introduxerant;  minime  omnium  rem 
metricam  ,  ab  Herraanno  suscitatani ,   tetigeriint. 

In  suis  vero  ipsorura  vcrnaculis  litteris  magna  multorum  ardebant 
studia ,  grata  popularibns  ,  grata  liaud  dubie  etiam  posterltati  futura. 
Conscribebat  tum  maximc  Palraius  gentis  suae  historiam  novissi- 
mam,  Sallustiano  plane  dicendi  genere,  ut  ferebant.  Idem  novam 
bibliorum  interpretationem  mcditabatur.  Bilder dykius  et  uxor  sua 
proxime  ediderant  carmina  coniunctim  sua ,  in  quibus  quum  liberatio- 
nem  maxime  a  Fran«;ogalIornm  dominatione  cantabant,  unde  liber  in- 
scriptus  est.  Vitboesemingen,  quasi  tu  dixeris  expectorationes,  lege- 
bantur  avide  et  multuni  celebrabantur.  Ferebantur  multa  multorum 
carmina  recentissima,  operumque  poeticorura  coUectiones,  veluti  Her- 
mannivan Tollens,  JaniFrederici  Helmers,  aliorumque, 
qui  oranes  popularium  studia  magis  niinusre  in  sese  accenderant. 

Longe  tamen  omnium  raaxiine  nostraeGerraanicae  vernaculae  poesis 
etudia  illo  tempore  apud  Batavos  florebant.  Nemo  erat  Tel  mediocri- 
ter,  irao  vel  levissirae  litteris  tinctus,  quin  diceret  Germanice,  aut  nisi 
diceret,  tamen  intelligeret  legeretquo.  Atque  id  tale  erat,  ut  ubicun- 
que  essem,  excepta  plebe,  Germanice  loquens  intelligerer ;  unde  po- 
stremo  ita  solebaraus  sermocinari,  ut  illi  Batavice  dicerent,  ego  Ger- 
manice ;  utrique  autera  facillime  intelligeremus.  jVam  quum  mihi  ab 
initio  Latine  esset  dicendum  ,  uxori  vero  Francogallice;  tempore  aliquo 
transacto  ad  patrii  sermonis  incundissimam  consuetudinem  sumus 
reversi ,  quod  ipsum  utrisque  et  nobis  et  Batavis  acceptissi- 
mum  fuit  et  optatissimum.  E  quibus  facile  intelligitur ,  quantam 
fuisse  nostrafiura  scriptorum  lectionem  inter  Batavos  necesse  sit.  ]\ec 
legebantur  tantum  nostrorura  scriptorum  opera ,  verum  etiara  in  Bata- 
vum  sermonem  convertebantur,  quod  maxime  popularibus  scriptis  acci- 
debat ,  veluti  fabulis  Romanensibus,  scenicis,  carminibus  ex  bucolico 
genere,  scriptis  theologorum  asceticis ;  inque  his  idem  nuper  contigisse 
Pescheckii  nostri  libro  de  lesu  cum  mülierlbus  conversatione,  no- 
vimus.  Non  igitur  mirum  videbitur,  me  quöque  ibi  edere  potuisse  car- 
minum  iuvenilium  collectionem ,  quae  quomodo  excepta  sit  a  Batavis 
nescio.  In  his  nostrarum  litterarum  studiis  dolebant  Batavi,  neque  id 
iniuria ,  a  nostra  gente ,  quae  omnia  extraria  tantopere  adamaret,  suas 
litteras  vernaculas  tantopere  neglectui  haberi;  praesertim  quum  integro 
saeculo  prius ,  quam  noster  sermo ,  ipsorum  lingua  exculta  fuerit,  et 
ecriptorcs  in  omni  genere  classicos  habuerit,  antiquamque  illa  et  vete- 
rcm  gravitatem  et  grandiloqucntiam  servaverit.  — • 

Sed  nunc  iam  partcm  hulus  meae  narrationis  finiam,  reliqua  per- 
ßcquuturus ,  quum  otium  crit.  Interim  lectores  herum  Annalium,  quae 
dedi,  boni  consulant. 


MIscellen.  111 

M     i     8     c     c     1     1     e    n. 


Einige  Lesarten  zu  Cicero's  Laelius; 

Mitgetheilt  von  B.   J.  Docen. 

München,  181 . . 

feo  unLedeutend  auch  die  nachstehende,  durch  ein  einziges  pergamen- 
blatt  dargeliotene,  ausbeute  scheinen  mag:  so  glaube  ich  doch,  dass 
jeder  beitrag,  der  unter  den  vorarbeiten  zu  einer  neuen  kritischen 
ausgäbe  der  säninitliohcn  v  erke  Cicero's  zu  henuzen  wäre,  nicht  un- 
beachtet bleiben  sollte ,  falls  er  auch  nur  dazu  diente ,  noch  unbeach- 
tete oder  mit  unrecht  vernachlässigte  hülfsniittel  wieder  in  erinnerung 
zu  bringen.  —  Bei  vergleicliung  noch  unbcnuzter  texte  ist  es  wol  das 
zweckmässigste  ,  hier  immer  als  gegenbild  die  lezte  ausgäbe  Ernesti  s 
vor  äugen  zu  haben,  deren  theils  unverschuldete,  theils  freiwillige 
mängcl  in  jedem  eiiizelen  Ciceronischen  werke  so  immer  mehr  aufge- 
hellt, und  dadurch  der  Munsch  immer  mehr  angeregt  werden  Avürde, 
dass  die  Ernesti'sche  ausgäbe,  mit  all  ihrem  in  mancher  hinsieht  nuz- 
lichen  zubehör  doch  in  einer  bessern  behandlung  des  textes  von  neuem 
erscheinen  möchte.  Die  in  diesem  augenblick  vielleicht  schon  vollen- 
dete ,  nett  gedruckte  neue  recenslon  der  sämmtlichen  werke  Cicero  s, 
durch  Schütz ,  würde  zu  dem  gebrauch ,  von  >velchem  hier  die  rede 
ist,  eben  so  tauglich  scyn,  falls  der  verdiente  herausgeber,  in  der 
art ,  wie  es  durch  Wolf  bei  den  Tusculanen  geschehen ,  überall  die 
abweichungen  des  Ernesti'schen  textes  unter  jeder  seite  sorgfältig  be- 
merkt hätte,  wie  frü/iirhin  Ernesti  selbst  jede  stelle,  worin  die  Gru- 
ter'ische  recension  von  der  seinigeii  abwich ,  angezeigt  hatte ,  welche 
einrichtung  uns  das  verdienst  der  neuen  ausgäbe  am  schnellsten  vor 
äugen  bringen  würde.  Ueberdless  fehlt  in  der  Schütz'eschen  ausgäbe 
die  bezählung  der  kleinern  abschnitte ,  die  für  die  nachmaligen  hin- 
weisungen doch  überaus  vortheilhaft  geworden  seyn  würden. 

Das  anfangs  erM  ahnte  bruchstück  einer  schön  und  correct  geschrie- 
benen handschrift  in  4  aus  dem  XI  jahrhund.,  enthält  folgende  stellen 
des  werkleins  de  amicitia:  A)  zu  den  abschn.  18  bis  22  gehörig:  „quam 
adhuc  mortalis  nemo  —  bis :  qui  non  in  amici  rautua."  —  B)  nach 
auswärts  etwas  verstümmelt,  gehört  zu  abschn.  29 — 33:  crudelitatem 
semper — bis:  Recte  tu  quidera.  —  I)  Hinsichtlich  der  Orthographie 
bemerke  ich,  dass  hier  statt  benevolentia,  beniv.  steht  (so  kömmt  es 
fünfmal  vor);  statt  nunquam ,  nuinq. ,  statt  minime  hercle,  hercule; 
/eneramur,  conf f7?2ptum ,  intel/f-^amus,  qui  «f/petiverunt,  r/fl?plicant, 
wie  das  Alles  in  hundert  andern  latein.  handschriften  von  gleichem  und 
höherem  alter  der  fall  ist.  —  II)  Abweichungen  in  der  folge  der  Wör- 
ter kommen  hier  nachstehende  vor:  18.  concedantque,  ut  hi  boni  viri 
fuerint,  die  HS.  hlos:  ut  viri  boni  f.  —  19.  Agamus  igitur  pingui  mi- 
nerva,  ut  ajunt ;  die  IIS.  pi.,  ut  aiunt,  Min.  —  Cap.  6.  illa  autem  supe- 


112  Miecellen. 

riora .  . .  posita  non  tarn  In  consiliis  nostris,  die  HS.  in  consil.  nost. —  29. 
ut  sit  per  quem  quisque  assequatur,  quod  desid.,  die  HS.  ■weniger  ka- 
kophoniscli:  per  quem  adsequatur,  quod  quisque  desiderat,  —  ut 
quisque  niinimum  in  se  esse  arbitraretur,  die  HS.  minimum  esse  in  se. 
(Eine  mir  liiebei  aufgefallene  lesart  verdient  avoI  einige  beachtung,  da 
sie  ein  in  den  neueren  texten  unbillig,  wie  ich  glaube,  ausgefallenes 
hauptwort  dem  Cicero  zurückgibt.  Hier  die  ganze  Stelle,  wie  sie  in 
alten  drucken  lautet:  —  „Quamquam  confirmatur  amor  et  beneficio 
accepto  ,  et  .  .  consuetudine  conjuncta.  quibus  rebus  ad  illum  primum 
motum  aninii  et  amoris  adhibitis,  mirabilis  qnaedam  exardescit  benevo- 
lentiae  magnitudo;  quam  si  qui  putant  ah  imheciUltate  proficisci,  ut 
git  „amicitia  ea,"  per  „quam"  assequatur,  quod  quisque  desidei'at:  hu- 
milem  sane  relinquunt  et  ininime  gloriosum  ,  ut  ita  dicam,  ortum  ami- 
citiae ,  quam  ex  inopia  atque  indigentia  natam  volunt.  Quod  si  ita 
esset;  ut  quisque  „valitudinis"  minimum  „esse  in  se"  arbitraretur,  ita 
ad  amicitiam  esset  aptissinius.  quod  longo  secus  est."  —  Von  valitudi- 
nis zeigt  sich  bei  Ernesti ,  m  ie  auch  in  unserra  fragment  keine  spur ; 
es  heisst  dort  ganz  nackt  und  bestimmungslos:  ut  quisque  minimum  in 
66  esse  arbitraretur ,  wo  doch  nach  meinem  Gefühl  minimum  nichts 
deutliches  aussagt.  Jenes  valitudinis,  was  die  Iczte  ausgäbe  des  Lam- 
binus  noch  ohne  irgend  eine  bemerkung  darüber  beibehält,  könnte 
in  dieser  von  den  lexicographen  vielleicht  nicht  bemerkten  bedeutung 
(körperliche  und  geistige  vorzöge)  den  gegensatz  zu  dem  Vorherge- 
henden: ab  irabecillitate  ex.. inopia  atque  indigentia,  vollkommen  gut 
ausdrücken.  Und  wäre  auch  ein  herausgeber  hierin  ganz  andrer  raei- 
nung,  so  sollte  doch  hitr  Aas  in  manchen  HSS.  befindliche  wort  im 
texte  selbst,  in  klammern  eingeschlossen,  mit  erscheinen.)  —  30.  Üt 
enim  quisque  sibi  plurimum,  die  HS.  plur.  sibi,  confidit.  —  atque 
haec  inter  eos  sit  honesta  certatio  (besser  wol:  concertatio);  die  HS. 
holt  haec  hinter  sit  nach ;  die  ersten  Wörter  sind  weggeschnitten.  — 
Hl)  Eigentlich  abAveichende  lesarten  sind  folgende:  19.  fides,  integri- 
tas,  aeqiätas ,  —  die  IIS.  aequalitas ,  welches  die  herausgeber  in 
aequitas  änderten,  (der  Manhcimer  druck  lässt  dicss  wort  ganz  weg.) 
aequalitas  liesse  sich  durch  das  im  gegensatz  folgende  ,,sitque  magna 
constantia"  sehr  gut  rechtfertigen;  —  auch  Scheller  im  Lexic.  1788 
findet  Ernesti's  änderung  unnöthig  — ;  es  heisst  geseztcs ,  gleichmä- 
ssiges  betragen,  so  Cic.  Orat.  1JI8:  aequaliter,  constantcrque  Ingrediens 
oratio.  (Noch  besser  ist  es  hier  in  dem  sinn  zu  nehmen,  wie  Ambros. 
de  Offic.  H  zwischen  1)  aequitatera,  und  2)  aequalitatera  unterschei- 
det: 1)  ut  nihil  sibi  potentior  vindicet,  2)  ni/iil  usurpet  ditior.  Und 
nur  so  erhalten  wir  den  ächten  gegensatz  zu  der  bei  Cicero  folgenden, 
nicht  constantia,  wie  ich  vorliin  sagte,  sondern  „audacia,"  anmassung.') 
.  .  nee  sit  in  illis  ,  die  HS.  eis,  ulla  cu|)iditas;  siiiiqnv,  die  HS.  sitque, 
magna  constantia,  ut  ii  fuerunt,  die  HS.  gibt  hi,  wie  denn  diese  Form 
hi ,  his  in  alten  MSS.  so  häufig  statt  der  ii ,  eis ,  iis  der  gedruckten 
texte  vorkömmt.  —  Cap.  6.  Est  autem  amicitia  nihil  aliud ,  die  HS. 
Est  enim;  autem  stand  scheu  in  dem  zunächst  vorhergehenden  satz. — 


M  i  b  c  e  1  I  0  n.  113 

lielimrum  hoc  qultlcm  cxtremum  est;  dieses  est  fehlt  In  der  HS.,  wozu 
nicht  übel  passt,  dass  zu  den  folg-g-.  Substantiven  überall  auch  kein 
sunt  beigefügt  Avird.  —  23.  Principio,  cui  potcst  esse  vita  vitalis,  quL 
non;  die  IIS.  beidemal  quae ;  andre  texte  haben  quis  oder  qui;  da  es 
V'orte  des  Ennius  sind,  so  wundert  mich,  dass  man  dort  statt  cui  nicht 
viehuehr  quoi  eingeführt  hat.  —  29.  quid  niirum  ,  est  fügt  die  IIS. 
bei,  si  animi  hora.  —  32.  At  il ,  qui  peciuliim  ritu;  die  HS.  ab  bis, 
ßchreibf.  statt  At  hi.  —  nihil  enim  altum  suspicere  possunt,  die  HS. 
pcrspicere,  darüber:  1'.  suscipere.  —  quam  ah  imbecilUtate  et  gravior, 
die  IIS.  ohne  ct. 

Wer  diese  kleine  Variantenreihe  hei  lesung  des  Ciceronischen 
textes  mit  vei'gleicht,  wird  Vermutlilich  p»it  uns  einverstanden  seyn, 
dass  Einiges  darunter  wol  verdient  haben  möchte,  von  Ernesti  entwe- 
der in  dem  texte  selbst  bennzt,  oder  doch  in  den  noten  erwähnt  zu  wer- 
den. Schon  ans  den  alten  drucla-n  hätte  er  in  dem  leztcn  theil  der 
philosophischen  Schriften  gar  Manches  in  den  noten  beifügen  können, 
ohne  dadurch  den  Band  zu  sehr  anzuschwellen,  falls  er  nur  die  ganz 
unnötliige  beigäbe  der  unterschobenen  schrift  des  Sigonius  weggelas- 
sen hätte.  (Dafür  aber  sollten  in  den  Fragmenten  die  stellen  in  den 
briefen  des  li.  Hieronymus  nicht  fehlen ,  in  denen  er  offenbar  auf  den 
inlialt  der  verlornen  Ciceronischen  schrift  de  consolatione  sich  bezieht.) 
Der  geringe  fleiss,  den  Ei-ncsti  auf  die  philosophischen  werke  gewandt, 
drückt  sich  auch  darin  aus ,  dass  er  dort  in  der  vorrede  über  die  hand- 
schriftlichen texte,  die  er  dabei  zu  rathe  gezogen ,  eine  nähere  aus- 
kunft  zu  geben,  nicht  für  gut  befunden  hat;  bei  den  übrigen  werken 
ist  das  anders ;  vielleicht  hat  ihn  dort  augenblickliche  eile  gehindert. 
Ein  andrer  feliler  ist  der,  dass  Ernesti,  wo  er  eine  andere  Icsart  auf- 
genommen, uns  oft  die,  welche  vorher  da  stand,  nicht  im  mindesten 
hemerklich  macht;  so  z.  B.  Lael.  50:  Quod  si  etiam  illud  addimus, 
nihil  esse ,  quod  ad  se  rem  uUam  tam  alliciat ,  et  tam  attrahat ,  quam 
ad  amicitiam  similituto ;  hiezu  die  note ;  „quod  ad  se  .  .  alliciat]  alli- 
ciat in  plerisque  libris  scr.  reperi ,  itemque  edd.  pr.  plerisque,  ut  Rom. 
Ven.  Mediol."  Da  weiss  man  nun  im  mindesten  nicht,  wie  denn  hier 
die  andern  i^iyAe  lesen ;  in  der  ausg.  des  Facciolatus  wird  man  auf's 
kürzeste  darüber  belelu't:  ,,aUiciat)  AI.  illiciat.''^  Dieses  iHiciat  steht 
denn  auch  noch  ohne  Variante  in  der  Ernest.  ausg.  von  1737.  Zu  den 
Worten  Lael.  38:  „perfecta  quidem  sapientia  simus"  sagt  die  note:  Sic 
MS.  Erf.  Graevius  Canteri  conjecturam  probabat  u.  s.  w.  Da  erfährt 
nun  niemand,  wie  die  vulgata  vor  Ernesti  hier  lautete.  —  Wie  höchst 
Avillkoramen  rauss  unter  diesen  umständen  ims  die  grosse  Sorgfalt  seyn, 
mit  der  Görenz  der  besseren  ausstattung  der  sämmtlichen  philosophi- 
schen Schriften  Cicero's  sich  unterzogen  hat.  — 

(Etwa  zehn  oder  eilf  jähre  später,  als  obige  zelten  geschrieben 
waren,  erhielten  wir  die  reichlich  ausgestattete  ausgäbe  des  Laelius 
vonGernhard,  1825.,  worüber  eine  längere,  inötructive  beurtheilung 
von  Görenz  in  Juhn's  Jahrbüchern  der  Philologie ,  I,  291 — 317,  mit- 
gethellt  worden  ist.  Für  unsre  fragmeute  dürfen  wir  ausserdem  auf 
Jahrb.  f.  Phil.  u.  Füdag.  Jahrg.  111.  Heft  5.  fi 


114  M   I   8  c   e   1  1   c  n. 

die  das.  IV,  17  hefimlUrhc  anzeige  Beier's  über  Wundor's  Varianten  der 
Erfurter  HS.  Ciceronischer  Schriften  verweisen,  wo  die  correspondi- 
renden  stellen  s.  33  anzutreffen  sind.  —    1828.  Jun.) 


Im  Jahr  1827  sind  in  Deutschland  im  Burhhandel  4303  neue  Werke 
erschienen  ,  von  denen  344  der  Philologie,  50  der  Mythologie  und  den 
Alterthümern,  275  der  Pädagogik  (mitEinschluss  der  Kinderschriften), 
399  der  Geschichte  und  Biographie,  107  der  Geographie  (mitEin- 
schluss der  Reiseheschreibnngen),  101  der  Philosophie,  159  den  Natur- 
wissenschaften,  194  der  Mathematik  und  KricgsAvissenschaft,  G24  der 
Theologie  (mit  Einschliiss  der  Andachtshücher)  etc.  angehören.  \gl. 
Blatt,  für  liter.  Unterh.  1828  Nr.  133  S.  532. 

In  Göttingen  bei  Dieterich  ist  das  6te  Volum,  der  Cummentationes 
Societatls  Hegiae  Scieiitiarum  Gotting.  reccntiores  ^  ad  a.  1823 — • 
27  (72Bgn.  gr.  4,  mit  24  Kftfln.)  erschienen.  Die  Commentationes  der 
histor.  und  philolog.  Classe  sind  folgende:  I)  Tychsen:  De  numls 
Graecis  et  jBarhciris  in  Hoc/iara  nuper  repertis ,  inpriniis  ninno 
Demetrll  Iiidiae  regis,  cum  observaLt.  super  numo  pro  Antlgoni 
Asiae  regls  // aZ*//o.  s.  Göttiiig.  Anzz.  1823  S.  1073.  II  und  III)  Tych- 
sen: De  orlgiiie  ac  fide  antiquae  Perfiaruin  hisioriae  ^  qualm  a 
scriptorihus  orlenlallbus  iraditur^  Cumm.  I  et  IL  s.  Götting.  Anzz. 
1824  S.  1033  und  182G  S.  521.  IV)  Heeren:  De  füiitlbu.s  Geogra- 
phicorum  PtoleTnaei,  tabularumquc  iis  aiinexarum,  iium  iL  Grae- 
cae  an  vero  Tyriae  originis  fuerint.  ■&.  Ebend.  1824  S.  1361.  V) 
Eichhorn:  Marmor a  Palmyrena  explicita.  s.  Ebend.  S.  1873.  VI 
und  VII)  Müller:  De  Pliidlae  rita,  Comment.  I  et  II.  s.  Ebend. 
S.  1137  und  1825  S.  1025.  VIII)  Müller:  De  slgnis  olim  in  po- 
stico  Partlienonis  s.  liecatompedi  templi  fastigio  positis.  s.  Ebend. 
1827  S.  281.  IX)  Sartor ius:  De  variis  mercibus  ab  urhibus  Ger- 
maniae  septentrionalis  s.  Hanseaticis  per  saecula  X11I-~^XKI 
ex  Russia  euectis  et  occidenteni  meridienique  versus  longius  trans- 
/jo/'^a^i*.  s.  Ebend,  1825  S.  1273.  X)  von  Hammer:  De  Byzanti- 
nae  Jiistoriae  ultimis  scripturibus  ex  /listoria  Osmanlca  elucidan- 
dis  et  corrigendis.  XI)  Tychsen:  Memoria  J.  Godofr.  Eichhorn. 
8.  Ebend.  1827  S.  1161. 


Als  ein  praktischer  Theil  zu  den  literarhistorischen  Werken  von 
Fr. Hörn,  Bouterweck,  Wachler  u.A.  lässt  sich  empfehlen  Akt  Deittsche 
Dichtersaal  von  Luther  bis  auf  die  Gegenwart.  Auswald  des 
Gediegensten,  geschichtliche  Einleitungen,  Biographieen  und  Cha- 
rakteristiken. Herausgegeben  von  August  Gebau  er.  Alle  Dich- 
ter und  Dichterinnen  sollen  hier  einen  Platz  finden,  von  ihnen  eine 
kürzere  oder  ausführlichere  Biographie  und  Charakteristik,  ein  Ver- 
zeichniss  ihrer  Schriften  und  das  Gediegenste  aus  ihren  Werken  mitge- 
theilt  werden.     Das  Ganze  soll  in  drei  Abtheilungen  (von  Luther  bis 


Mfscelloo.  115 

Hall  er,  von  Ilallcr  bis  auf  die  Gobriider  Schlegel  und  von  diesen  bis 
aul'  die  Gej^cnwart)  zerfallen.  Von  der  ersten  Abtheilung  sind  2  Bände 
in  16  1827  in  Leipzig  bei  Klein  (1  Thlr.)  erschienen,  über  deren  Inhalt 
(sie  gehen  von  Luther  bis  Opitz)  in  den  Blättern  f.  lit.  Unterh.  1828 
Nr.  118  f.  berichtet  und  ilirc  Zweckmässigkeit  gerühmt  ist. 


In  der  königl.  Bibliothek  zu  Paria  hat  man  eine  vollständige  Hand- 
Schrift  von  Edrisi's  Geographie ,  die  dieser  gelehrte  Araber  1345  zu 
Almcria  schrieb,  gefunden.  Sie  enthält  die  seltensten  Specialnach- 
richten von  Ländern  zu  der  Zeit,  wo  er  lebte.  Eine  Uebersetzung  da- 
von steht  zu  hoiTeo. 


Von  Heeren 's  Handbuch  der  Geschichte  der  Staaten  des 
jältertJiums^  welches  in  diesem  Jahre  seine  fünfte  Auflage  erlebt  hat, 
erscheinen  zwei  Englische  Uebersetzungen ,  die  eine  in  Oxford,  die 
zweite  zu  Boston  in  Nordamerika  von  demselben  Gelehrten,  welcher 
bereits  das  grössere  Werk  vor  drei  Jahren  zu  übersetzen  angefangen 
hat.  Ausserdem  ist  dasselbe  Buch  ins  Schwedische  übersetzt  worden 
von  Job.  Ekel  und  (Stregnäs,  1817  in  8.),  in  das  Holländische  von 
G.  Dorn-Seiffen  mit  einigen  Anmerkungen  (Utrecht  1818.  2c  Ausg. 
1820.  8.),  in  das  Französische  von  Thurot.  (Paris  1823.  2e  Ausg. 
1826.  8.  Die  zweite  Ausgabe  enthält  Zusätze  und  Verbesserungen  von 
II  ee  ren.) 


Eine  eigene  Erweiterung  der  Griechischen  Mythologie  findet  eich 
häufig  auf  den  Etruskischen  Grabesurnen,  wovon  Inghirami's 
AVerk  mehrere  auffallende  Beispiele  giebt.  So  findet  man  z.  B.  Serie 
I  tav.  93  die  beiden  todtwunden  Brüder  Eteokles  und  Polynikes  darge- 
stellt ,  wie  sie  als  Opfer  zu  den  Altären  zweier  Erinnyen  geführt  wer- 
den. Der  blinde  Oedipus  steht  in  der  Mitte ,  und  spricht  mit  erhobe- 
ner Hand  den  Fluch  aus.  Hinter  ihm  sieht  man  noch  zwei  andere  Fi- 
guren, wahrscheinlich  Tiresias  und  Antigone, 


tJeber  das  berühmte  Musalco  -von  Palestrina ,  das  man  an  der 
Stelle  eines  Tempels  der  Fortuna  fand  ,  hat  der  Adv.  Luigi  Cec- 
coni  eine  Abhandl.  herausgegeben:  Del pavimento  in  Musaico  rin- 
^•enutü  nel  tempio  della  fortuna  Prenestina ,  worin  er  zu  bewei- 
sen sucht,  dass  dasselbe  auf  Befehl  des  Sulla  verfertigt  worden  sey. 
Dagegen  hat  Carl  Fea  (Rom  bei  Paggioli)  drucken  lassen:  L'  Egitto 
conqiiistaio  dall'  Iniperatore  Cesare  Ottaviano  Aiigusto  sopra 
Cleopatra  e  Marco  Antonio  rappresentate  nel  celebre  Musaico  di 
Palestrina;  discorao  lelto  dal  5ig.  Aup.  Fea  nell'  Academia  ar- 
cheologica  ai  10  gennaj'o  1828,  und  dazu  eine  besondere  Abbildung 
des  Mosaiks  gegeben.     Cecconi   hat  hierauf  öeine  Meinung  durch  einen 

8* 


116  M  i  8  c  e  1  1  c  II. 

gratis  ausg;eg'ebenen  Nachtrag  zu  seiner  Abhandlung  gegen  Fea  aufa 
Neue  vertheidigt. 


In  Rom  ist  1828  erschienen :  Monurnenti  Egiziani  della  raccol- 
ta  delSign.  Demetrio  Papandriopiilo  descrliti  e  con  brevi  annota- 
zioni  espostl  dal  Cav.  P.  E.  Visc  o  n  ti.  14  Kftfln.  und  11  S.  Text.  gr. 
Fol.  5  Piaster  (mit  schwarzen  Abdrücken).  Es  ist  eigentlich  eine  Art 
Ton  Catalog  einer  zum  Verkauf  ausgestellten  Aegyptischen  Kunstsamm- 
lung. Auf  den  14  Kupfertafeln  sind  zwei  Mumien  mit  den  Geräth- 
echaften  und  Bildwerken,  die  zu  denselben  gehören,  abgebildet,  wel- 
che allerdings  manches  Merkwürdige  und  Auffallende  bieten.  Der  Text 
giebt  eine  sehr  gedi'ängte  Beschreibung  dersellten  und  beiläufige  Nach- 
richten über  mehrere  kleine  Kunstdenkmäler  dieser  Sammlung. 


Der  bekannte  Erzieher  Dr.  Joh.  Niederer  hat  eine  neue  Zeit- 
schrift begonnen:  Pestalozzische  Blätter  für  Menschen-  und  V^ülks- 
bildung  y  oder  Beitrage  zur  Kenntniss  Pestalozzis  als  Menschen- 
hildners  und  zur  Beförderung  seiner  Entwichelungs -  und  Unter- 
richtsu^eise.  Ersten  Bandes  erstes  Heft.  Aachen  1828.  96  S.  8.  Es 
soll  ein  Vorläufer  der  zu  liefernden  Biographie  Pestalozzi's  seyn ,  und 
ein  Organ  öffentlicher  Besprechung  über  alles  das  werden ,  was  dieser 
Mann  im  Erzieliungs-  und  Unterrichtsfache  geleistet  hat,  und  was  von 
dem  durch  ihn  genommenen  Standpunct  aus  ferner  geleistet  werden 
muss.  Das  erste  Heft  liefert  eine  Reihe  Bruchstücke  zur  Charakteri- 
stik Pestalozzi's  und  seiner  Erziehungsmethode,  für  welche  letztere  na- 
mentlich ein  raitgetheilter  Brief  Pestalozzi's  an  Wicland  interessant  ist. 
Ein  längeres  Stück  aus  dem  ersten  Heft  ist  mitgctheilt  im  Tübing.  Lit. 
Bl.  1828  Nr.  45  S.  179  f. 


Todesfälle. 


■■"en  4  Januar  starb  zu  Heidelberg  der  Privatdocent  in  der  plülosoph. 
Facult.  Dr.  Noch. 

Im  Februar  zu  Arnsberg  der  Gesanglehrer  Grevener  am  Gj-mna- 
eium. 

Den  29  März  zu  Rom  der  ehemalige  Englische  Gesandte  ara 
Neapolitanischen  Hofe,  Sir  JJ^m.  Drunimond ,  als  Gelehrter  beson- 
ders durch  archäologische  Werke  bekannt.  Das  M'ichtigste  sind  die 
Herculanensict ,  welche  er  1810  zugleich  mit  Rob.  Walpole  heraus- 
gab. Mit  den  Theologen  gerieth  er  durch  seine  allegorische  Deutung 
mehrerer  Stellen  des  A.  T.  in  Streit,  welche   er  in  seinem,  nicht  in 


Todesfälle.  llt 

den  Buchhandel  gelforamcnen,  Oedlpiis  Judaicus  bcliannt  machte  und 
gegen  welche  der  Geistliclic  d'  Oyly  ein  gr<>sses  Buch  hcruusgah.  Sein 
letztes  "Werk  sind  die  Origiiit/i  or  rettiari.s  oii  t/ie  origlii  of  seiural 
empii-es ,  slate&  and  cUies ,  wovon  der  dritte  und  letzte  Band  1826 
erschien. 

Zu  Anfange  des  April  zu  Wien  der  Dr.  jur.  Pliilipp  Mayer ^  Er- 
zieher des  Erzherzogs  Carl ,  besonders  durch  seine  Theorie  und  Li- 
teratur der  Deutschen  Dic/itung.sarten  (Wien  1824.)  bekannt. 

Den  18  April  zu  Berlin  der  seit  1826  in  den  Ruhestand  versetzte 
vormalige  Professor  und  Inspector  Joacliim  Ernst  yllbrecht  Hilde- 
hrand  am  Friedr.  Wilh.  Gyninas. ,  ira   80  J. 

Den  20  April  zu  Lingen  der  Subcourector  des  Gymnas.  Rudolph 
Niehaus ,   im  33  J. 

Den  9  Mai  der  Schreiblehrer  Scheiiihütte  am  Jesuiten  -  Gymn.  in 
Cöln. 

Den  6  Juni  in  Leipzig  der  Oherhofgerichtsrath  und  ord.  Prof.  dea 
Sachs,  Rechtä  bei  der  Universität  Dr.  Carl  Friedrich  Chr.  Wench^ 
im  45  J. 


Schul  -  und  UniTersitätsnachrichten,  Beförderungen  und 
Ehrenbezeigungen, 


Aachex.  Der  verstorbene  Stadtrath  JDantzenberg  hat  der  Stadt  eine 
kostbare  Bibliothek  von  mehr  als  10000  Bänden  vermacht,  welche  zum 
gemeinen  Bessten  benutzt  Averden  soll. 

Ansbach,  Am  30  Apr.  und  1  Mai  wurde  das  Jubiläutn  des  Con- 
sistorialraths  und  Lycealprofessors  M.  Joh.  Adam  Schäfer^  welcher 
am  30  Apr.  1778  als  Inspector  mornm  am  Carol,  Alexandrinum  ange- 
stellt ward  und  seitdem  ununterbrochen  als  Lehrer  an  dieser  Anstalt 
wirkte,  feierlich  begangen,  und  dem  Jubelgreise  von  Seiten  der  theo- 
log. Facultät  in  Erlangen  die  theol.  Doctorwürde,  vom  Könige  daa 
Ehrenkreuz  des  Ludwigsordens  verliehen.  Eine  Beschreibung  der  Fest- 
lichkeiten steht  im  Kürnbcrg.  Korrespond.  Nr,  132  S.  745. 

Arnsberg.  Der  Professor  Plassniann  am  Gymnas.  hat  die  kathol. 
Pfarrstelle  in  Erwitte  erhalten  und  sein  Lehramt  an  ersterer  Anstalt 
niedergelegt. 

AscHERSLEBEiv.  Bcim  Gymnas.  ist  der  Dr.  phil.  Johannes  Sonn~ 
lag  als  CoUaborator  angestellt  worden.      Vgl,  Jbb.  IV  S.  343. 

AuGSBt'RG.  Das  bisher  zum  Militär- Monturmagazin  gebrauchte 
St.  Stephansgebäude  ist  dem  Magistrat  zur  Einrichtung  für  die  kathol. 
Studienanstalt  übergeben  worden.  Die  Trennung  der  Studienanstalt 
nach  den  ConfessionsverhäUniääen  soll  mit  dem  Beginn  des  Schuljahrs 


118  Schul-  und  Universitätsn achrichten, 

18|^  eintreten.     Bis  dahin  sollen  auch  zwei  Studentenseminarien,  eins 
für  Katholiken  und  eins  für  Protestanten,   errichtet  werden. 

Baiern.  Das  Königreich  ziihlt  jetzt  7  Lyceen,  18  Gymnasien, 
21  Prog-yinnasien ,  16  Studienschulen ,  Z  Realinstitute  und  5394  Volks- 
echulen. 

Berlin.  Das  kön.  Schulcollegiura  hat  unter  dem  31  Jan.  d.  J. 
die  Verfügung  erhissen,  dass  bei  Einreichung  des  Lectionsplans  künftig 
auch  die  Bücher  nachgewiesen  werden  sollen,  aus  welchen  die  Lehrer 
ihre  Gebete  bei  dem  Anfange  der  Lehrstunden  entlehnen.  Bei  der 
Kealscliule  ist  der  Privatgelehrte  Ditteric/i  auf  ein  Jahr  als  Lehrer 
der  Botanik  angenommen  und  ihm  dafür  eine  Remuneration  von  100 
Thlrn,  bewilligt  worden.  Die  Collecte  für  Hülfsbedürftige  würdige 
Studierende  der  hies.  Universität  liat  im  vor.  J.  955  Thlr.  4  Sgr.  11  Pi. 
eingetragen.  In  der  philosoph.  Facultät  ist  der  ausserordentl.  Profes- 
sor Hayne  zum  ordentl.  Prof.  ernannt  worden.  Bei  der  kön.  Biblio- 
thek ist  der  bisher.  Hülfsarbeiter  Kiessllng  mit  einem  Jahrgehalt  von 
500  Thlrn.  zu  ersten  Secretair  ernannt ;  der  ausserord.  Prof.  Dr.  Va- 
lentin Scliinldt  und  der  Dr.  Stieglitz  sind  provisorisch  als  Custoden, 
der  Oberlehrer  \i\\  Philipp  und  die  Candidaten  Sjfbel,  Knorr ,  För- 
stemanri  und  F/iedländer  vorläuOg  als  Grehülfen  angestellt.  Vgl.  Jbb. 
VI  S.  134. 

Blaxkesbirg.  Am  Gjinnas,  ist  zu  Ostern  d.  J.  der  Dr,  JBaL- 
hahn  aus  Braunschweig  als  Lehrer  der  Mathematik  angestellt  worden. 

BosN.  Auf  der  Universität  ist  im  akadem,  Jahre  von  Michaelis 
1826  bis  dahin  1827  die  Summe  von  6080  Thlrn.  zu  Geldbcneficien 
für  Studierende  verwandt  worden.  Der  Ertrag  säramtlicher  Kirchen- 
eoUecten  der  Rheinisch -Westphäiischen  Provinzen  für  die  Studieren- 
den in  Bonn  war  in  demselben  Jahre  3338  Thlr.  25  Sgr.  4  Pf,  Für  ka- 
tholische Studierende  der  Theologie  ist  seit  3Iich.  v.  J.  ein  Convicto- 
rium  gegründet,  in  welchem  60  Alumnen  eine  besondere  sorgfältige 
Ausbildung  für  ihren  künftigen  Beruf  erhalten.  An  demselben  ist  der 
Candidat  Johann  Malzer  als  dritter  Repetent  angestellt  worden.  Der 
Prof.  Dr.  Nees  von  Estnbech  hat  vom  verstorbenen  Grossherzog  von 
Weimar  noch  kurz  vor  dessen  Tode  das  Ritterkreuz  des  Falkenordena 
erhalten.  Am  20  Mai  beurtheilte  der  geh.  Staatsrath  Niebuhr  vor  öf- 
fentlicher Versammlung  der  Studierenden  die  Abhandlungen ,  welche 
für  seine  vorjährige  Aufgabe  über  den  Dictj's  Cretensis  eingegangen  wa- 
ren.     Der  Preis  wurde   dem  Studiosus  Andreas  Dederich  zuerkannt. 

DKt'TSCH-CBOMB.  Bei  dem  kath.  Progymnasium  ist  eine  neue 
Lehrstelle  gegründet  und  dieselbe  dem  Schulamtscandidaten  Heinrich 
Malhownki  übertragen  worden. 

Di^LAcn.  Der  Pfarrcandidat  Ludwig  Fesenbech  ist  zum  zwei- 
ten Lehrer  am  dasigen  Pädagogium  mit  dem  Prädicat  als  Diaconus 
ernannt  worden.  Der  bisherige  zweite  Lehrer  und  Diauonus  Sander 
ist  in  die  erste  Lehrstelle  aufgerückt, 

DoNAUiiscHiNGEx\.  Das  grosslierzogl.  Badische  fürstl,  Fürsten- 
bergische  Gymnasium  zählte  nach  der  gedruckten  Anzeige  der  Lelu- 


Befürderungon   und  Ehrenbezeigungen.  119 

gegenstände  am  Ende  des  Schuljahrs  18|l^  (den  10,  11  und  12  Septh.) 
hn  Ganzen  91  Schüler  in  sechs  CLiüseu  d.  h.  Scliulen.  Von  dieser  An- 
zahl sind  23  in  Donaueschingen  geboren  ,  die  übrigen  68  aber  sind 
Auswärtige.  IXinimt  man  dazu  noch  die  Frequenzzahl  der  einzelnen 
Classen,  so  hat  man  alles,  was  über  die  Schüler  zur  allgemeinen  Kunde 
gebracht  ist,  wenn  nicht  allenfalls  die  geringe  Schülerzahl  (9)  der  ersten 
d.  i.  untersten  Classe  dleVermuthuiig  begründet,  dass  die  Frequenz  oder  der 
Zudrang  zum  Studieren  auch  auf  dem  Schwarzwald  abnehme.  Die 
Classen  selbst,  deren  jede  in  der  Regel  nur  einen  jährigen  Cursus  hat, 
heissen  zwar  nicht  öffentlich  im  Drucke,  aber  doch  im  Sprachgebrau- 
che der  Lehrer  und  Schüler  Rudimente  (I)  ,  Inilma  (II) ,  Grammatik 
(III) ,  Syntax  (IV) ,  Rhetorik  (V)  ,  und  Poesie  (VI).  Die  Lehrgegen- 
stände all'  dieser  Schulen  sind  in  I — VI:  Religion,  Lateinische  Sprache, 
Geographie  und  Mathematik;  in  I  —  IV:  Deutsche  Sprache;  in  II  —  VI: 
Griechische  und  Französische  Sprache  und  Geschichte;  in  III — IV:  Na- 
turgeschichte; in  V:  Rhetorik;  in  VI:  Poetik,  und  in  V  und  VI:  Ae- 
sthetik.  Ueber  die  Ausdehnung  des  kalligrupliisdien  Unterrichts  und 
des  Zeichnens  erfährt  man  nichts,  obschon  die  Lehrer  genannt  sind; 
des  Musikunterriclits  wird  gar  nicht  erwähnt,  und  auch  die  Körper- 
übung scheint,  wie  ausser  VVertheim  an  allen  Badischen  Mittelschulen, 
in  Donaueschingen  über  der  Geistesübung  gänzlich  vergessen  zu  wer- 
den. Nach  der  Stundenzahl  der  einzelnen  Lehrgegenstände  und  nach 
der  Ordnung  der  Prüfungen  ,  zu  welchen  die  Anzeige  eine  Einladung 
seyn  soll ,  sieht  man  sich  ebenfalls  vergebens  um.  Die  Anstalt  liefert 
demnach  dem  Publicum  oder  andern  Sclmhnännern  ziemlich  mangel- 
hafte Daten,  um  die  ganze  Eini-ichtung  kennen  zu  lernen.  Ihren  Lehr- 
stoff giebt  sie  ZAvar  ganz  an,  aber  die  wissenschaftlichen  Fächer  des- 
selben in  ziemlich  engen  Grenzen.  Die  Geschichte  wird  nur  bis  zur 
Entdeckung  von  Amerika  gelehrt ,  von  alter  Geographie  kommt  nicht 
einmal  bei  der  Gescliichte  eine  Erwähnung  vor,  die  Mathematik  endigt 
mit  einfachen  Gleichungen  und  den  Anfangsgründen  der  Geometrie,  und 
die  Naturgeschichte  behandelt  nur  die  Säugthiere.  Dabei  fällt  es  auch 
auf,  dass  die  vor  mehrern  Jahren  gegebne  Vorordnung  der  höchsten 
Studienbehörde,  hei  dem  Religionsunterrichte  die  Schriften  d.  N.  T. 
zu  lesen  und  zu  erklären ,  in  keiner  Classe  berücksichtigt  ist.  Neben 
solch'  engen  Grenzen  der  wisscnscliaftlichen  Lehrgegenstände  liesse  sich 
nun  eine  um  so  vollkommnere  Gestaltung  des  Unterrichts  in  den  classi- 
schen  Sprachen  erwarten ,  allein  die  Anstalt  liefert  in  ihrer  Anzeige 
hinreichende  Daten  zu  der  Behauptung,  dass  ihre  Methode,  die  alten' 
Sprachen  zu  lehren ,  die  ganz  gewölinliche  sej ,  nämlich  zuerst  das 
Lateinische  und  ein  Jahr  später  das  Griechische  anzufangen,  neben  der 
Grammatik  und  dem  Auffassen  der  Regeln  Lebersetzungen  ins  Deut- 
sche und  sogenannte  Stilübungen  d.  h.  Uebersetzungen  ins  Lateinische 
und  Griechische  zu  Hause  und  in  der  Schule  vorzunehmen,  diese  schrift- 
lichen Exercitia  bis  zu  Lateinischen  Aufsätzen  in  den  beiden  obern 
Classen,  jedoch  nicht  auch  bis  zu  Extemporalien  zu  steigern,  Stücke 
aub  Autoren ,  aber  höchst  seilen  oder  im  Grunde  uie  ganze  Werke  zu 


120  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

lesen ,  und  erst  noch  die  •wichtigsten  und  bedeutendsten  der  Univer- 
sität zu  überla:?sen.  Daraus  ist  ohne  Meiteres  das  zuniTheil  unerfreu- 
liche Detail  klar,  dass  an  dem  Gynina*ium  für  die  classische  Literatur 
der  Griechen  und  Uönier  wohl  noch  mehr  zu  wünschen  ührig  bleibt, 
als  für  die  Deutsche  Sprache ,  welche  in  die  Deutsche  Literatur  ihrem 
ganzen  Umfange  nach  ebenfalls  nicht  eingeführt  ist,  sondern  die  Gram- 
matik mit  einer  Darstellung  des  Deutschen  Stils  in  Prosa  und  Poesie  en- 
det. Die  Anstalt  macht  in  diesem  Gegenstande  mit  den  andern  katholi- 
echen  Mittelschulen  des  Landes  aus  den  unterscheidbaren  Theilen  der 
Theorie  des  Stils  einen  doppelten  Cursus,  lässt  aber  mit  dem  Lyceum 
zu  Constanz  und  dem  Gyranas.  zu  Freyburg  die  Theorie  des  poetischen 
Stils  dem  rhetorischen  folgen,  worin  die  Gymnasien  zu  Bruchsal  und 
OfTenburg  und  das  Lyceum  zu  Rastatt  gerade  umgekehrt  verfahren. 
Ausser  dieser  Poetik,  dem  Lateinischen  und  einem  Theil  des  Griechi- 
echen  hat  die  höchste  oder  letzte  Schule  die  Religionslehre,  Geschich- 
te und  Geographie,  Mathematik,  Aesthetik  und  Französische  Sprache 
mit  der  vorletzten  Schule  gemeinschaftlich,  und  nicht  nur  dieses  son- 
dern auch  noch  das  Combiniren  von  je  zmcI  Schulen  in  den  meisten 
Lehrstunden  ,  ungeachtet  verschiedener  Lehrgegenstände  muss  darum 
zum  Nachtheil  der  Anstalt  stattfinden,  weil  alle  sechs  Classen  nur  drei 
Classenordinarien  haben  ,  nämlich  die  beiden  geistlichen  Professoren 
üecker  (Ordin.  in  V  und  AI)  und  Jäger  (Ordin.  in  III  und  IV),  nebst 
dem  Rechtscandidaten  KeJiI  (Ordin.  in  I  und  II),  welcher  mit  Aus- 
nahme der  Religion  sogar  alle  in  seinen  beiden  Schulen  vorkommen- 
de Gegenstände  lehrt.  Neben  diesen  Lehrern  giebt  der  Ilofprediger 
Dr.  üecker  die  Aesthetik  in  V  und  VI,  der  Fiscalassistent  Seemann 
Geschichte  und  Geographie  in  III — VI,  der  Georaeter  Martin  prakti- 
sche Geometrie ,  der  Hofmaler  Jclhle  Zeichnungsunterricht  und  der 
Canzlist  CaUlvode  die  kalligraphischen  Stunden.  Das  Gymnasium  hat 
keinen  erklärten  V'orsteher,  seitdem  der  letzte  Gyranasialpräfect  Jo- 
seph F.Lselein  vor  6  Jahren  zur  evangelischen  Confession  übergegangen 
und  zugleich  von  seiner  Lehrstelle  abgetreten  ist.  Ueberhaupt  kön- 
nen der  Fundation  gemäss  nur  Geistliche  eine  definitive  Anstellung  iu 
den  Hauptfächern  der  Lehranstalt  erhalten. 

Freybitig  im  Breisgau.  Seine  königl.  Hoheit  haben  dem  Univer- 
feitätsprofessorMedicinalrath  Dr.  ScJimiederer  den  Charakter  und  Rang 
als  geheimer  Hofrath,  und  dem  Prof,  medic.  JBaumgärtner  den  Cha- 
rakter als  Hofrath  crtheilt. 

Güstrow.  An  der  Doraschule  ist  der  Collaborator  TVenähausen 
in  die  Stelle  des  Subrector  Joh.  ChrlsLian.  Hai  in  ^  welcher  das  Re- 
ctorat  in  Friedlard  erhalten  hat,  aufgerückt. 

Halle.  Der  ausserord.  Professor  Dr.  Leo  bei  der  phllosoph. 
Facultät  in  Berlin  ist  in  gleicher  Eigenschaft  an  die  hiesige  Universität 
versetzt  worden. 

HEiDELBiiRG,  Dic  ersto  protestantische  Lehrstelle  am  vereinigten 
Gymnasium,  d.  h.  diejenige,  welcher  die  mit  dem  ältesten  katholischen 
Lehrer  jedes  andere  Jahr  wechselnde  Direction  der  Austalt  zukommt, 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.     121 

■wurde  nach  KaYse}-\<i  Tod  dem  Prof.  Jhinricli  Friedrich  TVühehni^ 
die  zweite  protcst.  Lehrstelle  dem  Prof.  Ju/iann  Friedrich  Ilaiilz, 
die  dritte  dem  Prof.  Jo/uinn  Ludwig  Oetlinger,  und  die  vierte  dem 
am  Gymnasium  in  Elberfeld  als  Oberh-hrer  angestellten  diesseitigen 
Pfarrcandidaten  Joliann  Georg  JSehaghel  mit  dem  Prädicat  als  Pro- 
fessor übertragen. 

Hessen,  Die  cluirfürstHche  Regiei'ung  hat  die  von  den  höheren 
bürgerlicben  Classen  häufig  vernachlässigte  Fuldaer  Schulordnung  von 
1181,  nachAvelcher  alle  Stadtkinder  gehalten  sind,  die  öffentlichen  Schu- 
len zu  besuchen,  unter  dem  19  Octob.  v.  J.  aufs  Neue  eingeschärft 
und  verordnet,  dass  ohne  eingeholte  Erlaubniss  zur  Befreiung  kein  Kind 
von  dieser  Oi'dnung  ausgenommen  seyn  soll.  Eltern,  welche  Aus- 
nahme Avünschen,  müssen  sich  mit  ihren  Gesuchen  melden,  und  ver- 
fallen sonst  wegen  Abwesenheit  ihrer  Kinder  sofort  in  Strafe.  Die  Pri- 
vatlehrer müssen  überdiegs  hinsichtlich  ihrer  Kenntnisse  vorher  ge- 
prüft Averden, 

Hirschberg.  Zum  DIrector  des  Gymnasiums  ist  der  bish,  Dir. 
des  Gymn,  in  Ratibor   Dr.  Liuge  ernannt  worden. 

Hof.  Am  Gymnasium  ist  der  Dr.  Carl  Jf'ilh.  Feuerhach  als 
Lehrer  der  Mathematik  angestellt  worden. 

KöMGSBERG  in  Preussen.  Der  im  J.  1816  zur  Unterstützung  hülfs- 
bedürftiger  Gymnasiasten  gestiftete  Verein  hat  bis  zum  1  Nov.  1827 
zusammen  30905  Tlilr.  8  Sgr.  2  Pf.  (nämlich  25785  Thlr.  24  Sgr.  T  Pf. 
an  Beiträgen ,  1818  Thlr.  14  Sgr.  au  Zinsen  und  3300  Thlr,  29  Sgr. 
7  Pf.  an  Geschenken}  eingenommen  und  davan  0839  Thlr.  Ifi  Sgr.  4  Pf. 
zur  Anlage  eines  Capltalfonds  und  23261  Thlr.  12  Sgr.  8  Pf.  zur  Unter- 
stützung vom  111  Jünglingen  verwendet.  GcgenMärtig  werden  13 
Schüler  auf  den  verschiedenen  Gymnasien  mit  516  Thlrn.  20  Sgr.  un- 
terstützt und  der  Capitalbestand  Ist  8615  Thlr. 

Konstanz.  Zu  den  öffentlichen  Endprüfungen  imd  zur  feierli- 
chen Preisausthellung  glebt  das  Lyceum  jedes  Spätjahr  ein  gedrucktes 
Yerzelchniss  der  Lehrgegenstände,  der  Prüfungsordnung  und  der  Schü- 
lerzahl, und  scheint  denmach  auf  einen  vollständigen  Jahresbericht  In 
Verbindung  mit  einer  der  Anstalt  und  den  Erwartungen  des  literari- 
schen Publicums  entsprechenden  Abhandlung  keinen  AVerth  zu  legen. 
Das  Lyceum,  welches  durch  seine  Stellung  und  Lehraufgahe  zu  den 
wichtigern  Mittelschulen  des  Grossherzogthunis  gehört,  nannte  im  Ver- 
zeichniss  vom  Schuljahr  18||^  bei  der  Angabe  der  Lehrgegenstände 
folgende  drei  geistliche  Lehrer,  den  Lycealpräfecten  ff  iehl  und  die 
Professoren  Lender  und  Fineisen,  und  folgende  neun  weltliche  Leh- 
rer, nämlich  die  Professoren  Dr.  Su/zer ,  Dr.  Nenning,  Benz, 
Speck,  Jßaer ^  lileibimhaus ,  Duhüis ,  Mahler  7i/^^  und  Anstands-^ 
lehrer  fVeher.  Zu  Anfang  dieses  Jahres  ist  aber  Prof.  Dr.  Joh.  Ant. 
Sulzer  gestorben,  und  seine  Stelle  wird  nicht  wieder  mit  einem  neuen 
Lehrer  besetzt  werden ,  da  die  wenigen  Lehrstunden  des  Verstorbenen 
(11  wöchcntl.)  die  übrigen  Lehrer  übcrnoiniuen  haben.  Dadurch  wird 
nun   die  ungleiche  StimdenverthcUung,  nach  welcher  bisher  einzelne 


122  Schul-  und  Univcrsitü  tsuachriclit  en, 

Lehrer  weit  Aveniger  Lehrstunden  zu  gehen  hatten  als  selbst  der  Ly- 
cealpräfect,  welchen  bei  der  gröissten  Stundenzahl  und  verschiedeneu 
Lehrfiichern  doch  auch  seine  Amtsgeschälte  als  Lyceumsvorstand  viel- 
seitig in  Anspruch  nehmen  müssen ,  eine  angemessene  Ausgleichung 
erhalten,  wenn  es  nicht  ein  lortAvährendes  llinderniss  bleibt,  dass  die 
Professoren  Senz  und  Dr.  JNeniiliig  neben  dem  Lehrgeschäft  einen 
andern  Lebensberuf,  jener  die  Advocatiir  und  dieser  die  medicinische 
I*raxis,  patentgemäss  verfolgen.  Die  jetzt  vorhandenen  11  Lehrer  ba- 
ten ,  ausser  der  nicht  angegebenen  Tanzstundenzalil  des  Anstandsleh- 
rers  J l  cber,  wöchentlich  170  Stunden  zu  geben,  >vorunter  18  gemein- 
schaftliche d.  h.  solche  Stunden  sind,  in  denen  zwei  Classen  den  näm- 
lichen Unterricht,  z.  B.  in  der  Religion  und  in  der  Französischen  Spra- 
che erhalten.  Ein  anderes  Schülercombiniren,  wie  an  dem  Gymnas. 
au  Donaueschingen ,  kommt  in  den  acht  Classen  d.  i.  Schulen  des  Ly- 
ceums  nicht  vor.  Jede  Schule  hat  nur  einen  einzigen  Jahrescyclus 
und  die  Anstalt  kann  demnach  in  der  Regel  in  acht  Jaliren  absolvirt 
werden,  obscbon  nach  dem  Schülerverzcichniss  beinahe  in  jeder  Classe 
2  bis  3  Abtheilnngen  alpliabctarisch  aufgezählt  sind ,  und  diese  Ab- 
theilungen die  Grade  des  Fleisses  und  der  Foitsciiritte  anzeigen  sol- 
len. Es  ist  kein  Gesetz  vorhanden,  welches  nach  Art  der  höhern  Lehr- 
anstalten zu  Carlsruhe,  Mannheim  und  Heidelberg  einer  oder  der  an- 
dern Schule  des  Lyceums  einen  zweijährigen  Cyclus  vorschriebe,  son- 
dern die  nicht  gehörig  befälligten  Schüler  müssen ,  gleichwie  diesa 
auch  an  den  übrigen  katholischen  Mittelschulen  des  Landes  geschieht, 
durch  einen  Beschluss  der  Schulconferenz  ,  anstatt  anisteigen  zu  dür- 
fen, ihre  Schulen  repetiren.  Sollten  daher  die  in  der  zweiten  und 
dritten  Abtheilung  jeder  Classe  aufgezäblten  Lyceisten ,  was  freilich 
nicht  gesagt  ist,  aber  nach  der  angegebenen  Bedeutung  der  Abtheilun- 
gen doch  vermuthet  Averden  kann,  in  jenes  Conferenzurtheil  verfallen, 
so  muss  nach  der  beträchtlichen  Anzahl  derartiger  Schüler  zu  schlie- 
ßsen,  entAveder  die  Anstalt  in  ihren  Befäbigungsforderungen  sehr  streng, 
oder  der  Fleiss  aus  irgend  einem  andern  Grunde  sehr  unbefriedigend 
eeyn.  Bei  einer  grossen  Schülerzahl  giebt  es  allerdings  verschiedene 
Hindernisse.  Es  Averden  in  dem  Verzeichniss  301  Schüler  namentlich 
aufgeführt.  Darunter  Avarcn  am  Schlüsse  des  letzten  Schuljahres  (deu 
Xlten  —  iSten  Scptbr.  v,  J.)  240  Avirklicbe  Schüler  (1!)0  Auswärtige  u. 
50  Konstanzer),  0  sogenannte  Gäste  (3  AusAvärtige  und  eben  so  viele 
Konstanzer)  und  49  im  Laufe  des  Jalirs  Ausgetretene  (41  AusAvärtige 
in  8  Konstanzer).  Nach  Classen  oder  Schulen  vcrtheilt,  zählte  I  (Ru- 
dimente) 25  Avirkliche  Schüler  und  0  Ausgetretene,  II  (Infima)  33 
Avirkl.  Schüler  und  9  A. ,  III  (Grammatik)  28  av.  Seh.  und  0  A. ,  IV 
(Syntax)  29  vf.  Seh.  und  13  A. ,  V  (Rhetorik)  00  av.  S(  h. ,  7  A.  und  4 
Hospitanten,  VI  (Poesie)  32  av.  Scb.  u,  2A.,  VII  (Logik)  2T  av.  Seh., 
4  A.  und  2  Hospitanten  ,  VIll  (Physik)  12  av.  Seh.  und  2  A.  Durch 
diese  classenAveise  Angabe  dürfte  sich  die  Behauptung  rechtfertigen  las- 
(sen,  dass  es  weit  zweckmässiger  gcAvescn  Aväre,  die  Anzahl  derjenigen 
Lyceisten  anzugeben,  welche  die  Universität  bezogen,  und  av  eiche  von 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  123 

den  Ausgetretenen  entweder  an  andere  höhere  Lehranstiilten  oder  zu 
hürgerlichen  Gewerben  iilierghigen ,  ula  dass  in  I  —  IV  die  Aamcn  der 
l'reistriiger  und  Acccssoren  ihren  Mitschülern  vorgedruckt,  und  in 
V  —  Vlll  die  durch  Fleiss  luul  Fortgang  besonders  Ausgezeichneten  mit 
Sternchen  bemerkt  wurden ,  zumal  solche  öllcntiirh  auszeicJinendc  Un- 
terscheidung, welche  unter  allen  höhern  Lehranstalten  Badens  nur  an 
dem  Lyceum  zu  Carlsruhe  und  an  dem  Gjnin.  zu  VVertheiin ,  iiber  zu 
anderem  Zwecke,  auf  verwandte  Weise  sichfuulet,  bei  vielen  für  un- 
pädagogisch gilt,  jene  Notizen  hingegen  für  die  Schulstatistik  allge- 
meinen Werth  haben.  Die  Versetzung  und  Entlassung  geschieht  ia 
der  Regel  nur  jähi'lich  im  Herbste,  und  das  Lyceum  entlässt,  gleich 
jenem  zu  Rastatt,  seine  Schüler  zur  Universität  sowohl  nach  Beendi- 
g'ung  der  gechs  untern  Schulen  als  auch  nach  absolviertem  philosoph. 
Curse,  jene  zum  Studium  der  Philosophie  und  diese  zu  einem  bestimm- 
ten Fachstudium,  beides  mit  einem  Absolutorium  nach  den  jährlichen 
Fortgangsnoten  und  ohne  besonderes  Abiturientenexamen.  In  der  gan- 
zen Einrichtung  der  Anstalt  aber  lassen  sich  drei  Stufen  unterscheiden, 
eine  grummaiikalisclie,  eine  Immwiintitiche  und  c'iwe philoaop/di>c/ie. 
Für  die  erste  Stufe  sind  4  Schulen,  für  jede  der  beiden  andern  hingegen 
nur  zwei  bestimmt.  Die  Lehrgegenstände  in  der  grammatikalischen 
Stufe  oder  in  I — IV  sind  Religion,  Deutsche,  Lateinische,  Griechische 
und  Französische  Sprache,  verbunden  mit  Arithmetik,  biblischer  Ge- 
echichte  und  Geschichte  der  Griechen ,  neue  Geographie  und  Kalligra- 
phie mit  Orthographie,  Der  Unterricht  in  diesen  Gegenständen  wird 
mit  wenigen  Ausnahmen  streng  nach  dem  Classenlehrer»ystem  ertheilt, 
80  dass  Huer  Ordinär,  in  I  ,  Hleibiniliaiis  Ordinär,  in  II ,  Fintiseih 
Ordinär,  in  III  und  Speck  Ordinär,  in  IV  beinahe  alle  ihren  betref- 
fenden Schulen  zugewiesene  Lelirfächer  geben.  Man  siüht  in  dem 
Lectionsverzeichnisse  deutlich,  dass  auf  dieser  Stufe  die  Hauptaufgabe 
dahin  geht,  die  Schüler  bis  zum  fertigen  fehlerfreien  Uebersetzen  aus 
der  Deutschen  und  Lateinischen  Sprache  zu  bringen,  den  Unterricht  im 
Griechischen  zu  beginnen  und  bis  zu  Vollendung  der  Formenlehre  fort- 
zusetzen; ob  aber  alles  übrige  in  Anlage  und  Ausdehnung  eben  so  sach- 
gemäss  als  der  grammatikalische  Lehrstofl' auf  eine  Vervollständigung  in 
den  folgenden  Schulen  berechnet  ist,  dürfte  sehr  zu  bezweifeln  seyn. 
Die  humanistische  Stufe  (V  und  VI)  umfasst  in  ihrem  Lchrkreis  Reli- 
gion, Rhetorik,  Poetik,  Lateinische,  Griechische  und  Französische 
Sprache,  Arithmetik,  Algebra,  mathematische  Geographie,  Geschichte 
der  Römer  und  der  Deutschen  ,  neue  Geograplüe  und  Naturgeschichte, 
Hier  ist  das  Classenlehrersystera  aufgegeben  und  mit  dem  Fachlehrer- 
system grösstentheils  vertauscht.  Es  lehrten  die  Professoren  IFielü^ 
Leiiäer ,  Dr.  iSiilztr ,  Dr.  Nciiiilng  und  Hleibiinliaus.  Die  Haupt- 
aufgabe enthält  und  befriedigt  aber  keineswegs  die  Forderungen,  wel- 
che mit  Recht  auf  dieser  Stufe  gemacht  werden  können ;  denn  anstatt 
das  ganze  humanistische  Studium  zu  umfafesen,  und  in  den  alten  Spra- 
chen durch  höhere  Grammatik,  strenge  Interpretation ,  Extemporalieu 
und  Lateinischsprecheu  neben   wohlbcrechneter  Schul-   und  Privatle- 


124  Schul-  und  Universltü  tsnachrichten, 

ctüre  der  Classilicr  und  scharfem  AufTassen  des  Ausdrucks  und  der  Ge- 
danken recht  einheimiscli  zu  machen ,  g'icht  die  Anstalt  eine  Theorie 
des  prosaischen  und  poetischen  Stils  in  Verhindung  mit  Uebersetznngs- 
Übungen  aus  dem  Griechischen  und  Lateinischen  ins  Deutsche ,  mit  ei- 
genen Lateinischen  und  Deutschen  Ausarbeitungen,  mit  Griechischer 
Syntax  und  wenigen  Uebungen,  das  Griechische  ins  Lateinisclie  zu 
übersetzen.  Man  denke  dabei  nicht  an  einen  allenfallsigen  Ersatz  in 
der  philosophischen  Stufe ;  denn  dort  schrumpft  die  Lateinische  Leetüre 
gar  bis  auf  zwei  gemeinschaftliche  Stunden  zusammen ,  und  ebenso  die 
Griechische.  Eher  noch  dürften  die  andern  Lehrgegenstände,  mit  Aus- 
nahme der  von  IV  aus  im  Lehrplan  ziemlich  in  den  Hintergrund  treten- 
den Deutschen  Sprache,  weitere  Vervollständigung  erwarten  und  erhal- 
ten. In  der  philosophischen  Stufe  nun  d.  i.  in  VII  und  VIII  Averden 
gelehrt  Religion,  theoretische  Philosophie,  Moralphilosophie  und 
pragmatische  Anthropologie,  Physik,  reine  und  angewandte  Mathe- 
matik, allgemeine  Weltgeschichte  von  der  Schöpfung  des  Menschen 
bis  auf  Christus  und  von  der  Reformation  bis  auf  die  neueste  Zeit,  Na- 
turgeschichte ,  Lateinische,  Griechische ,  Hebräische  und  Französische 
Sprache.  Auch  lüer  ist  mit  Recht  das  Fachlehrersystem  befolgt  und 
CS  lehrten  die  Professoren  JJ'iehl ,  Lemhr^  Dr.  Suher,  Dr.  Ntuning, 
Jienz  und  JSpeck  nebst  dem  Französischen  Sprachlehrer  Dubois  ^  der 
in  II  —  VIII  seinen  Unterricht  ertheilt.  Wenn  jedoch  die  Hauptaufgabe 
auf  der  näclistvorhergehenden  humanistischen  Stufe  sehr  unbefriedigend 
erschien,  so  muss  sie  auf  dieser  Stufe  als  völlig  verfehlt  erklärt  wer- 
den. Kicht  als  wenn  auf  Mittelschulen  keine  Philosophie  gelehrt  wer- 
den sollte,  sondern  weil  die  Anstalt,  die  unter  der  theoretischen  Phi- 
losophie die  empirische  Seelenlehre,  Logik,  Rletaphyslk  und  Geschichte 
der  Philosophie  aufzählt ,  nicht  einzusehen  scheint ,  dass  dieser  Lehr- 
kreis mit  den  übrigen  Gegenständen  weder  als  philosophische  Facultät 
noch  als  philosophische  Propädeutik  befriedigt,  sondern  als  ein  in  je- 
der Hinsicht  unglückliches  3Iittclding  ZMischen  diesen  beiden  dasteht, 
anstatt  einen  sachgemässen  Uebergang  vom  Gymnasium  zur  Universität 
zu  biklen,  wie  es  doch  seyn  sollte  und  könnte.  Freilich  streitet  man 
sich  noch  über  das  Was  und  Wie  des  philosophischen  Unterrichts  auf 
Gymnasien,  aber  die  Klippen  des  Zuviel  und  ZuMenig  sind  in  jedem 
Fall  deutlich  genug  nachgewiesen,  und  es  dürfte  nicht  schwer  seyn, 
aus  der  Natur  der  gesaramten  Gelehrtenbildung  sowie  den  ächten  Be^ 
griff  der  philosophischen  Stufe,  so  die  ächte  Methode  saramt  dem  Lehr- 
kreis auszumittcln ,  welcher  die  Gymnasialgegenstände  vervollständigt, 
anstatt  sie  in  ihrer  Mangelhaftigkeit  liegen  zu  lassen,  und  dem  Univer- 
bitätsgebiet  wissenschaftlich  vorarbeitet,  ohne  diesem  etAvas  von  seinem 
wohlverstandenen  Eigenthura  zu  entziehen.  Geht  das  Lyceum  einmal 
in  diess  Bedürfnlss  ein,  so  kann  eine  Aenderung  nicht  ohne  RückM'ir- 
kung  auf  die  humanistische  Stufe  bleiben,  aber  alsdann  verbessere  man 
auch  hier,  wo  so  vieles  zu  verbessern  ist ,  und  sehe  es  zugleich  nicht 
als  gleichgültig  an  ,  dass  der  Religionsunterricht  an  der  ganzen  Anstalt 
vier  Lehrer  und  wenigstens  eben  so  viele  Lehrbücher  hat,  dass  in  der 


Bef urd crungen  und  Ehrenbezeigungen.  125 

Gcschiclitc  und  Geograiilile  Lei  einer  Anzahl  von  fünf  Lehrer.-,  sich 
grosse  Lücken  finden ,  und  dass  bei  der  Malheinatik  das  Classenlehrcr- 
systera  erst  in  den  ohern  Schulen  aufgeg<;hen  vird.  Uehrigeiis  erhal- 
ten sämnitliclie  Schüler  des  Lyccuins  in  zwei  Ahthcilungen  Zeichnungs- 
«nterricht  ausser  den  gewöhnlichen  Classenstunden.  Auch  ist  im  letz- 
ten Soainierhalbjahr  Tanzen  gelehrt  worden.  Nur  vom  Musikunter- 
richt, der  in  frühern Lectionsverzeichnissen  immerhin  aufgeführt  wurde, 
kommt  diessmal  keine  Erwähnung  vor.  Wenn  aber  in  dieser  Hinsicht 
bemerkt  zu  werden  verdient,  dass  sich  die  Lyceisten  in  musikalischen 
Privatvereinen  fortwährend  üben ,  so  darf  eben  so  wenig  eine  andere 
lobenswerthe  Einrichtung  der  Anstalt  mit  Stillschweigen  übergangen 
werden  ,  obnchon  durch  den  Druck  nichts  darüber  bekannt  w  urde.  Es 
ist  näuilieh  seit  etlichen  Jahren  durch  den  Gymnasialpräfecten  Jf  ichl 
ein  Lesezirkel  eingeleitet  Avorden,  an  welchem  gegen  einen  kleinen  Bei- 
trag die  Lyceijjten  mit  den  Professoren  und  mchrern  Einwohnern  der 
Stadt  und  Pfarrherren  aus  der  Umgegend  Autheil  nehmen,  in  der  Woh- 
nung und  unter  der  besondern  Leitung  des  Lyceumsbibllothecai'S  Prof. 
Inender.  Dieses  Institut  ,  Avelches  sich  durch  Geschenke  von  Büchern 
und  durch  jährliche  neue  Anschaffungen  schon  sein*  gehoben  hat,  ver- 
tritt die  Stelle  der  an  andern  hohem  Lehranstalten  eingerichteten  Schul- 
bibJiotheken ,  und  wirkt  nicht  nur  auf  die  Privatlectüre  der  Schüler 
sondern  auch  auf  ihre  Geschichtskenntniss  sehr  vortheilhaft  ein.  Die 
Lycenmsbibliothek  selbst,  die  auch  den  Lyceisten  zugänglich  ist,  hat 
vor  einigen  Jahren  durch  Ankäufe  aus  der  von  Jllner'':!>c/ieiiliiicherver- 
eteigerung  in  Konstanz  in  der  philologischen  Literatur  bedeutenden  Zu- 
wachs erhalten. 

London.  Von  der  neuerrichteten  Universität,  deren  Bau  und  Or- 
ganisation rasch  fortschreitet,  erwartet  man  wenig,  weil  die  grossen 
Privilegien  der  Universitäten  zu  Oxford  und  Cambridge  ihr  im  Wege 
stehen  und  überhaupt  das  Nationalvorurtheil  für  dieselben  so  gross  ist, 
dass  man  selbst  die  Vorzüge  verkennt,  welche  Edinburg  und  Dublin 
in  vieler  lilnsicht  vor  ihnen  haben.  Für  die  Einrichtung  der  neuen 
Universität  sind  150000  Pf.  ausgesetzt ,  wovon  85000  Pf.  auf  die  Bauten 
gerechnet  sind.  Bis  jetzt  sind  als  Professoren  angestellt:  G.  Long, 
A.  M.,  für  Griech.  Sprache,  Literatur  und  Antiquitäten ;  /.  Jf^lUlamfi, 
A.  M. ,  für  Latein.  Sprache,  Lit.  und  Antiq. ;  u4.  de  Morgan  für  3Ia- 
tbematik;  Dr.  Lardner  für  Physik;  /.  yiwstin  für  Jurisprudenz ;  A. 
Arnos  für  Englisches  Recht ;  /.  li.  Macculocli  für  Statistik  ;  T.  Dalc^ 
A.  M.,  für  Engl.  Sprache  und  Literatur;  A.  Panizzi  für  Ital.  Sprache 
und  Lit. ;  Don.  A.  Alcalä  Galiano  für  Spanische  Spr.  und  Lit. ;  JI. 
Hurwitz  für  Hebräische  Spr.;  /,  S.  G'dclirist  für  das  Ilindostanische; 
Dr.  Turner  für  Chemie;  H.  Graut  für  Zoologie;  G,  S.  Pattison  für 
Anatomie;  L.  Seil  für  Physiologie  und  chirurg.  Klinik;  Dr.  Lonolly 
für  Nosologie  und  Therapie;  Dr.  TVatfion  für  Klinik,  Dr.  Davis  für 
Geburtshülfe  und  Weiberkrankheiten;  Dr.  A.  T.  Thomson  für  Materia 
medica  und  Pharraacie;  /.  MiUingloii  für  Maschinenbau  und  prakti- 
sche Mechanik.    Unbesetzt  sind"  noch  die  Lehrstühle  der  Chirurgie  und 


126  Schul-    u.    1' 11  i  V  ersi  t  ä  tsnachr  ich  ten, 

Botanik  ,  untl  auch  üher  die  Professuren  für  Moralphilosophie ,  Logik, 
Geschichte,  llömisches  Recht,  Franz.,  Deutsche  und  Orientalische 
Sprache  und  Literatur,  Mineralogie  und  Geologie  fehlt  noch  die  Ent- 
Bcheidung  des  Aiisschusscs,  Die  Idee,  einen  hotanischen  Garten  anzu- 
legen und  ein  Hospital  mit  der  Universität  zu  verbinden ,  ist  vor  der 
Hand  aufgegchen.  Ein  physikalisches  Lahoratorium  soll  Lardncr  an- 
legen und  his  zu  dessen  Coinpletirung  jährlich  300  Pf.  erhalten.  Der 
heabsichtigte  Ankauf  der  anatomischen  Sammlung  von  Sömmering  ist 
aufgegchen,  Aveil  der  Kaufpreis  zu  hoch  war.  Das  Köthigste  hofi't 
man  vor  der  Hand  fnr  2000  Pf.  anzuschaffen.  Zur  Errichtung  einer 
Bibliothek  sind  SOOO  Pf.  ausgesetzt.  Im  October  sollen  die  Vorlesun- 
gen beginnen  vmd  bis  zum  April  sollen  der  Studienplan,  die  Lections- 
curse  und  die  Ansetzung  der  H(morarc  bekannt  gemacht  werden.  Vor- 
läufig sollen  die  angestellten  Professoren  eine  Ucbersicht  der  Methode 
hei  ihren  Vox'lesungen  einliefern.  Da  die  Universität  keine  Grade  er- 
theilcn  darf,  so  Avill  man  den  Studierenden  nach  gemachten  Examini- 
bus ,  über  deren  Umfang  die  Professoren  dem  Ausschuss  ihre  Meinung 
schriftlich  mittheilcn  sollen,  Certificate  ansstellen,  von  denen  man  hofft, 
dass  sie  künftig  liei  Besetzung  von  Acmtern  oder  bei  Ertheilung  von 
Graden  auf  andern  Universitäten   Berücksichtigung  finden  •werden. 

Leipzig.  Das  erledigte  Rectorat  der  INicolaischule  ist  unter  dem 
7  Juli  dem  hish.  Conrector  Prof.  Nuhbe  übertragen  worden;  in  das 
Conrectorat  rückte  der  Vvn^essoY  Iroi scher ,  in  dessen,  dritte,  Leh- 
rcrstclle  der  bisherige  Sextus  M.  Furhlgtr  auf. 

Mei.dorf.  Zum  (JoUaborator  an  der  gelehrten  Schule  ist  der  Dr. 
philos.  IJeinr,  C/irini.  Friedr.  Prahm  ernannt  worden ,  nachdem  der 
bisher.  CoIIaborator  Volquarksen  als  Subrector  nach  Haderslebei«  an 
Sleger's  Stelle  befördert  worden  ist. 

MiivDEv.  Der  kathol.  geistliche  und  Scliulrath  Klaus  hei  derhie- 
sigen  Regierung  ist  auf  sein  Ansuchen  aus  diesem  Amte  entlassen  wor- 
den. 

MüHLUAisEN.  Der  Schulamtscandidat  Miihlberg <,  bisher  am 
Gyranas.  in  Cottbus,  ist  mit  einer  ausserordentlichen  Unterstützung  von 
200Thlrn.  provisorisch  an  dem  hiesigen  Gymnasium  angestellt  worden. 

MüxsTEn.  Der  Regens  des  bischöfl.  Seminars  und  Ehrendomherr 
ScJiniälling  [Jbb,  AI  S.  378]  ist  zum  Rath  und  Mitglied  des  hiesigen 
Provinzial- Schulcollegiums  ernannt  worden. 

]Veu-Strelitz.  Der  Schulrath  und  Director  Siefert  ist  Pastor 
in  Kublatik  geworden.  Statt  seiner  ist  der  zweite  Prof.  Kämpfer  in 
das  Dircctorat  und  der  Prof.  Eggert  in  die  zweite  Professur  aufgerückt. 

Offenbtru.  An  die  Stelle  des  geisteskrank  gewordenen  Zeich- 
nungs-  und  Schreililehrers  Biltermann  an  dem  hiesigen  Gymnashim 
ist  der  seitherige  Zeichnungs-  und  Schreiblehrer  Keimer  vom  Pädago- 
gium zu  Mahlberg  gekommen,  welcher  künftig  auch  den  Französischen 
Sprachunterricht,  der  seit  inehrern  Jahren  unter  den  Lehrern  der  clas- 
sischcn  Sprachen  vcrtheilt  war,  durch  alle  Schulen  zn  besorgen  hat. 


Beförderungen  und  EhrcnbcsEeigungen.  121 

Dafür    müssen   die   Classeiiordiniirien     jetzt    eoviel    mehr  Latelnisiclio 
Sprachstunden  gehen,  als  ihnen  Französische  ahgcnomnien  Avnrdon. 

OsNABRvcK,  Am  Gymnasium  ist  die  für  den  Unterricht  in  der  Ma- 
thematik und  Naturwissenschaft  hestehende  Adjunctur  nach  dem  Ah- 
gang  des  Adjunctus  B.  Sergel  a.U  ZMeiten  Predigers  nach  Quakenbriick 
zu  einer  ordentlichen  Lehrstelle  erhohen  und  in  dieselhe  am  22  Apr. 
der  Schulamtscand.  Johann  Jacob  Feld/iojf  aus  ElberfeUl  eingeführt 
worden. 


Zur  Statistik  der  Universitäten. 
[Nachtrag  zu    Bd.  VI    S.  264  ff.] 


"oRPAT  zählte  vor  Ostern  1828  507  Studierende,  darunter  95  Theolo- 
gen ,   84  Juristen,   178  Mediciner  und  150  Philosophen. 

Erlangen  im  Winter  IS^^  444,  im  Sommer  1828  441  Stud. ,  als 
266  Theol.,  81  Jur.,  34  MeA. ,  60  Philos. 

Freybirg  im  Winter  18^^^  628  Stud.,  darunter  108  Ausländer, 
199  Theol. ,   105  Jur. ,   163  Med. ,  161  Philos. 

Gexv  im  Sommer  1828  206  Stud, ,  als  39  Theol. ,  28  Jur.,  88 
Philos.  und  51  der  schönen  Wissenschaften  Beflissene.  Im  CoUegium 
und  in  den  Primärschulen  sind  555  Schüler. 

GIESSEN  im  Sommer  1828  432  Studierende. 

Göttingen  im  Mai  1828  1371  Stud.,  als  632  Ausländer,  340 
Theol. ,  580  Jur. ,  299  Medic.  und  152  Philos. 

Heidelberg  im  Winter  18  =  ^-  727  Stud.,  darunter  452  Ausl.  ,  76 
Theol.,  416  Jur.,  132  Med.,  74  Cameralisten,  29  Philos.  Im  Som- 
mer 1828  787  Stud.,   -worunter  541  Ausländer. 

Kiel  im  Sommer  1828    370  Studierende. 

Niederlande  im  J.  1826  auf  6  Universitäten  2774  Studierende, 
davon  622  in  Löwen,  von  denen  aber  252  dem  philosophischen  CoUe- 
gium angehörten. 

Spanien  zählte  am  Schlüsse  des  J.  1825  auf  seinen  Universitäten 
2985  Philos. ,  1295  Theol. ,  4077  Jur. ,  462  Studier,  des  kanonischen 
Kechts  und  1048  Medic. ;  in  den  Collegien  und  Seminarien  2200  Philos. 
und  1610  Theol.  Am  Schluss  des  J.  1826  vermehrte  sich  die  Gesammt- 
zahl  um  1800,  auf  15477 ,  wovon  5336  auf  die  Collegien  und  Semina- 
rien [3133  Philos.  und  2203  Theol.]  und  10141  auf  die  Universitäten  ka- 
men. Von  den  letztern  trieben  3389  Philosophie  und  Physik,  1467 
Theologie ,  3878  Jurisprud. ,  491  kanon.  Recht ,  916  Medicin.  Schu- 
len der  Collegien  für  die  Humanitätsstudien  gab  es  736. 

Tübingen  im  Sommer  1828  781  Stud. ,  darunter  54  Ausländer. 

WüRZBüBG  im  Sommer  1828  610  Stud. ,  mit  257  Ausl. 


128 

Zur  Recension  sind   versprochen: 

Homer's  Werke ,  übers,  von  Schaicmann,  —  Stesichorl  Frag-^ 
menta  von  Kleine.  —  Leontü  carminis  llerinesianactei  fragmentum  v. 
Jiigler  u.  y4xt.  —  JVeisse:  De  Plat.  et  Aristot.  in  const.  pliilosopli. 
principüs  «lilTerentia.  — •  Ciceronis  Orationes  pro  Plancio,  pro  Milone 
etc.  von  Jl  ernsdorf.  —  Koberstein:  Grundriss  der  Gesch.  der 
Deutsch.  Nationalliteratur.  —  Grimm:  Grave  Rudolph.  —  Graff^s 
Diutiska.  —  U/ilenianii' s  Ilehräische  Sprachlehre.  —  Bretschneider'' s 
Lehrhuch  der  Religion.  —  Ti/genhamp :  Einleitung  in  die  biblisch. 
Sclu'iften.  —  Otto :  Lehrbuch  der  allgemeinen  Arithmetik  etc.  Lud- 
wig :  Lehrb.  der  Arithmetik  u.  d.  Anfangsgründe  der  Algebra.  Grass- 
mann:  Ueber  Begrift  und  Umfang  der  reinen  Zahlenlehre.  Liltrow : 
Elemente  der  Algebra  und  Geometrie.  Oltemann  :  Materialien  für  d. 
lieurist.  Unterricht  in  der  Geometrie.  Müller:  Geometrische  Con- 
structionslehre.  Kazfey :  Die  Lehre  von  den  Kegelschnitten.  Xir". 
kel :  Ueber  die  Berührungen.  Sperling  :  Ueber  unmögliche  Grössen. 
Clirzescinski:  Ent>yurf  der  körperl.  Trigonometrie.  J^ollmann:  Ab- 
leitung der  trigonometrischen  Formeln  aus  Coordinatenbeziehungen. 
Leiizinger :  Darstellung  einiger  Lehrsätze  aus  der  Analysis.  Tell~ 
kämpf:  Zur  Würdigung  und  nähern  Bestimmung  des  mathematischen 
Gymnasialunterrichts. 


Angekommene    Briefe. 


Vom  4  Mai.  Br.  v.  B.  a,  H.  [Für  die  Beilage,  die  ich  als  vorzüg- 
lich schätze,  meinen  wärmsten  Dank.  Selbst  kann  ich  den  mir  sehr 
schätzbaren  Wunsch  nicht  erfüllen  ;  aber  baldige  Gewährung  von  ande- 
rer Seite  glaube  ich  versprechen  zu  können.]  Vom  29  Mai  Br.  v.  K, 
aus  H.  [Ich  danke  herzlich  und  werde  das  Gewünschte  möglichst  bald 
erfüllen.]  Vom  17  Juni  Br.  v.  B.  aus  P.  Vom  10  Juli  Br.  v.  C.  a.  G. 
[Die  vermuthete  Person  bin  ich  nicht;   sondern  eine  viel  jüngere.] 


Druckfehle  Ti 

Shh.  Bd.  W  S.  239  Z.  3  lies  Carlisle  statt  Carlyh,  S.  333  Z.  14 
v.  u.  das  Culonische  st.  das  Cornelische.  S.334  Z.15  sind  die  Worte 
«S'.  9  Satira  =  satyra  zu  tilgen.  In  dem  gegenwärtigen  Heft  ist  S.  33 
Z.  11  nae  für  nee  zu  schreiben  und  S.  35  Z.  5  das  Komma  nach  ipsi 
und  allein  zu  tilgen. 


Inhalt 

von  des  zweiten  Bandes  erstem  Hefte. 


Ramshorn:  Lateinische  Grammatik.     Zweiter  Artikel.  —  Vom  Adjunct  M. 

Hoffmann  in  Grimma .         .       S. 

Leloup  :  De  poesi  epica   et  Pharsalia   Lncani.    —     Vom .  Oberlehrer  Dr. 

Bach  in  Oppeln.  ......... 

Fiedler:   De    erroribuH  Aeneae  ad    Phoeuicum  colonias  pertinentibua.    — 

Von  demeelbeu.  ......... 

Schebcn:  De  poetis  Aeneae  fugam  atque  fata  ante  Virgiliam  describentibus. 

—   Von  demselben.      ......  ... 

Foss ;  Ueber  einige  Stellen  des  Horaz.  —  Vom  Director  Müller  in  Cüslin. 
Herbst :  Explicatur  Horatii  locus.  —     Von  demselben.     .  .  .  • 

JfiHmann:  Von  der  üebersetzungskunst.    —     Vom  Oberlehrer  Dr.  Bach 

in  Oppeln.  .......... 

Menge:  Vorgeschichte  von  Rhodos  bis  znr  Heraklidisch-DorischenSicdelung. 

"—  Von  demselben.       ......... 

Hopfensack:  Grundzuge  des  histor.  Unterrichts   auf  Gymnasien.  —     Von 

demselben.  .......... 

Durst :  Ueber  die  Methode  des  natarhistor.  Unterrichts.  —  Von  demselben. 

Reiffenberg :  De  Rigodulo.  Ed.  Klein. 

Klein:  Ueber  die  Steinschrift  von  Boppard. 

Zirkel :  Behandlung  einiger  Fälle  über  Berührungen.  —  Von  demselben 

Paulssen :  Schulrede.   —     Von  demselben.      .... 

Die  Weihe  des  Gymnasiums  in  Düren.  —     Von  demselben. 

Kruse :  Hellas.  —     Vom  Rector  M,  Siebeiis  in  Bauzen. 

Taciti  Agricola.  Cum  Interpret,  a  Schede.  —     Vom  Prorector  Dr.  S 

in  Dortmund.       ..... 

Just:  De  fide  Taciti  scriptio.  —     A'^on  demselben 
Lindemanni  iter  in  Bataviam  susceptum. 
Miscellen.     . 
Todesfälle.    ....... 

Schul  -  und  UniversitätsnacfarlGhteB ,    Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen 


3  - 

49 

49  — 

55 

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75  — 

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Von  demselben. 


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euber 


83 

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— 

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117 

— 

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JAHRBUCHER 

FÜR 

PHILOLOGIE  UND  PÄDAGOGIK. 


Eine  kritische  Zeitschrift 

in  Verbindung  mit  einem  Verein  von  Gelehrten 

herausgegeben 

1  von 

M.  Joh,  Christ,  Jahn. 


Dritter  Jahrgang. 


Zweiter  Band.     Zweites  Heft. 

Oder  der  ganzen  Folge 

SiebenterBand.     Zweites  Heft. 


Leipzig, 

Druck  und  Verlag  von  B.  G.  Teubner. 

18     2     8. 


Si  quid  no\isti  rectius  istis, 
Candidas  imperti;    si  non,    hiä  uterc  mecum. 


Alte  Geographie. 


Das  alte  Megaris.  Ein  Beytiag  zur  Alterthuraskunde  Grie- 
chenlaiidä  von  D.  Hermann  Reuiganuin.  5iit  zwey  Cliiirten. 
Beilin,  bey  Reimer.  1825.  XX  u.  182  S.  8.  (1  Rtlilr.  4  gr.)  und 
Nac  ht  r  üge  zu  diesem  Werke  in  den  Jahrbüchern  für 
Philologie  und  Pädagogik  von  Jahn  Bd.  IV  Heft  1  S.60  —  73,  unter 
der  üehcrschrift :  Beurtheüuiig  des  Siebenten  Capitels  der  Schrift 
Hellas  etc. 

Mam  den  vielen  kleinen  Schriften  über  einzelne  Theile  Griechen- 
lands geliört  auch  die  vorliegende  des  Gymnasiallehrers  Dr. 
Reinganura  in  Berlin.  Es  ist  ein  erster  Versuch  des  Ver- 
fassers, und  man  kann  daher  niclit  wohl  etwas  in  jeder  Hin- 
sicht gediegenes  erwarten.  Geht  man  nur  mit  massigen  Erwar- 
tungen an  die  Lesung  derselben:  so  Mird  man  allerdings  durch 
eine  Menge  wenn  auch  nicht  gerade  zweckmässig,  doch  fleissig 
zusammengestellter  Notizen  befriedigt.  Sonst  hat  sie,  als  geo- 
graphische Arbeit  betrachtet,  einen  sehr  untergeordneten  Werth, 
ja  wir  möchten  behaupten,  dass  sie  eher  schade  als  nütze,  weil 
sie  so  vieles  Falsche  in  einem  grossen  Maassstabe  dem  Leser  und 
Beschauer  seiner  Charte  vor  Augen  stellt,  was  der  Verf.  bey 
nur  einiger  Kritik  leicht  hätte  vermeiden  können.  Der  Leser, 
derdemVerfasser  einer  solchen  Monographie  nicht  Viberall  nach- 
zumessen pflegt,  indem  er  gewöhnlich  ihm  zntraut,  dass  er 
desto  sorgsamer  geforscht  habe,  je  geringer  der  Umfang  der 
Arbeit  ist ,  kann  dadurch  leicht  zu  Irrthümern  veranlasst  wer- 
den. Rec.  liat  schon  in  seiner  Hellas  an  einigen  Stellen  (s.  Th. 
II,  l  S.  314,  329,  354  etc.)  auf  solche  Nachlässigkeiten  des 
Verfassers  aufmerksam  gemacht;  allein  es  ist  nöthig,  hier  et- 
was ausführlicher  darüber  zu  sprechen.  Eine  Hauptsache  bey 
der  Entwerfung  geographischer  Charten  ist,  wie  jeder  weiss, 
die  Ansetzung  der  Hauptptmcte  nach  astronomischen  Bestim- 
mungen ,  wenn  diese  nicIit  etwa  gänzlicli  fehlen.  Je  seltener 
aber  solche  feste  Puncle  in  einem  Lande  wie  Griechenland  aus- 
gemittelt  sind,  desto  sorgfältiger  sind  diese  zu  benutzen,    um 

9* 


132  Alte     Geographie, 

von  dem  Bekannten  so  zum  Unbekannten  iibergelien  zu  können. 
Denn  sind  auch  nur  einige  Puncte  astronomisch  bestimmt ,  und 
werden  diese  durcli  genaue  Reiserouten  und  Angaben  der  Zwi- 
schendistanzen verbunden:  so  kann  man  in  Hinsicht  derAnsetzung 
der  mit  diesen  Puncten  durch  terrestrische  Dimensionen  in 
Verbindung  gesetzten  Oerter  doch  wenigstens  nicht  bedeutend 
fehlen.  So  hat  der  Rec,  auf  seiner  Charte  von  Attica,  Megara 
und  die  Umgegend  gezcicluiet.  Im  S.Westen  von  Megara  sind 
Athen  und  dessen  Hafen  der  Piräeus  genau  von  Gauttier  be- 
stimmt. Athen  ( der  Philoppappus )  liegt  nach  ihm  unter 
37°  hi  5-1"  d.  N.  B.  und  unter  21°  23'  4"  der  Länge,  und 
der  Piräeus  37°  55',  42"  N.  B.  und  21°  17'  24"  der  Länge. 
Im  S.  W.  von  Megaris  ist  dagegen  Corinth  und  der  Hafen  Cenchres 
(Cenchreae)  ersteres  37°  5ä'  37"  d.N.B.u.  20°  31' 50"  der  Län- 
ge, letztres  nach  Chabert  37°  53' 24 '  N.  B.  20°  42' 22"  d. 
Länge  bestimmt.  Dazu  kommt  nun  noch  eine  dritte  Position, 
die  von  Theben,  dessen  Breite  wenigstens  von  Vernon  auf 
38°  3l'  0"  angegeben  ist.  Nun  ist  es  natürlich,  dass  man, 
im  Falle,  dass  genaue  Dimensionen  der  Zwischenörter  existiren, 
diese  auch  danach  genau  angeben  und  auf  der  Charte  zeich- 
nen kann.  Von  den  angegebenen  astronomisch  bestimmten 
Puncten  liat  nun  der  Verf.  nur  drey  auf  seiner  Specialcharte, 
aber  leider  diese  drey  alle  fcdsch.  Corintli  hat  er  auf  gut  Glück 
20°  41' 35"  d.  L.  und  Cenchres  20°  41'  der  Länge,  Theben 
aber  sogar  38°  11)'  der  Breite  angesetzt,  letzteres  also  12'  zu 
südlich.  Deshalb  schon  mVissten  alle  übrigen  Orte,  welche 
von  diesen  Hauptpuncten  aus  bestimmt  werden,  sehr  unrichtig 
seyn ,  wenn  der  Verfasser  auch  die  sorgfältigste  Rücksicht  auf 
die  genauesten  Bestimmungen  der  terrestrischen  Entfernungen, 
die  wir  insonderheit  Gell  verdanken,  genommen  hätte;  aber 
auch  dieses  hat  er  keineswegs  gethan,  sondern  vielmehr  ohne 
Kritik  einige  bisherigen  Generalcliarten  copirt  und  ihre  feh- 
lerhafte Darstellung  nur  vergrössert,  die  Hauptquellen  aber 
nicht  gekannt.  Er  gesteht  selbst  S.  171 :  „Da  mir  die  Benuz- 
zung  so  mancher  für  diese  Arbeit  wichtigen  Charten  und  Hülfs- 
mittel ,  w  ie  sie  z.  B.  Müller  (vergl.  Dorier  Abtli.  II  S.  423)  auf 
so  mannigfaltige  Weise  zu  Gebote  standen ,  nicht  vergönnt  war, 
so  sali  ich  mich  nicht  selten  in  die  Nothwendigkeit  versetzt, 
den  Resultaten  Anderer,  doch  nie  ohne  vorhergegangene  sorg- 
fältige Prüfung  zu  folgen."  Wenn  man  nun  bedenkt,  was  es 
heissen  soll:  ich  habe  zwar  die  Quellen  nicht,  muss  daher 
meine  Zufluclit  zu  einigen  Hülfsmitteln  nehmen,  folge  aber 
diesen  nur  nach  sorgfältiger  Prüfung:  so  sieht  man  leicht  ein, 
dass  der  Verfasser  letzteres  nicht  mit  gutem  Gewissen  sagen 
kann,  da  die  Prüfung  der  Angaben  andrer  ja  nur  nach  den 
Quellen ,  welche  ihm  fehlten ,  gescliehen  konnte.  Wir  müssen 
es  daher  sehr  tadeln,  dass  der  Verf.  diese  Quellen  nicht  ab- 


Rcinganuiu :  Das  alte  Mcgaris.  133 

wartete.  Konnte  sie  ihm,  was  wir  doch  vermuthen  möchten, 
sein  würdiger  Lehrer  und  ^äterliclier  Freund,  Ilr.  Prof.  Carl 
Ritter,  dem  das  Buch  gewidmet  ist,  nicht  leihen;  so  steht 
doch  zu  erwarten,  dass  die  so  reicli  hegabtc  Bibliothek  in  Ber- 
lin, vielleicht  nach  kurzem  Verzug,  alle  die  Schriften  und  Char- 
ten ihm  dargeboten  hätte,  die  bey  Müller  aufgeführt  sind. 
Höchstens  würden  dann  Müllers  Excerpte  aus  den  Fourmont- 
schen  Papieren  noch  unzugänglich  gewesen  seyn,  aber  auch  sie 
hätte  Hr.  Prof.  M  ül  1  er  auf  freundliche  Bitte  dem  Verf.  gewiss 
ebenso  bereitwillig  zur  Benutzung  überlassen,  als  er  sie  dem 
Reo.  für  seine  Charte  mitgetheilt  hat.  Indess  der  Verf.  hat 
selbst  das  nicht  gehörig  benutzt,  was  er  besass;  und  diese 
Nachlässigkeit  ist  um  so  unbegreiflicher ,  da  Megaris  einer  der 
kleinsten  Staaten  Griechenlands  ist,  und  die  Schrift  also  ein 
geringeres  Studium  erforderte.  Als  Beweis  diene  die  geringe 
Rücksicht,  die  auf  Gells  genaues  Itinerar  durch  Megaris  ge- 
nommen ist,  das  doch  fast  3Iinute  für  Minute  angiebt,  und 
das  der  Verf.  benutzt  zu  haben  versichert.  Westlich  von  Eleu- 
sis  findet  Gell  9  Minuten  von  dem  angegebenen  Orte  einen  Canal, 
der  einstmals  das  Bette  des  später  abgeleiteten  Cephissus  bildete. 
Der  Verf.  setzt  hierher  gleichfalls  einen  Fluss ,  den  er  aber 
lapis  nennt  (auf  den  wir  später  zurückkommen  werden).  Dann 
führt  nach  Gell  der  Weg  über  eine  Iialbe  Stunde  Aveiter  durch 
eine  fruchtbare  und  blumichte  Ebene,  die  Gell  richtig  das 
Rharische  Feld  nennt,  bis  zum  Anfange  der  Kerata-Hügel. 
Nur  im  Süden  an  der  Küste  ist  diese  schöne  Ebene  wieder  von 
steilen  und  buschichten  Hügeln  begränzt.  Dann  folgt  der  Pass 
über  das  Gebirge,  der  sich  steil  wieder  in  die  Megarische  Ebene 
hinab  windet.  Dagegen  hat  der  Verf.  keine  Spur  von  einer  J£bene 
jenseits  des  vorgeblichen  Flusses  lapis ,  wo  Gell  und  alle  übri- 
gen Reisenden  sie  fanden,  keine  Spur  des  über  die  hohen  Fel- 
sen der  Kerata  fortlaufenden  Passes ,  keine  Spur  der  Hügel, 
"welche  die  Rharische  Ebene  an  der  Küste  begränzen;  sondern 
er  dehnt  das  Kerata- Gebirge  über  die  ganze  Ebene  aus,  und 
so  fängt  dieses  schon  sogleich  hinter  dem  vorgeblichen  lapis  an, 
während  da,  wo  buschichte  Höhen  seyn  sollten,  liart  an  der 
Küste,  welche  hier  als  Ebene  erscheint,  eine  bequeme  Strasse  in 
das  Megarische  Gebiet  hineinführt.  Da  wir  die  genauste  Be- 
schreibung dieser  Gegenden  von  einem  tüchtigen  Reisenden  und 
zum  Ueberfluss  die  vortrelFliche  Piaiii  of  Mensis  von  Gell  ha- 
ben ;  so  ist  es  doppelt  thöricht,  hier  eine  Charte  a  priori  zu  con- 
struiren  ,  oder  etwa  frühere  Charten  zu  brauchen  ,  welche  un- 
genau sind  und  von  welchen  namentlich  das  Vaudoncourtscho 
Machwerk  nicht  einmal  gut  als  Lückenbüsser  dienen  kann. 
Die  berühmte  Rharische  Ebene,  die  doch  so  wichtig  iu  der  Ge- 
schichte Megara's  ist,  findet  sich  auf  der  Charte  von  Hrn.  Rein- 
ganum  gar  nicht  (!),  sonderu  vielmehr  au  ihrer  Stelle  ein  Ge- 


134  Alte      Geographie. 

birge^  ein  Beweis,  dass  der  Verf.  Glauben  genug  bat,  um  selbst 
Berge  versetzen  zu  können.  Das  Kcrata- Gebirge  istbey  ihm  ein 
schöner  Kegel,  zu  dessen  Ausbildung  wohl  der  Steinzeichner 
die  Hauptsache  gethan  hat.  Westlich  vom  Kerata- Gebirge  hat 
Gell  auf  dem  Wege  nach  Megara  ein  Metochi  mit  Ruinen,  dann 
einen  kleinen  See  an  der  Küste,  darauf  wieder  Ruinen  ,  dann 
einen  Bach,  welches  der  lapis  ist  (den  der  Verf.  nach  Eleusis 
versetzt),  dann  Ruinen  und  dann  einen  zweyten  Bach,  worauf 
die  Ruinen  von  Älegara  folgen.  Verfolgt  man  den  Verf.  auf 
dieser  Tour,  so  sieht  man  deutlich,  dass  er  sich  auch  hier 
schlecliterdings  nicht  an  den  genauen  Reisenden  anschioss,  son- 
dern willkiihiiich  wegliess  und  hinzusetzte,  was  ihm  geüel, 
auch  nicht  untersuchte,  welchem  alten  Orte  die  Ruinen  ange- 
hörten, die  Gell  auf  diesem  Wege  fand. 

Wenn  wir  so  auf  dem  von  dem  Verf.  geschaffenen  Wege 
nacli  Megara  gekommen  sind,  so  finden  wir  uns  angenehm  über- 
rascht durch  eine  anscheinend  genaue  Darstellung  der  Stadt 
Megara  und  ilirer  Hafenstadt  Nisaea  selbst,  und  eine  Topogra- 
phische Charte  dieser  beydeti  unchligen  Orle^  Tab.  2.  Der  Verf. 
erläutert  diese  Charte  auf  einer  Iialben  Seite  (182)  und  will  nun, 
dass  auch  die  ganze  zweyte  Abtheilung  der  Schrift  selbst  als 
Erläuterung  gelten  solle.  Allein  wir  finden  leider  auf  eben  der 
Seite  182 ,  dass  sich  diese  Zeichnung  bloss  auf  die  wichtigen 
Capitel  39 — 14  der  Beschreibung  Griechenlands  von  Pausanias 
(soll  heissen  auf  Paus.  Lib.  I  Cap.  39 — 44.)  und  auf  die  (an- 
geblich) mit  diesen  sorgfältig  verglichenen  Notizen  neuerer 
Reisenden  griindet.  Allein  weder  Pausanias  noch  die  neuem 
Reisenden  sind  dabey  sorgfältig  benutzt,  geschweige  denn, 
dass  die  Nachrichten  anderer  Alten  damit  übereinstimmten. 
Schon  der  Anfang  der  Beschreibung  des  Pausanias  stimmt  nicht, 
indem  dieser  gleich  beym  Eintritte  in  die  Stadt  von  Osten 
her  die  Wasserleitung  der  Sithnidisclien  Nymphen  findet,  die 
Hr.  R.  im  Osten  ansetzt,  und  dann  den  alten  Tempel  mit  den 
Bildnissen  der  Römischen  Kaiser  und  der  Diana  Sospita  antrifl't, 
Aen  wir  bey  Hrn.  R.  vergeblich  suchen.  Auf  dem  Wege  zur 
BurgCaria  hinauf  findet  sich  nun  allerdings  auf  jener  topogra- 
phischen Charte  der  Tempel  und  Hain  des  Olympischen  Zeus, 
allein  die  Acropolis  Caria  ist  so  wenig  mit  Mauern  umschlossen 
gezeichnet,  dass  man  tmmöglich  sehen  kann,  welche  Gebäude 
innerhalb  derselben  liegen  sollen,  und  welche  nicht.  Audi  ist 
dieser  Hügel  niciit  nach  der  Beschreibung  des  Herrn  Desmou- 
ceaux  gebildet,  dessen  sehr  genaue  Darstellung  dieser  ganzen 
Gegend  der  Verf.  gar  nicht  kennt.  Hier  hat  übrigens  nicht  nur 
W  h  e  l  e  r,  wie  der  Verf.  anführt,  sondern  auch  Gell,  C  h  a  n  d  l  e  r 
luidClarke  Ueberrestc  aus  alten  Zeiten  gefunden.  Die  von 
Gell  gefundenen  M^irmorfragraente  scheinen  dem  Tempel  der 
Demeter  anzugehören  (M.  v,  des  Recens.Hellas  W,  1  S.369). 


Kciiiganum:    Das  altü  Megaris.  135 

Auch  die  Lage  der  Hügel  S^gen  einander,  auf  denen  die 
bey  den  Acropolen  standen,  bezeiciinet  derVerf.  S.  ]  23  ganz  falscli, 
indem  er  die  zweyte  Uurg  der  Megarenser  auf  den  ^^no/dwesL- 
lichen'-^  Hügel  setzt.  Hiermit  stimmt  nun  gar  nicht  überein, 
weder  was  die  Alten,  noch  was  die  neuern  Reisenden  darüber 
mittheilen.  Denn  aus  Pausanias  I,  41  erhellt  schon,  dass  die 
Burg  Caria  nördlich  lag.  Nun  aber  gelangte  Pouqueville 
5  Lieue  weiter  auf  dem  Wege  nach  dem  Isthmus  zu  dem  Hügel, 
welcher  die  andere  Acropolis  trug.  Diese  lag  also  westlich 
von  der  Burg  Caria  oder  höchstens  etwas  südwestlich  (nicht 
nordwestlich)  von  dem  vorigen.  Desraouceaux  beschreibt 
die  Lage  so :  dass  beyde  Hügel  nicht  weit  von  einander  entfernt 
wären.  Der  eine  en  dos  d'äne  nördlich ,  der  andre  südlich ; 
allein  er  nennt  an  einer  andern  Stelle  den  einen  östlich,  so  dass 
man  sieht,  es  sey  die  Lage,  wie  wir  sie  bezeichnet  haben,  von 
N.  W.  nach  S.  0.  Auch  Chan  dl  er  setzt  Cap.  XLIII  seiner 
Reise  die  jB6ewe  südlich  der  bey  den  Hügel.  AberHrn.Rs.  Charte 
stimmt  nicht  einmal  mit  seiner  eigenen  Angabe  überein,  so  dass 
man  zweifeln  könnte,  ob  beyde  einen  Verfasser  haben  oder 
nicht.  Höchst  unglücklich  ist  er  aber  in  der  Benennung  dieses 
zweyten  Hügels ;  denn  er  nennt  ihn  nachPindar  Nem.  V,  84  und 
Pyth.  IX  Nisoshügel  und  giebt  die  wichtige  (!)  Nachricht: 
„in  seiner  Nähe  sind  heutiges  Tages  viele  Windmühlen, "  was 
um  so  mehr  auffällt,  da  man  sonst  die  Windmühlen  lieber  auf 
den  Hügeln  als  unterhalb  derselben  anlegt.  Chandler  sah 
auch  nur  eine  Windmühle  ohne  Zweifel  auf  dem  Hügel,  und  — 
was  wichtiger  zu  erwähnen  gewesen  wäre,  einen  Winkel  der 
alten  Mauer  dieser  Burg  von  der  Art ,  die  man  Incertum  nennt. 
Die  angeführten  Stellen  des  Pindar  rauss  der  Verf.  aber  gar 
nicht  gelesen  haben,  weil  sie  sich  gar  nicht  auf  Megara,  sondern 
auf  Nisäa  beziehen.  Noch  unglücklicher  geht  es  ihm  aber  mit 
der  andern  Benennung  der  Burg.  Rec.  traute  seinen  Augen 
kaum,  als  er  nicht  bloss  auf  bey den  Charten,  sondern  auch  im 
Buche  selbst  S.  123  und  12-4  die  Benennung  Aciopolis  Alca- 
thoo  und  Burg  Alcathoo^  ja  S.  130  die  Stelle  fand :  „Von  jenem 
Heerd  (sie)  und  dem  klingenden  Stein  (sie)  stieg  man  den 
nordwestlichen  Hügel  aufwärts,  zu  der  von  Alcathoos  erbauten, 
und  nach  ihm  den  Namen  ALCATHOO  führenden  Acropolis." 
Die  Benennung  selbst  aber  konnte  er  sich  nur  erst  erklären,  als 
er  in  der  Uebersetzung  des  Pausanias  von  Amasaeus  1 ,  42 ,  1 
die  Stelle  fand:  ^Jiabent  Megarenses  et  arcem  alteram^  cid  ab 
Alcathoo  nomen  est'-'-  (dno  ^Alzä^ov  xo  ovo^a  txovöa). 
Hinc  illae  lacrymae!  .  — 

Nach  solchen  Proben  der  Gelehrsamkeit  wird  man  sich 
nicht  wundern,  wenn  eine  Menge  anderer  Stellen  falsch  citirt 
oder  gänzlich  missverstanden  sind.  So  bestimmt  er  Phalycoii 
nach   dem  feuchten  Boden  an   der  Meeresküste ,   obwohl   die 


136  Alte     Geographie. 

Feigen  von  Phalycon  nach  Theophrast  nur  auf  magern  Boden 
wuchsen.  Nach  S.  61  sollen  die  Sagen  von  Cariern  und  Lele- 
gern  in  Megara  in's  graue  Alterthum  liinaufreichen,  und  citirt 
ist  zum  Belege  Paus.  I,  39,  5  und  IV,  26.  Allein  in  der  er- 
sten Stelle  steht  nichts  von  Cariern  und  in  der  zweyten  weder 
von  den  Cariern  noch  von  den  Leiegern  in  Megara  etwas,  sondern 
bloss  von  Leiegern  in  Messenien.  Von  Cariern  in  Messenien 
steht  nirgends  etwas.  Eben  so  steht  weder  in  den  S.  80  citir- 
ten  Stellen  noch  sonst  wo  etwas  von  einem  den  Eleusinischen 
Göttinnen  geweihten,  den  Megarern  und  Atheniensern  gemein- 
schaftlichen heiligen  Boden.  S.  85  wird  der  Böotische  Ort  Isos 
hey  Anthedon  mit  dem  Megarischen  gl.  Namens  verwechselt. 
S.  93  ist  vom  Cithäron  Thuc,  IV,  70  citirt,  wo  kein  Wort 
davon  steht.  S.  103  wird  Mannert  die  Behauptung  schuld 
gegeben,  dass  dem  alten  Pagae  kein  heutiger  Ort  entspräche; 
allein  dies  sagt  Mannert  nicht,  sondern  bloss,  dass  niemand 
da  gewesen  sey ;  was  übrigens  nicht  ganz  richtig  ist.  S.  145,  wo 
der  Verf.  von  den  silbernen  und  hron%ernen{%\c)  Münzen  spricht, 
führt  er  bloss  die  an,  welche  bey  Dodwell,  Pouqueville 
und  Wh  ei  er  beschrieben  sind.  Weit  wichtigere  finden  sich 
bey  Mionnet,  mit  den  Köpfen  der  Ceres,  der  Diana,  des 
Bacchus,  dem  Caduceus  und  der  vollständigen  Inschrift  ME- 
räPESlN.  Ja  selbst  in  Berlin  hätte  er  in  der  Königl.  Samm- 
lung eine  sehr  interessante  bronzene  Münze  sehen  können, 
wodurcli  eine  bey  Mionnet  1.  II,  325  und  eine  in  der  Gothai- 
schen Sammlung  (Jacobs  Catal.  p.  772:  Frorafiavis.R.:  co- 
himna  inter  duos  delphinos)  näher  bestimmt  werden  kann.  Diese 
Columna,  welche  auf  der  Gothaischen  Münze  nicht  deutlich  ist, 
ist  ein  candelahrum  cum  flarnma^  wofür  Mionnet  einen  Obe- 
lisk oder  Pharus  angiebt,  und  der  Delphin  und  die  Schlaf? ge  der 
Mionnetschen  Münze  lösen  sich  in  zwey  Delphine,  den  gewöhn- 
lichen Typus  der  Meg.  Münzen  auf.  Ueberdem  steht  auf  der 
Berlin.  Münze  ganz  deutlich  die  Inschrift  MEFA.  S.  156  Nr. 4 
in  den  Anmerkungen  hat  Hr.  R,  eine  Inschrift  aus  Wheler 
und  Chandler,  die  sich  auf  Athen  bezieht,  auf  Megara  be- 
zogen. 

Auch  wegen  Nisaea,  Minoaund  der  andern  Orte  vonMegaris 
hätte  wir  noch  viel  mit  dem  Verf.  zu  rechten. 

Hr.  R.  hat  selbst  eine  Recension  seines  Werks  in  den 
Jahrbüchern  für  Philologie  und  Pädagogik  Bd.  IV  Hft.l  S.60 
—  73  unter  dem  Titel:  ^^Beuriheilung  des  siebetiten  Capitels 
der  Schrift :  Hellas  etc.  von  Kruse '',  geliefert ,  indem  er  dort 
eine  Menge  Nachträge  zu  seiner  Megaris  giebt,  die  er  später 
gefunden  hat ,  und  diese  so  stellt ,  als  hätte  Rec.  in  seinem  un- 
gleich umfassendem  Werke,  bey  dem  eine  sorgfältigere  ^z^s- 
wahlnöthig  war,  alles  dieses,  was  grösstentbeils  sehr  unwich- 
tig ist ,  mit  aufnehmen  müssen.     Der  aufmerksame  Leser  wird 


Rclngamim:  Das  alte  Mcgails,  137 

aber  finden,  dass  es  nur  Nachträge  zu  des  Verf.  Megaris  und 
Verbesserungen  seiner  eigenen  Verstösse  sind.  Der  Saclie  selbst 
wegen  müssen  wir  nur  noch  einige  Angaben  daraus  priil'en. 

In  der  Einleitung  lobt  der  Verf.  seine  Ordnung  in  der  Dar- 
stellung gegen  die,  welche  Rec.  in  seiner  Hellas  beobachtet 
hat.  Die  Verschiedenheit  besteht  darin,  dass  Rec.  den  politi- 
schen Gesichtspunct  festhielt,  Ilr.  R.  den  physischen.  Rec.  geht 
die  verschiedenen  Länder  und  so  auch  Megaris  so  durch,  dass 
er  zuerst  eine  allgemeine  Uebersicht  und  darin  die  Beschrei- 
bung des  Bodens,  der  Gebirge,  der  Gewässer,  der  Producte, 
dann  die  politische  Geographie  im  Allgemeinen,  die  Völkerstäm- 
me, welche  zu  verschiedenen  Zeiten  den  Boden  besetzten, 
und  die  Gränzbestimmung  zu  verschiedenen  Zeiten  auseinander 
setzt,  ehe  er  zu  der  eigentliclien  Topographie  oder  der  Be- 
schreibung der  Städte  und  Comen  übergeht;  Herr  R.  über- 
schreibt seine  verschiedenen  Aufsätze,  aus  denen  eigentlich 
das  Buch  besteht,  die  Formen  der  Oberfläche  von  Megaris^ 
und  Unterabtheilungen  sind  hier  1)  die  westliche  Hügelparthie 
(sie)  und  2)  die  östliche  Hügelparthie.  Dann  folgt  II)  (obgleich 
das  I,  welches  diesem  gegenüber  stehen  müsste,  nirgends  zu 
finden  ist)  Thal  und  Ebene  von  Megara.  Darauf  III)  die  Kera- 
tahügel  und  der  Vorsprung  des  Kithäron  (welches  eigentlich 
alles  zur  östlichen  Hügelparthie  geJiört) ;  IV)  das  Geraneische 
Hügelland  (welches  zu  einem  Tlieile  der  westlichen  Hügelpar- 
thie gehört),  und  nun  folgt  ^^^weyte  Ablheüung ,  Megara  und 
sein  Hafen  Nisaea",  obgleich  von  einer  „ersten  Abtheilung" 
wohl  die  Rede  gewesen  ist,  aber  ohne  dass  dabey  bemerkt 
wäre,  was  diese  enthalten  sollte.  In  der  That  Aväre  es  auch 
schwer  dieser  ersten  Abtheilung  eine  allgemeine  üeberschrift 
zu  geben ,  weil  der  Verf.  in  dieselbe  physische  und  politische 
Geographie  und  Topographie  liineingemischt  hat,  und  nur  die 
Beschreibung  der  Hauptstadt  und  des  Hafens  Nisaea  für  diesen 
letzten  Theil  aufspaart.  Hätte  er  consequent  seyn  wollen ,  so 
hätte  er  die  Beschreibung  der  Lage  der  andern  Orte  des  alten 
Megaris  auch  von  der  Beschreibung  der  Gegenden,  worin  diese 
liegen,  trennen  müssen;  oder,  er  rausste  die  Beschreibung 
der  Lage  Megara's  und  seines  Hafens  auch  in  denjenigen  Theil 
der  kleinen  Schritt  verweben,  welcher  das  Thal  von  Megara 
umfasst.  Zu  guter  Letzt  kommt  noch  ein  Anhang  zu  den  Char- 
ten (soll  heissen  über  die  Charten),  in  welchem  er  anführt, 
welche  Ilülfsmittel  und  Quellen  er  benutzt  und  nicht  benutzt 
hat.  — 

Nach  dieser  Anpreisung  seiner  Eintheilung  geht  der  Verf. 
zu  dem  Einzelnen  über  und  tadelt  Manne  rt,  dass  er  Megaris 
in  n  Meilen  Grösse,  und  Kruse,  dass  er  demselben  nur  8 
□  Meilen  gebe.  Er  denkt  medio  tutissimus  ibis ,  und  giebt 
ihm  ^jgewiss  an  12  Q  Meilen."     Gründe  für  diese  Annahme 


138  Alte     Geographie. 

fehlen  natürlich.  In  Betreff  der  Schriftsteller,  die  über  Me- 
garis  schrieben,  wird  hinzugesetzt ,  dass  Ilereas  wahrschein- 
lich noch  über  Megara  geschrieben  habe,  und  dabey  wird 
Plut.  Thes.  Cap.  20  erwähnt.  Allein  dort  steht  nichts  davon, 
sondern  nur  dass  Ilereas,  ein  Megarenser ,  sage,  Pisistratus 
hätte  einen  Vers  im  Ilesiodus  aus  deniHesiodus  ausgelassen, 
um  den  Atheniensern  zu  schmeicheln.  Auch  wird  ein  Druck- 
fehler Diog.  Laert.  IV,  22  in  VI,  22  verbessert ,  welcher  in  die 
Darstellung  von  Meg.  bey  Rec.  übergegangen  seyn  soll.  Wäre 
dieses  der  Fall:  so  wäre  es  bey  einer  so  unwichtigen  INach- 
richt  kein  Zeichen  einer  grossen  Naclilässigkeit.  Allein  dem 
ist  nicht  so,  und  das  bey  dem  Verf.  in  seiner  Megaris  an- 
gegebene Citat  ist  eben  so  wenig  das,  welches  Ilecens.  an- 
führen wollte,  als  dieses  neue  Citat,  denn  die  Nachricht 
steht  iveder  im  IV  noch  im  VI  Buche  ^  sondern  im  V  c.  44 
in  der  Lebensbeschreib.  des  Theophrast ,  zu  deren  Schlüsse 
Diog.  Laert.  unter  den  nachgelassenen  Werken  des  Theophr. 
ein  liuch,  Megaricus  betitelt  [Mayß^ptxog  k],  anführt.  S.  62 
geht  der  Verf.  zu  Nachträgen  über  den  Boden  von  Megaris 
über.  Nach  einigen  höchst  trivialen  Bemerkungen,  die  zu 
nichts  führen,  sucht  er  seine  Idee  iiber  das  Oneisclie  Ge- 
birge geltend  zu  machen,  welches  er  mit  den  Scironischen 
Felsen  verwechselt.  „Bekanntlich,"  sagt  er,  „gehörte  die 
Scironische  Felsenparthie  dazu."  Ist  dieses  bekannt:  so 
braucht  es  nicht  erwiesen  zu  werden.  Daher  linden  wir  bey 
dem  Verf.  auch  keinen  Beweis ;  allein  Strabo  und  alle  andere 
Schriftst.,  welche  Kruse  Hellas  II,  IS.  319  und  320  wörtlich 
angeführt  hat,  müssen  dann  nicht  gehört  werden,  indem  diese 
gerade  das  eigentliche  Oneische  Gebirge  erst  „row  da  anfan- 
gen und  bis  zum  Cilhäron  hinauf  sich  erstrecken  lassen," 
wie  Rec.  es  auf  seine  Charte  von  Megaris  und  Attica  auch 
richtig  gezeichnet  hat.  Nur  im  weitern  Sinne  wurde  auch 
dieser  südliche  Theil  der  Gebirge  darunter  verstanden,  aber 
nie  allein  und  hauptsächlich.  Die  grosse  Neuigkeit,  dass  der 
Molurische  Fels  am  östl.  Ende  des  Scironischen  Weges  ^q- 
^e,\\  Megaris  zu  suchen  sey,  brauchte  der  Verf.  nicht  erst 
aus  Hase  (^Journal  des  Sava?is  p.  7)  zu  entlehnen.  Gell 
(^Ilinerary  of  Graece  p.  5)  bestimmt  diesen  Felsen  schon 
weit  genauer  als  Hr.  Rehiganum  (m.  v.  Kruse  Hellas  II,  1 
S.  323).  Ueber  den  lajjis  haben  wir  oben  schon  gesprochen. 
Natürlich  muss  Gells  genaues  Itinerar,  so  wie  sein  treflli- 
cher  Plan  der  Ebene  von  Eleusis  unrichtig  seyn,  weil  Herr 
R.  den  lapis  auch  in  diesen  Zusätzen  östlich  vom  Kerata- 
Gebirge  ansetzt.  Der  von  ihm  bezeichnete  lapis  ist  aber  der 
Cephissus  bey  den  Alten,  ein  Aveit  grösserer  Fluss  nach  Gells 
Piain  of  Eleusis^  als  R.  ihn  ex  ingenio  gezeichnet  hat.  Dann 
folgt  kein  Fluss  weiter  bis  zum  Kerata- Gebirge,  und  hier  an 


Ucingiinum :    Dus  alte  Megiiris.  131) 

der  Glänze  Atticas  uiul  Mcgaris  niiiss  der  erste  nur  irgend 
bedeutende  Bach  der  lapis  seyn,  Meil  dieser  als  die  Gränze 
Attioas  betrachtet  wurde,  und  kein  anderer  Fiuss  zwischen 
Megara  und  Eleusis  vorhanden  ist.  So  möge  denn  aucli  die 
Behauptung  des  Verf.  S.  04,  dass  dasjenige,  was  Rec.  von 
dem  lapis  und  der  Megarischen  Gränze  in  seiner  Hellas 
sagt,  ein  reiner  Widerspruch  sey,  auf  sich  beruhen.  Es  ist 
nur  dann  ein  Widerspruch,  wenn  man  den  lapis  mit  dem  Ce- 
pliissus  bey  Eleusis  verwechselt,  wie  es  der  Verf.  zu  thun 
beliebt.  Auch  Hase  vermisst  den  Cephissus  auf  der  Charte 
des  Verf.  bey  Eleusis.  Herr  ß.  entschuldigt  sich  so:  dass 
dies  in  der  ^er intern  Sorgfalt  seinen  Grund  habe,  die  bey 
Zeiclinung  der  Specialcharte  eines  bestimmten  Landes  auf 
die  der  Nachbarländer  Aerwendet  zu  werden  pflegt,  auf  glei- 
che Weise  sey  das  Gebirge  um  (sie)  Theben  nur  angedeutet, 
nicht  ausgeführt.  Wir  kennen,  beyläufig  gesagt,  kein  Ge- 
birge WH  Theben,  und  schlimm  ist  es,  wenn  der  Verf.  so  we- 
nig Riicksicht  auf  die  Nachbarländer  nahm,  dass  er  den  Gränz- 
fluss  des  Landes ,  welches  er  beschreibt ,  mitten  in  dieses 
Nachbai'land  hineinverlegt.  S.  65  hat  der  Verf.  noch  einige 
unbedeutende  Nachrichten  iiber  die  Benennung  der  Meere  bey 
Megaris,  die  bald  nikayog^  bald  %6Xnog,  bald  TtOQog  genannt 
wurden,  geliefert.  Letzteres  bezieht  sich  indess,  wie  Strabo 
p.  309  ausdrücklich  erwähnt ,  und  auch  nach  dem  Sinn  des 
Worts  natürlich  ist,  nur  auf  einen  Theil  des  Meeres.  Zu  den 
Producten  macht  er  ebenfalls  einige  scheinbar  interessante 
Zusätze,  namentlich  was  den  Megarischen  Wein  anbetrifft, 
über  welchen  der  Verf.  jetzt  eine  Stelle  gefunden  hat,  die  auch 
dem  Verf.  der  Hellas  entgangen  war,  nämlich  Theophrast  bist, 
plantt.  II,  7,  5.  Allein  leider  hat  der  Verf.  auch  diese  Stelle 
nicht  verstanden,  denn  von  dem  Weinbau  der  Megarenser  ent- 
hält sie  nichts,  sondern  nur  von  dem  Melonen-  und  Gurkenbau 
der  Megarenser.  Nachdem  Tlieophrast  liiervon  gesprochen, 
fährt  er  fort:  „Dies  nun  ist  allgemein  bekannt  (nämlich,  dass 
die  Megarenser  die  Gurken  und  Melonen  behacken),  den  Wein- 
stock aber  soll  man  nicht  behacken,  oder  überhaupt  rühren, 
wenn  die  Traube  sich  färbt."  Der  Verf.  macht  aus  dieser  all- 
gemeinen Vorschrift  Theoplirasts,  dass  die  Megarenser  beym 
Weine  alle  Bestaubung  widerrathen  haben.  War  denn,  fra- 
gen wir,  Tlieophrast,  welcher  diesen  Rath  anderer^  nicht  der 
Megarenser,  giebt,  ein  Megarenser*?  Nur  die  Stelle  über  denAe- 
gosthenischen  Wein  [Fragm.  Polyb.  ex  Lib.  VI,  1  (doch  nicht 
2)]  ist  richtig,  und  kann  dafür  genommen  werden,  dass  dieser 
FüsseWein  bey  Aegosthena  wuchs,  wenn  er  auch  dort  nur  ver- 
fälscht oder  versüsst  werden  konnte. 

Die  Zusätze  über  die  Schweine  S.  07  sind  trivial.    Eben  so 
das,  was  er  über  eine  mögliche  Verwechselung  der  Megarischen 


140  Alte      Geographie. 

Münzen  mit  andern  erinnert.  Das  Hauptwerk  über  die  Mega- 
rischen  Münzen  hat  er ,  wie  wir  oben  gesehen  haben ,  nicht 
benutzt,  und  so  wären  mehrere  andere  hinzuzusetzen  gewe- 
sen, als  er  gethan  hat.  —  Die  Zusätze  über  den  Volkschara- 
cter  S.  68  enthalten  einiges  Interessante,  abgedruckt  aus  dem, 
was  Hase  im  Journal  des  Savans,  Paris  1827  Janvier  p,  9, 
aus  ungedruckten  Manuscripten  mittheilt.  S.  70  fangen  nun 
die  Zusätze  des  Verfassers  über  die  schwachen  Parthien  an, 
die  von  der  Burg  Caria  und  der  des  Alcathoos  liandeln. 
Bey  der  ersten  war  er  getadelt  worden,  dass  er  im  Pausa- 
iiias  ausdrücklich  gelesen  haben  wollte ,  dass  die  Carier  die- 
selbe gestiftet  hätten;  hier  fügt  er  hinzu,  dass  dies  auch 
nur  seine  Hypothese  gewesen  sey.  Bey  der  zweyten  Burg, 
die  er  bekanntlich  ^4lcathoo  nannte,  bemerkt  er,  dass  sie 
wohl  Alcathoe  geheissen  habe,  indem  er  hier,  ohne  seine 
Schwäche  zu  gestehen,  eine  Seitenbewegung,  wenn  auch  nicht 
geradezu  einen  Rückzug  nimmt.  Wirklich  nennt  sie  Ovid 
Metam.  VII,  444  (nicht  443)  so,  aber  Alcathoo  hat  nur  die 
Lat,  üebersetzung  des  Araasaeus  im  Ablativ,  den  der  Verf. 
für  den  Nominativ  nimmt. 

Endlich  fügt  der  Verf.  S.  72  noch  etwas  über  andere 
Ortschaften  zu  seiner  Megaris  hinzu,  namentlich  über  Tri- 
podiscos  und  Phalycon.  Erstere  sind  ganz  unbedeutend.  Letz- 
tere betreffen  die  Lage  von  Phalycon  oder  Alycon,  wo  zu 
seinen  Citaten  noch  Theophrast  8,  2,  11  hist.  plantarum  hin- 
zugesetzt ist,  um  zu  beweisen,  dass  der  Ort  am  Meere 
lag,  was  Recensent  aus  andern  Stellen  der  Alten  erwies 
(Hellas  II,  1  S.  403).  Eine  andere  Stelle,  von  der  er  sagt, 
dass  sie  dem  Recensenten  ^^eidgangeii  sey^'"'-  nämlich  Theo- 
phrast hist.  plant.  II,  8,  1,  wird  Hr.  R. ,  wenn  er  etwas  ge- 
nauer die  Hellas  ansehen  will,  eben  an  der  rechten  Stelle  Not. 
628  S.  402  finden.  Sie  lautet  so:  „Theoplirast  hist.  plant.  II, 
8,  1."  Dagegen  findet  Rec.  die  von  dem  Verf.  nun  nachträg- 
lich angeführten  Stelle  Theophr.  hist.  plant.  II,  9,  1  nirgends 
als  eine  besondere,  und  zwar  aus  dem  ganz  einfachen  Grunde, 
weil  das  zweyte  Bucli  der  Pflanzengeschichte  des  Theoph.  nach 
der  Schneiderschen  Ausgabe  nur  8  Capitel  enthält  und  das  8 
Cap.  der  Schneid.  Ausgabe  mit  dem  9ten  der  frühem  corre- 
spondirt,  woher  man  mit  Recht  in  Beziehung  auf  den  Verf. 
mit  seinen  eigenen  Schlussworten  schliessen  kann:  „Wenn  man 
Stellen  citirt,  die  man  nicht  gelesen  hat:  so  citirt  man  böse 
Geister,  die  überall  umherspukend  dem  Verf.  den  Credit  ver- 
derben und  den  Leser  verscheuchen." 

Rec.  kann  schlüsslich  nur  versichern  und  wiederhohlen, 
dass  er  von  diesen  Bemerkungen  für  seine  Hellas  wenig  oder 
nichts  brauchen  und  sie  nur  fürZusätzezudesHrn.Vfs.  Megaris 
ansehen  kann,     üebrigens  lässt  er  dessen  ürtheil  über  seine 


Scliolia  in  Sophoclis  tragoedlas.   Edid.  Elmsley.  141 

Hellas  ganz  auf  sich  beruhen,   so  leicht  sich  auch  namentlich 

das  S.  61  gegebene  Urtheil  auf  Hrn.  II.  zurückbeziehen  Hesse. 

Halle.  Prof.  Dr.  Kruse. 


Griechische    Litteratur. 


Scholia  antiqua  in  Sophoclis  Oedlpum  Tyran- 
num.  Ex  codice  Laurcntiano  plut.  XXXII,  9  denuo  descripsit 
et  edidit  Petrus  FJinsley.  Accessit  Elinsleii  praefatio  ad 
editionein  tertiam  Oedipi  tj-ranni.  Lips.  Suiupt.  Hartinanni. 
MDCCCXXVI.  XXXI  u.  43  S.  gr.  8.  8  Gr.  und  Scholia  in 
Sophoclis  Tr agoe dias.  E  cod.  ms.  Laurent,  descr. 
P.  Elmsley.  Ibid.  eod.  IV  u.  384  S.  gr.  8.  2  Thlr.  [Die  übri- 
gen Stücke  enthaltend.] 

Aras  Bedauern  über  die  traurige  Zerstörung,  welche  die  er- 
klärenden Werke  der  alten  Grammatiker  erlitten  haben ,  be- 
gleitet uns  vielleicht  durch  keine  Scholiensammlung  so  unun- 
terbrochen als  in  den  Commentaren  zum  Sophocles.  Denn  an- 
dere tragen  entweder  das  Gepräge  der  spätesten  ^eit  so  unver- 
kennbar, dass  sie  kaum  noch  an  alte,  wirklich  gelehrte  Quel- 
len erinnern,  oder  sie  sind  noch  jetzt  so  wohl  ausgestattet,  dass 
die  reichlich  zufliessende  Belehrung  Trost  gewährt  für  das  Ver- 
lorene. Die  Schollen  zum  Sophocles  erinnern  noch  durch  Na- 
men gerühmter  Grammatiker ,  häufiger  durch  innere  Reichhal- 
tigkeit an  ihren  Ursprung:  aber  entweder  entstellt  oder  spär- 
lich für  ihren  Umfang.  Von  Namen  der  Grammatiker  erscheint 
am  häufigsten  Didymus,  nämlich  achtmal,  aber  davon  viermal 
in  völliger  Verstümmelung.     Z.  B.  Antig.  122 : 

£t  ö    ovv.)  (pilsi  yccQ  rovzo  ^ij  Tavxyj  qbtiuv  — 

ü  8b  Tig  dvoTjtog  tvQE^fj'  ^Idv^os  ös  (p7j6L  — .  und  An- 
tig. 4: 

ovöev  yaQ  o{)r   aXysLvöv  ovz   ätTjg  ätsg  — 

^idv^ög  (p7](}Lv  SV  tovrotg  ro  attjg  cctsq  Ivavtiag  öwtetaKtat 
Toig  öv^(pQa^o^Bvoi,g.  Kurz  wir  erfahren,  dass  an  dieser 
Stelle,  die  noch  heute  ein  Kreuz  der  Herausgeber  ist,  Didy- 
mus anstiess:  wie  er  das  Räthsel  sich  gelöst,  ist  uns  nicht 
aufbehalten.     Und  Aj.  1225: 

d^Aog  ÖS  ^ov  'ötI  öxaLov  saXvöcav  6t6}iu 
/JldviLog'  Koi  öJjAdg   löxiv  äg  xl  Otj^avojv   vtov  — .     Hier 


142  Griechische    Litteratur. 

also  wird  uns  sogar  zii;jemuthet  zu  glauben,  ein  Kritiker 
wie  Didvmns  habe  fiir  den  gewähltem  Vers  einen  einfachem 
und  anderswoher  entlehnten  angenommen,  aus  Antig.  242: 
d}]XoLS  ö'  cog  Tfc  öfj^aväv  vsov.  Gewiss  nicht.  Didjmus  las 
anders,  vielleicht  aal  öjJAog  oder  drjXoi  ^'  äg  n  (*?)  ö'naiöv 
i'/,lv6cov  6t6^a,  und  belegte  die  Konstruction  durch  den  Vers 
aus  der  Aiitigone:  die  Ellsion  beunruhigte  ihn  schwerlich:  — 
oder  der  Vers  und  der  Name  standen  in  gar  keiner  Verbindiuig. 
Gleichfalls  entstellt  ist  auch  das  Scholion  Oed.  C.  15(].  Unter 
solchen  Umständen  besonders  möchte  es  wichtig  sein,  ob  nicht 
von  den  gelehrten  Schollen  einige  auch  ohne  ausdrVickliches 
Zeugniss  sich  einem  bestimmten  Grammatiker  mit  Wahrschein- 
lichkeit beilegen  lassen.  Wir  unseres  Theils  zweifeln  kaum, 
dass  sie  dem  Didyraus  gehören.  Dieses  hat  für  sich:  1)  die 
Analogie  mit  andern  Scholicnsammlungcn,  die  einen  Vergleich 
mit  der  unsrigen  zulassen ,  z.  ß.  des  Pindar.  Seine  reichhal- 
tigen Commentare,  welche  die  Frühern  berücksichtigten,  ge- 
währten was  —  zumal  die  Spätem  —  suchen  konnten;  ja  es 
scheint  mit  ihm  die  gelehrte,  selbständige  Erklärung  der  alte?i 
Dichter  ziemlich  aufgehört  zu  haben.  Horapollon,  dessen 
V7t6^vr][ia  2Joq)OxX80vg  Suidus  erwälint,  zog  doch  wol  gleich- 
falls nur  frühere  Commentatoren  des  Dichters  aus.  2)  Der 
Verfasser  unserer  Schollen  beruft  sich  mehrmals  auf  Didymus 
als  seinen  vorzüglichsten  Gewährsmann ,  Oed.  Col.  237 :  cd 
^evoL  aid6q)Q0V£g'  to  trjg  'Avriyövr^g  TCQoganov  oXov  %a\  rov 
XOQOv  to  rsTQccöTLXOv  d%'£tovvTai'  y,QHTT0V  yocQ  cpaöLV  tv%itog 
xä  ÖMatoXoyLKcp  •j(^Q7]6a6d'ca  töv  Olöinow  UQog  avrovg ,  u.  s. 
w.  Der  Schluss:  ovdlv  de  iv  roig  zlidv^ov  xovxcov  6ßili6^\v 
£VQO[isv.  —  Antig.  45:  zJcdv^og  ds  (prjöiv  vno  xc5v  VTCO^vrj- 
^axLöxcöv  xov  B^'^g  6Ti%ov  vevo&Ev69ai.  Jene  zuerst  erwähnte 
Athetese  war  also  wol  der  Einfall  eines  Spätem,  dergleichen 
man  ohne  Gelehrsamkeit  haben  konnte.  Sonst  hätte  ihn  Didy- 
raus  nicht  unerwähnt  gelassen:  es  galt  nicht  weniger  als  zwan- 
zig Verse.  Wie  Didymus  an  der  zweiten  Stelle  seine  Vorgän- 
ger mit  dem  Namen  vTCO^vyfiaxLözai  zusammenfasst,  so  gehö- 
ren auch  ihm  ot  vJtO[iv)]^axL6dfiEVOL  ^  Oed.  C.  388.  390.  (>81, 
und  aTta^äxavxEg  oi  tcqo  rjfiäv  1375.  Man  braucht  blos  einen 
Blick  in  diese  gelehrten  Schollen  zu  werfen,  um  sich  zu  über- 
zeugen, dass  wer  hier  Vorgänger  widerlegt  und  ergänzt,  nicht 
unser  Commentator  ist:  der  sein  gelehrtes  Glaubensbekenntniss 
AI.  1197,  El.  539  verräth.  Des  Ausdrucks  oi  vjio^vfj^axiöd- 
(lEvoL,  um  seine  Vorgänger  zu  bezeichnen,  bedient  sich  übri- 
gens Didymus  auch  sonst.  Scliol.  Find.  Ol.  VI,  55:  zliÖviiog 
(pr]6LV  ort  TtvdtEg  ot  vTiofivrjfinxoGä^uvoc  ^aiödvav  cpaölv  Etvat, 
—  ,Nem.  111,1:  6  öh  /HÖv^iog  dirjTtarijöQ'aC  cprjöi,  xovg  viio^vi]- 
^axLöa^Evovg ^  und  ot  TtQovTtofivi^iiaTLöd^EVOL  Ol.  III,  68, 
Isthra.  II  in.  —  Ferner  der  Zusatz  bei  Oed,  Col.  388  über  das 


Scholia  in  Sophoclis  tragoediaä.    Kdid.  Elmsley.  143 

dort  bezeiclinctc  Orakel:  ißovX6^t]v  8s  avtovg  (rovs  vjto^vr]- 
fiKZiöaiiivovg)  (iccQtvQicf)  iQi]6a6^c:i  i]  övyyQacpscjg  ij  nou]- 
tov:  unser  Erklärer  ist  we;nger  besorgt  darum,  zu  V.  457. 
Diilymus  verlaiii^t  überall  gescliiclitllche  Zen^^nisse  und  vcr- 
misst  sie  bei  friiliern  Ei'klärern ,  ganz  auf  älmliche  Weise  Avie's 
hier  gescbieht.  Um  nur  ein  Paar  Beispiele  anzuführen,  wo 
scbon  der  Ausdruck  dahin  leitet,  Schol.  Pind.  Ol.  II,  7J):  6  Ö£ 
^tdvfiog  tö  dxQLßEöreQOV  r^g  laroQtag  Exti^srcci.  Ib.  Iflin.: 
6  öh  ^iöv^og  tötoQLXCoTSQov  Xiyu.  Ol.  Väll,  -\l :  TcaQ  ov8bvX 
ÖB  TtQBößvtiQcp  TlivdaQov  7]  iötoQLa.  VIII ,  1 :  ^ccQiyjL  ds 
q}iq6iv  6  ^idv^iog  tovro  unoQiav,  x6  [itjÖEtEQOv  ccvtcov  h' 
totg  NE^EOVinaig  ävaysyQuq^&at.  Ol.  V,  20:  rovto  de  q}i}6iv 
6  zlidviiog  d^KQtvQOv  elvcl'  ov  yaQ  löxogsitai,  negl  zöv"l7C- 
jcaQLV  %ai  T^v  Ka^ccQLvav  tovro  ysvo^iEvov.  Nem.  VII ,  1 : 
K^KQtvQov  ÖS  tovro ,  —  ovös  tovro  löroQELtat.  3)  Es  fällt 
auf  dass  in  den  Schollen,  von  denen  wir  reden,  eine  grosse 
Anzahl  von  Zeugnissen  wörtlich  aus  den  Schriftstellern  beige- 
setzt ist,  nicht  in  oratione  obliqua  aus  ihnen  berichtet  wird. 
War  nun  dieses  die  Sitte  des  Didymus  nicht ,  so  können  diese 
Schollen  ihm  nicht  angehören:  das  Gegentheil  würde  einen 
nicht  verwerflichen  Grund  dafür  abgeben.  Und  so  findet  sichs. 
Man  sehe  in  uusern  Schollen  Oed.  Col.  56 :  'JnoXlaviog  yga- 
(pEv  ovrcog-  vgl.  705.  Dann :  Av6iiia%og  6  'JXE^avÖQEvg  ygd- 
(pav  ovrag'  91.  Tloli^cov  Iv  tä  utQog  Ti^atov  yQacpcov  ov- 
tcog'  100.  Nvficpodagog  iv  tcp  ly  tav  Bag^agcuav  yQä(p£i 
owtög-  337.  Ebenso  von  ^AKEöodcoQog  1051,  "lörgog  1059, 
Pherecydes,  Menecrates  Trach.  354.  Electr.  504.  Damit  ver- 
gleiche man  Harpocr.  o£,v%viiia  (AvrLX^iEidov  U^lv  TCaQuygcc- 
■^ag  Eic  tav  e^rjyrjtLiccjv),  ya^rjUa  {nagart^E^Evog  liliv  Öa- 
vodrjfiov),  Schol.  Pind.  Nem.  IX,  95  (öagofg  6  Ti^mog  Ttoitj- 
öEL  '}'Q(xq)C)v  ovrcjg'  zweimal  in  demselben  Schol.  ),  Ol.  VI, 
158  {aal  Tcagati^Etai  tä  ^lUörov  aal  ta  Tiixalov),  Pyth. 
V,  33  (tovro  ÖE  Ttiörovrai  itagari^i^Evog  rd  ©Eoti^ov  ex 
tov  TiQcotov  tieqI  KvQ^vrjg  l'xovta  otJrw),  Nem.  VI,  53  {^vrj- 
[.lovEVELV  ÖE  (pviöL,  falsch  goßöl,  tov  Bovdicovog  IIvd'aivErov 
iv  ngcStcp  AlyiVTjtLxcöv  ygacpovra  ovrco),  Athen,  p.  501,  E 
{naQari%Erai  td  Avx6q}QOVog  ovrcog')^  Schol.  II.  r,  116, 
Pind.  Ol.  VI,  55.  — 

Wenden  wir  uns  nun  zur  vorliegenden  Ausgabe  der  So- 
phocleischen  Scholien.  Elmsley  schrieb  im  Jahre  1820  in  Flo- 
renz die  Scholien  aus  dem  Cod.  Laurentianus  XXXII,  9  ab, 
demselben,  aus  welchem  die  Römischen  Scholien  geflossen 
sind  (Vorr.  zu  Oed.  Col.  Auf.).  Die  sehr  genaue  Abschrift 
sollte  eben  so  gedruckt  werden.  Elmsley  selbst,  durch  Krank- 
heit unterbrochen ,  besorgte  den  Abdruck  nur  von  Oed.  R.  und 
Oed.  Col.  bis  495 :   dann  übernahm  Gaisford  das  Geschäft. 

Um  den  Gewinn  bemerkbar  zu  machen ,    führen  wir  eini- 


144  Griechische   Litte ratur. 

ges  an,  was  in  der  Römischen  Sammlung  und  beiBninck  fehl- 
te oder  von  der  Handschrift  abwich.  Ai.  173:  xan^  yaQ  (priori 
(cod.  (pn)  vniJQ^s  7C£qI  toü  ^IWrog.  R.  Br.  (prjöi'  —  Ai. 
1285:  dvi]xtaL  rolg  £  rj  iGtogia  ^  TiBQi  Egsöcpövrov,  fehlte 
R.  Br.  Es  heisst  ^^^oVoig,  wie  Seh.  Electr.  47,  und  Schol. 
Find.  Nera.  VII,  56:  avayEL  toifs  XQovovg.  Ai.  1225:  ^Idv^og 
aal  dij^og  eötiv  äg  xl  öTj^avcSv  veov,  fehlte  R.  Br.  —  Ai. 
1309:  övyxELfiivovg]  yQ.  övve^noQOvg,  fehlt  R.  Br.  —  Electr. 
1:  ötQattjy^öavtog]  yg.  tvQavvrjeavrog^  fehlt  R.Br. —  Ebenso 
El.  331 :  %v^ä  ^aTaia]  yg.  ipvxfj  ^araici.  5lÜl:  incciviGai^  av] 
yQ.  tTtccLveöa^EV.  876:  lÖetv]  ht:  welches  gleichfalls  andre 
Lesart  ist,  die  sich  auch  im  cod.  Monac.  findet.  —  948:  aal 
710V  60L  q)Llc3v]  yg.  aal  Gv  Ttov  (piKav  'tjyovv  aal  nö&sv  6ol 
iöovtat  (ptXoL.  —  985:  (lij  ^akiJtSLv]  yg.  ^ol  Kvjieiv-  —  Phil. 
431  lautet  zu  den  Worten  6ocp6g  Ttakaiötijg  aslvog'  alCka  yal 
Gotpai  FväfiaL,  ^UoKTiJT.,  s^7iodit,ovtat  &a^ccj  das  Schol.: 
öocpög  ^iv  £örtv,  «AA'  ov  8l6Xov  aötaf  ai  yag  toiavtat  yvä- 
^ai  öia^cikXovtai  sv^iag.  Statt  des  letzten  Wortes  haben  R. 
und  Br.  noKldaig.  Die  jetzige  Lesart  führt  wol  darauf,  dass  der 
Scholiast  vor  Augen  hatte  td%a.  —  Antig.  1136  fehlte  etilöho- 
Ttovvr  dyvLag]  yg.  E7ii6ao7iovvta  yviag  (Valck.  Phoen.  648) 
u.  s.  w.  Uebrigens  hätte  die  Angabe  der  Abweichungen  von 
Brunck  und  der  Rom.  Ausgabe  füglich  wegbleiben  können;  wo 
nicht,  musste  sie  vollständig  und  genau  sein.  Wir  versichern 
dass  beides  nicht  der  Fall  ist.  Älitunter  sind  Fehler  der  Hand- 
schrift im  Text  gebessert  und  die  wirkliche  Lesart  dann  unter 
dem  Text  angegeben.  Umgekehrt  war's  consequenter.  Für 
eine  falsche  Aenderung  halten  wir  Antig.  20  aalxaivovöa:  dvtl 
xov  Tiogcpvgovöa  aal  zEtay^Evag  (pgovTit^ovöa-  adXxtj  ydg 
lötLV  6  aox^og  tj^S  nogrpvgag  —  Aber  die  Ilandschr.  hat 
aölxog ,  und  dies  rausste  bleiben ;  s.  Schäfer  zum  Schol.  Apol- 
lon.  Rh.  III,  859. 

Angenehm  ist  es  auch  ,  hier  einmal  einen  Abdruck  zu  ha- 
ben, der  nicht  in  Orthographie  und  Accenten  von  den  Besorgern 
des  Druckes  nach  Willkür  geändert  ist.  Zu  wissen  was  die 
Spätem  in  diesen  Dingen  befolgten  ist,  wie  alles  was  zum  Un- 
tergang und  Fall  der  Griech.  Sprache  und  Grammatik  gehört, 
nothwendig.  Wir  bemerken  einiges.  Der  Infinitivus  av  ist 
immer  ohne  t  geschrieben,  'Egtvvg  immer  (in  Text  und  Scho- 
llen, wie  Elmsl.  bemerkt  zu  Oed.  Col.  42),  Niöog  wiederholt, 
Q-gvXEiv.  Ein  doppeltes  g  bald  mit  den  Zeichen,  bald  und  öfter 
ohne  sie.  Thut  man  Recht,  wie  neuerlich  Dindorf  im  Athenäus, 
dies  anzunehmen  ?  Der  Scholiast  zum  Dionys.  p.  693,  19  lehrt 
Qg  schreiben:  und  Lascaris  sagt:  daövvEtac  ÖE  aal  rö  g  ev  ag- 
%ylEi,EC3g,  olov  g/jtcog  —  *  övolv  dh  ovtoiv^  onov  dv  tv%Gi6i, 
xö  Tigäxov  ipikovxaL  aal  x6  ÖEVTsgov  öaövvExat  aaxä  xovg 
naXaLOvg,  olov^dggrjxos,  aggaözog.  —  Das  v  Eg)BXavöxixdv 


(Scholia  In  Sophoclia  tragoedias.     Edid.  Slmslej.  145 

Ist  vor  Consonantcn  bald  gesetzt  bald  nicht.  —  tiQ^aösvou^- 
vav  und  ri&aööBvovüi.  (s.  zur  Aiiti^\  ;{4ü).  —  Täocarjööa  oft, 
nur  ein  Paar  mal  Te>c(i^]<}cc,  Aa&pa  und  AaO-^a,  L,cp ov  imd  ^cJov. 
Also  vorlierrschend  ist  Uuiileicliinässi^keit.  Auch  thateii  die 
Späten,  welchen  zu  selbstäiuliirer  Erlorschung  der  Wahrheit 
die  innern  und  äussern  Hüirsmittel  fehlten,  und  welche  gar 
kein  Sprachgebrauch  mehr  leitete,  am  bessten  hier  keine  Kon- 
sequenz zu  erstreben.  Wie  in  nnserm  llesychius  eine  Menge 
Wörter  unter  doppelter  Orthographie  aufgeführt  sind,  so  beiEu- 
ßtathius  Wendungen  wie  to  ^cSov  ij  ^röov  6vv  reo  i  u.  ähnl.;  die  jetzt 
einmal  etwas  hierin  feststellen  wollten,  waren  die  peinlichsten  und 
verfielen  in  Sonderbarkeiten,  wie  sich  an  einigen  Beispielen 
aus  Tzetzes  zeigen  lässt.  —  Antig.  -iCO  steht  dsvccov,  diellöm. 
Ausg.  Iiatte  dtvväov  Dies  verdient  bemerkt  zu  werden.  Die 
von  Homer  geheiligte  Form  dävaog  blieb  den  Dichtern  aller 
Zeiten  eigen,  Ilerm.  Eurip.  Ion.  117.  Aber  die  gangbare  Form 
der  Prosa  war  dtvvaog,  z.  B.  Strab.  I  p.  97  Tz.,  Arrian  exp. 
AI.  IV,  6,  12,  Aelian.  V.  II.  III,  43,  Piutarch.  ne  suav.  6(3' p. 
129,  Luc.  INigrin.  Iß;  mit  Recht  iici  txevaov  tb  'naX  noXi)  Itclq- 
Qiov  Luc.  Gall.  12  auf.  Ilesych.  divvuoq  und  uivvdov,  Suid. 
divvaov  to  dnavörov ,  xal  dsvvccog  6  dsl  geav ,  dno  xov  vuco, 
o  eöTL  Qkco.  'Ode  'lovözLVuivog  ägjisQ  noranog  dsvvaog  sg  rjfiBgav 
£'Adötr]i>  Idtpv  T£  nal  £Ä?^t^fro  rovg  v7t7]x6ovg  (Procnp.  bist.  arc. 
19).  vgl.  Zonar.  p.  54.  Ausserdem  noch  Suid.  dal  vcov  to  div- 
vaov. Scliol.  Pind.  Ol.  XIV,  16.  Daher  Eustath.  auf  den  son- 
derbaren Gedanken  kommt ,  man  könne  in  den  Formen  dävaoc 
U.S.  w.  der  Dichter  die  Schuld,  wie  er  sich  ausdrückt,  der 
(pavlötyjg  der  Handschriften  beimessen  und  das  Metrum  erhalten 
durch  Synizese,  adDion.  1055  (s.  Ilerm.  am  angef  O.):  daher 
Erscheinungen  wie  Schol.  Pind.  Pyth.  I,  9  dsvdov  Jivgög]  x6 
divvaov  nygiag  im  rav  vdätav  ti&staL,  und  die  Verfälschung 
selbst,  wo  das  Metrum  vor  Augen  lag:  Ttaydv  devvdov  (pvöEog — 
lambl.  vit.  Pyth.  150;  und  in  dem  mit  geringer  Veränderung 
in  Prosa  aufgelösten  Orakel  bei  Bentl.  ep.  Mill.  p.  458  Leipz.A.: 
drp^LTOV  divvaov  TtaviitiöxoTiov  o^fxa,  wo  es  kurz  vorher  in 
dem  Verse  selbst  divaov  heisst.  Nicht  einmal  dsvvdovta  Por- 
phyr, antr.  Nymph.  CX  u.  XIII  wird  man  danach  geradehin  zu 
läugnen  wagen;  Hesychius  giebt  es  so;  vgl.  Eust.  p.  1735,  5ö. 
Ferner  ergiebt  sich  was  Heindorf 's  Urtheil  werth  war,  zu  Phaedo 
p.  111,</. :  „Pro  dtvvdcov  scripsi  dEvdav.  divaog  constans  usus 
apud  Pindarum,  Euripidem ,  Aristophanem  ubivis  fere  vel  scri- 
ptum in  libris  vel  metro  postulante  scribendum,"'  und  ob  es  von 
Bedeutung  sei,  dass  nun  einige  Handschriften  wirklich  das  ein- 
fache v  haben.  Denn  auch  bei  Xenophon,  v/elcher  das  Wort 
mehrmals  hat,  ist  die  herrschende  Schreibart  divvaogt  wie  bei 
Ilerodot  I,  145,  wo  von  13  Handschriften  divaog  nur  aus  zwei 
bemerkt  ist.     Denn  ganz  Späte,    die  gar  keiue  Richtschnur  mehr 

Jahrb.  f.  Phil.  u.  Pädag.  Jahrs:.  III.  lieft  6.  10 


14(>  Griecliische   Litteratur. 

hatten,  schreiben  aucli  wieder  asvaog;  so  Etym.  M.  98,  22 
und  unser  Schol.  —  Wir  kennen  noch  ein  andres  Wort,  wel- 
ches dieselbe  gleichfalls  verkannte  Erscheinung  darbietet:  yäv- 
vvö&ai.  Eust.  p.  199:  dyavol  ^iv  A.öyoi,  ot  7CQogy]VELg,  Ttagä  rö 
ß  ijriraTtxov  xal  rd  yävvvG&af  olg  tig  ayav  yävvvtai  iqyovv 
%aiQU.  Mnsstc  ev  liier  nicht  die  Schreibart  mit  einfachem  v 
-wählen,  wenn  ihm  die  andere  nicbt  durchaus  die  geläufigere 
war?  Daher  p.  1710,  9  die  Bemerkung:  t6  ds  ov8\  yävvvrai 
(fi,43)  8->]Xoirä  daxrvXina  Trodiö^co  iQrivai  ^17]  diTiXaGiä^södca  to 
V  Iv  Ta  yccvvö&ai,  oigTtsQ  ovÖe  ev  reo  ydvog  yavocjvteg  %a\  yavv- 
öKovrai.  Und  546,30:  ijds  ag^ovöa  Tovravvu7]d£og  ovx,  dXoycjg 
äkln  y.ard  dvaXoyiav  rov  ydvog  (nicht  wälilt  er  ydvvvöd^ai 
zur  Ableitung)  ev  avl  tacpsgetcci  v'  oidv  no?.Xol  iv  olg  yQucpovöi 
8iiiXdt,Gi6iv  avtö :  doch  wol  nicht  anders  als  verfuhrt  durch 
ihr  ydvvvö&ai.  So  findet  man  geschrieben  Et.  M.  85,  14.  221, 
23.  589,  52.  629,  44.  Schol.  Piud.  Pytb.  1,  4.  —  Plülostr. 
imag.  p.9, 31  vnsQydvvzai,.  ,,Genuinani  haue  scripturam,  sagt 
Jacobs,  solus  habet  G.  Caeteri  vTtiQydvvvTai."-  Ders.  p.  11,  26 
ydvvvTui:  „Sic  G,  ydvvvvxai  vulgo.'^  Und  47,  22  ebenso. 
Das  Resultat  Avird  man  selbst  ziehen.  —  Und  Plato'?  Pliädr. 
p.  234,  d:  Kai  tovvotycj  i7ia%ov  did  öa ,  co  0alÖQe,  TtQog  68 
aTioßXi^Ttcov ,  ort  e^ol  edoKEig  ydvvvö&ca  vjto  tov  Xoyov.  „yd- 
vvö^ai  Bodl."  Freilich  eine  gute  Handschrift ;  aber  doch  hier 
i^e.^Qn  alles  Uebrige  nicht  \o\\  Gewicht  —  Ob  Dichtern  selbst 
yavvv^ivav  erlaubt  war,  welches  Jacobs  —  ohne  Wahrschein- 
liclikeit  —  unter  andern  zu  Nossid.  epigr.  XI  vorschlug  (annot. 
T.  VII  p.  418),  ist  zweifelhaft 

Lelirs. 


Anleitung  zum  Uebersetze?i  aus  dem  Deutschen 
in  das  Griechische  von  Dr.  Val.  Chr.  Fr.  liust  und  Dr. 
E.  Fr.  JVüstemann.  Ir  Tlil.  Ir  und  2r  Kursus.  Dritte ,  sorg- 
fältig berichtigte  Auflage.  Göttingen,  beiVandenhoeck  und  Ruprecht. 
1826.   XIV  und  433  Seiten.    8.  (leAufl.  1820.  2e  Aufl.  1823) 

-I-iine  sehr  schätzbare  aus  Classikern  entlehnte  Beispielsamra- 
lung,  wozu  Hr.  Hofrath  Jacobs  seine  reichen  Sammlun- 
gen hergegeben  hat,  in  dessen  Griech.  Elementarbuche  viele 
liier  übersetzte  Sätze  und  Anekdoten  scJion  vorkommen. 
Der  Itc  Cursus  (bis  S,  166)  giebt  Beispiele,  Avelche  zur  Ein- 
übung Acv  Formenlehre  dienen  sollen,  in  5  Abschnitte  oder  35 
§§  geordnet,  so  dass  in  Betreff  der  berücksichtigten  Formen 
auf  die  B  u  1 1  m  a  n  n  i  s  c  h  e,  M  a  1 1  h  i  ä  's  c  h  e,  Thierse  h's  che 
und  des  Verf.  eigene  Schul- Grammatik  verwiesen  ist.  Im  2n 
Cursus,  mit  welchem  die  Behandlung  der  syntaktischen  Hegeln 


Rost  u.  Wüsteuiaon :  Anlelt.  z.  Ueber:;«.  u.  d.  Deutsch.  In  d.  Griech.  147 

beginnt  (nberschrieben :  Von  der  Bi/dung  des  emfache?i  Salzes 
und  dem  Gebrauche  der  casus  obllt/ui\  in  4  Abschnitten  oder 
21  §§  )  ist  (Hess  zwar  ebenfalls  geschehen,  aber  dabei  hat  der 
Verf.  auch  eigene  Regehi  für  die  verschiedenen  Absclinitte  die- 
ses Cursus  entworfen.  Kürzere  grammatische  Bemerkungen 
stehen  vor  den  Absclmitten  des  In  Cursus.  Unter  den  synta- 
ctischen  Bemerkungen  ist  manclies  Schätzbare.  Daliin  gehört 
S.  183  die  Angabe  der  gewolinlichsten  deutschen  Subst.,  welche 
man  im  Griech.  blos  durch  ot  oder  rä  in  Verbindung  mit  ei- 
nem Genit.  oder  mit  Präpositt.  und  dem  erforderlichen  Casus 
eines  Substantivs  bezeichnet.  Dazu  hätte  noch  der  Begriff  Ge- 
schichte^ Bcgebeuhvitw.  dgl  gesetzt  werden  sollen.  Doch  ist 
der  erstere  S.  185  Not.  14  nachgeholt.  Bemerkenswerth  sind 
auch  die  Erläuterungen  Viber  die  sogenannte  Conjugatio  conju- 
gatorum  (wiewol  der  Vf  diesen  Kunstausdruck  nicht  beigefügt 
hat)  S.  237  ;  desgleichen  über  den  Dat.  bei  den  Verb,  der  An- 
näherung u.  dgl.  S.267.  Nur  sollte  bezeichnet  seyn,  ob  tmi- 
gehen  oder  Mmgehcn  gemeint  sei;  auch  sollten  die  Classen  der 
liiehergehörenden  Verb,  in  besserer  Ordnung  auf  einander  fol- 
gen ;  auch  die  hieher  gehörenden  Adj.  nicht  fehlen,  8.317  ist 
die  Regel  vom  Genit.  bei  Zeitbestimmungen  gut  an  die  Regel 
von  den  Adverb,  loci  und  temporis  cnm  Genit.  angeschlossen. 
Eigenthümlich,  wenn  gleich  nicht  einleuchtend,  ist  S.  351)  die 
Erklärung  des  Genit.  nach  Comparativen.  Es  ist  mehr  eine  Er- 
klärung des  Abi.,  der  im  Lat.  nach  Comparativen  gesetzt  wird. 
Nach  S.  331  soll  der  Genit.  bei  den  Verb,  anklagen  und  ähnl. 
durch  hinzuzudenkendes  Subst.  Vergehen^  Schuld^  u.  dgl.  er- 
klärt werden.  Wäre  es  aber  nicht  Tautologie,  wenn  man  z.E. 
sagte:  „Niemand  will  einen  Tyrannen  wegen  des  Vergehens 
oder  der  Schuld  eines  begangenen  Unrechtes  anklagen?  Und 
was  wäre  am  Ende  damit  erklärt*?  Die  Apposition  wird  S.  226 
ein  dem  Subjecte  beigelegtes  Prädicat  genamit,  da  sie  doch  ein 
ganzer  implicirter  Satz  ist.  Ueberhauptist  dieser  §  wol  zu  dunkel 
für  den  Anfänger.  S.227  hätte  es  nicht  als  etwas  der  griech. 
Sprache  Eigenthümliches  angemerkt  werden  sollen,  dass  eine 
Apposition  auch  demPronom.  possess.  beigefügt  werden  kann. 
Im  Lateinischen  findet  ja  das  Nemliche  Statt ,  wie  wenn  Hora- 
tius  sagt :  quum  mea  nemo  Scripta  legat  vulgo  recitare  timentis. 
Warum  sind  wol  im  Anfange  über  diele  und  2e  Declinatiorx 
einige  Beispiele  gesetzt,  die  keinen  vollständigen  Satz  bilden*? 
Dass  der  Anfänger  mit  demVerbumund  andern  Redetheilen  noch 
nicht  bekannt  sei,  kann  der  Grund  nicht  seyn.  Denn  so- 
gleich auf  der  folgenden  Seite  giebt  der  Verf.  vollständige  Sätze, 
so  dass  er  unter  dem  Texte  allezeit  die  erforderliche  Form  des 
Verb.,  so  wie  die  Präposit.  mit  ihrem  Casus  angiebt.  Was 
soll  ein  solcher  todter  Mechanismus  für  die  zu  bildeden  Jugend 'J 
War  es  denn  nicht  besser,  das  regelmässige  Verbuni  und  allea- 

10* 


HS  Griechische  Litteratur. 

falls  noch  das  ganze  Praes.  und  Imperf,  von  ftat  als  vor  allem 
Uebersetzen  ins  Deutsclie  zu  erlei'nendes  vorauszusetzen'?  Oder 
konnte  es  nicht,  bevor  es  erlernt  war,  eben  so  gut  in  der  Gram- 
matik nachgewiesen  werden,  als  die  Declinationen  nachgewie- 
sen sind*?  Hinsichtlich  der  Präpositionen  aber  konnte  ja  auf 
die  dahin  einschlagenden  Abscluiitte  des  2n  Cursus  S.  3fi9  ff, , 
wo  alle  Präpositionen  einzehi  mit  ihren  Casibus  und  Bedeutungen 
aufgeführt  sind,  verwiesen  werden.  Ueberhawpt  waren  viele, 
sehr  viele  ^^  iederholuiigen  Viberfliissig ,  wenn  die  beiden  Cur- 
sus ,  zumal  da  sie,  so  viel  ich  weiss,  ganz  gleichzeitig  er- 
schienen sind ,  mittels  gehöriger  Verweisung  aus  dem  einen  in 
den  andern  in  ein  engeres  gegenseitiges  Verhältnisy  gesetzt  wur- 
den. So  findet  man  z.  E.  Viber  den  Artikel  fast  ganz  gleiche 
Bemerkung  S.  3  nnd  170  fg. ,  eben  so  über  die  Weglassung  des 
Pronom.se/«  S.5  nnd  195,  über  die  Verbindung  von  :;rßg  mit 
seinem  Subst.  S.5  und  10  (also  sogar  in  demselben  Cursus  zwei- 
mal). So  steht  auch  S.229  §  10,  4  und  §  11,  1  ganz  dieselbe 
Bemerkung.über  den  Accus.  alsObject  des  Verb.,  nnd  das,  was 
S.  259  vom  Dativ  gesagt  ist,  steht  schon  S.22S>,  S.  Wozu  dieser 
Ueberfluss'?  War  es  nicht  geimg,  bei  der  einen  Stelle  auf  die 
andre  zu  verweisen*?  S.  6  konnte,  wegen  der  Setzung  oder 
Weglassung  von  t;r6g,  auf  S.  181  verwiesen  werden.  Ebendas. 
bei  nr.  1]  war  es  für  den  Anfänger  belehrender,  auf  S.  215 
(vom  Dativ  zur  Bezeichnung  des  Ablativ- Verhältnisses)  zu  ver- 
weisen, als  hinzuzusetzen:  „£:;ra5d>;,  im  Dativ  ohne  Präposition"; 
eben  so  S.  9  nr.  26.  Ueber  den  Accus,  bei  inTilr^TTiö^ai  und 
ähnlichen  Verb,  war,  statt  der  unverständlichen  Bemerkung  S. 
12  nr,  3,  eine  Ilinweisung  auf  die  Regel  S,  230  fg.  lehrreicher; 
aber  dabei  war  auch  ein  Wink  darüber  nöthig ,  wie ,  nach  S. 
205  nr.  2,  auch  i'/.7iX}]xtiQ^i al  xivi  stehen  könne.  Ueber  den 
Genit.  nach  Comparativ.  war  die  Bemerkung  S.  14  nr.  70  unnütz, 
wenn  das  Genauere  hierüber ,  was S.  359  fg.  steht,  nachgewie- 
sen wurde.  Die  Bemerkung  S.  33,  dass  dfieXElv  mit  dem  Gen. 
stehe,  war  unnöthig,  Menn  auf  S,  351  verwiesen  wurde.  Was 
S.  34  von  dXkdtzEiv  mit  Gen.  steht,  findet  sicli  S.  340  fg.  ge- 
nauer erörtert.  S.  38  nr.  21  war  es  belehrender ,  wenn  ,  an- 
statt zu  sagen,  Heilmittel  gegen  Krankheit  sei  durch  Genit. 
auszudrücken,  auf  die  Kegeln  vom  Gen.  als  ergänzendem  Ca- 
sus S.  289 hingewiesen  wurde:  denn  da  sähe  der  Lernende  gleich 
den  Grund  dieses  Sprachgebrauchs  ein.  S.  50  nr.  28  war  über  at,i6s 
lörfc  mit  Gen.  auf  S.  320  zu  verweisen.  DieBemerkung  über  die 
besonders  auszudrückenden  Pron,  person,  steht  S. 70,  und  zum 
zweitenmal  S.188.  Nochmals  aL?o  die  Frage:  Wozu  solcher  Ue- 
berfluss? Das  S.  15  nr.  11  für  nach  in  der  Redensart /^fl^/^  der  Flöte 
tanzen  angegebene  jr^og  kann  erst  dann  mit  Nachdenken  ge- 
braucht werden,  wenn  dabei  die  Bemerkung  S.  424  verglichen 
wird.     S.8  bei  der  Redensart  eine  Prüfung  mit   dir   anstel- 


Rost  u.  Wüstcmann :  Anlelt.  z.  Uebcrä.  a.  d.  Deutsch.  In  d.  Griech.  149 

len  war  es  wol  weit  besser,  auf  die  Regeln  vom  Genit.  als  Ca- 
sus der  Ergänzung  zu  verweisen,  als  öov  hinzuzuse(zen,  wel- 
ches der  Autanger  doch  nur  mechanisch  abschreiben  wird.  Zu- 
weilen ist  auf  den  2n  Cursus  hingewiesen,  als  S.CO,  111),  128 
(hier  sogar  zweimal  nach  einander),  120,  121.  Aber  im 
Ganzen  ist  es  viel  zu  selten,  und  ohne  einen  festen  Plan  dabei 
zu  befolgen,  geschehen.  So  fehlt  auf  derselben  S.  121  bei 
■KOLvovödai  die  zur  UegrVmdung  der  Construction  erforderliche 
Hinweisung  auf  die  Regel  S,299.  Der  Grund,  warum  £ört  ^oi, 
zu  schreiben  sei  fiir:  ich  halte  oder  besitze,  und  S.  337  fort  für 
Tiiaji  kann,  war  aus  einer  Grammatik  nachzuweisen.  Die  Be- 
merkung Vlber  den  Accus,  und  Inf.  S.  348  nr.  13  steht  mit  den- 
selben Worten  wieder  S.  349  nr.  14.  Bei  den  Worten  S,  351 
es  ist  die  Sache  der  Herrscher  war  an  S.  321  zu  erinnern;  so 
wicS. 3t>9bei  rj  ol^wös  6d6g  auf  S,  180  zu  verweisen;  S. 333 bei 
dem  Beispiele:  J^s  (rehörte  dies  zu  den  Ungerechtigkeiten  der 
Athener^  auf  S.  302;  S.334  über  tan  so  beser,  je  theurerani 
S.  209;  S.  347  über  TiQog  mit  Acc.  in  der  Bedeutung  in  Ver- 
gleichung  (jiicht  im  Vergleich)  auf  S.  424;  S.  315  über  igrjöd'aL 
auf  S.  267;  S,  3!^0  wegen  aö^evr^g  t)]v  'yv(6(jij]v  auf  S.  246  fg.; 
S.  358  nach  nr.  1  über  Mangel  haben  auf  die  hieher  gehörige 
Kegel  S.323;  S.370nr.  13  h^\7iQQaiQBl6%ai^\ii  S.  378  nr.2; 
ferner  S  284  nr.  17  wegen  ^BXiyuv  nvog  auf  S.  299;  S.285 
nr.  12  bei  ovrag  (wo  auch  hinzuzufiägen  war:  7nit  dem  Artikel) 
auf  S. ISO;  S.293  bei  tvyxdveiv  rivög  aui  S.303,  und  ebend. 
bei  ÖLij^^v  tbvog  auf  8,357.  Eben  so  sollte  S.  247  nr.  25  wegen 
der  Construction  desYcrh.dLcccpBQELV  auf  die  Regel  S.  298  ver- 
wiesen seyn;  S.  252  wegen  der  Construction  von  ysfisiv  auf  die 
Regel  S.  323.  Eben  so  bei  6  avtog  mit  folgendem  Daliv  für 
das  Deutsche r/e7.se/6e  mit  oder  wie  auf  die  Regel  S.272  fg.;  bei 
KueXsLV  Tivog  S.  264  auf  S.  351 ,  und  ebendas.  wegen  uvv^d- 
vi.G%al  xi  ttvog  auf  S.  312. 

Zuweilen  ist  schon  vorläufig  auf  den  Sn  Cursus  hingewie- 
sen; jedoch  ebenfalls  nicht  oft  genug  und  niclit  nach  einem 
festen  Plane.  So  ist  S.  201  S.  313  und  S.  332  fg.  über  das 
Particip.  mif  dem  Artikel ,  statt  des  Relativ,  mit  einem  Tem- 
pus finitum,  auf  die  Regel  im  Sn  Cursus  verwiesen,  aber  gleich- 
wol ,  so  oft  in  andern  Beispielen  dieser  Fall  wieder  vorkommt, 
in  den  Noten  dieselbe  Benjerkung  wiederholt,  anstatt  immer 
wieder  auf  dieselbe  Stelle  des  3u  Curs.  zu  verweisen.  So  ist 
ferner  S.  123  nr.  13,  S.124  nr.  35,  S.133  nr.  6,  S.  201  nr.27, 
S.309  nr.  12,  S.  357  nr.  11,  und  noch  an  mehreren  Stellen 
angemerkt,  wo  tVo;,  wg,  oder  das  Relativ  mit  dem  Coni.  oder 
Opt.  stehen  müsse,  anstatt  jedesmal  auf  die  genauere  Erörterung 
dieser  Sache  im  Sa  Curs.  hinzuweisen.  Dies  hätte  auch  S  172, 
262  und  anderwärts  hinsichtlich  desgt  mit  Indic.  und  im  Nach- 
satze äv  mit  Indic.    geschehen  sollen.     S.  284  nv.  13   ist   we- 


150  Griechische  Litteratur. 

ffea  tvyicivuv  mit  dem  Particip.  auf  den  3ii  Ours.  verwiesen. 
Warum  ist  dasselbe  nicht  auch  S.  374  nr.  7  hinsichtlich  des 
Verb.  "kav^ciVio  und  S.  375  nr.  25  in  Bezu^  auf  biaxil^ö  mit 
dein  Particip.  geschehen*?  Da  wegen  der  Verb,  cognoscendi 
mit  dem  Particip.  selir  oft  auf  den  3n  Curs.  verwiesen  ist,  war- 
um nicht  aucli  S.  353  nr.  11?  Das  war  zweckmässiger,  als 
die  —  zweideutige  —  Erläuterung,  die  der  Vf.  giebt,  indem  er 
das  Griechische  so  nachbildet:  was  er  kennt  seiner  Gesundheit 
schadend:  denn  dieses  Particip.  kann  ebensowol  Neutrum  als 
Masc.  seyn.  Solche  Nachweisungen  des  3n  Cursus  waren  auch 
S.  345  in  Beziehung  auf  den  Inf.  mit  av,  S.  355  nr.  8  über 
ovÖug^  in  wiefern  es  heisen  könne  Jemßwrf,  ebeud.  nr.  })  über 
«Tf  mit  dem  Particip.,  zum  Vortheil  der  Lernenden  wünschens- 
werth. 

Doch  an  diesen  Beispielen  mag  es  genug  seyn,  um  zu  zei- 
gen ,  dass  der  Verf.  die  Theile  dieses  Werkes  in  ein  näheres 
Verhältniss  zu  einander  hätte  setzen  und  dem  mechanischen 
Verfahren  des  Schülers  beim  Uebersetzen  —  durch  mannich- 
fachere  Veranlassung  zum  Nachdenken  über  die  Spracheigen- 
heiten hätte  \orbeugen  können  und  sollen.  In  dieser  Absicht 
hätte  auch  die  Grammatik,  insbesondere  die  Syntax,  gar  sehr 
vereinfacht  werden  können.  So  hätten  sich  z.  E.  die  Beispiele 
über  die  Präpositionen  mit  den  Beispielen  über  den  Gebrauch 
der  Casus  obliqui  recht  fruchtbar  verbinden  lassen,  selbst  nach 
des  Verfs.  eigener  Ansicht  von  dem  Wesen  der  Präpositionen, 
wie  man  dieselbe  aus  S.  368,  vgl.  381,  vermuthen  kann  ;  zu- 
mal da  auch  bei  manchen  Bemerkungen  über  die  Casus  obliqui 
die  Lehre  von  den  Präpositionen  schon  vorausgesetzt  Avird,  wie 
S.  2Sß.  229,  4.  249.  ii78.  Wie  sehr  nahe  beide  Abschnitte 
der  Grammatik  einander  berühren,  zeigt  die  Vergleichung  der 
Bemerkungen  über  die  Verba  sich  freuen ,  sich  betrüben  u.  dgl. 
mit  dem  blosen  Dativ  S.  282  und  über  dieselben  Verba  mit  tni 
seq.  Dat.  417,  so  wie  die  Vergleichung  des  deutschen  und  grie- 
chischen Sprachgebrauchs  besonders  in  Hinsicht  des  Genit- 
Denn  wie  im  Deutschen  das  Genitiv -Verhältniss  oft  durch  Prä- 
positionen ausgedrückt  wird  (z.  E.  r}  räv  XQtj^Atav  iTii^viiia^ 
das  Streben  nach  Geldy.  so  wird  ja  auch  umgekehrt  im  Deut- 
schen oft  der  Genitiv  gesetzt ,  wo  im  Griechischen  eine  Präpo- 
sition gewöhnlich  ist,  wie  auch  S.  414  die  unter  TtEgl  vorkom- 
menden Beispiele  zeigen,  z.  E.  der  Anhang  des  Perikles,  die 
Tapferkeit  des  AclüUes.  Daher  auch  der  Vf.  mit  Recht  S.  184 
die  Zusammenstellung  des  Artikels  im  Plur.  mit  dem  Genitiv 
und  die  Verbindung  desselben  mit  Präpositionen  (ot  ducpi  tlvcc, 
OL  övv  Tiin.,  ot  (ittä  tivog)  in  Eine  Regel  zusammengefasst  hat. 
Aber  auch  anderwärts  hätte  die  Anzahl  der  Regeln  sich  sehr 
vermindern  und  die  Uebersicht  derselben  erleichtern  lassen  — 
eine  Rücksicht,  die  in  unsern  Tagen,  bei  der  Menge  von  Lehr- 


Rost  u.  Wüsteiuann:  Anlelt.  z.  Uebcrs.  a.  d.  Deutsch,  in  d.Griecb.  151 

gegenständen,  womit  die  studierende  Jugend  überladen  wird, 
besonders  wichtig  ist.  So  hätte  die  Bemerkung  über  die  Prae- 
posit.  %ccQLV  S.  379  der  über  svexa  S.  370  näher  gerückt  und  S. 
211  die  erste  und  zweite  Anmerkung  verbunden  werden  sollen. 
Denn  nicht  blos  iivai,  v7idQ%ELV  und  yiyviö^ai  stehen  als  Co- 
pula,  sondern  auch  (paiviG^av^  dijXov  uvai  (augenscheinlich 
seyn)^  doxftv  (dem  Scheine  nach  seyii)^  ^tvsLV,  zataötfjvai, 
(dauernd  seyii)^  mcpvxEvaL  (von  Natur  seyii)^  6vo[iä^£ö9^ai, 
anovELV^  vo^i^sö^KL  (namentlich  oder  angeblich  seyji)  sind  als 
Copala  zu  betrachten;  und  so  ist  demnach  die  Construction  die- 
ser Verb,  mit  dem  Nomin.  ganz  natürlich,  und  nicht,  wie  der 
Vi'.  S.  213  sagt,  als  Ausnalime  zu  betrachten.  Uebrigens  hätte 
nicht  VTKXQXBiv  und  sivai,  hinsichtlich  der  Bedeutung  ganz  iden- 
tiiicirt  werden  sollen.  Die  Regel  S.  244  über  die  Verba  mit 
einem  doppelten  Accus,  war  so  zu  fassen,  dass  zugleich  die  hie- 
her  gehörigen  Verba  besser  geordnet  wurden,  etwa  so:  Die 
Verba ,  welche  ein  macheu  ausdrücken ,  bedürfen ,  ausser  dem 
Acc.  des  Objects,  auch  einen  Accus,  der  nähern  Bestimmung 
(des  in  ihnen  liegenden  Prädicats).  So  sowol  diejenigen,  wel- 
che den  Begriff  des  Machens  im  Allgemeinen^  als  diejenigen, 
welche  e/we  ^^//  des  Machens  bezeichnen,  wie  nennen^  wüh- 
len (=  einen  durch  Wahl  zu  etwas  machen),  für  etwas  halten 
(=  in  Gedanken  zu  etwas  machen,  wie  man  etwa  sagt:  Ich 
glaube,  du  machst  mich  zum  Spitzbuben  =  du  hältst  mich  da- 
für —  eine  Ansicht,  worauf  Redensarten  führen,  wie  noulö^ai 
öVfKpoQav  Tt,  etwas  für  ein  Unglück  halten.).  Auch  hätte  der 
Vf.  die  ihnen  entsprechenden  Verba,  die  einen  doppelten  Nom. 
bei  sich  haben  (S.  214),  mit  ihnen  in  Vergleichung  stellen 
und  auf  sie  zurückweisen  sollen.  S.  268  steht:  Die  Verba  — 
beschuldigen  u.  s.  w.  haben  einen  Dat.  der  Person ,  und  erst  S. 
331:  Die  Verba  —  beschuldigen  u.  s.  w.  nehmen  die  Schuld  im 
Gen.  zu  sich ,  ohne  dass  dem  Lernenden  ein  Wink  gegeben 
wäre,  beim  Letztern  wieder  an  das  Erstere  zu  denken.  Der 
Dat.  war  übrigens  als  Dat.  incomiiiodi  zu  erklären  bei  den  Verb. 
ImnX^TXHV ,  ly/.aXhlv,  ^e^Kp^ö^^ai,  ogyl^eödai,  cpxfovElv  und 
älinl.  Bei  jedem  dieser  Verb,  sollten  auch  die  gleichbedeuten- 
den deutschen  Ausdrücke  gleich  mit  angeführt  seyn.  Dann 
brauchte  nicht  ein  und  dasselbe  Verb,  in  den  Noten  an  mehrern 
Stellen  beigesetzt  zu  werden,  wie  iTatifiav  S.  264  nr.  2  und 
265  nr.  19,  tjanhJTxsLV  S.  264  nr.  5  und  S.  265  nr.  2,  [iBfi- 
(peö&aL  S.  264  nr.  16  und  S.  265  nr.  14.  Auf  S.  282  fg.  waren 
die  Verba  so  zu  ordnen:  sich  freuen^  sich  eJgötzeti^  vergnügt 
seyn^  und  die  entgegengesetzten  auf  folgende  Weise:  sich  be- 
trüben^ traurig  seyn^  sich  ärgern  u.  s.  w.  S.  289  unterschei- 
det der  Vf.  den  Geiiit.  der  Ergänzung  und  den  Gen.  als  Angabe 
der  Ursache,  als  wenn  nicht  auch  im  letztern  Falle  der  Genit. 
eine  Ergänzung  enthielte.     Daher  sollte  dieser  Fall  jenem,   als 


152  Griecbiscke    Litteratar. 

dem  generellen,  untergeordnet  seyn.  —  Warum  sind  ferner 
die  Subst.  und  die  Verba  gleiclien  Begriffs ,  Avelche  den  Gen. 
als  Ergänzung  erfordern,  uiclit  verbunden?  Denn  was  von 
imiiiXiia. ,  tTCi&v^ia  und  äbnlichen  gilt,  das  gilt  doch  auch 
von  iTiiiiikhlö^ai  und  ähnl.  (S.  351),  zumal  da  auch  Redensar- 
ten mit  den  erstem  gebildet  werden,  die  den  letztern,  den 
einfachen  Yerbis  ,  ganz  gleich  stehen.  S.  296  sollte  nach  dem 
Ausdrucke  der  erste ^  trefflichste  seyii  sogleich  folgen:  i'iber- 
irejjen^  sich  auszeichnen^  und  dann  erst  die  übrigen  AusdrVicke. 
So  wurde  die  Regel  behaltbarer.  Und  wie  hier  die  griechi- 
i(chen  Synonyme  für  herrschen  in  grosser  Anzahl  angeführt 
sind,  so  sollte  diess  gleichmässig  überall  bei  andern  Wiirter- 
Classen  geschehen  seyn,  z.  E.  S.  303  bei  den  Verb,  herühren^ 
ergreifen  u  s,  w, ,  S.  291)  sollte  bei  Tvy%äviiV  auch  die  Bedeu- 
tung finden  angefiilut  seyn.  Dann  war  S.  300  ur.  10  entbehr- 
lich. Auch  hazvy/dviiv  sollte  in  diesem  Register  nicht  feh- 
len (eben  so  wenig  die  hieher  gehörigen  Adjective,  wie  ä^oi- 
Qog,  d^uLyrjg  und  ähnl.)  und  die  entgegengesetzten  Verba,  wie 
ki^yELV,  ti'oyrLV.  S.  302  sollte,  ausser  eivaC  nvog  in  der  Bed. 
dazu  gehören^  auch  y[yvB6&ai  erwähnt  seyn,  schon  wegen  des 
Beispiels,  in  welchem  das  letztere  Verb,  berücksichtigt  ist,  S. 
316  nr.  11.  Die  Verba,  welche  gemessen  u.  dgl.  bedeuten,  S. 
305  konnten  mit  den  Verb,  des  Berührcns  S.  303  in  eine  engere 
Verbindung  gebracht  werden,  besonders  da  aTCZBö&ca  und 
kaßstv  öitov  und  dgl.  auch  vom  Geniessen  und  Essen  gebraucht 
werden,  vgl.  S.  309  nr.  1.  Die  Verba  des  Erinnems  ^  Krwäh- 
nens  und  Vergessens  S.  310  hätte  der  Vf.  mit  den  Verb,  und 
Subst.  der  Sorge  S.  351  und  diese  mit  den  Verb,  des  Verlan- 
gens S.  3.5T  in  eine  nähere  Verbindung  bringen  können,  da  sich 
jene  zu  diesen  dem  Begriffe  nach  wie  Grund  und  Folge  verhal- 
ten ,  die  ganze  Grammatik  aber  eine  fortwälirende  angewandte 
Logik  seyn  muss,  wenn  sie  bei  der  Jugend  haften  und  ihr 
wahrhaft  nützlich  werden  soll.  Die  Verba  des  Erinnerns  u.  s.w. 
selbst  aber  waren  auf  folgende  Art  zu  ordnen:  an  etwas  den- 
ken^ eingedenk  seyn  (^^e^rijö^ai,^  dem  auch  v7Co^Euv)]6d^aL  bei- 
zufügen Mar,  damit  es  bei  nr.  7  nicht  nöthig  war,  es  anzuge- 
ben, gedenken,  erinnern  {^ifivy]6xBLi')  erivähneu  (^vy]^ovsv£Lv). 
Zur  Erklärung  des  Genit.  bei  den  Verb,  dieser  Art  waren  die 
mit  den  ihnen  verwandten  Subst.  gebildeten  Redensarten  zu  be- 
nutzen, wie  ^V7^fi7]v  TCOLBiv  und  %0iBi6%ai  =  ^ivtjuovbvblv,  kr'ßi] 
iyylyvBTcd  ^oi  nvog  =  btiiIccv^Üvo^ccl.  S.  231  hätten  die  ein- 
ander entsprechenden  deutschen  und  griechischen  Verba,  Avie: 
schmeicheln  {y.okauBVBLv)  ^  sich  scheuen  (aidetöd^ai^  aiöxvvB- 
6&ai),  sich  fürchten  ((poßBLö^fai,  ÖBdoLaivm)  zusammengestellt 
und  (pBvyBLV  in  seiner  eigentlichen  Bedeutung  S.  231  und  das- 
selbe in  seiner  uneigentlichen  S.  235  einander  näher  gerückt 
werden  soUeu.      In  grosser  Unordnung  stehen  S.  241  mehrere 


Rost  u.  Wüstemann:  Anleit.  z.  Uebcrs.  a.  d.  Dculscli.  in  d.  Griccli.  153 

Verl) a  mit  doppeltem  Accus.,  mcIcIic  ^aiize  Classen  bilden,  un- 
ter einander  gemischt;  wenigstens  sollten  die  Verba  anziehen^ 
airsziehen  und  wegnehmen^  rauben  als  Hezeichmingen  entgegen- 
gesetzter IJegritle,  und  eben  so  und  aus  demselben  Grunde  die 
Verba  lehren  und  verbergen^  verltcimlicheti  unmittelbar  auf 
einander  folgen  und  dieses  Verhältniss  des  Gegensatzes  zur 
Erleichterung  des  Lernens  beimtzt  seyn.  Die  \erba //r/^e/z, 
fordern  und  bitten  sollten  dann  wieder  eine  besondere  Reihe 
bilden.  Die  Kegel  iiber  den  Dat.  nach  Adjcctiv.  der  Aehnlichkeit 
j?.  270  war  mit  der  von  6  avroq  c.  Dat.  S.  273  zu  verbinden, 
und  an  diese  wieder  die  von  avtög  c.  Dat.  S.  278  fg.  passend 
anzureihen.  Die  Regel  S.  315  über  die  Adverbia  des  Orts  und 
der  Zeit  mit  dem  Genit.  liätte  durch  engere  Verbindung  mit  der 
Regel  vom  Genit.  partitivus  S.  291  an  Licht  gewonnen.  Das 
Beispiel  ebend.  ro?i  welcher  Seite  (=  nö^iv^  des  Feldes  MÜre 
zur  Erläuterung  dieses  Sprachgebrauchs  gut  zu  benutzen  gewe- 
sen. S.  311):  die  Regel  vom  Genit.  des  Besitzes  bei  iivai  war 
mit  der  vom  Genit.  des  Zugehörens  bei  demselben  Verb.  S.  302 
in  Verbindung  zu  setzen  und  jener  Genit. ,  wie  dieser,  einfa- 
cher zu  erklären  durch  Wiederholung  des  Subjects,  z.  E.  Alles 
Schöne  gehört  demjenigen  =  ist  ein  Schönes  dessen.  S.  322 
beginnt  der  Vf.  eine  neue  Rubrik  vom  Genit,:  „Wörter,  welche 
an  u.  für  sich  keinen  vollständigen  Begriff  haben,  nehmen  das 
Subst.  —  zur  Ergänzung  des  Begriffs  —  im  Genit.  zu  sich." 
Darunter  gehören  ja  aber  offenbar  auch  mehrere  der  friiher  er- 
wähnten Wörter- Classen,  z.  E.  die  Verba,  Subst.  und  Adj. 
curae  etincuriae,  memoriae  et  oblivionis,  cupiditatis  et  studii. 
S.  323  sollten  die  griech.  Verba,  welche  Fülle  oder  Mangel  aus- 
drücken ,  alle ,  nach  den  verschiedenen  Nuancen  ihrer  Bedeu- 
tungen, zusammen  aufgeführt  seyn,  und  eben  so  die  hieher 
gehörigen  Adjectiva,  so  wie  S.  27()  die  zur  Bezeichnung  der 
Aehnlichkeit  u.  dgi.  gewöhnlichen  Verba.  S.  326  konnte  man 
eine  Zusammenstellung  der  von  at,LOq  kommenden  Adject.  und 
Verb,  erwarten.  Den  Genit.  des  Preises  bei  den  Verb,  emendi 
und  ähnl.  erklärt  der  Vf.  S.  334  durch  das  hinzuzudenkende 
XQij^icc  oder  Ttgay^a,  da  derselbe  wol  natürlicher  als  abhängig 
von  dem  (in  Gedanken  zu  wiederholenden)  eben  vorhergehen- 
den Subst.  und  als  Gen.  der  Ergänzung  erklärt  wird,  wie  bei 
den  Wörtern,  die  eine  Fülle,  Würdigkeit,  Fähigkeit  u.  dgi. 
bezeichnen  (S.  :-;23  ff.).  Die  Verba  des  Losmachens  S.  338 
sollten  mit  denen  des  Lossprechens  S.  331  in  ein  näheres  \er- 
hältniss  gesetzt  seyn ,  wegen  der  Verwandtschaft  der  Bedeu- 
tungen. Uebrigens  fehlt  auch  liier  die  Angabe  der  hergehö- 
renden griech.  Verba ;  ja,  selbst  in  den  Noten  sind  sie  nicht 
alle  angegeben;  so  inlüi  a^aQxävuv ^  diacpSQHV.  Die  Ordnung 
ist  auch  nicht  die  beste.  So  sollten  die  Verba  des  Verfehlens, 
der  Abweichung    und    Verschiedenheit  auf   einander   folgen. 


154  Griechische    Litte ra tu r. 

Nicht  mit  angemerkt  ist,  dass  die  Verba  der  Beraubung  zum 
Theil  einen  doppelten  Accus,  haben,  vgl.  acpaLQÜö&ai  XLvä  xi. 
Warum  ist  derGenit.  des  Stoffes  oder  der  Materie  S.  ;>42  nicht 
auch  als  Ergänzung  betrachtet*?  Eben  so  war  der  Gen.  der 
Ursache  und  der  Veranlassung  S.  346  zu  erklären,  wo  im 
Deutschen  wegen  oder  in  Ansehung  gesagt  wird.  Es  sollte 
diess  als  zufällige  Ergänzung  von  der  wesentlichen  oder  noth- 
wendigen  unterschieden  seyn.  S.  347  war  auf  die  Hegel  S. 
280  zuriickzuweisen  und  ein  Wink  darüber  zu  geben,  wie  der 
Beweggrund  sowol  durch  den  Dat.  als  auch  durch  den  Genit. 
ausgedrückt  werden  könne.  S.  351  fehlen  bei  den  Verbis  cu- 
rae  et  incuriae  manche  deutsche  Synonyme,  Avie  Sorge  tragen^ 
steh  bekümmeryi^  und,  von  den  entgegengesetzten,  vernach- 
lässigefi^  verlackeii  u.  a.  Auch  hier  sollten  die  in  Betracht  kom- 
menden griech.  Ausdrücke  gleich  mit  in  die  Regel  aufgenom- 
men, auch  ^erafislEi ,  welches  S.  282  nr.  27  viel  zu  früh  vor- 
kommt, mit  seiner  abweichenden  Construction  erwähnt  seyn, 
da  es ,  dem  Sinne  nach ,  gleiche  Construction  mit  jenen  zu  ha- 
ben scheinen  könnte.  Auch  die  Construction  mancher  dieser 
Verb,  mit  Praepositt.  c.  genit.,  z.  E.  cpQovzL^eLV  VTtsg  und  jroA- 
h]V  ETtLfieksLav  Ttouiö&at  tcsqC  rtvog  sollte  nicht  felilen,  zu- 
mal da  liiervon  schon  S.  265  nr.  11  und  dann  wieder  S.  406  nr. 
17  Beispiele  vorkommen,  ohne  dass  an  beiden  Stellen  liieher 
verwiesen  wäre.  Auch  das  Synom.  ,, sparsam  umgehen"  sollte 
neben  „sparen"  nicht  übergangen  seyn.  0av(xcc^a  öov  rovto 
S.  356  war  wol  natürlicher  zu  erklären,  wie  auch  S.  312  d/iova 
ÖOV  TOVTO  (gleichwie:  ich  höre  dieses  Wort  des  Mannes.). 

Schon  in  dem  Bisherigen  ist  gelegentlich  manches  Fehlen- 
de angemerkt  Morden.  Dessen  ist  aber  noch  weit  Mehreres. 
So  sollte  z.  E.  über  den  Accus,  cum  Inf.  als  Object  der  \erb. 
declarandi  u.  s.  w.  eine  kurze  Bemerkung  im  In  Cursus  nicht 
fehlen,  oder  doch  zeitig  auf  den  hiervon  handelnden  Abschnitt 
des  3n  Cursus  verwiesen  seyn,  da  ja  diese  Construction  schon 
bei  den  Bemerkungen  über  den  Artikel  S.  187  als  bekannt  vor- 
ausgesetzt werden  muss.  Dann  war  niclit  so  oft  uöthig,  in  den 
Noten  zu  sagen,  dass  nacli  dem  und  dem  Verb,  der  Acc.  c.  Inf. 
folgen  müsse. 

Eben  so  war  über  den  Unterschied  zwischen  ov  und  ^^ 
vorläufig  im  In  oder  2n  Curs.  Auskunft  zu  geben,  oder  doch 
zeitig  genug  auf  Abschu.  VI  im  3nCurs.  zu  verweisen.  Wie  kön- 
nen sonst  Aufgaben,  wie  S.  187:  „Gut  ist  nicht ^  Jemanden 
nicht  zu  beleidigen,  sondern  es  auch  ^^/cZ/i  zu  wollen ,"  über- 
setzt werden?  S.  3J)5  sollte  mit  stehen,  dass  öia  (nicht  blos 
mit  Accus.,  sondern)  auch  mit  Acc.  und  Infin.  verbunden  werde, 
schon  um  nr.  4  begreiflicher  zu  machen,  und  weil  ja  schon  S. 
301)  nr.  8  ein  Beispiel  von  diesem  Sprachgebrauche  vorkommt. 
S.  215  war  noch  beizufügen,  dass  vian  auch  durch  Ttg,  beson- 


Rost  u.  Wüstemann :  Anleit.  z.  Ucbera.  a.  d.  Deutsch,  in  d.  Grlccli.  155 

ders  in  Conditional- Sätzen,  aiis/^edrückt  wird.  Ueber  die 
Adj.  verbalia  auf  rog  und  rsog  solJte,  am  gehörigen  Orte,  Aus- 
kunft gegeben  seyn.  Dann  waren  solche  Erläuterungen  in  den 
Noten,  uie  S.  218  nr.  6,  S.  225  nr.  1 ,  S.  339  nr.  8,  S.  354  nr. 
25,  S.  380  nr.  16  („das  Leben  verdient  diesen  Namen  nicht, 
(xßicitog  föTt'*") ,  w eiche  oline  diess  vom  Anfänger  nicht  begrif- 
fen werden,  meistens  unnöthig  ,  und  es  konnte  in  vorkommen- 
den Fällen  blos  auf  die  einmal  gegebene  Auskunft  verwie- 
sen werden.  S.  284  sollte  auch  der  Gebrauch  des  Dativs,  da 
er  als  Abi.  des  Verhältnisses  (der  Proportion)  gesetzt  wird, 
(oöcj — TOöovTCp)  bemerkt  seyn,  wovon  S. 200  nr.  Ü  eiiiBeispiel 
vorkommt.  S.  286  sollte  neben  di]^o6ia  —  wobei  auch  die  Be- 
deutung auf  öffe?itl.  Kosten  mit  anzumerken  war  —  auch  iÖia. 
als  Gegentheil,  tavtr]  als  Synonym  von  adt,  desgleichen 
7C£^ij  «.  a.  mit  in  der  Regel  aufgeführt  (und  nicht  erst  gelegent- 
lich in  den  Noten  angegeben),  auch  die  dabei  gewöhnlich  an- 
genommene Ellipse  nicht  übergangen  seyn.  S.  187  ist  der  Ge- 
brauch des  Artikels  mit  dem  Inf.  blos  auf  unpersönliche  Sätze 
beschränkt,  da  doch  in  den  Aufgaben  auch  dcä  mit  dem  Inf. 
und  vorgesetztem  Artikel ,  z.  E.  S.  301)  nr.  8 ,  und  andere  Ver- 
bindungen mit  dem  Inf.  vorkommen.  Die  Bemerkung  S.  180, 
dass  Adverbial -Ausdrücke  durch  beigefügten  Artikel  zu  Adje- 
ctiven  werden,  ist  zu  allgemein  ausgedrückt.  Denn  oft  steht  ja 
tondkaL  und  ähnl.  blos  in  Adverbial -Bedeutung.  S.  317,  wo 
vom  Genit.  der  Zeit  die  Rede  ist,  war  eine  Ilinweisung  auf  S. 
287  (vom  Dativ  des  Zeitpunctes)  nöthig,  um  Verwechselungen 
vorzubeugen.  S.  321  wird  gesagt:  „Die  deutschen  Ausdrücke 
Sache  ^  Pflicht  und  andere  dürfen  im  Griech.  nicht  übersetzt 
werden,  sondern  üvai  muss  allein  stehen  mit  dem  Genit.'''  Be- 
kanntlich steht  ja  aber  öfter  tgyov  dabei,  wie  Xenoph.  Memorr. 
S.  I,  4,  4;  III,  3,  3.  Ebendas.  war  beizufügen,  dass  in  dem 
angegebenen  Falle  der  Genit.  eines  Subst.  eben  so  wol  von  con- 
creten  als  von  abstracten  Begriifen  bei  slvat  zu  stehen  pflegt. 
In  den  Aufgaben  über  diese  Regel  sollten,  statt  der  immer 
wiederkehrenden  Wendung:  Ji!s  ist  die  Sache  eines  u.  s.  w»., 
Ks  ist  die  Eigenschaft  eines  u.  s.  w. ,  auch  andere,  dem  deut- 
schen Sprachgebrauch  angemessenere,  gebraucht  seyn,  wie: 
Es  gehört  zur  Männlichkeit  u.  s.  w. ,  Einem  freien  Mmme  ge- 
ziernt  es  u.  s.  w. 

Auch  die  den  Aufgaben  untergelegten  Bemerkungen,  die 
den  Anfänger  leiten  sollen,  sind  oft  mangelhaft  und  zeugen  über- 
haupt von  Mangel  an  planmässigem  Verfahren.  S.  13,  dass 
die  Geschichte  —  von  jedem  stolzen  Menschen  gelte ^  ist  nicht 
angegeben,  dass  von  durch  tccQl  zu  übersetzen  sei.  S.  297, 
Alles  fange  mit  Gott  «7^,  ist  vergessen,  anzugeben,  wie  das 
mit  ausgedrückt  werde.  S.  308  nr.  36  war  es  nicht  nöthig,  an- 
zugeben ,  dass  Nutzen  von  einem  haben  heise  dstolav^LV  rivög. 


156  Griechlache  Littcratur. 

cla  es  schon  in  der  Reg^el  S.  305  mit  angeführt  ist.  S.  293  fehlt 
bei  so  viel  als  möglich  die  Angabe  des  griechischen  Ausdrucks. 
S.  2J)6  ist  nicht  klar,  wie  %0iv6g  durch  zufällig  Vlbersetzt  wer- 
den konnte.  Warum  nicht:  etwas  gemeinsames^:  Weswegen  ist 
doch  S.  2{)7  nr.  8  TtSQLyiyveöd-cci  und  nr.lO,  so  wie  S.  2J)H  nr.5, 
y.QaTHV  hingesetzt,  da  beide  Verba  schon  in  der  Regel  mit  vor- 
kommen? S.  298  ist  angegeben,  dass  öffeTiilich  durch  bk  tou 
<]P«i'£^oü  iibersetzt  werden  soll;  aber  erst  S.  375  ist  diese  Re- 
densart erläutert,  welche  aber,  so  wie  die  parallele  Ik  toij^  i^- 
q)(xvovg,  gleich  mit  in  die  Regel  zu  bringen  war,  MJe  auch  S. 
374  e^aQTcJv  sx  Tivog.  S.  180  ist  zur  Erläuterung  der  Worte 
sei  so  —  wie  in  den  Noten  gesagt:  „von  solcher  Beschalfenheit, 

—  von  welcher  Beschaifenheit."  Warum  ist  niclit  vielmehr  das 
veraltete  solcherlei  und  welcherlei  gebraucht,  welches  sich  dem 
rOLOVTog  und  oiog  weit  mehr  nähert 7  S.  133  bei  nr.  H  ist  eine 
friiherc  Bemerkung  unrichtig  nachgewiesen.  S.  220  sollte  be- 
merkt seyn,  w Ig  Schätze  zu  iibersetzen  sei.  S.  223  sollte  bei 
den  Worten  in  solchen  Beschäftigungen^  in  welchen  an  die  Cor- 
relata  erinnert  seyn.     S.  257:  Die  Athener  glaubten^  dass  sie 

—  geboren  ivären.  Hier  war  zu  bemerken ,  dass  und  warum 
sie  im  Griechischen  nicht  mit  ausgedrVickt  werde.  So  auch 
ebendas.  bei  den  Worten:  welcher  erklärte^  er  hönne  u.  s.  av., 
wo  auch  für  erJclären  kein  griech.  Verb,  angegeben  ist.  S.  2f>2 
war  in  dem  Satze:  Ich  bekomme  Einkünfte  von  den  Lündereien^ 
ein  Wink  über  das  von  nötliig.  Planmässig  ist  es  gewiss  nicht, 
dass  iQijG^ca  S.  2(58  in  der  Bedeutung  umgehen  und  erst  S. 
27Ö  in  seiner  gewöhnlichen  Bedeutung  vorkommt.  S.  3'»J4  war 
ein  Wink  darüber  nöthig,  wie  21m  keinen  Preis  verkaufen  so 
viel  seyn  soll,  als  7iicht  für  Alles.  Auch  S.  335  wäre  wol  ein 
Wink  darüber,  wie  zu  übersetzen  sei  dann  ist  jede  Reue  zu  spät., 
dem  Anfänger  erwünscht.  S.  338:  Er  nahm  ihn  und  führte 
ihn  zu  den  Gerstengraupeii.,  um  einen  Obolos  (wird  verkauft) 
u.  s.  w.  ist  unverständlich  ohne  den  Zusatz:  imd  sagte.  S.  338 
ist  nicht  angegeben,  >vie  zu  übersetzen  sei:  inuss  suchen  sich 
die  Kenntniss  zu  verschaf)'en.  Ebondas.  war  bei  dnaiQBLV  ^hx 
Wink  über  die  intransitiv  gebrauchten  Verba  der  Bewegung  nö- 
thig. Die  S.  349  nr.  13  stehende  Redensart  TtQÖvoiciV  xi\rz6%^av 
sollte  schon  S.  348  nach  nr.  13  stehen.  S.  357  sollte  bei  den 
Worten  trachte  auch  nicht  in  den  Noten  ft?;öe  angegeben  seyn. 
S.  359  bei  A^n  Worten:  von  welchem  sie  sehen.,  dass  er  u.  s.  w., 
war  die  Regel  vom  Relativ  mit  dem  Particip.  in  gleichem  Casus 
naclizu weisen.  S.  310  nr.  15  >var  bei  iva  anzumeiiten,  dass  es 
als  Local- Adverbium  den  Indicativ  bei  sich  habe,  so  wie  nr. 
19  bei  vTCtji  dass  es  in  dem  angegebenen  Falle  den  Conj.  mit  äv 
erfordere.  Ebendas.  war  nach  nr.  23  bei  den  Worten  in  dem 
(nemlich  Theile)  auf  ivrav^a  nr.  1  zu  verweisen.  S.  318  war 
über  das  absolut  stehende  Öiov  eine  Erläuterung  nöthig.    S.324 


Host  u.  Wüstemana :  Anlcit.  z.  Ucbers.  a.  d.  Deutsch,  in  d.  Grlcch.  157 

bei  nr.  1  war  auf  S.  323  nr.  3  zurückzuweisen.  S.  S2J)  Iieist 
es:  „Die  Ausdriicke  erfaliren^  kundig ^  geschieht^  fül^iti  mid 
alle  Adjective,  welclie  eine  Fäliijjkeit,  Geschicklichkeit  — 
ausdrücken."  Hier  i;*t  das  erste  uiiinUz,  da  ja  hlos  Adjectiva 
hieher  g^eluircn.  üebrigens  ist  liier  nicht  einmal  i^nsLQog  ge- 
nannt, und  in  den  Noten  steht  es  erst  nr,  20  lür  beuHiiidert^  da 
es  doch  schon  zum  Uebersetzen  mehrerer  vorherjjehenden  Bei- 
spiele nöthig  war.  Auch  iTCLötr'j^ucov  ist  später  (S.  330  nr.  24) 
ermähnt,  als  es  der  Uebersetzende  nöthig  hat.  Was  S.  77  nr. 
15  von  BLTCE  steht,  passt  viel  mehr  auf  t(p7].  S.  7ö:  welchen  nichts 
tmderes  übrig  ist.  Dabei  sollte  ^rjÖev  angegeben  seyn.  Ue- 
berliaupt  über  ov  und  ^j)  werden  in  den  Noten  fast 
überall  die  erforderlichen  Winke  verraisst.  Vom  Deutschen 
zu  seiir  abweichenden  griechischen  Ausdriicken  sollte  eine  kurze 
Erläuterung  beigegeben  seyn;  z.  FJ.  S.120  nr.  28  dem^gAAEtv,  in 
wiefern  es  in  der  Bedeutung  wollen  stehen  könne;  S.  121  nr.Sl, 
wie  für  das  Deutsche  mit  dem  Preise  der  Tapferheit  beehrt  K^toü 
anzuwenden  sei  (wclclies  dem  Anfänger  verständlicher  wäre, 
wenn  es  im  Deuischen  hiese:  des  Preises  gewürdigt);  S.  123, 
wie  fiLöQ^ovv  Iieisen  könne  einen  vermögen^  etwas  zu  malen; 
S.  ]8v>  nr.  22,  wie  seijn  durch  ii^iv  auszudrücken  sei  und  wie, 
nach  nr.  24,  25,  die  Adjectiva  mild  nnd  freundlich  durch  Ad- 
verbia  wiederzugeben,  wo  doch  gewiss  das  Verstehen  erleich- 
tert wurde ,  wenn  der  Verf.  ein  für  allemal  an  dieser  Stelle  die 
Redensart  b%HV  cum  Adverb,  erläuterte  und  in  der  Folge  alle- 
zeit wieder  auf  diese  Note  verwies.  Bei  solchen  mehr  vom 
Deutschen  abweichenden  Ausdrücken  hätte  der  Verf. ,  um  dem 
blinden  31echanismus  des  Ausarbeitenden  vorzubeugen,  die  ei- 
gentliche Bedeutung  mit  angeben  sollen ,  z.  E.  S.  G  war  deut- 
lich zu  machen,  Mie  ikaßov  ayQCiV  7ioXkt]v  lieisen  könne:  Sie 
machten  einen  guten  Fang.  S.  20  nr.  39  sollte,  zum  Vortheil 
des  Anfängers,  vielmelir  das  dem  Griechischen  oijöelg  av  unot, 
QCcdLCjg  wörtlich  Entsprechende  im  Text  und  das  bessere  Deutsch 
kann  ynan  nicht  einmal  nennen  in  Parenthese  stehen.  Zuwei- 
len hat  der  Verf.,  um  die  richtige  Stellung  der  Griech.  Wörter 
zu  veranlassen,  eine  undeutsche  Wortstellung  gewählt.  So 
lieist  es  S.  321:  .„Die  Aegyytier .^  welche — gehören,  diese 
alle  enthalten  sich  u.  s.  w.^'  S.  283:  „üass  die  meisten  sich 
nicht  freuen  weder  an  den  Speisen"  statt,  sich  tveder  über  die 
Sp.  freuen.  So  ist  auch  S.  200  („nachdem  sie  denselben  ge- 
schmückt hatte  mit  dem,  was  sie  hatte''),  S.  271  („Es  kömmt 
dir  zu  (darnach)  zu  streben ,  dass  du  ähnlich  werdest  den  be- 
sten Menschen,"  und  „Glaube,  dass  dir  vorzüglich  angemessen 
sind  Schaam,  Gerechtigkeit,  Besonnenheit")  und  an  andern 
Stellen  das  Regierte  dem  Regierenden  nachgestellt.  Der  Verf. 
bleibt  sich  insofern  nicht  gleich,  dass  er  im  Texte  bald  das 
Participium  gebraucht  (wie  S.  172  oben,  S.  175  im  letzten  Bei- 


158  Griechische  Litteratur. 

spiele),  wodurch  zuweilen  die  Wendung  schwerfällig  wird, 
bald  aber  statt  dessen  einen  Uelativ-Satz  wählt  und  in  der  Note 
einen  Wink  iiber  den  Gebranch  des  Particips  giebt.  Mangel  an 
planmässigem  Verfahren  zeigt  sich  ancli  darin,  dass  nianclie  He- 
gel scljon  viel  friilier,  als  sie  angeführt  ist,  durch  Beispiele 
geübt  wird.  So  ist  erst  S.  224  angemerkt,  dass  die  Copula 
HVUL  häufig  V.  eggelassen  wird,  und  schon  S.  212  sind  viele  Bei- 
spiele dieser  Art  gegeben.  So  kommt  sclion  unter  den  Uebun- 
gen  über  die  erste  Declination  ein  Beispiel  von  Adjectiven  zweier 
Endungen  vor,  nenil.  avEog.  Eben  so  ist  erst  S.  211  von  der 
Bildung  des  einfachen  Satzes  die  Rede,  da  doch  bereits  von 
der  ersten  Seite  au  die  Bekanntschaft  damit  und  überhaupt  mit 
den  ersten  Anfangsgründen  der  allgemeinen  Sprachlehre  unent- 
behrlich ist.  Dergleichen  vötsqov  tcqÖteqov  kommt  öfters  vor. 
Besonders  gilt  diess  auch  von  der  Lehre  von  den  Casibus  ohli- 
quis.  In  der  Vorrede  zur  2ten  Aullage  S.  XI  sagt  der  Verfas- 
ser, dass  bei  spätem  Abschnitten  Ausdrücke,  die  schon  früher 
angegeben  waren ,  als  bekannt  vorausgesetzt  worden.  Diess  ist 
jedoch  bei  Weitem  nicht  iiberall  mit  der  erforderlichen  Conse- 
quenz  geschehen.  So  steht  S.  9  nr.  12  6  diddöxaXog  ^  das  doch 
schon  S.8  nr.21  angegeben  war;  so  S.  13  nr.  -lO  bei  vo^i^e  die- 
selbe Andeutung  des  zu  setzenden  Acc.  cum  Inf.,  die  sich 
schon  S.  10  nr.  14  bei  f'qpjy  findet.  So  ist  S.  25  nr.  7  bemerkt, 
dass  XQaTHV  mit  Gen.  stehe,  was  doch  bereits  S.  9  nr.  30  an- 
gemerkt ist.  S.  (J3  bei  nr.  1  steht  ysQULog^  welches  doch  schon 
S.  62  nr.  2  steht.  S,  333  nr.  15  ist  [itjÖLö^iog  angegeben,  ob 
es  gleich  schon  S.  331  nr.  1  angegeben  ist.  Das  Sicherste  war 
wol,  solche  öfter  vorkommende  Wörter  und  Ausdrücke  in  ein 
alphabetisches  Register  zu  bringen. 

Sehr  beschränkt  ist  die  Brauchbarkeit  des  Buches  auch 
dadurch,  dass  nur  sehr  selten  in  einer  Reihe  von  Beispielen 
die  Uebung  7neh?'erer  Regeln  zugleich  beabsichtigt  worden  ist, 
wodurch  doch  der  Anfänger  am  Sichersten  grammatisch  richtig 
schreiben  lernt,  da  hingegen  nichts  leichter  ist,  als  die  Regel 
zu  treffen,  wenn  eine  Menge  von  Beispielen  immer  gerade  nur 
über  diese  einzige  Regel  aufgegeben  ist.  Solche  gemischte  Bei- 
spiele finden  sich  S.  218  IT.,  362  ff.  (über  alle  vorher  einzeln  auf- 
gestellte Regeln  vom  Gebrauche  des  Genit.).  Aber  fast  bei  al- 
len übrigen  Partieen  des  Werkes  fehlen  dergleichen,  auch  da, 
wo  sie,  zur  Unterscheidung  verwandter  Fälle,  als  sehr  gute 
Uebung  des  Scharfsinns  hätten  dienen  können,  z.  E.  über  den 
sogenannten  Accus,  absolutus  in  folgenden  drei  Arten  zu  reden: 
(S.  246  —  251)  Er  ist  krank  am  Körper;  er  ist  ein  trefflicher 
Redner ;  es  ist  ein  Weib  von  herrlicher  Gestalt. 

Der  Verf.  scheint  (S.  VII  der  Vorr.  zur  ersten  Auflage) 
einen  Werth  darauf  zu  legen,  dass  jedes  einzelne  Beispiel  einen 
für  sich  bestehenden  Sinn  enthält.    Einige  indessen  sind  für 


Rost u.  Wüstemann:  Anleit. z.Uebers.  a.d. Deutsch. In  d.  Griech.   159 

kleine  (zusammeiihäng'eiKle)  Aufsätze  zu  acliten,  wie  S.  122, 
171,  175,  21(51?.,  222,  245,  247,  255,  251»,  284,  308, 
333,  335  fg.,  343,  344  fg,  349,  .*?56fg.,  3(i4  fg  ,  306  fg., 
376,  und  es  konnten  deren  leicJit  noch  mehrere  gewonnen  wer- 
den durch  Vereinigung  mancher  znsammengehörender  IVotizen, 
z.  E.  S,  300  und  301  der  heiden  über  Alexander,  ferner  des 
vorletzten  Beispiels  S.  345  und  des  ersten  S.  344;  eben  so  des 
ersten  Beispiels  S.  344,  H  und  des  letzten  S.  345.  Eine  ge- 
wisse Sachordnung  in  den  Beispielen  unter  jedem  §  würde  auch 
wesentlich  zur  Erleicliterung  des  Uebersetzens  gedient  haben. 

In  den  Beispielen  kommen  sehr  viele  seltene  Namen  vor, 
welclie  zwar  in  den  Stellen  der  Classiker,  voraus  die  Beispiele 
entlehnt  sind  ,  meistens  durch  den  Zusammenhang,  in  welchem 
sie  dort  vorkommen,  näher  bestimmt  werden,  über  welche  aber 
in  dem  gegenwärtigen  Uebungsbuche  für  den,  gewöhnlich  ge- 
schichtsunkundigen,  Anfänger  einigeAuskunft  unentbehrlich  war. 
Eine  solche  wird  bei  den  Namen  Tolmidas  S.  73,  Bagoas  S.  74, 
Thrasyllos  S.  191,  Abradatas  S.  20(5,  Parysatis  S.  239,  Athe- 
nodoros  S.  2fi3,  Gelon  S.  279,  Klearchos  S.  282,  Polemon  S. 
284,  Poliagros  S,  305,  Epaphos  S.  321,  Tomyris  S.  325,  Oroi- 
tes  S.  378,  und  wol  noch  bei  vielen  andern  vermisst.  Diess 
gilt  aucli  von  Ortsnamen,  denen  jedoch  zuweilen  eine  nähere 
Bezeichnung  beigefügt  ist,  wie  S.  271:  der  Olijmpos,  ein  Berg 
in  Lykien. 

Zu  bedauern  ist  es  übrigens,  dass,  besonders  im  ersten 
Cursus  ,  zu  wenig  Gelegenheit  gegeben  ist,  die  Declination  der 
Orts-  und  Personen-Namen  zu  üben  (oder  dass  solche  doch  mei- 
stens nur  im  Nominativ  vorkonnuen) ,  deren  Declination  zn  ken- 
nen doch  selbst  zum  Behuf  des  Lateinischen  dringendes  Bedürf- 
niss  ist.  Eine  sehr  passende  Aufgabe  dieser  Art ,  welche  im 
2n  Curs.  S.308  steht  {^Odysseus  hatte  —  vom  Athenodoros  Nuz- 
zen^,  gehörte  ganz  eigentlich,  auch  wegen  ihrer  grossen  Leich- 
tigkeit, der  Länge  ungeachtet,  in  den  ersten  Cursus,  in  wel- 
chem ja  vorzüglich  die  Uebung  der  Formen  beabsichtigt  wird. 
Bei  der  ersten  Declination  vermisst  man  Beispiele  zur  Anwen- 
dung des  Dualis;  der  Vocativ  ist  nur  in  zwei  Beispielen  und  der 
Dat.  plur.  zu  wenig  berücksichtigt.  Bei  der  zweiten  Declina- 
tion hat  der  Verf.  nur  zwei  Beispiele  vom  Dualis ,  und  vom 
Genit.  plur.  keines.  Es  fehlen  ferner  Beispiele  über  die  Duale 
derPronom.  personall.  u.  a.,  über  das  Pronora,  reflex.  a^Xijkav, 
über  6  avtog  und  dessen  Construction,  über  die  Pronomm.  und 
Particulas  correlat. ,  über  ovvog  mit  der  Paragoge  ,  über  die 
Zahl-Substantiva,  über  die  Numeralia  multiplicativa  u.  a.,  über 
die  Art,  wie  die  Distributiva  ausgedrückt  werden,  über  die 
Heteroklita,  über  die  Accentuation,  über  den  Apostroph,  über 
die  Präpositionen  (w  clclie  füglich  bei  den  Declinationen  mitge- 
nommen werden  konnten),  über  die  Adver bia  nach  ihren  ver- 


160  Griechische  Litteratur. 

»chiedenen  Arten.  (Wenn  hierüber  ein  besonderer  Abschnitt 
in  den  ersten  Cursus  eingesclialtct  worden  wäre,  so  liätte  der- 
selbe beim  2a  Ciirs.  S.  315  ig.  durch  Zurückweisung^  sehr 
nützlich  werden  können.)  ücber  die  unregelmässigen  und  man- 
gelhaften \erba  sind  zu  wenige  Aufgaben  gegeben. 

Hinsichtlich  des  Inhalts  ist  nicht  leicJit  an  den  Aufgaben 
etwas  zu  tadeln.  Sätze,  wie  S.  306,  Geniesset  die  Freuden 
der  Gegenwart .,  und  heiner  fürchte  der  Zukunft  xregen^  ent- 
halten freilich  für  die  „levis  juventas''  eine  bedenkliche  Auf- 
forderung. 

Manche  Beispiele  sind  undeutlich  ausgedrückt.  So  S.  5: 
„Suche  die  Rettung  mit  gutem  Rufe"  st.  sm-he  die  Wolfahrt 
durch  guten  Ruf ;  ebend.  „Er  ^/-«^^  ein  Soldatenkleid"  ;  S.53: 
„Mache  dich  nicht  allen  offenbar;"  S.  J25:  „Asklepios  heilte 
selbst  (als  Object'?  oder  als  Subject?)  tödtliche  Wunden"  (auf 
alle  Fälle  war  zu  .,selbst"  das  passende  griech.  Wort  zu  setzen); 
S.  190:  „Die  Trauer  wird,  wenn  du  sie  verschmähest,  dir 
nicht  ankommen,"  u.  s.  w.;  S.  200:  ,,Es  gicbt  keinen  kurzem 
Weg,  einsichtsvoll  zu  sclieinen  darin,  worin  man  wünscht"  (In 
Parenthese  sollte  dabei  stehen:  es  zu  scheinen.);  S.  210:  „Die 
Bestrebungen  der  Seele  sind  melir  des  Eifers  werth,  als  die 
des  Körpers  ;"  S.  265:  „Es  schmähete  jemand  den  K.  Agesilaos. 
Dieser  sagte:  Lass  nichts  aus ;'■'■  S.  267:  „Nähere  dich  von  den 
jedesmal  Gegenwärtigen  nur  den  Verständigen;"  S.  290:  „Sei 
massig  in  dem  Gebet  an  die  Gottheit;"  S.  319:  „damit  sie  nicht 
inehr  in  der  Hitze  als  mit  üeberlegung  —  fehlten."  (Deutlicher 
wäre :  nicht  vielmehr.) 

Auch  in  andern  Hinsichten  ist  der  Ausdruck  zuweilen  ver- 
fehlt. S.  187:  „Die  Ergänzung  zu  einem  unpersönlichen  Satze" 
st.  eines  unpers.  Satzes.  S.  199:  „Häufig  muss  der  relative 
Satz  dem  Hauptsatze  ro/Y/?// (voran)  gestellt  werden,  wenn  nem- 
lich  in  jenem  der  wichtigere  Begriff'  des  ganzen  Satzes  (st.  der 
ganzen  Periode)  enthalten  ist."  S.  213:  „scbmilzt  in  einem  (st. 
eine?/)  Verbal -Ausdruck  zusammen."  S  218:  „wo  das  Prädi- 
cat  im  Genus  abhängig  ist  vom  Subject"  st.  im  Genus  mit  ihm 
zusammenstimmt.  S.  219:  „Die  Bildung  nur  ist  —  allein  un- 
sterblich" (wo  entweder alleinoder 7iw/" überflüssigist). JEbendas. 
ist  „unrühmlich  und  wenig  ehrenvoll"  eine  Tautologie.  S.  220: 
„Dann  rauss  man  aufhören  zu  reden,  wenn  die  Dinge,  worüber 
jemand  reden  will ,  ein  Ende  genommen  haben."  Es  sollte  statt 
jemand  wieder  man  stehen  und  schon  S.215  Tig  für  diesen  Fall 
mit  erwähnt  seyn.  S.  222:  „Es  war  nicht  erlaubt,  dass  ein 
Jüngling  forsche'-'-  st.forschete.  S.  231  sollte  vor  weTin  aber  ein 
halbes  Kolon  statt  des  Komma  stehen.  S.  247  nr.  17  wer  ist 
st.  wer  schön  ist.  S.  258:  „welcher  zehen  Jahre  lang  aus  sei- 
nem Vaterlandesich  entfernte."  S.  284:  „ein  Unglück,  was'-'- 
st.  welches.     S.  300:  „Begräbniss,   was'-'-  st.  welches.     So  auch 


Römische  Litteratur.  161 

S.S68  zweimal  nach  einander:  „ein  Verhältniss,  was'-''  st.  wel- 
ches. S.  341  stellt  verwechselt.,  wo  vertauscht  stehen  sollte. 
Ebend. :  „Wer  möchte  die  Erde  mit  dem  Himmel  (st.  den  Him- 
viel  mit  der  Erde)  vertauschen?"  S.323:  scA/erA^e Begierden 
st.  böse.  S.  35()  oben  ist  entweder  auszustreiclien.  S.  357: 
„M  elcher  lieber  Scliätzc  der  Weisheit  besitzen  wollte  als  des 
Silbers  und  Goldes"  st.  lieber  Seh.  der  JF.  als  des  S.  und  G. 
besitzen  wollte.  S.  370:  „ror  vielen  Schätzen  —  vorziehen" 
st.  vielen  Seh.  a.llem.  S. 410  und  anderwärts:  „sich a7i  (st. über) 
etwas  freuen." 

Druck  und  Papier  ist  gut.  Setzfehler  finden  sich  nur  we- 
nige. S.252  u.  333  steht  Epameinondas  und  doch  sonst  über- 
all Epaminondas.  S.  3U>  nr.  20  ist  onö^iv  zu  setzen  st.  07io%iv. 
S.341  thun  st.  thuen.  S.  263  die  Feldherren  st.  Feldherrn.  Der 
Vf.  schreibt  überall  Nomineu  und  Pronominen.,  so  wie  Einern.^ 
(z.E.  S.287,  311,  313),  wo  es  doch  nicht  das  Zahlwort  ist. 

J.  D,  Schulze. 


Römische     Litteratur. 


1)  Taciius'  A gricola.  Urschrift,  Uebersetzung  [p.  1  —  93], 
Anmerkungen  [p.  9J)  —  446]  und  eine  Abhandlung  über  die  Kunst- 
form der  antiken  Biographie  [p.  XXXIII  —  LXXIV]  durch  Georg 
Ludwig  JT'^alcli.  Mit  Gorrtons  Situationskarte  von  den  Römer- 
strasscn ,  Lagerplätzen  und  andern  Ueberresten  der  Römerzeit  ia 
England  und  Südschottland.  Berlin,  bei  G.  C.  Nauck.  1828.  [Vor- 
rede—  p.  XXX. —  Ausserdem  Chronol.  Tabellen  über  Agric.  Leben 
p.  447  —  452.  Register  über  die  Anm.  p,  453  —  472.]  gr.8.  geh. 
3  Thlr. 

2)  Taciti  vita  Julii  Agricolae.  Ad  libros  scriptos  et  editos 
recognovit,  emendationibus  et  critica  nutatione  fontes  lectionis 
indicante  instruxit  G.  Zy. /'/^«/cA.  Berlin,  Kauck.  1827.  VIu.  56S. 
gr.  8.  4  Gr.  [Textabdruck  der  vorigen  Ausgabe  mit  Auswahl  der 
vorzüglicheren  Varianten.] 

"er  Zweck  und  Plan,  so  wie  theilweise  die  Ausführung  vor- 
liegender Arbeit  haben  dem  llec.  viel  Freude  gemacht.  Jener 
war  "^junge  Freunde  der  Rritik  zu  vollständiger  Selbstbelehruiig 
anzuleiten';  diese,  den  Ausdruck  'Kritik'  in  höherer  Bedeutung 
fassend,  und  Wort-  und  Sacherklärung,  so  wie  das  aus  ihuen 

Jahrb. f. Phil. u.  Pädaaog.  JahTg.in.  Heft  6.  11 


162  Römische  Litteratur. 

hervorgehende  Verst'andniss  des  Ganzen  nur  als  Ilülfsmittel  für 
jene  gebraiicliend,  versucht  als  letztes  Resultat  der  Bearbeitung 
ein  kVinstlerisches,  auf  wissenschaftliche  Priucipien  gegründe- 
tes Urtheil  über  Agricola  als  biographisches  Kunstwerk  aufzu- 
stellen. Daher  zerfällt  das  Werk  in  3  Theile.  1)  In  Anmerkun- 
gen, welche  alles  Einzelne,  was  irgend  der  Erklärung  bedarf, 
grammatisch,  antiquarisch,  historisch  und  anderweitig  erläu- 
tern; in  ihnen  werden,  jenes  anleitenden  Zwecks  wegen,  über- 
all vollständig  ausgeführte  Untersuchungen  der  fraglichen  Pun- 
kte, nicht  deren  kurzes  Resultat  gegeben.  2)  In  eineUebersez- 
zung,  um  das  in  den  Anmerkungen  gefundne  Verständniss  des 
Einzelnen  als  zusammenhängendes  Ganze  übersehbar  zu  machen 
und  zugleich  die  Kunstform  der  Biographie  möglichst  nachzuah- 
men, o)  In  eine  Abhandlung  über  die  Kunstform  der  antiken 
Biographie,  mit  Anwendung  auf  des  Tacitus  iVgricola,  dessen 
Grundidee  und  dramatische  Durcliführung.  Die  Trefflichkeit 
dieses  Plans  ist  so  in  die  Augen  springend,  dass  er  keiner  An- 
preissung  bedarf,  sondern  nur  den  lebhaften  Wunsch  erregt,  ihn 
von  tüchtigen  Männern  auch  auf  andere  Werke  des  Alterthums 
angewendet  zu  sehn.  Man  erkennt  in  ihm  gern  die  Nacheife- 
rung eines  Musters,  an  das  Hrn.  W.'s  Arbeit  auch  im  Einzelnen 
liäufig  erinnert,  indem  er  es  geflissentlich  im  Allgemeinen  wie 
im  Besondern  auszuprägen  sucht,  F.  A.  Wolfs,  und  dessen 
grossartige  Ansicht  des  Philologen  und  philologischen  Studiums. 
Dass  nun  aber  das  Ideal,  das  sich  Ilr,  W.  gestellt  hat,  nicht  ist 
erreicht  worden,  hat  theils  seinen  Grund  in  der  allgemeinen 
Unzulänglichkeit  menschlicher  Kraft ,  welche  selbst  die  gröss- 
ten  Geister,  wie  Wolf ,  zuweilen  beklagen  durften,  geschweige 
ungleich  geringere  Talente,  und  in  Rücksicht  auf  welche  man 
schon  des  redlichen  Strebens  Megen  gern  allen  Irrthum  verzei- 
hen möchte,-  theils  aber —  und  es  betrübt  uns  ernstlich,  diess 
aussprechen  zu  müssen  —  in  dem  absichtlich  gewählten,  der 
Wissenschaft  und  des  gebildeten  Mannes  keineswegs  würdigen 
Tone,  in  dem  fast  das  ganze  Bucli  gehalten  ist.  Denn  neben 
gerechter  Anei'kennung  derVerdienste  Andrer  auch  Mängel,  wenn 
es  nöthig  ist,  nicht  zu  verschweigen,  oder  auf  falschellichtungen 
Einzelner  wie  der  Wissenschaft  ernstlich  und  belehrend  auf- 
mei'ksäm  zu  machen,  odermoralischen  Krebs  scharf  wegzuschnei- 
den, ist  allerdings  wahre  Humanität  und  Pflicht  für  den,  wel- 
cher dazu  Beruf  iiat.  Aber  ein  aufgesteift  vornehmes  llerab- 
blicken  auf  die  Leistungen  der  Zeitgenossen  im  Aligemeinen  *), 


*)  Nur  wenige  Beispiele,  wie  sie  dem  Auge  entgegentreten.  Vor- 
rede p.  III:  60  möchte  man  fragen,  ob  sich  Fortschritte  7X'igen  oder 
Rüclisclirittc ,  welche  die  lateinisclie  Littcratm-  seit  längerer  Zeit  acht- 
baren Männern  zu  machen  scheint'.   So  urtheilte  zu  einer  gewissen  Zeit 


TacUus'  Ag^rlcola ,  heiausgeg.  von  Walch.  J 63 

die  nur  wenn  sie  Lehrweisheit  vernehmen  sollen,  preciös  jün- 
gere Freunde'  genannt  werden,  —  wie  wolil  der  Mann,  den 
Hr.  W.  auch  hierin  leider  nathr//«»/,  dergleichen  Lernbegierige, 
wenn  er  von  ihnen  sprach ,  junge  Meiischen  nannte ,  —  ein 
höchst  anmaassendes,  ja  wegwerfendes  Absprechen,  wo  irgend 
Andersdenkende  entgegen  treten  *),  und  eine  eingebildete  In- 
fallibilität  in  eignen  Lehrsätzen,  die,  wenn  nicht  durch  innere 
Wahrheit,  doch  durch  Superlative  Derblieit  alle  Gegenredenden 
niederschlagen  Avili  **):  das  ist  in  der  That  weder  derToii,  den  man 


Wolf,  nicht  mit  Unrecht.  Wer  wollte  aber  ungerecht  genug  sein, 
die  erfolgreichen  Versuclie  nidit  w eniger  melir  oder  minder  ausgezeich- 
neter 3Iiinner  in  der  lateinischen  Litteratur  seit  jener  Zeit,  deren  Na- 
men sogleich  jedem  einfallen,  und  unter  denen  Hr.  Walch  selbst  steht, 
nicht  anzuerkennen?  p.XVII:  so  ist  wohl  klar,  auf  solclie  Art  nur  dem 
Inhalt  nach  ein  Kleines  zu  leisten,  sei  nicht  der  Fähigkeit  von  Vielen 
angemessen,  oloi  vvv  av&QConoi  bIgi.  p.  XVIII :  Verlangteer  [derPhi- 
lolog,  oder  H.  W.]  auch  die  Form  von  Bemerkungen  dem  Text  nicht 
unähnlich  an  Gestalt,  stellte  er  Lessings  Ansiclit  auf,  die  Bemer- 
kung, einem  Epigramm  gleich,  solle  ihre  Spitze  haben,  Scharfsinn, 
Witz,  Geist,  in  harmonischem  Spiel,  solle  Verstand  und  Phantasie 
gleichmässig  beschäftigen;  so  mochte  wohl,  bei  feister  Unzulänglichkeit, 
bang  werden,  und  behaglicher  dünken,  in  die  scheinbare  Regelmässig- 
keit eines  wissenschaftlichen  Buchs  sich  zurückzuziehen,     etc.  etc. 

*)  Wir  machen  nur  auf  die  Ausfälle  gegeu  H.  v.  Weltmann 
aufmerksam;  anderer,  z.  B.  eines  Rec.  der  J.  L.  Z.  und  Heindorfs 
nicht  zu  gedenken.  Hieher  rechnen  Avir  auch  die  Namenlosigkeit  der 
Angefochtenen.  Hr.  W.  will  zwar  aus  Schonung  diese  Maassregel  befolgt 
haben.  Wir  müssen  aber  behaupten,  dass  diess  der  Grund  des  Verfah- 
rens ntcÄt  sei.  Wer  mild  und  bescheiden  sein  will,  fasst  sein  Buch  an- 
ders ab ;  und  ist  denn  andrer  Meinung  sein  etwas  so  beleidigendes,  dass 
man  den  schonen  muss ,  von  dein  man  in  Ansichten  abweicht?  Sehr 
schlimm,  wenn  Jemand  die  Wahrheit  mit  seiner  Persönlichkeit  ver- 
wechselt! 

**)  Siehe  p.  159  Not.  1  über  modo  raiionis.  Unwillkührlich  erin- 
nert man  sich  bei  solchen  hochmüthigen  Worten  jener  Verse:  Mistres&l 
dismiss  that  rabble  fromyour  throne:  Avavnt — is  Aristarchus yet  unknown? 
p.  183.  Fama  wird  als  Nominativ  vertheidigt:  woraus  man  nun  einen 
Ablativ  machen  \\\\\ ;  unde  et  (facies)  in  Universum  fama  est  transgressa 
—  leider  nur  Unlatein  ,  {fima.  formavit  terrara :  [den  Beweis  hätten  wir 
zu  hören  gewünscht]  folglich  auch  facies  partis  Br.  per  f am  am  in  uni- 
vcrsam  Br.  transgressa  est  .  Wie  gern  nähmen  wir  auch  hier  Beleh- 
rung an!  Sowohl  über  den  Scbluss,  als  über  das  Unlatein.  vergl.  p.  187 
u.  188.  —  p.  194;  atque  ex  eo  argumenta.  "^Gewöhnlich  colligas.  Wer 
dergleichen  Ellipsen  als  besondere  Sprachkühnbeiten  von  T.  ansieht, 

11* 


164  Uömiache  Litteratur. 

'jungem  Freunden'  einlehreii  soll,  noch  durch  den  man  viel- 
leiclit  Irrende  am  sichersten  für  bessere  Einsicht  empfänglich 
macht,  nocli  welcher  überhaupt  dem  anstellt,  dem  das  Ideal 
der  Wissenschaft  vorschwebt  oder  der  auf  wahrhafte  Bildung 
und  Humanität  selbst  Anspruch  macht.  Sollte  nun  wirklich  ein- 
zelnen jener  Aensserungen  u.  Wendungen  die  gute  Absicht  zum 
Grunde  liegen.,  Trägheit,  Seichtigkeit  und  andre  Gebrechen 
in  ihrer  Blosse  darzustellen  und  zu  strafen,  wie  uns  ein  Zitat 
Lessings  p.  Xlil  *)  schliesseu  lässt,  so  müssen  wir  für  den  Fall 


verrätli  nur  oberflächliche  Bekanntschaft  mit  dem  lebendigen  Gesprächs- 
ton der  Römer.  Selbj^t  Cic.  ad  Atticum  bietet  überall  Beispiele  dar. 
Wozu  hier  dieser  verächtliche  Hinblick  auf  Andre?  Allerdings  ist 
hier  keine  Sprachkühnheit;  aber  eben  so  Avenig  durfte  die Eigcnthüra- 
licbkeit  dieser  Ausdrucksweise  mit   dem  lebendigen  Gespräcbstone   ( z. 

B.  in  den  einleitenden  Gesprächen  der  philosophischen  Bücher  Ciceros) 
oder  mit  dem  nachlässig  andeutenden  Epistolarstil  verwechselt  werden. 
Und  so  gleitet,  nach  dem  alten  Sprichwort,  Ilr.  W.  gewöhnlich  selbst 
aus,  wo  er  sich  recht  hoch  stellt.  —  Ibid.  "^Der  Unterschied  zwischen 
nam  und  namqiie ,  worüber  gangbare  Bücher  schweigen  sollen,  kein 
andrer ,    als    zwischen  enim  und   cienim ,    zw  ischen  yccQ  und   xat  yuQ. 

C.  H.  Frotscher  hatte  zu  Quinctilian  X  p.  216  den  Unterschied  fast 
mit  Hrn.  W.'s  Worten,  nur  bescheidner,  auseinandergesetzt.  Wir  fügen 
hinzu ,  dass  etenim  noch  schärfer  fortschreite ,  als  namque.  —  Warum 
mag  Hr.  W.  dieses  wichtige  namque  in  Cap.  21  Anfang  ganz  zu  übersez- 
zen  unterlassen  haben?  —  Wie  sehr  diese  Vornehmheit  Hrn.W.  zur  Ge- 
wohnheit geworden  sei,  erhellt  unter  andern  aus  Cap.  36:  simul  con- 
stantia,  simul  arte  Br.  ingentibus  gladiis  et  brevibus  cetris  missilia  nostro- 
rum  vitare  vel  excutere,    atque    ipsi  magnam  vim  telonim  siiperfundere. 

Gleichwohl  ist  nicht  jedem  Leser  sogleich  deutlich,  bei  so  grosser  Kürze, 
wie  T.  den  Kampf  der  Caledonier  sich  dachte.  —  Uns  will  kein  Aus- 
weg sich  zeigen,  als  folgender,  (wofür  die  Art  dieses  Kampfes  zu  spre- 
chen scheint,)  [wie  so??]  das  Abwehren  des  römischen  und  Abschleu- 
dern des  eignen  Geschosses  erfolgte  nicht  gleichzeitig ,  sondern  nach 
einander,  erst  von  den  llöraern  dann  von  den  Caledoniern  eine  —  Salve' 
Wie  übel  auf  andre  herabzusehn,  und  dann  auf  solche  Weise  nirgends 
aus  wissen  und  das  Einfache  zu  verfehlen!  Die  Caledonier  hatten  am 
linken  Arme  das  Schild,  darunter  in  der  linken  Hand  quer  das  Schwerdt, 
mit  beiden  schlugen  sie  die  röm.  Geschosse  w  eg.  Wenn  man  nicht  et- 
wa annehmen  will,  dass  die  Waffengattungen  hier  im  Beginn  des  Kam- 
pfes in  einer  Art  nQolrjiptg  genannt  werden ,  um  die  Feinde  lebhaft  vor 
die  Augen  zu  bringen,  ohne  dass  die  Abwehr  mit  den  Schwerdtern  so 
eigentlich  zu  nehmen  ist. 

')  Denn  das  Wahre  kann  nur  Eins  sein:  diesem  mit  aller  Kraft 
nachzustreben,  oder  dem,  was  als  höchstes  gelten  darf,  ist  würdiges 
Streben  des  Menschen :  ohne  Rücksicht  auf  Personen  ihm  nachzustreben 


Tacituä'  Agricola,  hcrausgcg.  von  Walch.  105 

das  Geständniss  ausspreclicii ,  dass  sich  Hr.  W.  nicht  als  den 
Mann  gezeiiit  hat,  von  dem  man  einen  solclien  Richtei'stulil 
möchte  besetzt  selin.  Denn  wer  Woli"s  scharfe  Rüge  gegen 
Meinnngsphilologie  *)  dahin  missverstclit,  als  di'irfe  man  schnö- 
de Niemand  gelten  lassen,  als  sich  selbst,  und  als  Avenn  jeder 
Fund  Gold  Averde,  wenn  man  nur  nicht  sage,  es  sei  vielleicIU 
Gold,  sondern,  es  sei  wahr  und  wahrhaftig  Gold,  und  wer  das 
läugne,  sei  —  wir  müssen  des  Hrn.  Verfassers  Wort  schon  nach- 
schreiben —  ein  Esel  **)  —  der  hat  Wolf  nicht  verstanden. 
Iliemit  soll  kcinesweges  gesagt  sein,  dass  dergleichen  Kraftaus- 
drücke und  Wendungen  bei  dem  Hrn  Verf.  die  Stelle  von  Grün- 
den verträten ;  vielmehr  bemüht  er  sich  überall  auf  das  Ernst- 
hafteste um  philologische  Beweisführung.  Aber  so  gewiss  der 
Humanist  sich  nur  nach  alle  den  mannigfaltigen  Reweisen,  die 
ihm  zu  Gebote  stehen ,  für  eine  Ansicht  oder  Erklärung  ent- 
scheiden soll ,  so  darf  er  darum  doch  nicht  die  Unmöglichkeit 
postuliren,  irren  zu  können.  Denn  es  folgt  ja  gar  nicht  aus  dem 
an  und  für  sich  richtigem  Grundsatze,  beweisen  zu  wollen,  dass 
man  den  Beweis  auch  überall  richtig  geführt  habe.     Wer  aber 


Ist  seine  Pflicht ,  selbst  auf  die  Gefahr,  wie  Les sing  bekennt,  für  un- 
gesittet und  bösartis;  gehalten  zn  werden.  Die  Stelle  ist  aus  Leasings 
antiquar.  Brieten  Br.  57. 

')  Wolfs  liter.  Analecten  Bd.  I  p.  18fi.  Zur  Erklär,  von  Horat. 
Serm.  1,4,  11. 

**)  Um  pag.  401  zu  Cap.  41  (cum  inertia  et  formidine  eoruni)  seiner 
eignen  Conjectur  reorum  Platz  zu  machen ,  spricht  Hr.  W. ,  naclidem 
er  die  Vermuthungen  euies  Ernesti  und  Grotius  abgewiesen  hat, 
also:  Will  man  zur  Kurzweil  noch,  um  so  flache  Verhesserungsvor- 
schlägerei  recht  lächerlich  zu  machen,  ein  prionnn,  ein  aiilicorurn, 
contemtorum ,  oder  kräftig  ein  asinorum  (Cic.  Phil.  2.  Quid  asinc  te  do- 
cea/n?)  verrauthen.' —  .So,  ohne  Nachsatz.  Vollständig  lieisst  aber  jene 
Stelle  hei  Cic.  Pison.  c.  30:  Quid  nunc  te,  asine,  literas  doceam?  i\on 
opus  est  vcrbis ,  scd  fustihus.  Vielleicht  ist  aber  diese  artige  Stelle  ein 
Witzwort  aus  Grundsatz,  nach  der  oben  aus  Los  sing  beigebrachten 
Stelle,  und  Avir  sehen  hier  Geist  und  Witz  in  harmonischem  Spiele. 
Die  Vergleichung  andrer  Witzworte  mag  uns  zurecht  helfen,  p.  X: 
Tieferes  Sprachstudium  sei  kein  Gegenstand  mehr  für  Universitäten, 
(der  arme  Stil,  fast  könnte  er  ein  Besenstiel  scheinen,  Menn  kein  Wis- 
sen ihm  zum  Grunde  liegt!)' — p.  XXXIII,  1)  Wer  wüsste  nicht,  wo- 
her der  römische  ßur^emeister  seine  Weisheit  schöpfte.  Wolf  nem- 
lich ,  der  diese  naive  Verdeutschung  ältrer  Uehersetzer ,  wie  Damms, 
noch  selbst  mit  Ergötzen  oft  mochte  auf  der  Schule  und  anderweitig 
gcliört  hahen,  erinnerte  sich  und  andre  wohl  mit  Vergnügen  an  jene 
Zeit ,  und  für  ihn  und  seine  Zeit  hatte  der  leichte  Scherz  seine  Bedeu- 
tung.   Nicht  minder  alt  und  aus  derselben  silva  ist  der  Besenstiel. 


166  Römische  Litteratur. 

nicht  bloss  diess  voraussetzt,  sondern  auch  jeden  verdammt  und 
verhöhnt,  der  anders  zusammenrcihet  und  schliesset,  und  nur 
ijiinier  nicht  begreifen  kann  (nicht  selten,  wie  es  scheint,  nur 
darum,  um  sich  selbst  recht  muthige  Sicherheit  einzureden), 
wie  man  seiner  Ansicht  nicht  augenblicklich  huldigen  könne; 
dem  felilt  es  an  jener  Unbefangenheit  des  Geistes,  die  zu  einem 
höchsten  Richteramte  unentbehrlich  ist.  Wer  ferner  jenen 
oben  angeführten  Grundsatz  Lessings  (S.164  N.*),  den  er  zur 
Rechtfertigung  des  Tons  aufstellte,  wodurch  er  einen  Klotz 
von  seinem  feilen  Ricliterstuhle  herabdonnern  musste,  auf  alle 
diejenigen  ausgedehnt  wissen  will,  die,  vielleiclit  bei  dem  besten 
Willen,  geirrt  haben,  auch  dem  darf  man  kein  Richteramt  an- 
vertraun.  Wolf  stellte  in  kühner  Genialität  oft  schrolF  genug 
Rügen  und  Verdammungsurtheile,  Regeln  und  Sprachansicliten 
auf,  wie  sie  ihm  scharfe  Intuition  einzelner  Missgritfe  und  Irr- 
thümer  oder  bemerkte  Spracheigenthümlichkeiten  in  aller  Keck- 
heit eingab.  Einsichtige  wissen,  wie  so  etwas  zu  nehmen  war; 
ein  grosser  Tlieil  al)er  ,  flügellose  Thierchen,  sammelte  treu- 
gläubig das  Irrlichtgold,  das  jener  grosse  Mann  im  Uebermu- 
the  umherstäuben  liess  ,  und  verbaute  es  fromm  zu  Brutzelleu 
ihrer  Abortivgedanken  und  Regelchen.  Dadurch  sind  unzählige 
Monstra  in  die  philologische  Welt  gesetzt  worden,  die  nocl)  immer 
mit  verwandtem  Antlitze  umgehn.  Aliein  dem  genialen  Manne 
sah  man  das  gern  nach,  ja  man  liebte  es  an  ilim,  und  bedauerte 
nur ,  dass  durch  jene  geistigen  Ueberscixwemmungen  auch  al- 
lerlei Gewürm  aus  dem  saamenreichen  Niedersatz  ausschliefen 
würde.  Anders  organisirten  Naturen  dagegen  steht  dieses  Ver- 
fahren weder  gut  noch  natürlich,  und  in  einem  Werke,  das 
'jüngere  Freunde'  für  Kritik  erziehen  soll,  ist  es  im  höchsten 
Grade  verderblich.  Wer  spielt  nicht  gern  den  Gewaltigen ! 
Wie  viele,  nach  ,1.  Pauls  Ausdruck,  halten  sich  nicht  für  Wall- 
fische, weil  sie  Fischbein  imSchnürleibe  fülireu!  So  wird  hier  an 
mehr  als  einer  Stelle  mit  geflissentlicher  Bitterkeit  der  soge- 
nannten "^  Kleinbesserer'  gedacht,  und  es  werden  unter  diesem 
Namen  diejenigen  verstanden,  die  es  bei  nothwendig  geworde- 
ner Conjectur  für  gerathen  halten,  sich  möglichst  nahe  an  das 
verderbte  Wort  anzuschliessen,  und  Iiierin  einen  Grund  für 
grössere  Wahrscheinlichkeit  der  angenommenen  Verbesserung 
zu  finden.  Diese,  zumal  gegen  frühere  ziemlich  weit  getrie- 
l)ene  Veränderuiigswuth  sehr  weisliclx  aufgestellte  Regel  wird 
nun,  wenn  eine  dagegenlaufende  Conjectur  soll  durchgefochten 
werden,  bespöttelt,  bemäkelt  und  verhöhnt  (z.  B.  p.  2!)3).  Was 
sollen  aber  die  '^jungen  Freunde'  die  '^ oloi  vvv  ävd'QOTtoC  H<ji\ 
die  so  schwer  einen  höhern  Genius  begreifen,  daraus  wohl  ent- 
uelimea?  Nichts  ist  so  bequem  als  lachen  und  junge  Leute 
lachen  zu  machen,  wenn  dadurch  einer  Bequemlichkeit  oder 
Zügellosigkeit  das  Wort  geredet  wird!     Warum  wird  nicht  mit 


Tacituai*  Agricüla,  hcraueigcg'.  von  Walcli.  107 

einfach  lehrendem  Worte  der  Misshrauch  dieser  Regel  und  das 
tadle  Bekleben  an  papierner  Auctorität  nachgewiesen  und  vor 
iJim  gewarnt?  Obwohl  alle  diese  Warnungen  unnütz  sind; 
denn  wer  Verstand  hat,  bedarf  ihrer  nicht,  die  Andern  aber 
verstehn  sie  nicht,  und  werden  dennoch  nicht  aufhören  zu 
schreiben.  Diese  wesentlichen  Ausstellungen  an  einem  vielfach 
trefflichen  Werke  haben  wir  aus  zwei  Gründen  hauptsäclilich 
geglaubt,  freimüthig  aussprechen  zu  müssen.  Erstlich  weil 
der  Ton  an  und  für  sich  jedem  Feinfühlenden  Unwillen  auf- 
dringt, und  den  Tadel  nothweudig  macht.  Dann  aber,  weil 
man  vor  einem  so  vornehm  w  egwerfenden  ,  alles  bemäkelnden, 
dünkelhaften  Ausdrucke  warnen  muss,  der  nur  gar  zu  leicht 
Eingang  findet  in  schwache  Gemüther,  besonders  wenn  er  an 
einem  3Ianne  haftet,  dem  es  nicht  an  Auctorität  in  der  Wissen- 
schaft fehlt,  und  an  einem  Werke,  das  durch  vielerlei  lo- 
benswerthe  Eigenschaften  besticht;  und  auch  diess  könnte 
hier  der  Fall  sein,  wo  gründlicher  Fleiss ,  so  wie  nicht 
selten  (nur  Jiicht,  wo  polemisirt  wird)  höclist  lichtvolle 
und  präcise  Darstellung  und  Erörterung  lateinisches  Sprach- 
gebrauchs neben  erstaunlicher  Zuversiclitlichkeit  zur  Nachah- 
mung einladen.  Hinzufügen  möchten  wir  noch,  dass  es  des 
Hrn.  Yerfs.  selbst  wegen  geschehen  sei.  Er  würde  nicht 
nur  methodisch  mehr  nützen ,  wenn  er  diess  für  Aiiii  Wackern 
störende,  für  den  Beschränkten  verführerische  Nebenwerk 
wegthäte,  sondern  auch  selbst  die  Wahrheit  seltner  verfeh- 
len. Denn,  wie  so  eben  angedeutet  wurde,  nirgends  strau- 
chelt er  öfter  und  verbaut  sich  den  unbefangenen  Bück  häu- 
figer und  handgreiflicher,  als  wo  er  andrer,  besonders  jetzt 
Lebender,  Meinung  wegräumen  zu  müssen  glaubt,  um  eigner 
Ansicht  Platz  zu  gewinnen.  Zwar  behauptet  die  Vorrede, 
nur  in  den  uothw endigsten  Fällen  abweichende  Meinungen 
berührt  zu  haben,  allein  man  stösst  doch  häufig  genug  (S, 
103  N.**)  auf  Abfertigungen ,  die  wohl  mehr  aus  Neigung  zu 
diesem  liebgewordenen  Geschäfte,  als  zur  Belehrung  des  Le- 
sers oder  wegen  Furcht  etwanniges  Rückfalls  in  verschollene 
Irrthümer  dastehn.  Möcht'  es  also  dem  Hrn.  Verf.  gefallen, 
bei  aller  Würdigkeit  des  Musters,  dem  er  nachstrebt,  den- 
noch nur  das  Nachahmungswürdige  desselben  zum  Vorbilde 
zu  nehmen ,  und  die  Verschiedenheit  der  Naturen  in  jenem 
Maujie  und  sich  beachtend ,  nur  sich  selbst  wiederzugeben, 
nicht  ein  verkrüppeltes  Schattenbild ,  das  weder  Jener  ist 
noch  Er  selbst.  Denn  nur  in  diesem  tadelswerthen  Streben, 
etwas  andres  aus  sich  zu  machen,  als  die  Natur  es  gewollt 
hat ,  finden  wir  den  Grund  für  die  zum  Theil  raissratJieue 
Form,  in  welcher  das  Buch  verfasst  ist.  Woher  kam'  es  wohl 
sonst,  dass  einige  Thelle  des  Werks  durcli  die  verständlicliste 
Klarheit  iu  Gedanken  und  Worten  den  Leser  anziehn,    wäh- 


168  Bömische    Litteratur. 

rend  andre  sich  so  müliseelig  durch  Redensarten  hindurch- 
winden, dass  man  mit  dem  Gefühle,  als  wade  man  in  tiefem 
Sande,  das  Ziel  zu  erreichen  aufgiebt?  Mindere  Klarheit 
der  Gedanken  scheint  es  wenigstens  niclit  immer  zu  sein; 
denn  man  findet  sie  meistens,  wenn  man  sicli  die  Miihe  nicht 
verdriessen  lässt,  vollständig  heraus.  Diese  Bemerkung  trifft 
besonders  Vorrede  und  Abhandlung.  Ein  Beispiel  aus  ei'ste- 
rer!  p.  XIV:  'Konnte  auf  einem  Gebiet  [dem  Agricola] ,  wo 
überall  erst  Grund  und  Boden  zu  suchen  war,  zu  jenem 
Zwecke  ebenfalls  nur  unpassend  erscheinen,  Resultate  auf- 
zustellen, wie  es  hinreichend  war  für  Gelehrte,  mit  einem 
Wort,  mussten  sie  vielmehr  aus  den  Untersuchungen  von 
selbst  sich  entwickeln,  damit,  nachdem  die  Sache  auf  die 
Spitze  gebracht  worden,  ein  Urtheil  über  all'  das  Gemeinte 
hervorginge,  und  willkührlicher  Ansicht  so  wenig  als  mög- 
lich Raum  bliebe;  so  liess  sicli  hoffen,  ohne  namentliche 
Anführung  und  direkte  Polemik  zum  Ziele  zu  gelangen. ' 
Letztere  enthält,  freilich  auf  grossem  Räume  und  unter  sehr 
vielem  Bekannten,  viel  Wahres  und  Schönes,  und  verdient 
das  Lob  angestrengter  Gründlichkeit;  —  würde  nur  nicht 
alles  in  so  gar  selbstgefälliger  Bespiegelting  vorgetragen!  — 
allein  ob  die  Darstellung  gerathen  sei,  beurtheile  der  Leser 
aus  einigen  Stellen  selbst.  Gleich  der  Anfang;  erst,  wie  ge- 
sucht pikant,  dann  wie  schwerfällig!  "^Ueber  Tacitus'  Agri- 
cola dürfte  nach  so  manniclifachen  Vorarbeitungen  von  Neuem 
zusprechen,  nicht  ganz  unnötliig  scheinen.  Wie  bei  Unter- 
suchungen dieser  Art  Viberhaupt,  wenn  verschiedene  Meinun- 
gen sich  durchkreuzen,  kann  die  Frage  nur  auf  die /f/ee  des 
Ganzen  gerichtet  sein,  oder  das,  was  dem  Künsitler  vorschwe- 
bend beim  Abfassen  der  Schrift,  den  Mittelpunkt  bildete, 
worauf  alles  Einzele  der  Darstellung  sich  hin  -  und  zurück- 
bezog. Wie  fern  diese  Idee  sich  nur  in  geistiger  Individua- 
lität bedingt  denken  lässt,  raüsste  eine  Entwickelung  dersel- 
ben, wenigstens  in  allgemeinen  Umrissen,  zur  Bcgründimg 
vorausgehen.  Da  indess  ein  so  individuell  gestalteter  Chara- 
cter  kaum  zweckmässig  an  einer,  in  Verhältniss  zu  den  grö- 
sseren Kunstproductionen  weniger  bedeutenden  Schrift  ent- 
wickelt Avürde,  so  rauss  die  Untersuchung  wagen,  jenes  be- 
seitigend, sich  durch  sich  selbst  zu  begründen.  Wie  fern 
die  Schrift  nemlicli  aus  Theilen  besteht,  die  (vielfach  ange- 
fochten) nur  dann  ein  Ganzes  bilden,  wenn  ein  durchgrei- 
fender Gedanke  als  Einheit  ihm  zum  Grunde  liegt,  so  ist 
wohl  klar,  wenn  eine  Ansicht  sich  fände,  die  in  nothwen- 
digem  Zusammenhange  alles  Einzele  verbände,  in  dieser  An- 
sicht sei  zugleich  die  Idee  des  Ganze7i  ausgesprochen:  '  ett. 
Dagegen  stelle  man  p.  XLIII  den  kurzen  Abriss  des  Lebena 
Agricolas.     Wie  leicht  reihen  sich  die  zweckmässig  gewählten 


Tacitus'  Ajjricola,   herausgcg.  von  Walcli.  169 

Fakta  in  klaren  Sätzen  an  einander!  Und  dasselbe  lässt  sich 
an  vielen  Anmerkungen  loben.  Minder  an  der  Uebersetzung. 
Sie  beginnt  mit  Eleganz  und  gefälliger  Anschliessnng  an  die 
Urschrift;  allein  weiterhin,  nachdem  der  Ilr.  Verf.  sich  pjiniges, 
dem  lateinischen  Genius  zu  Liebe,  erlaubt  hatte,  was  der 
deutsche  Sprachgebrauch  frei  genug  nennen  mnss,  erweitern 
sich  ihm  die  Grenzen  der  errungenen  Freiheit  in  dem  3Iaasse, 
dass  nmn  dem  kiihnen  Freibeuter  nicht  länger  folgen  mag.  Es 
ist  diess  eine  Klippe,  vor  welcher  der  Uebersetzer  sich  vorsich- 
tig bewahren  luuss.  Man  verliehrt  bei  stätcm  Kampfe  mit  der 
Unlugsamkeit  unserer  Sprache  in  manche  Eigenthiimlichkeit 
des  fremden  Idioms  gar  leicht  das  natiaiiclie  Gefiihl ,  in  dem 
die  Handhabung  der  Muttersprache  zum  grossen  Theil  wurzelt, 
und  mit  ibm  den  w  arnenden  Genius,  der  von  allem  Uebermaass 
abhält.  Wir  geben  einige  Proben.  Cap.  (i:  "^Das  Jahr  hierauf 
zwischen  Qnaestur  und  Volkstribnnat,  selbst  —  voju  T/ibi/nut^ 
ging  in  liuhe  und  Müsse  ihm  hin,  kundig  der  Zeiten  unter 
Nero,  wo  Thatiosigkeit  als  Weisheit  galt.'  Cap.  8:  'In  Kur- 
zem erhielt  Britannien  zum  Consular  Petilius  Cerealis.  Seiner 
Thatkraft  öffnete  sich  Bahn  zu  Beispielen.  Anfangs  zwar  theilte 
Cerealis  Miihen  und  Gefahren,  [hier  ist  wohl  nur  zufällig  er 
ausgefallen:  er  theilte  anfangs  des  Cerealis  etc.]  später  auch 
den  Rubra'.  Cap.  11:  '^Galliens  Nachbarn  verrathen  auch  Aehn- 
lichkeit.'  P/oxiini  Gallis  et  similes  sunt.  d.  i.  Die  Nachbarn 
der  Gallier  sind  ihnen  zugleich  ähnlich.  Cap.  12:  honeslior  au~ 
liga^  clieyites  pjopugnant.  "^Edelgeborne  die  Lenker;  SchVitz- 
liuge  vertheidigen.'  Giebt  einen  Gegensatz,  den  T.  nicht  hat, 
und  der  ihn  etwas  Unrichtiges  sagen  lässt.  Ibid.:  'Jetzt  werden 
von  Grossen  sie  in  Spaltungen  und  Parteien  getrennt,  und  sonst 
nichts  wider  so  gewaltige  Völker  ist  erspriesslicher  fiir  uns, 
als  dass'  etc.  Wie  hier  'von  Grossen'  mit  Auslassung  des  Ar- 
tikels gegen  den  Sprachgebrauch  gesetzt  ist ,  finden  wir  häufig 
%on  gebraucht,  oder  den  Artikel  fehlen.  z.B.  ibid.:  Asperitas 
frlgorum  abest.  'Schärfe  von  Frösten  mangelt.'  Wir  gebrau- 
chen überdem  den  Plural  nur  von  einzelnem  Frost  öfters  wie- 
derkehrend; Z.B.Nachtfröste.  Ibid. : 'Nächte — hell,  und  in 
Britanniens  äussersten  Theilen  so  kurz.'  Ibid.:  'Freilich  erhebt 
der  Erde  Grenze  und  Fläche  bei  niedrigem  Schatten  die  Fin- 
sterniss  nicht,  unter  Dunstkreis  und  Gestirnen  sinkt  die  Nacht.' 
Die  Form  Gestirwew  ist  wohl  nur  Druckfehler  :  hifraqiie  coehim 
et  sidera  nox  cadit.  Ibid. :  'Ich  möchte  lieber  glauben,  Perlen 
mangle  diese  Beschaffenheit.'  liier  ist  von  den  bestimmten 
Perlen  Britanniens  die  Rede,  und  die  Sprache  ertrüge  eher  ein 
'jenen  Perlen'.  Ueber  'diese  Beschaffenheit'  wird  später 
die  Rede  sein.  Ferner:  'Als  Trebcllius  durch  Flucht  und 
Schlupfwinkel  Wuth  des  Heeres  vermieden,  —  kein  öffentli- 
ches Geschäft  durch  Sklaven  oder  Freigelassene:    niclit  nach 


170  Röiuiäcbe    Litteratur. 

Privatwünschen  oder  Empfehlung  und  Bitten  von  Centurionen 
—  Legioakrieger  erwälilt,  nur  der  Tüchtigste  galt  als  — 
Treuste.'  —  Die  Gedankenstriche  in  den  angeführten  Stel- 
len,  hier,  wie  überall,  gehören  Hrn.  W.,  nicht  etwa  nns.  — 
Mililum  in  ag/nine  laudare  modestiam.  Xobt  im  Zug  er  Manns- 
zuclit  von  Soldaten.'  Ausserdem  ist  militum  in  agmine  ein  Be- 
griff, und  die  üebersetzung  würde  das  erreichen  was  die  Anm. 
verbietet.  Man  würde  nemlich  verstehn  müssen,  Agr.  habe 
häufig  im  Allgemeinen  gute  Mannszucht  gepiiessen;  vielmehr 
lobt  er  die  Einzelnen,  die  Mannszucht  hielten.  Aehnliche  Bei- 
s[jlele  finden  sich  überall;  wir  fügen  nur  noch  Einiges  bei,  wo 
der  Ausdruck  der  Üebersetzung  nicht  treffend  scheint,  andres 
für  die  Anraerkk.  aufsparend.  Cap.  2 :  Ne  quid  usquani  honesiuni 
occuneret.  "^damit  nirgendwo  Tugendhaftes  begegnete.'  Allein 
wir  gebrauchen  '  tugendhaft'  nicht  mehr  in  so  ausgedehnter 
Bedeutung,  so  dass  nicht  leicht  Jemand  die  üebersetzung  ver- 
stehn möchte.  Ilonestum  umfasst  alles ,  was  dem  Menschen 
als  Menschen  geziemt,  und  bezieht  sich  liier  zunächst  auf 
"^omni  bona  arte'.  Vielleicht  "^damit  nirgendwo  dem  Auge  Ge- 
ziemendes entgegenträte.  Ferner  ibid. :  quid  iiltimum  in  liber- 
taie  esset,  'und  wie  die  Vorzeit  sah,  was  von  Freiheit  höch- 
ster Gipfel  war,  so  nun  wir,  Avas  von  Sklaverei.'  Ultimum  be- 
zeichnet hier,  wie  öfters  ,  das  Extrem  oder  Uebermaass,  was 
wir  im  "^ höchsten  Gipfel'  nicht  wieder  finden.  Wohl  besser: 
Zu  welchem  Aeussersten  die  Freiheit  führe.  Häufig  gebraucht 
unsrc  Sprache  ein  Wort  mehr,  oft  auch  weniger,  und  Sprach- 
richtigkeit verbunden  mit  naclibildendem  Numerus  sind  Mohl 
höhere  Anforderungen,  als  das  Streben  nach  zeilenmessender 
Gleichheit.  Für  den  Dicliter  ist  der  Vers  die  Begränzung,  für 
Prosa  die  Periode  und  ihr  Fall.  Der  Hr.  Verf.  Iiat  auf  diese 
Darstellung  der  Form  Sorgfalt  verwandt ,  aber  wohl  häufig  mit 
Aufopferung  der  Spracheigcnthümlichkeit,  wofür  die  oben  ge- 
gebenen Beispiele  als  Beweis  hinreichen  mögen.  Hielicr  rech- 
nen wir  auch  die  Nachahmung  des  beschreibenden  Infinitivs. 
Um  ihn  zu  ersetzen,  gebraucht  der  Hr.  Verf.  öfters  (s.  oben: 
'kein  öffentliches  Geschäft'  etc.  aus  c.  19.)  Participialconstruktio- 
nen  nicht  ohne  Härte;  da  diese  aber  gleichwohl  nicht  überall 
anwendbar  ist,  so  treten  die  nächsten  Sätze  derselben  Con- 
struktion  in  unser  historisches  Imperfectum ,  und  so  wird  die 
Gleichmässigkeit  der  Form  für  dieselbe  Gedankenverbindung 
aufgehoben.  Auch  unser  Infinitiv  hat  einen  bedeutenden  Um- 
fang, Avic  z.B.  in  XeidvoU  und  freudvoll'  etc.,  und  könnte  noch 
weiter  ausgedehnt  werden.  Gezweifelt  haben  wir,  ob  der  öf- 
ters ganz  iambisch  eintretende  Wortfall  in  der  bewegteren  Re- 
de zufällig  oder  absichtlich  wäre.  z.  B.  Cap.  31:  'Und  wie  im 
Hausgesinde  all'  die  jüngsten  Sklaven  selbst  Mitsklaven  ein 
Spott  sind;    so  in  des  Erdkreises  altem  Skla^enthum  sind   wii., 


Tacitus'  Agricola,    hcrausgcg.  von  Walcb.  171 

als  Neulinge  und  Verworfene,  zum  Untergang  erzielt.'  We- 
nigstens bietet  der  lat.  Text  hier  keinen  metrischen  Gang'  dar, 
der  überhaupt  nicht  Tacitus  Weise  ist,  wohl  aber  sehr  häufig 
Senekas.  Denn  der  trochäische  Ausgang  Cap.  45:  sed  cl'iam 
opportunitale  jnorlis^  ist  wohl  zulailig,  Uebersetzung:  "^ Nicht 
bloss  durch  deines  Namens  Ruhm ,  auch  deines  Todes  so  ge- 
legne Zeit.'  Ebenso  Cap.  31:  "^  Erkennen  werden  die  Britanneii 
ihren  Vortheil.'  wo  in  Text  steht:  Agiioscent  suatii  causam. 
OlFenbar  ist  dafiir  Vortheil  ein  selir  schwaches  Wort,  da  der 
Sinn  ist:  Sie  werden  erkennen,  dass  wir  ihre  Sache  verfechten, 
lind  dass  sie  zu  uns  übertreten  müssen;  oder,  sie  werden  unsre 
Sache  für  die  ihre  erkennen.  Cap.  33:  iieque  vie  miUtnm  neque 
vos  Ducis  poenitnü.  "^Nicht  durfte /c/t  meiner  Krieger  mich,  nicht 
ihr  des  Feldherrn  euch  schämen.'  Aber  non  me  poenitet  heisst 
wohl  hierAielmehr  "^Icli  bin  wohl  zufrieden,'  was  poenitet  mit 
der  Negation  häufig  ausdrückt,  z.  B.  Liv.  I,  8:  me  haud  poeni- 
tet eoriim  sententiae  esse.  "^ Ich  bin  gern.'  oder:  Quam  jam 
"  virium  haud  poeniteret.  Worin  der  Begriff  der  Scham  nicht 
wohl  liegen  kann.  Auch  unser  ^es  gereuet  mich'  hatte  früher 
ähnliche  Bedeutung,  und  die  Schweizer  gebrauchen  es  noch 
so.  Cap.' 5:  "^ Brachte  es  Kunst,  Uebung  und  Reiz  dem  Jüng- 
ling.' für:  artem  et  usum  et  stimiduni  addidit  juveni.  Mau 
würde  in  der  Uebersetzung  schwerlich  den  wahren  Sinn  wie- 
derfinden: Es  erhöhte  des  jungen  Mannes  theoretische  und 
praktische  Kenntniss,  und  verlieh  neuen  Eifer.  Cap.  15:  In 
j)roelio  forliorem  esse  qui  spoliet.  '  Im  Kampfe  zeige  den  Hel- 
denmüthigeren  —  Siegesbeute.'  Statt:  Im  Kampfe  sei  es  (we- 
nigstens) der  Stärkere,  der  die  Beute  gewinne;  jetzt  würde 
\on  Feigen  ihre  Habe  entrissen.  Ibid.:  (Quantum  enini  transisse 
TniUtum ,  si  sese  Brilanni  numerent.  "^Wie  gross  denn  die  Zahl 
übergesetzter  Krieger,  wenn  Brilannen  sich  zählten.'  Zahl  — 
zählten  ist  nicht  wohllautend  ,•  und  den  wahren  Sinn  luöchte 
niemajid  in  der  Uebersetzung  wiederfinden:  Wenn  die  Britan- 
nen sich  als  Britannen  zählten,  nicht  als  Bundesgenossen  der 
Römer,  Cap.  16:  'Als  Trebellius  durch  Flucht  und  Schlupf- 
winkel Wuth  des  Heeres  vermieden,  stand  er  ungeehrt  und 
niedrig,  später  bittweise  vor.'  Vielmehr  gehört  fuga  ac  late- 
bris  indecorus  et  humilis  genau  zusammen :  Trebellius  entehrt 
und  verachtet  durch  Flucht  und  Versteck  befehligte  seitdem 
bittweise  das  Heer.  Ibid.  ist  innocens  nicht  schiddlos^  sondern, 
wie  so  oft  bei  den  Römern,  der  Gegensatz  von  uvaritia;  unzu- 
gänglicli  für  Geld,  alam  in  suis ßnibus  agentetn.  'Ein  Reiter- 
geschwader im  Standlager  auf  ihren  Grenzen.'  vielmeiir,  in 
ihrem  Gebiet.  —  Eoque  inilio  erecta  provincia:  'In  Spannung 
durch  diesen  Vorfall ;'  vielmehr,  Ermuthigt  durch  diesen  An- 
fang; den  sie  als  eine  Vorbedeutung  glücklichen  Erfolgs  an- 
sahn.   In  demselben  Capitel  wird  velut  omissa  expeditione  rieh- 


172  Römische    Litteratur. 

tig  übersetzt  Vie  nach  eingestelltem  Feldzuge;'  neniHcli  weil 
Agricola  media  jam  aestate  ankam,  so  hielten  sie  den  gewöhn- 
lichen Soramerfeldzug  für  unwahrscheinlich.  Um  destomehr 
überrascht  die  Anraerk.  "^om.  exp.  als  iväre  die  Leberwätligting 
der  Insel  aufgegeben.'  Cap.  22:  ita  intrepida  ibi  hiems.  "^So 
der  Winter  dort  furchtlos  vorüber.'  furchtlos  erschöpft  keines- 
wcges.  Weil  jede  Burg  wohlvcrsehn,  sibi  quisqne  praesidio 
war,  so  durfte  man  sie  sich  selbst  i'iberlasseii ;  bei  etwanigcu 
Anfällen  nicht  tumultuarisch  und  in  Schrecken  gesetzt,  bald 
hiehin,  bald  dorthin  geängstigt  zu  Hülfe  jagen.  Ibid.:  inxta 
pellebatitur.  "^jetzt  im  Sommer  und  Winter  zugleich  geschlagen.' 
vielmehr  "^  gleichraässig  angegriffen.'  pellere  wie  iiupellere  von 
der  Offensive.  Eben  so  C.25:  sinml  terra  simnl  mari  bellinn  im- 
pellere^  wo  es  übersetzt  wird  "^  indem  der  Krieg  fortwogte.' 
So  Silvas  impellere  vom  Jäger.  Siehe  die  Ausleger  zu  Grat. 
Cyneg.  v.  64:  Quam  magna  mercede  meo  sine  immer e  silvas 
Impulerint.  Cap.  43:  Vulgus  quoque  et  hie  aliud  ogens  popu- 
lus.  'Selbst  das  Volk  und  die  geschäftslose  Menge.'  Annierk. 
'Der  geschäftslose ^  um  fremde,  ihm  nichts  angehende  Dinge 
sich  kümmernde,  grosse  Haufe  ist  gemeint.'  Keinesweges 
genügend,  weder  der  Ausdruck  'geschäftslos'  noch  die  Ausein- 
andersetzung. Was  aliud  agere  sei,  lehrt  am  besten  Seneca 
Ep.  I,  1:  Magna  pars  ritae  elabitur  male  agentibus ,  maa;inia 
nihil  agentibus^  iota  aliud  agentibus  Der  Philosoph  meint 
hier,  Niemand  kümmre  sich  um  die  eigentliche  Lebensaufgabe, 
Pliiiosopliie.  Tacitus  nennt  das  Volk  aliud  agens^  nicht  weil  es 
sich  um  fremde  Dinge  bekümmert ,  sondern  weil  es  sich  nicht 
um  seine  eigentliche  Aufgabe  kümmre,  d.  h.  um  das  Vaterland  u. 
dessen  Stützen.  Dieses  Volk  also,  das  sonst  alles  andre  wahr- 
nimmt, als  seine  Interessen,  fühlte  docli,  was  es  an  einem 
Manne  wie  Agricola  verlohren  hatte.  Zugleich  ist  liieraus  klar, 
dass  zwar  vulgus  der  grosse  Haufe  sei,  aber  keinesweges  pojm- 
lus ^  und  dass  '  Ä2c'  in  der  Uebersetzung  auf  keine  Weise  feh- 
len durfte.  Ibid.:  momenla  deßcientis^  '  die  Augenblicke  des 
Erblassens.'  Vielmehr  die  nach  und  nach  entscheidend  eintre- 
tenden Todesanzeigen  und  Krisen.  Cap.  35:  "^  Schon  bei  Agri- 
colas  Ermahnung  strahlte  GUitli  von  Soldaten,  [niilitum  ardor 
eminebat]  und  dem  Ende  seiner  Rede  folgte  unbändiger  Froh- 
sinn.' «/ßcr?7ffs  vielmehr  Kampflust.  Cap.  31:  qui  adhuc  e:v- 
pertes  pugnae  — paucitatcni  nostrorum  vacui  sperncbant.  'Wel- 
che nocli  unkundig  der  Schlacht  —  die  Geringzahl  der  Unse- 
ren sorglos  verspotteten.'  Unkundig  würden  wir  in  Prosa  nicht 
vcrstehn,  wie  es  gemeint  sein  muss ;  es  wäre  ohne  Einsicht', 
und  spernebat  kann  nicht  durdi  bespotten  gegeben  werden. 
Diess  würde  spottende  Worte  bedeuten,  woran  hier  nicbt  zu 
denken  ist.  Die  Britannen  sassen  verächtlich  herabblickend  in 
sichrer  TheilnahmlosigkeU.     lind.:    Tum  vero.  'Alsdann  aber.' 


Tacitus'  Agricola,    Iierausgeg.  von  Walcb.  HS 

Jene  Partikel  dient  hier,  wie  so  oft  in  der  ErzUlilnnp;^, 
beim  Ucbergange  zum  Ilauptmonient  einer  Begebenheit.  Dafiir 
gebrauchen  wir  unser  l)a^  nicht  Alsdann.  Und  vero  ist  nicht 
aber ^  sondern  der  Ablativ,  welcher  der  Bctheurung  wegen  zu- 
gefügt wird,  z.B.  bei  dem  Personalpronomen  Kgo  vero^  Tu 
vero.  Dass  dieser  aber  wesentlich  von  der  Adversativpartikel 
verschieden  sei,  ersieht  man  daraus,  dass  er  gebraucht  wird, 
■wo  diese  nicht  stehn  kann,  z.B.  bei  Relativis.  Cap.  45:  tan- 
quani  pro  virili  portione .,  "^wie  mit  ^lanneskraft.'  pancioribus 
lacriniis^  "^  mit  zu  wenigen  Thränen,'  wäre  ein  Vorwurf  für 
Agr.'s  Gattin j  "^ mit  weniger  Thränen,'  ncmlicli,  als  bei  unsrer 
Gegenwart. 

Was  nun  endlich  die  Anmerkungen  betrifft,  so  finden  Avir 
sehr  empfehlenswerth  ,  dass  sie  ausführlich  lelirend  und  stili- 
sirt  sind.  Es  wird  leider  immer  allgemeiner,  Bemerkungen 
nur  andeutend  abzufassen,  und  man  suclit  ein  Verdienst  darin, 
recht  wortkarg  zu  sein.  Aber  obgleich  diess  für  gewisse 
Zwecke  sehr  räthlich  sein  mag,  so  kann  doch  die  Uebertrei- 
bung,  diese  Form  oder  Unform  zu  allgemeinem  Gesetz  zu  er- 
heben, nur  höchst  verderblich  sein.  IS'icht  nur  entgeht  so  dem 
minder  Geübten  oder  Begabten  ein  grosser  Theil  des  Nutzens, 
sondern  bei  der  unendlichen  Bereicherung  der  Wissenschaften 
in  unsren  Tagen  hat  überhaupt  Niemand  Müsse  genug,  bei  je- 
dem kurz  liingestelltem  Resultate  eine  Untersuchung  über  des- 
sen Begründung  von  vorn  anzufangen.  Man  muss  es  also  als 
wohlbegründet  annehmen,  und  das  Aväre  gefähi'lich  genug, 
oder  es  existirt  für  uns  bis  zu  eigner  Untersuchung  gar  nicht, 
üeberdem  aber  entgeht  dem  Leser  das  Bildungsmittel  und  der 
Genuss,  den  eine  wohlgefügte  Rede  und  ein  scharf  und  eigen- 
thümlich  gefasster  Gedanke  liervorbringt.  Dass  wir  freilich 
den  Ton,  in  dem  gegenwärtige  Bemerkungen  geschrieben  sind, 
nicht  billigen  können,  mussten  wir  oben  der  Wahrheit  gemäss 
bezeugen.  liier  wollen  wir  nur  Einiges  beibringen,  worin 
unsre  Ansicht  und  Erklärung  von  der  des  Hrn.  Verf.  abweicht. 
Gleich  Cap.  1  ist  mehreres  Wesentliche  anzumerken.  Sed  apud 
priores  conscientiae  prelio  ducebatur.  '  Doch  wie  bei  den  Alt- 
vordern Denkwürdiges  zu  vollbringen  ungehindert  und  offen- 
kundiger war ;  eben  so  ward  jedes  glänzende  Talent,  ein  Denk- 
mal für  Tugend  aufzustellen,  ohne  Vorliebe  oder  Gunstbuh- 
lerei,  nur  durch  den  Lohn  edlen  Bewusstseins  bewogen.'  An- 
merk.  *^ln  deutlicher  Beziehung  auf  A.  Weder  ungehindert  war 
für  A.  das  Grosssein ,  noch  offenkundig  seine  Thaten  gewesen. 
S.  c.  40.  Wem  könnte  es  einfallen,  das  dichterische /;/'o;2m/« 
(iür  facüe  wie  c.  33)  und  das  Sallustische  in  aperto  für  Sy- 
nonyma zu  nehmen.'  Wir  läugnen  die  namentliche  Beziehung 
auf  Agricola.  Erstlich  sind  alle  umgebenden  Gedanken  ganz 
allgemein,   also  auch  wohl  dieser,    da  er  als  ein  bezüglicher 


174  Römische    Litteratur. 

clnrcli  nichts  bezeichnet  wird.  Sotlann  traf  das  Loos,  das  diese 
Worte  characterisiren,  alle  Zeiti:;cnossen  des  A.  gleichniässig, 
und  ihn  nicht  mehr  als  Alle.  Wo  ist  der  historische  Erweis, 
auf  den  iiberall  Ilr.  W.  mit  Reclit  dringt,  dass  A.'s  Grosssein  ins 
Besondre  sei  behindert  worden'?  Er  hat  viehnelir  alle  Staats- 
würden  erlangt,  und  zwar  alle  "^  suo  anno'  erlangt,  und  nirgend 
ist  von  Erschwerung  seiner  Bewerbungen  die  Rede.  Denn  die 
letzte,  die  Provinz  Asien,  kann  niclit  gelten,  da  er  sclion  den 
ganzen  Kreis  aller  Staatswiirden  durchlaufen  hatte.  In  Cap.  40 
aber  finden  wir  eben  nur  den  Beweis ,  wie  offenkundig  A.'s 
Tliaten  selbst  geflissentlich  von  Domitian  gemacht  wurden: 
Igilui'  triumphaUa  ornamenta  et  ülust/is  statuae  honorem ,  et 
quidqiiid  j)ro  triinnpho  datii/\  muUo  verhorum  honore  cumulata 
decerni  in  Senatu  iahet :  addiqne  insuper  opinionem  etc.  Auch 
beweist  das  allgemeine  Volksverlangen  nach  A.'s  Kriegsiuh- 
rung  (Cap.  41)  bei  andrer  Fcldherrn  Unbrauchbarkeit  die  über- 
all hin  verbreitete  Kunde  und  Anerkennung.  Wiederum  allge- 
mein gefasst  characterisirt  die  Stelle,  nach  Hrn.  W.  Erklärung, 
ganz  und  gar  nicht  Tacitus  Zeitalter,  Denn  offenkundig  waren 
bei  der  Vergrösserung  des  römischen  Reichs,  nach  der  Ein- 
richtung der  diurna,  durch  die  unendlich  viel  weiterverbrei- 
tete Kenntniss  der  röm.  Sprache  und  Litteratur  die  Thaten  der 
Römer  damals  in  ungleich  höherern  Grade,  als  zu  den  Zeiten 
der  Republik.  So  wiirde  also  "^apertnni'  ein  Synonymura  von 
"^pronum';  dem  der  Ausdruck  'ungehindert'  hier  nicht  ent- 
gpricht.  Vielleicht  hatte  Hr.  W.  Stellen  im  Sinne ,  wie  Plin. 
Epp.  8,  10:  liheros  ciipio^  quibus  videor  a  vieo  tiioque  latere 
pronu7n  ad  honores  iter  et  aiidita  latius  noniina  et  non  subi- 
tas  imagines  relictunis.  Aber  allerdings  sind  proniim.  u.  aper- 
tum  hier  nicht  Synonyma  Vielmehr  bilden  sie  einen  Gegen- 
satz, und  vielleicht  um  diesen  schärfer  zu  marquiren,  stellte  T. 
'magisque',  was  zu  beiden  Adjectiven  gehört,  in  die  Mitte. 
(Ueber  diese  Wortfiigung  hat  A.  E.  Z  i n  s er  1  i  n  g:  De  inter- 
pretatione  duplici  locoriim.  quorundam  Virgilii  et  Horatii^  Var- 
saviae  1817,  mehrere  treffende  Bemerkungen,  nnr  nicht  scharf 
genug  sondernd,  aufgestellt.)  Zu  einer  jeden  Handlung  nem- 
lich  geliören  zwei  Stücke  wesentlich :  die  handelnde  Person 
und  der  Gegenstand  mit  den  begleitenden  Zeit-  und  andern 
Umständen.  Beides  bezeichnet  hier  Tacitus  als  früher  günsti- 
ger gestaltet  durch  "^pronum'  u.  "^apertum'.  Demnach  besclireibt 
pronum  die  grössere  Thatenlust  der  Vorfahren;  wobei  zu  be- 
merken, dass  die  früheren  Schriftsteller  pronum  gern  von  in- 
stinktartiger, oft  leidenschaftlicher  und  daher  verderblicher 
Neigung  gebrauchen,  Tacitus  aber  es  auch  in  edlerem  Sinne 
von  bewusster  Vorliebe  versteht,  wie  hier.  Und  hier  zeigt 
sich  die  seltner  gewordne  Thatenlust  allerdings  als  characteri- 
stisch  für  T.'s  verweichlichte  Zeit.     Magis  apertum  war  aber 


i 


Tacitus'  Agiicola,   Iierausgeg.  von  Walch.  175 

für  Verdienste  die  Vorzeit,  weil  damals  jeglicher  Kraft  Gro- 
sses zu  versuclien  freistand;  also  "^apcrtum'  so  viel  als  'in  me- 
dia positum'.  Auch  so  verhielt  es  sicli.  Denn  unter  den  Kai- 
sern hatte  sich  die  Rennhahn  für  Geisteskraft  in  immer  engere 
Kreise  meist  schlechter  Regenten  znsammengezogen.  Ihnen 
mnsste  hekaiint  sein ,  oft  mit  Gefahr,  meist  mit  gewaltsamer 
Zurückdrängung  edler  Gefühle,  wer  dem  Staate  und  seinem 
Ruhme  dienen  wollte.  Dass  diese  Erklärung  richtig  sei,  be- 
weist auch  die  folgende  Ausfülirung.  Zuerst  "^sine  gratia  et  am- 
bitione'  und  dessen  Gegensatz  '  celeberrimus  quisque  ingenio'. 
Jene  beiden  Wege,  zu  Ehrenstellen  zu  gelangen,  auch  ohne 
dass  man,  was  früher  liedingung  gewesen,  celeberrimus  inge- 
nio war,  bezeichnen  diejenige  Eigenthümlichkeit  der  Kaiserre- 
gierung, die  schon  nach  Vertreibung  der  Könige  die  jungen 
Patrizier  ungern  vermisstcn:  "^  Regem  hominem  esse —  esse 
gratiae  locum,  esse  beneficio'.  S.  Liv.  II,  3.  Wie  dort  bene- 
ficio,  wofür  anderswo,  in  etwas  motivirtcm  Sinne,  '^obsequium', 
so  hier  ambitio;  nur  dass  beueficium  die  Handlung  selbst,  am- 
bitio  die  Absicht  derselben  giebt.  In  diesem  Zusammenhange 
wird  zweitens  auch  erst  klar,  Avas  "^pretio  bonae  conscientiae' 
sei.  Dass  wir  es  nicht  mit  Hrn.  W.  nehmen  dürfen  für  "^Lohn 
edlen  Bewusstseins'  ist  ausgemaclit  genug.  Denn  wie  hinge 
das  zusammen:  Grosse  Talejite  wurden  bewogen  "^ad  proden- 
dam  virtutis  memoriam',  der  Nachwelt  ein  Denkmal  ihres  Wer- 
thes  zu  hinterlassen  durch  den  Lohn  edlen  Bewiisstseins !  Of- 
fenbar würde  hier  nicht  nur  ein  doppelter  Zweck  grosser  T ba- 
ten aufgestellt,  sondern  sogar  ein  ganz  widersprechender; 
denn  wem  sein  eignes  Bewusstsein  genügt  und  letzter  Zweck 
ist,  der  verschmäht  irgend  einen  äussern  Lohn,  und  am  mei- 
sten äussere  Anerkennung.  Da  nun  T.  unmöglich  diesen  Un- 
gedanken  aussprechen  wollte,  so  folgt,  dass'^bona  conscien- 
tia',  wie  oft  mea,  tua  memoria  für  mei,  tui  memoria,  gesetzt 
sei  für  "^conscientia  boni'  und  dass  "^pretio'  nicht  sein  könne 
de?'  Lohn^  sondern  die  Schützimg.  Wie  nemlich  zu  Tacitus 
Zeiten  auch  der  Talentlose  sich  auf  Gönner  und  allerlei  Wege 
Terliess ,  so  trat  früher  das  Talent  auf  im  Bewusstsein  seiner 
Fähigkeit.  Wir  übersetzen  deswegen  den  ganzen  Satz  so:  Je- 
doch wie  bei  den  Vorfahren  für  denkwürdige  Thaten  die  Be- 
geisterung allgemeiner  und  die  Schranken  allgemeiner  geöffnet 
waren,  so  wurden  auch  die  glänzendsten  Talente  zur  Darle- 
gung gedächtnisswürdiger  Trefflichkeit  nur  durch  Schätzung 
ihrer  Fähigkeiten  vermocht ,  nicht  durch  Gönnerschaft  und 
Gunstbuhlerei.  Wir  bemerken  nur  noch:  Wenn  obige  Erklä- 
rung richtig  ist,  es  folgt  zugleich ,  dass  "^agere'  für  'pronum' 
Prädicat  sei,  Subject  für  'in  aperto'.  Denn  aufgelöst  hiesse 
der  Satz  etwa  so:  'Apud  priores  et  homines  magis  ad  agendura 
proni  et  agere  ipsuni  magis  in  niedio  erat  positum'.     Und  so 


176  Rümiecbe   Litteratur. 

wäre  diess  ein  passendes  Beispiel ,  wie  im  Infinitiv  der  reine 
Begriff  der  Handlung  selbst,  ohne  hinzukommende  passive  und 
active  Bedeutung,  an  und  für  sich  gesetzt  werde,  aus  dem  aber 
die  umgebende  Rede  bald  das  Eine  bald  das  Andre  absondere, 
und  dass  dieselbe  Bemerkung  auch  auf  die  Gerundia  und  die 
Participia  in  diis  ausgedehnt  werden  könne,  jedoch  nicht  ohne 
Berücksichtigung  der  Casus  und  der  verbindenden  Präpo- 
sitionen. 

Cap.  2:  At  mihi  nunc  narraturo  vitam  defuncti  hominis 
venia  opus  fiiit.  "Durfte  der  grosse  Staatsmann  in  T.'s  Zeit- 
alter, Verewigung  für  Verdienste  hoffen,  Avenn  der  Sieg  über 
Unverstand  und  Neid  ihm  gelang,  so  dünkt  dem  Verf.  dage- 
gen 'Nachsicht'  nöthig  für  Agricola's  Leben,  weil  die  Biogra- 
phie so  feindseelige  Zeiten  berülirend  jetzt  eben  erscheine'.  — • 
Hiegegen  bemerken  wir  erstlich,  dass  der  Vordersatz  vom  Hrn. 
Verf.  sehr  willkührlich  hieher  gezogen  sei.  Denn  der  Gedanke 
in  demselben  hat  längst  andern  Raum  gegeben,  imd  der  Näch- 
ste ,  an  den  der  unsrige  sich  anschliesst,  war  dieser:  Ac pleri- 
que  siiam  ipsi  vitam  narrare  fiduciam  —  inoriim  —  arhitrati 
sunt.  Doch  davon  später.  Jetzt  sei  diese  Freiheit  zugegeben; 
wie  -wird  der  Gedanke  des  Gegensatzes  können  gerechtfertigt 
werden'?  Im  Vordersatze  ist  der  Grund  der  Hoffnung  auf  An- 
erkennung Sieg  über  Unverstand  und  Neid^  hier  der  Grund 
für  die  Bitte  um  Nachsicht  die  gegenwärtige  Zeit.  Allgemein, 
wie  dieser  Gegensatz  ist,  heisst  das,  seine  Zeit  wäre  durchaus 
unverständig  und  neidisch ,  und  deswegen  alle  Hoffnung  auf 
Anerkennung  nichtig.  Eine  so  ungerechte  Herabsetzung  seiner 
Gegenwart  konnte  T.  aber  nicht  einfallen.  Der  Grund  seiner 
Bitte,  sagt  Hr.  W.  einen  Gedanken  hineintragend,  liegt  in  der 
so  eben  verflossenen  Zeit  des  Domitian.  "^ Nicht  als  Ankläger 
gegen  die  Vergangenheit  hatte  er  nöthig,  um  Nachsicht  zu 
bitten ;  —  dagegen  als  Ankläger  bestimmter  Männer ,  — 
■welche  das  Agricola'  gespendete  Lob  nicht  als  Verherrlichung 
ihrer  Laster  annehmen  und  gleichraässig  übersehen  koimten, 
heischte  vorschauende  Klugheit  mit  Besonnenheit  aufzutreten'. 
—  "^Nur  an  diese .^  meinen  wir,  nicht  an  das  Zeitalter  oder  die 
Leser  überhaupt  kann  die  erbetne  Nachsicht  gerichtet 
sein'.  Zuerst  fragen  wir:  Wird  dadurch  der  willkührlich  an- 
genommene Gegensatz  gerechtfertigt?  Sind  diese  bestimmten 
Männer  neidisch  oder  unverständig'?  Keines  von  beiden.  End- 
lich bittet  er  ja  um  Naclisicht  für  sich,  den  Schreiber;  der 
Gegensatz  fordert  sie  aber  für  Agricola.  Diess  schien  auch 
anfangs  Hr.  W.  anzunehmen,  gleitet  aber  unvermerkt,  wie  auch 
T.'s  Worte  nöthigen,  auf  Tacitus  selbst  zurück.  Sodann,  wor- 
aus soll  der  Leser  entnehmen ,  dass  nicht  Nachsicht  im  Allge- 
meinen, sondern  bestimmter  Männer  gesucht  werde*?  Und  fer- 
ner,  welch  unendlich   wundersamer  Ausweg,    diejenigen  um 


Tacitus'  Agricola,   herausgeg.  von  Walcli.  171 

Nachsicht  zu  bitten ,  deren  Laster  er  im  Betriff  ist ,  auf  das 
Empfindlichste  anzugfreifen !  und  zwar  solcher,  deren  '^ heim- 
liche Anfeindung'  er  fürchtet!  Einmal  dünkt  es  uns  überhaupt 
Tacitus  unwürdig,  Furcht  vor  diesem  giftigen  Gewürm  zu  he- 
gen. Dass  er  sie  nicht  hegt,  beweist  eben  die  Einleitung,  iii 
der  er  mit  einer  Bitterkeit  anklagt,  wie  sie  der  ganzen  Biogra- 
phie fremd  ist,  in  der  er  auf  das  Leiseste  iiber  die  Gebrechen 
der  Vergangenheit  weggleitct  und  namentlich  alle  Persönlich- 
keit gänzlich  vermeidet.  Hätte  er  aber  jene  Männer  gefürch- 
tet, so  war  es  unklug,  diess  auszusprechen,  und  unbegreiflich, 
sie  um  Nachsicht  zu  bitten!  Hätte  er  um  Schutz  gegen  sie 
angesucht,  hätte  er  sie  characterisirt ,  so  sähe  man  wenigstens 
einen  Zusammenhang;  aber  so  ...Wir  müssen  also  diese  Erklä- 
rung gänzlich  verwerfen,  und  können  anch  keine  Unterstützimg 
für  sie  in  folgender  Bemerkung  des  \erfs.  finden :  'Endlich: 
auf  persönliche  Rücksichten  lässt  der  bis  zur  Täuschung  vor- 
sichtig gewählte  Ausdruck  schliessen.  Das  vilam  defimcti  ho- 
minis für  venejio  necati^  das  ni  cursaturus  ttmi  injesta  tempora 
für  nisi  conquerendnm  esset  ^  etiam  nunc  impunitos  superesse^ 
quorinn  criminationibns  Agricola  cecidit'.  Da  man  diesen  letz- 
ten Gedanken  ("^bis  zur  Täuschung'  sagt  Hr.  W.,  der  das  fühlt) 
in  Tacitus  Worten  durchaus  nicht  finden  kann,  so  beweist  diess 
hinlänglich,  dass  er  ihn  selbst  nicht  hatte;  man  müsste  ilira 
denn  eine  infantia  zuschreiben,  wie  sie  Hr.  W.  selbst  am  wenig- 
sten zugiebt.  Für  den  ersten  Fall  aber  vertausche  man  "^de- 
functi'  mit  dem  gewünschten:  At  mihi  nunc  narraluro  vitam  ve- 
716710  necati  hotninis,  um  das  gänzlich  ünstattliafte  zu  belä- 
cheln. An  die  Art  des  Todes  dachte  jetzt  Tacitus  gar  nicht; 
sondern  defu7icii  hominis  bezieht  sich,  denn  wir  kommen  jetzt 
auf  die  wahre  Erklärung  und  auf  den  wirklichen  Gegensatz,  auf 
"^plerique  suam  ipsi  vitam  narrare' ;  7nihi  entspricht  jenen  Selbst- 
biographen; nunc  endlich  jenen  Zeiten  \|uibus  virtutes  optime 
aestimantur',  und  venia  dieser  richtigen  Schätzung  der  Vor- 
zeit. Es  hat  also  jedes  Wort  seinen  Gegensatz.  Jene  Männer 
konnten  zu  jener  Zeit  ohne  Besorgniss  unedler  Auslegung  ihre 
Thateu  selbst  beschreiben,  ich  Xidiww  jetzt  nicht  das  Leben  ei- 
nes Abgeschiedenen  erzählen  ohne  Bitte  um  Nachsicht.  Und 
so  offenbar  ist  dieser  natürliche  Ideengang,  dass  man  von 
selbst  sieht,  wenn  "^defuncti'  hätte  sollen  näher  bezeichnet 
werden,  so  war  die  Bezeichnung  diese:  Ich,  der  ich  das  Le- 
ben eines  Abgeschiedenen  schreibe,  muss  um  Nachsicht  bitten, 
weil  er  mei7i  naher  Verwandter  ist.  Allein  diese  Ausführung 
ist  ausgelassen,  theils  weil  durch  sie  der  Gedanke  derVerglei- 
chung  geschwächt  wäre,  indem  er  von  seiner  Allgemeinheit 
verlöhr,  theils  weil  er  mit  ihm  viel  besser  die  Einleitung  schlie- 
ssen konnte.  Indem  nemlich  die  Regeln  der  Rhetorik,  die  wir 
nie  bei  den  Römern  ausser  Acht  lassen  dürfen,   vorschreiben, 

Jahrb.  f.  Pha.  u.  Pädag.  Jahrg.  lü.  Heft  6.  12 


178  Römische    Litteratur. 

im  Epilogus  die  Gefülile  der  Zuhörer  stärker  zu  berühren,  so 
kehrt  er  auf  diesen  Theil  unsres  Satzes  am  Schlüsse  mit  den 
Worten  zurVick:  Hie  Interim  liber  honori  Agricolae  soceri 
mei  destinatus  etc.  Die  übrigen  Worte  werden  so  ausgeführt, 
dass  er  zuerst  nunc  erläutert  in  einer  Schilderung  des  vergan- 
genen Elends,  dann  mihi  (vox  rudis)  in  der  Darstellung  der 
Folgen  jener  unseeligen  Zeit  auf  geistige  Kraft.  Die  eigentliclie 
Scliwierigkeit  unserer  Stelle  kann  also  gar  nicht  in  diesen  einfa- 
chen Worten  liegen;  sondern  in  den  nächsten:  ni  cursaturus  etc. 
Diese  erkläre  ich  so:  Indem  T.  seine  eigene  Zeit  ^^^e\\  die 
frühere  dem  Bedurfniss  der  Einleitung  und  der  Wahrheit  ge- 
mäss so  tief  herabsetzt,  sucht  er  wenigstens  den  Eindruck  der 
herben  Wahrheit  mögliclist  zu  mildern,  indem  er  den  Grund 
dieser  Verderbniss  in  die  jüngst  verflossene  Vergangenheit 
setzt  (aus  der  plötzliche  und  allgemeine  Rückkehr  weder  intel- 
lectuell  noch  moralisch  möglich  ist ) ,  die  jetzt  bevorstehende 
aber  als  ein  Erwachen  aus  langer  Lethargie  lobpreissend,  je- 
ner entgegenstellt  (S.  c.  3).  Dennoch  aber,  sagt  er,  ist  es 
nur  ein  erstes  Erwachen  (nunc  dennwi  redit  animus)  und  noch 
leben  wir  nur  in  Hoffnung  besserer  Zeit.  Man  sieht  also ,  wie 
Tacitus  seinen  Grundsätzen  gemäss ,  altrömische  Freimüthig- 
keit  in  Rede  und  Handlung  mit  derjenigen  Vorsicht  paart,  M'ie 
sie  eine  Zeit,  worin  rücksichtslose  Geradheit  nur  dem  Verf. 
geschadet,  aber  Niemand  genützt  hätte,  nöthig  maclit.  Diess 
erreiclit  er,  indem  er  anfangs  die  Bitte  um  Nachsicht  für  die 
Gegenwart  für  ganz  unnöthig  erklärt,  'quam  non  petissem'; 
doch  wäre  das  Andenken  und  die  Gefühle  einer  nahen  Vergan- 
genheit noch  so  lebendig,  dass  er  in  Bezug  auf  sie,  "^ni  cursa- 
turus', jene  Bitte  natiirlich  finde.  Nun  folgt  eine  Schilderung 
erst  dieser  Vergangenheit,  dann  der  Gegenwart,  in  welcher 
letztem  allmählig  jenes  Zugeständniss  der  Trefflichkeit  be- 
schränkt und  zum  Theil  zurückgenommen  wird.  Im  ganzen 
Agricola  ist  Tacitus  Ton  der  eines  aus  langer  Krankheit  Gene- 
senen ,  mit  sanfter  Wehrauth  auf  vergangene  Leiden  und  künf- 
tige Heiterkeit  der  Tage  liinblickend.  So  ungefähr  mochte 
auch  Fabius  Rusticus  geschrieben  haben,  nach  Quintilian  X, 
1,  einer  vielbesprochenen  Stelle,  die  ich  so  lese:  Superest  ad- 
huc  et  exornat  aetatis  nostrae  gloriam  vir  saeculorum  memoriae 
dignus ;  qui  olim  nominabitur  ^  nunc  intelligitur.  Habetur 
amarior ;  nee  immer ito^  ut  cuilibertas^  quamquam  circumci- 
sis ,  quae  dixisset ,  vel  nocuerit.  Sed  elatum  abunde  spiritum 
et  audaces  sententias  deprehendas  etiam  in  his ,  qtiae  manent. 
Die  weitere  Ausführung  dieser  Lesart  gehört  nicht  hieher ;  nur 
80  viel ,  dass  man  erst  in  dieser  Ausdrucksweise ,  die  zwischen 
Lob  und  Tadel  eines  freimüthigen  Historikers  in  der  Mitte 
bleibt ,  den  furchtsamen  Quintilian  wiederfindet. 

Ibid.  Legimus  wird  auf  die  diurna  bezogen  und  Tortreff- 


Taoitus'  Agricols,    Jict-ausgeg.  von  Waloh.  179 

lieh  erklärt.  Doch  läugnen  wir  die  Folgerung  (aus  Agr.  c.  45) 
von  Tacitus  persönlicher  Gegenwart  bei  den  Hinrichtungen. 
Denn  jener  rhetorisch  belebte  Ausdruck:  Nos  innocenli  san- 
guine  pei:ßidit^  erlaubt  eine  minder  wörtliche  Auslegung,  und 
umgekehrt  konnte  er  hier  Vidinius  d.  h.  Aetas  nostra  indit 
auch  ohne  persönliche  Gegenwart  sagen.  Und  dann  vermissen 
wir  die  gänzliche  Auflösung  der  noch  bestehenden  Frage,  war- 
um T.  legimus  dem  sinnlich  belebteren  vidinius  vorgezogen  ha- 
be. Sie  folgt  unmittelbar  aus  Hrn.  W.'s  Erklärung.  Beide  Aus- 
drucksM eisen  waren  zu  jener  Zeit,  nur  in  verschiedner  Riick- 
sicht,  gleich  eindringlich.  Vidimus  giebt  den  sinnlich  leben- 
digen Eindruck  der  Anschauung;  /eg2Vrt?^s  dagegen:  Das  Ver- 
brechen wurde  nicht  bloss  begangen,  nicht  vielleicht  absicht- 
lich verborgen ;  nein ,  das  ganze  römische  Reich  sollte  es  öf- 
fentlich lesen,  und  die  Frechheit  bezeichnete  es  als  eine  Hand- 
lung von  Rechtswegen. 

Ibid.  Et  sicut  vetus  aetas  nennt  Hr.  W.  Lipsius'  nicht  zu 
bezweifelnde  Verbesserung  für  ut;  welches  letztere,  wie  es 
scheint,  alle  Auctoritäten  schlitzen.  Uns  dünkt  jene  Aende- 
rung  keinesweges  zulässig.  Man  nimmt  dadurch  T.  einen  ihm, 
wie  fast  dem  ganzen  Alterthum  sehr  geläufigen  Gedanken ,  den 
stets  sichtbaren  Willen  der  Gottheit  in  der  Völkergeschichte: 
Wir  sollten  eine  solche  Zeit  erleben,  wie  den  Gegensatz  unsre 
Väter.  Dass  die  Ellipse  durch  Auslassung  des  conjunctiven 
videremus  etwas  stärker  wird  ,  darf  nicht  irren.  Selbst  frü- 
here Schriftsteller  erlauben  sich  ähnliches,  und  des  Tacitus 
Zeitalter  mehr  als  jene.  Dahin  gehört  z.  B.  ein  licet  egregius 
ohne  esset  ^  nach  Analogie  des  alten  und  einfacheren  qiiamvis 
egregius^  und  manches  andere.  Ueber  das  Schicksal  als  ein- 
greifend in  menschliche  Handlungen  bei  den  Historikern  siehe 
den  Hrn.  Verf.  selbst  p,  214. 

Ibid.  "^Auch  die  Gedächtnisskraft  wäre  —  geschwunden 
—  hätten  wir  so  in  unsrer  Macht'  etc.  Vielmehr  ist  wohl  perdidis- 
semus  acih  zu  nehmen:  man  hätte  uns  die  Gedächtnisskraft 
entrissen.  Denn  sie  ivollten  nicht  vergessen ,  so  wenig  als  sie 
schweigen  wollten.  Scilicet  illo  igni  voceni  P.  It.  aboleri  arbi- 
trabantur.,  espulsis  instiper  etc.  Sie  sollten  vielmehr  das  letz- 
tere, und  hätten  das  erste  auch  gesollt,  wenn  sich  zu  vergessen 
gebieten  liess.  Hieraus  wird  klar,  dass  nostra  potestate  ein 
.Glossem  sei  (wie  c.  3:  ut  corpora  nostra  lente  augescunt,  wie 
Hr.  W.  richtig  urtheilt ;  andere  Glosseme  im  Agr.  siehe  beim 
Hrn.  Verf.  z.  c.  6.)  weil  es  einen  ganz  falschen  Gedanken  gäbe. 
^i  tarn  in  potestate  esset  heisst  demnach  nicht,  wenn  es  in 
VMsrer  Macht  stünde,  sondern,  wenn  etwas  zu  vergessen  von 
Jemandes  Macht  oder  Befehle  abhinge. 

Cap.  3:  promptissimus  quisque,  alle  die  Gewandtesten'. 
Anm. :  "^Nicht  wie  Oberlin  und  Virdung  erklärt ,  quibus  virtua 

12* 


180  Römische   Litteratur. 

maxime  in  promptu ,  sondern  die  Gewandtesten  durch  Talent, 
Wissenschaft,  külinen  3Iuth,  Unternehmungsgeist'.  Die  Er- 
klärung ist  nur  in  sofern  richtig,  als  sie  mit  Virdung  iiberein- 
stimmt ;  der  Ausdruck  aber  'die  Gewandtesten  nicht  passend. 
Gewandt  ist,  wer  sich  in  neue  Personen,  Lagen,  Ansichten 
und  Geschäfte  mit  leichter  Beweglichkeit  des  Geistes  findet. 
Solche  Leute  fallen  nicht  zuerst  in  der  Zeit  der  Tyrannei.  Al- 
lerdings liegt  in  promplns  immer  der  Begriff  rascher  Leistung; 
aber  wer  rasch  ist,  ist  nicht  immer  gewandt,  und  das  Wort  ist 
eine  vox  media,  die  nicht  selten  die  Bedeutung  übergrosser 
Zuversichtlichkeit  oder  unbesonnener  Vorschnelligkeit  in 
sich  schliesst.  Daher  prornptus  beim  Redner  oft  Zungenfer- 
tigkeit, facUitas  aber  liedefertigkeit  in  etllerem  Sinne,  und 
prompta  facultas  besitzt,  wer  auf  der  Stelle  worüber  fertig 
reden  kann.  Ein  solches,  doch  nur  milde  getadeltes  rück- 
sichtsloses Hervortreten  für  das  Recht,  rasche  Wortführer  für 
die  Sache  der  Freiheit  bezeichnet  auch  hier  wohl  Tacitus, 
ganz  gemäss  seiner  moderatio ^  über  die,  als  des  T.  höchsten 
Lebensgrundsatz,  Hr.  W.  zu  Cap.  4  so  gut  spricht.  Aehnlich 
wird,  doch  stärker  tadelnd  jaromp^ws  Cap.  27  gebraucht:  Alque 
Uli  modo  cauti  (Cap.  25  hiessen  sie  specie  prudentium  ignavi) 
ac  sapientes  promjiti  post  eventum  ac  magnilo  qui  erant. 
Cap.  5 :  Nee  Agricola  licenter  ad  voluptates  et  commeatus 
iitulum  TribuTiatus  et  —  inscüiam  retulit.  Der  Gedanken- 
strich gehört  Hrn.  W.  'Auch  benutzte  Agr.  nicht  zügellos  nach 
Art  junger  Leute ,  welche  Kriegsdienst  in  üngebundenheit  ver- 
wandeln, [vielmehr 'verkehren']  auch  nicht  trägen  Sinnes  zu 
Urlaub  und  Vergnügen  und  —  Unwissenheit  den  Namen  eines 
Tribuns'.  Die  Anmerk.  ziehen  wir  zusammen.  'Die  Erklärung: 
Agricola  benutzte  die  Würde  eines  Tribun  und  seine  Unerfah- 
renheit  nicht  zu  Urlaub  und  Vergnügungen  würde  dem  Schrift- 
steller einen  Ungedanken  aufdringen,  wogegen,  wenn  irgend 
ein  Alter,  Tacitus  wohl  sicher  ist.  Ob  der  leichtsinnige  Jüng- 
ling neben  seinem  Range  auch  Neuheit  und  Unerfahrenheit  im 
Dienste  zum  Vergnügen  benutzen  wollte,  gehörte  in  den  Ge- 
danken so  wenig  hinein,  als  A.'s  noch  nicht  gereifte  Körper- 
kraft. —  Dieses  mit  Absicht  nachstehende,  durch  kleine  Pause 
und  scharfe  Betonung  hervorzuhebende  et  inscitiam  hätte 
längst  den  Sinn  des  Schriftstellers  entwickeln  müssen.  Ein 
ganzer  Satz  hatte  in  jenes  Wort  sich  ihm  zusammengedrängt. 
Nemlich  nicht  den  Zweck ,  sondern  die  Folge  des  Leichtsinns 
enthaltend,  wodurch  A.  unwissend  geblieben  wäre' .  Betrach- 
ten wirHrn.W.'s  Erklärung  zuerst.  Wir  behaupten,  dass  sie  ei- 
nen Sinn  hervorsucht,  den  Tacitus  Worte  einem  unbefangenen 
Leser  unmöglich  geben  können,  ad  voluptates  et  commeatus 
und  wiederum  titulum  trib.  et  inscitiam  ist  jedes  in  sich  so 
rund  und  abgeschlossen,  dass  et  inscitiam  ohne  ein  erneutes 


Ttidtus'  Agricola,    herausgeg.  von   Walch.  181 

ad  dennoch  zu  volnpl.  und  commeatus  zurückzuziehn,  und  von 
seinem  Worte  zu  trennen  nur  dem  thunlich  erscheinen  kann, 
der  sich  lange,  in  Erniangelnn^  eines  andern  Auswegs,  die 
Möglichkeit  eingeredet  hat.  Ja  betrachten  wir  die  so  zusani- 
mengewiirfelten  Wörter  näher,  so  leuchtet  die  gänzliche  Un- 
möglichkeit der  vorgeschlagnen  Verbindung  ein.  JVemlich  et 
vor  commeatus  ist  nicht  das  einfache,  coordinirte  Glieder  ver- 
bindende und^  sondern  Urlaub  ist  eines  der  vielen  Vergnügen, 
das  als  besonders  übertrieben  beispielsweise  durch  et  der  vor- 
hergehenden Gattung  zugefügt  wird.  So  gebraucht  sogar  ne- 
gativ T.  non  —  nec^  Cap.  19:  non  ^tudiis  privalis^  nee  ex  com- 
mendatione ;  wo  er  unter  den  mancherlei  Privatbemühungen 
die  so  häufig  übertriebene  Empfehlung  auszeichnet.  An  dieses 
erste  et  nun  kann  sich  ein  zweites  et^  um  ein  coordinirtes 
Glied  dem  voluptas  zuzufügen  ,  auf  keine  Weise  anreihen,  und 
kann  es  um  so  weniger  in  einem  Satze,  in  dem  ad  zuerst  einen 
Zweck,  und  dann  (nur  ergänzt!)  einen  Erfolg  andeuten  soll. 
Der  Ilr.  Verf.  scheint  fast  diess  selbst  gefühlt  zu  haben,  indem 
er  in  der  Uebersetzung  das  specielle  Urlaub'  dem  allgemeinen 
'Vergnügung'  voranschickt.  Allerdings  setzen  die  Lateiner  auch 
eine  einzelne  Art  der  allgemeinen  durch  et  zugefügten  Gattung 
voraus  ;  z.  B.  Agr.  5:  Ludi  et  inania  honoris.  "^Spiele  und  son- 
stigen Prunk  des  Ehrenamts';  wiewohl  dreigliedrige  Sätze  viel 
häufiger  sind ;  z.  B.  Liv.  1 ,  54 :  Largitionis  ijide  praedaeque  et 
dulcedine  privati  cotnmodi  d.  h.  'und  überhaupt  durch  Lok- 
kung  von  Privatvortheil'.  Allein  sollten  wir  etwa  hier  die 
Worte  umstellen,  um  die  Möglichkeit  einer  Erklärung  zu  er- 
halten ,  die  noch  sehr  weit  von  aller  W  ahrscheinlichkeit  ent- 
fernt bliebe?  Zumal  da  der  jetzige  Text  einen  durchaus  ein- 
fachen Sinn  giebt,  eben  den  ,  welchen  Hr.  W. ,  wir  begreifen 
nicht  recht  warum,  einen  Ungedanken  nennt:  Agricola  be- 
nutzte seine  Unerfahrenheit  nicht  etc.  Da  wir  hier  nur  zwei 
Worte  haben,  so  muss  das  Missverständniss  entweder  in  re- 
ferre  oder  in  inscitia  liegen,  referre  heisst  nun  überhaupt  et- 
was womit  in  Zusammenhang  bringen,  als  Mittel  wozu  gebrau- 
chen ;  wie  die  Epicuräer  omnia  ad  voluptatem  referunt ;  hier 
aber  ist  das  Mittel  für  den  Zweck  des  Vergnügens  inscitia^ 
worüber  wir  der  Kürze  wegen  auf  Gernhard  Escurs.  ad 
Cic.  de  Senect.  verweisen,  ohne  deshalb  alles  dort  Gesagte 
unterschreiben  zu  wollen.  In  unserer  Stelle  ist  inscitia  das 
aus  Unkenntniss  und  Jugend  entspringende  Unvermögen  etwas 
zu  leisten.  Dieses  Unvermögen,  wie  es  natürlich  die  meisten 
jungen  Tribunen  mit  ins  Feld  brachten ,  gebrauchte  nun  Agri- 
cola nicht  als  Mittel  oder  Vorwandt,  sieh  allen  Leistungen  als 
Soldat  und  Tribun  zu  entziehn  und  träge  umlierschweifen  zw 
können  (non  segniter  retulit  ad  voluptates  et  commeatus),  noch 
seine  Tribunenwürde  (wie  gewöhulicli  junge  Leute)  zu  allerlei 


182  Römische  Litteratur. 

ausschweifenden  Unbilden  (in  lasciviara).  So  entsprechen  sich  die 
Glieder  des  Satzes  ganz  genau ,  und  wir  erhalten  ein  treffendes 
Gemälde  der  Sinnes-  und  Handelsweise  der  damaligen  jungen 
Tribunen.  Ist  hier  ein  üngedanke  ?  Oder  gehört  dieser  Ge- 
brauch der  inscitia  nicht  zu  gegenwärtiger  Schilderung*?  Der 
Vergleich  liegt  zu  nahe ,  als  dass  nicht  die  Anführung  eines 
früher,  vielleicht  noch  jetzt,  unter  Studenten  üblichen  Witzwortes 
Entschuldigung  finden  sollte.  Es  hiess :  Ei,  warum  sollten  wir 
nicht,  Studenten  sind  wir,  gelernt  haben  wir  nichts.  Siehe  da, 
die  Tribunen ! 

Ibid.:  Simulque  anxius.  'Brotier  aus  Vatic.  3429  (und 
mit  ihm  Neuere)  simulque  et  anxius  et  intentus.  Falsch.  Was 
hiesse  denn  et  simul  et  a7ixius  et  intentus.  Die  Fälle ,  wo  ein 
que-et-et  steht  (unten  c.  41.)  sind  von  ganz  andrer  Art.'  Die 
Cap.  41  beigebrachten  Stellen  enthalten  meistens  dreigliedrige 
Sätze  durch  que-et-et  verbunden.  Die  fanden  natürlich  hier 
keine  Anwendung!  Wie  kann  man  sich  durch  Vorurtheile  ver- 
blenden, selbst  in  den  einfachsten  Dingen  1  Q,ue  nach  der  Nega- 
tion nihil  statt  sed  gebraucht  bezieht  sich  auf  die  vorhergehen- 
den Sätze  zurück,  und  siimd  verbindet  zwei  durch  et -et  getheilte 
Glieder  eines  Begriffs  zu  einem  Ganzen.  Diess  ist  nicht  nur 
an  und  für  sich  sehr  richtig,  sondern  auch  hier  wohl  das  ein- 
zig Wahre;  denn  die  entgegengesetzten  Fehler  wurden  eben 
so  negativ  durch  nihil- nihil  getrennt,  wie  hier  affirmativ  et -et 
verbindet,  recusare -  agere ;  iactatio  -  intentus ;  formido  -  anxius. 
Ibid. :  intercepti  exercitus.  '  Heerschaaren  niedergemetzelt.' 
Hr.W  weist  mit  Recht  intersepti  zurück.  'Wie  hätte  Tacitus 
diese  Reuter,  und  nicht  die  Legion  ex'ercitus  nennen  sollen*?' 
Ganz  recht ;  aber  ebendesswegen  konnte  exercitus  nicht  durch 
'  Heerschaaren'  übersetzt  werden ;  denn  diess  Wort  bezeichnet 
unbestimmte  Heerhaufen,  exercitus  aber  und  Heer  ein  Ganzes. 
Intercipere'  aber  sei 'aufreiben',  wie  venenoinlerceptus  stünde 
beiAgr.c.43:  Scelere  Pisonis  interceptus  (Gerraanicus),  Annal. 
2,  71 :  Neque  ob  aliud  interceptos  (Drusura  et  Germanicum) 
quam  quia  etc.,  Annal.  2,  82  ohne  Substantiv,  wie  an  unsrer 
Stelle.  —  Der  Analogie  nach  wäre  allerdings  die  Bedeutung 
tödten  in  intercipere  eben  so  möglich ,  wie  in  interficere  und 
interimere  y  aber  der  Sprachgebrauch  hat  diesem  Worte  eine 
noch  ausgesprochenere  Bedeutung  gegeben,  als  jenen  beiden; 
und  die  hat  Hr.  Walch  übersehen.  Es  heisst  nemlich  durchaus 
etwas  unterwegs ,  vor  Erreichung  eines  Ziels  in  Empfang  neh- 
men. Dabei  ist  noch  nicht  ausgemacht,  zu  welchem  Zwecke. 
frumenta  et  commeatus  intercepti  werden  verspeisst ,  milites  i7i- 
tercepti  gefangen  oder  getödtet  werden.  Letzteres  ist  hier  der 
Fall;  aber  darum  fehlt  der  erste  Begriff  nicht ,  denn:  Victor 
Britannus  Cereali  adventanti  obvius  fudit  legionem.  Das- 
«elbe  beweisen  auch  alle  von  Hrn.  W.  beigebrachten  Stellen.  Ue- 


Tacitua'  Agricola,  herausgeg.  von  Walch.  183 

berg:etragen  nemlich  von  eigentlicliem  Weg  und  Ziel  auf  die 
natürliche  Lebensdauer  heisst  inlercipere  immer  auf  unnatür- 
liche Weise,  oder  wenigstens  vor  der  Zeit  sterben.  Diess  gilt 
vonAgricola;  daher  es  von  ihmCap.  44  heisst:  quamquam  media 
in  spalio  integrae  vüae  ereptus ;  dasselbe  von  dem  vorzeitigen 
und.  gewaltsamen  Tode  des  Drusus  und  Germanicus ,  wie  in  An- 
nal.2, 71  der  Gegensatz  deutlich  zeigt:  Sifato  concederem^ 
—  nunc  scelere  Pisonis  interceptus.  Noch  deutlicher,  wo  mög- 
lich Quintil.  X,  1,  121 :  Julius  Secundus^  si  longior  contigisset 
aetas^  clarissimum  profecto  nomen  oratoris  apud  posteros  foret. 
Ceterum  interceptus  quoque  inagnum  sibi  vindicat  locum. 

Cap.  6:  Ludos  et  inania  honoris.  "^Spiele  und  Eitelkeiten 
der  Ehre.'  Anm.:  "^Mit  Recht  erinnert  Vir  dung  an  die  ludi  ho- 
norarii.  Inania  honoris  wie  bei  Cic.  Verr.  Act.  6:  propotiit  in- 
aniamihi  nobilitatis.  Richtig  öuchner:  quod  ex  illis  nihil  verae 
dignitatis  ac  honoris,  sed  tantum  opinio  quaedam  in  raagistra- 
tumredit.  Dann  Annal. I,  7 :  Eadem  magistratuum  vocabula^ 
Wir  gestehen  aus  diesen  Stellen  nicht  ganz  klar  über  desHrn.Verf. 
Meinung  werden  zu  können,  ob  honor  als  Ehre  oder  als  Ehrenamt, 
magistratus,  genommen  sei.  Doch  lässt  die  folgende  Anmerk.  kaum 
länger  zweifeln,  die  mit  Virdung  erklärt  Spiele  zu  eitlem  Ehrer- 
werb.' Wir  nehmen  Äowor  als  Ehrenamt,  so  dass  et  erweiternd  die 
Gattung  zusammenfasst :  Die  Spiele  und  sonstiges  äusseres  Geprän- 
ge des  Ehrenamts.  Hierauf  verweist  uns  der  Gegensatz  der  wesentl. 
Wirksamkeit,  die  er  nicht  hatte:  nee  enira  iurisdictio  obvenerat. 

Ibid.:  modo  rationis - duxit.  'Wir  erklären:  Ludis  edendis 
ita  praefuit ,  (duxit)  ut  modum  haberet ,  quem  ratio  praescribe- 
ret  et  facultates  ipsius:  [so  schon  früher,  doch  bedenklieh, 
Virdung]  kurz:  moderationis  rationem.  Gebot  Ueberlegutig 
\xiiA  Einsicht .,  Wesentliches  nicht  fehlen  zu  lassen,  so  unter- 
sagte ein  zwar  reichliches,  doch  nicht  im  höchsten  Ueberfluss 
glänzendes  Vermögen,  der  ausschweifenden  Prachtliebe  zu  hul- 
digen.' Wir  finden  diese  Erklärung  nicht  so  einfach,  als  Hr. 
Walch.  Denn  gewiss  wird  wohl  der  unbefangene  Blick  in 
abundantia  als  Gegensatz  von  ratio  überflüssigen  Glanz  er- 
kennen, also  in  ratio  die  Einsicht  und  Berechnung,  durch 
leeren  Prunk  dürfe  er  seine  Vermögensumstände  nicht  in  Un- 
ordnung bringen.)  Zwischen  diesen  beiden  Betrachtungen 
hielt  er  die  Mitte;  er  gab  nicht  so  wenig,  als  strenge Rück- 
sichtsnahme  auf  sein  Vermögen  rieth,  noch  so  viel,  als  die 
herrschende  abundantia  forderte.  Der  Hr.  Verf.  kehrt  die  Sache 
um;  dass  diess  aber  nicht  angeht,  beweist  erstlich  die  weitere 
Ausfiihrung  und  ihre  Gegensätze.  Y)e.\\n  uti  longe  a  luxuria 
entspricht  in  erhöhtereni  Begriffe  der  abundantia;  und  in  ita 
famae  propior  verlangt  der  elliptische  Comparativ  propior  nicht 
die  Ergänzung  quam  luxuriae.^  ^\\{^\  nicht  quam  abundantiae., 
die  beide  gar  nicht  möglich  siiid,   sondern  einzig  und  allein 


184  Römische  Litteratur. 

quam  rationi^  d.  h.  der  genauen  Berechnung  seines  Vermögens'. 
Diess  allein  ist  beweisend ;  aber  wäre  dem  auch  nicht  also,  so 

möchten  wir  wohl  den  Beweis  sehen,  dass  modo  abundantiae 
heissen  könne  ^  nach  Maassgabe  seines  reichlichen,  doch  nicht 
glänzenden  Vermögens'  und:  'ratio'  billige  Riicksicht  auf  die 
Verkehrtheit  seiner  Zeit ;  denn  darauf  kommt  es  zuletzt  doch 
hinaus.  In  Lipsius  Erklärung,  mit  der  die  unsrige  im  Allge- 
meinen übereinstimmt,  tadeltderHr.  Verf.,  dass  er  abundantia  für 
summa  abundantia  im  Begriff  von  magnificentia  fasse.  Dem 
steht  aber  gar  nichts  im  Wege,  abundans  ist,  wo  alles  in  reich- 
lichem Maasse,  ja  überreichlich  vorhanden  ist.  Diess  kann  aber 
dem  mag7iificuni  gerade  entsprechen,  ja  beides  kann  die  digui- 
tas  Jemandes  erfordern,  und  nach  Maassgabe  dieser,  damals  aber 
viel  zu  hoch  angeschlagnen,  abundantia,  die  A.  mit  Recht  als  luxuria 
ansah ,  richtete  sich  derselbe ,  indem  er  pro  ratione  rei  fami- 
liaris  davon  abzog,  was  ihm  als  luxaria  erschien.  Ganz  hieher 
passend  spricht  Cic.  Phil.  2 ,  27  von  Pompeius :  muUa  et  lauta 
supellex^  et  magnifica  multis  locis^  non  illa  quidem  luxu- 
ria si  hominis^  sed  tamen  abundantis.  —  Schwer  möchte 
die  Entscheidung  über  den  Sinn  des  ducere  sein,  Hr.  W.  (auch 
Hr.  Walther  in  Observatt  in  Com.  Tacit.Spec.  alt.,  wie  ich 
aus  dem  Leipziger  Repertor.  ersehe;  denn  ich  selbst  habe  das 
Werkchen  nicht  gebrauchen  können)  nimmt  es  für  edere  ludos^ 

Spiele  führen,  leiten,  wie  ducere  pompam'  Die  3Iöglichkeit 
der  Erklärung  lässt  sich  nicht  läugnen.  Aber  ist  sie  wahrschein- 
lich? Würde  nicht  T.  das  Erkennen  eines  so  ganz  ausserge- 
wöhnlichen  Ausdrucks  irgendwie  erleichtert,  durch  ein  andres 
dem  Begriff  ducere  pompam  näher  liegendes  Wort  eingeführt 
haben?  Nun  abersteht  das  Wort  ganz  unbeachtet  im  Satze, 
und  wird  dem  Genitiv  rationis  et  abundantiae  (duxit)  angefügt. 
Und  wie  käme  T.  in  einer  so  ganz  einfachen  Erzählung,  wie 
hier,  zu  einer,  zugegeben,  so  ausserordentlich  kühnen  Bezeich- 
nung? 'Man  denke  sich,  sagt  Hr.  W.,  den  in  feierlicher Proces- 
sion  mit  seiner  Pompa  circensis  zum  Kampfplatz  ziehenden  Prae- 
tor.' Diesen  glänzenden  Aufzug  hätte  T.  gewiss  besser  einzu- 
führen verstanden,  als  durch  inania  honoris.  Und  konnte  wohl 
einem  Manne  wie  Tacitus  daran  liegen ,  einen  Mann  wie  Agri- 
colain  dieser  von  dem  gebildeten  Römer  höchst  massig  geschätz- 
ten Situation  zu  zeigen?  An  der  Spitze  der  Pompa  circensis? 
Wir  können  uns  in  diese  Ansicht  nicht  finden.  Wohl  aber  er- 
scheint es  uns  wesentlich  zu  erfahren,  wie  A.  über  diese  Prunk- 
leistungen gedacht  habe.  Zwar  sagt  Hr.  W.  'Was  gewönne  man 
für  den  Sinn,  als  den  schwächlichen  Satz:  Agricola  Äie/i Spiele 
etc.  Denn  nicht  die  Gesinnung .,  sondern  die  That  gab  dem 
Geschichtschreiber  einen  kräftigen  Gedanken.'  Allein  die  Li- 
beralitas  war  für  den  Römer  und  besonders  für  den  römischen 
Staatsmann  eine  so  wichtige  Tugend ,  dass  Cicero  ihr  einen  be- 


Tacltus' Agricola ,  herausgeg.  von  Walch.  185 

deutenden  Abschnitt  im  2teiiBaclie  de  officiis  widmete,  und  sich 
namentlich  sehr  ausführlich  über  die  sumptus  liberales  ausliess. 
üesswegen  war,  wieA.  über  diesen  wichtigen  Punkt  dachte,  lür 
den  verehrenden  Tacitus  die  Hauptsaclie,  was  er  gethan  dage- 
gen, nur  geringfügig;  wiewohl  er  freilich  dessen  Meinung  nicht 
wi'irde  aufgeführt  haben,  wenn  er  sie  nicht  praktisch  bewährt 
Iiätte.  Darum  sind  wir  geneigter,  die  Stelle,  so  zu  nehmen: 
Spiele  und  sonstige  Eitelkeiten  seines  Amtes  schätzte  er  nach 
demMaasse  berechnender  Einsicht  und  reichlicher  Darbringung 
ab ;  zwar  weit  entfernt  von  übertriebner  Pracht,  doch  dem  Hufe 
sich  mehr  hinneigend.  Zu  diesem  Gebrauche  von  dticere  gab 
;a<ww«s  Veranlassung  und  Farbe  und  die  Ausdrücke  beleuchten 
sich  gegenseitig.  Diess  meinte  auch  wohl  Ernesti  in  seiner 
nicht  ganz  deutlichen  Auseinandersetzung,  die  Hr.  W.  so  unzu- 
lässlich  findet. 

Ibid. :  Fecit^  ne  cuiiis  sacrüegium  P.  R.  sensisset.  "^dass 
der  Staat  keines  Tempelraub  empfand,'  Ueber  sensisset ,  das 
die  Uebersetzung  nicht  genau  wiedergiebt,  hätte  man  eine  An- 
merkung erwartet.  Es  ist  dazu  ein  Nachsatz  mit  si  und  dem 
Plusqüamperf.  zu  ergänzen,  den  Tacitus  lieber  dem  Leser  i'iber- 
lassen  mochte.  Es  ist  wohl  aus  dem  sensisset  mehr  als  wahr- 
scheinlich, dass  die  res  conquisitae  gar  bald  von  dem  begehr- 
lichen T.  Vinius  und  sonst  wie  zersplittert  wurden,  und  dass 
T.  sich  nicht  berufen  fülilte,  dieses  deutlicher,  als  durch 
das   elliptische   sensisset   zu   erkennen    zu  geben. 

Cap.  8 :  Peritum  obsequi.  "^ Kundig,  Folge  zu  leisten.'  Da- 
durch wird  der  Begriff  sehr  unvollständig  wiedergegeben ;  au- 
sser dem  allgemeinen  Nachgeben  heisst  obsequi  häufig,  wie  hier, 
sich  und  seine  Meinung,  selbst  mehr  als  Einsicht  und  Recht  for- 
dern, aus  Bescheidenheit  und  Ehrfurcht  ^^g^n  Höhere  unter- 
ordnen. So  des  Tarquinius  Priscus  einschmeichelndes  obse- 
quiura  bei  Livius.  Sogar  gegen  die  Götter  j  bei  Grat.  Cy- 
neg.  456: 

Sed  cui  bona  pectore  mens  est, 
Ofrse^m'furque  deo ,  deus  illam  molliter  aram  Lambit  etc. 

wenn  die  Stelle  nicht  verdorben  ist,  wie  die  alte  Ausgabe  Barths 
und  die  Gryphiana  wahrscheinlich  machen,  und  die  sehr  unbe- 
hülfliche  Wortfügung.  Gleich  in  unserm  Capitel  ist  eine  andre 
Stelle':  ita  virtute  in  obsequendo^verecundia  in praedicando^  de- 
ren Uebersetzung  nocli  weniger  ausreicht.  'Tüchtig  im  Folge- 
leisten; bescheiden  im  Rühmen.'  Denn  die  beiden  Ablative  in 
obsequendo  und  in  praedicando  drücken  ein  verschiednes  Ver- 
hältniss  aus,  wie  öfters  bei  T.,  doch  seltner  mit  der  Präposi- 
tion ;  jenes  in  ist  während ,  dieses  in  Rücksicht  auf:  Seine  mi- 
litärische Tüchtigkeit ,  während  er  sicli  doch  unterordnete   in 


186  Komis  c  h  eLitteratur. 

der  üeberweisung  des  glücklichen  Ausgangs  an  die  Fortuna 
(die  auspicia  derRep.)  des  Feldherrn,  verlieh  ihm  Ruhm;  seine 
Bescheidenheit  in  Rücksicht  ruhmrediger  Aeusserung  bewahrte 
ihn  vor  Neid. 

Ibid.:  Habuerunt  virtutes  spatium  exemplorum.  'Seine 
Thatkraft  öflFnete  sich  Bahn  zu  Beispielen.'  Ist  dunkel  und  die 
Anmerkung  klärt  nicht  auf.  Doch  lässt  die  Aeusserung:  Xip- 
sius  Aenderung  spatium  et  exemplum^  dem  Sinne  nach  gut, 
wäre  unnöthig' ,  und  die  Uebersetzung  schliessen,  dass  der  Hr.> 
Verf.  es  so  verstand,  als  wenn  Agricola  auf  dem  gegebnen  Rau-. 
rae  Beispiele  hätte  aufstellen  können.  Allein  diess  widerspricht 
dem  eben  gerühmten  obsequium  und  des  A.  Stellung  imd  Alter;.. 
Vielmehr  giebt  Lipsius  Aenderung  denselben  Sinn,  nur  für 
uns  einleuchtender,  als  Glossem  des  Genitivs.  exemplum  steht 
wie  oft  statt  des  Mannes,  der  zum  Muster  dient,  spatium  aber' 
ist  das  Stadium,  auf  dem  A.  mit  jenem  Muster  Wettrennen  konn- 
te, und  diess  Stadium  wird  ganz  lateinisch  das  Eigenthum  des- 
sen genannt,  der  ihm  den  Wettkampf  eröffnete,  des  Cerealis. 

Ibid.:  atteri  soräidum  arbitrahatm\  \\\  unterliegen  achtete 
er  für  schmutzig.'  Die  Anm.  stimmt  E  r  n  e  s  t  i  bei ;  atteri',  vinci 
et  iacturam  facere  dignitatis.  Es  erinnere  an  i/laööoüöO'at  — 
Aber  die  Bedeutung  des  Unterliegens  ist  wohl  nur  dem  Gegen- 
satze f2«ce;e  zu  Liebe  angenommen;  denn  wenngleich  atterere 
vires,  oder  stärker  terere  und  deterere^  Jemandes  Kraft  schwä- 
chen und  seine  Macht  (auch  durch  Sieg)  beschränken  heisst, 
so  kann  wohl  diess  nur  zufällige  Mittel  Sieg  nicht  die  Haupt- 
bedeutung verdrängen,  zumal  in  einem  Zusammenhange,  wo 
von  Beschränkung  der  Macht  durch  Unterliegen  gar  nicht  die 
Rede  sein  kann;  auch  wäre  eine  solche  Niederlage  nicht  schmu- 
tzig, sondern  schmählich  und  lächerlich,  atteri  ist  nichts 
mehr  und  nichts  weniger  als  nQOSTQißsG&ai,  in  welchem  eben 
so  die  Bedeutung  unanständiger  und  schmutziger  Sitte  liegt; 
und  et  heisst  hier  wiederum  'überhaupt.'  Einen  Procurator 
zu  besiegen  hielt  er  theils  für  unrühmlich ,  theils  überhaupt 
sich  mit  ihnen  zu  bemengen ,   tief  unter  seiner  Würde. 

Cap.  9:  Fama  haud  semper  errat,  aliquando  et  elegit. 
'Der  Sinn  neigt  sich  zu  einem  allgemeinen  Ausspruch;  also: 
Oft  trift  der  Ruhm  das  Wahre.'  Die  Bemerkung  ifet  ohneZwei- 
fel  richtig;  aber  es  kann  doch  nicht  anders  als  auffallen,  dass 
T.  zwei  unmittelbar  neben  einander  stehende  Glieder  eines 
allgemeinen  Ausspruchs  durch  verschiedne  Zeiten,  errat  -  elegit, 
hat  geben  wollen;  und  man  vernähme  gern  den  Grund.  Dieser 
liegt  schon  in  semper  und  aliquando  angedeutet.  Der  erste 
Theil  ist  ein  völlig  allgemeiner  Gedanke ,  daher  errat ;  der 
zweite  sollte  auf  die  wirklich  faktische  Vergangenheit  zu- 
gleich hinweisen,  daher  wählte  er  für  diesen  das  Perfectura 
praesens,  das  gleichwohl  nicht  aufhört  Theil  eines  allgemeinen 


TacUus' Agricola,  herausgeg.  vonWalch.  187 

Satzes  zusein,   und  das  wir  uns  nicht  scheuen  dürfen  durch 
unser  Perfectum  wieder  zu  geben ,  was  Hr.  W.  verbietet. 

Cap.  10:  eloqiientia  percoluere.  'mit  Beredsamkeit  ge- 
schmückt.' '  Die  Neigung  zu  unterhalten  mochte  Veranlassung 
sein,  dass  manches  —  mit  allem  Glanz  der  Beredsamkeit  ver- 
schönt in  ihre  Erzählung  einfloss.  Wie  oft,  lässt  T.  mehr  er- 
rathen  als  er  sagt.'  Hier  wenigstens,  wie  uns  dünkt,  konnte 
die  Sache,  wenn  er  nicht  beleidigend  sprechen  wollte,  kaum 
deutlicher  benannt  werden.  Zwar  giebt  die  Erklärung  den 
Sinn  von  percoluere  genauer,  als  die  Uebersetzung ;  doch 
noch  nicht  mit  befriedigender  Schärfe,  oratio  culta  ist  schon 
an  und  für  sich  der  dritte  und  höchste  Grad  geschmückter  Rede; 
da  nun  hier  percoluere  nicht  eiinen  übermässigen  also  fehler- 
haften Schmuck  bedeuten  kann,  so  beschreibt  es  deutlich  jene 
alles  Lückenhafte  der  Kcnnims^  über glätteiide7i  Phrasen,  wel- 
che sich  seine  Vorgänger  erlaubt  hatten.  Und  sollte  dennoch 
vielleicht  ein  Zweifel  übrig  bleiben,  so  räumt  ihn  rerum  fide 
tradentur  gänzlich  weg :  Wie  die  Sachen  wirklich  sind,  nicht 
wie  sie  sich  gut  lesen  lassen.  ^Beglaubigt'  übersetzt  esHr.  W. ; 
nicht  treffend;  wir  würden  dadurch  jene  bloss  schön  gesagten 
Dinge  nun  auch  bestätigt  oder  bewiesen  erhalten. 

Ibid.:  hiems  abdehat.  'der  Winter  umschloss.'  Warum  wm- 
schlossl  Die  Anm.  (die  zu  vergleichen)  bringt  auf  die  Ver- 
muthung,  dassHr.  W. zuerst  üppetierat  (oder  appete bat?)  habe 
lesen  wollen.  Hactenus  würden  wir  aber  nicht  mit  dem  Hrn. 
Verf.  als  Zeitbegriff  nehmen,  sondern  auf  dispecta  beziehen: 
Ein  scharfes  Auge  erblickte  selbst  Thule ,  welches  bis  soweit, 
d.  h.  bis  auf  diesen  unbestimmten  Umriss  nur  einem  scharfen 
Auge  wahrnehmbar,  Schnee  und  Wintersturra  verbarg.  Ibid. : 
Ne  ventis  quidem  proinde  atlolli.  Man  ist  nicht  gezwungen, 
mit  dem  Hrn.  Verf.  proinde  für  perinde  anzunehmen.  Ergänzt 
man  'als  andre  Meere',  so  stünde  es  allerdings  statt  non  perinde 
atque  alia  maria,  oder  per  omnia  maria  maiores  fluctus.  Ver- 
steht man  aber ,  was  näher  liegt ,  ventis^  so  ist  proinde  ganz 
eigentlich  gebraucht:  ßuctus  non  turgent  pro  ventis^  nicht  im 
Verhältniss  zur  Heftigkeit  der  Winde.  Eben  so  German.  5: 
(^Auri)  possessione  et  usu  non  proinde  afficiuntur  ^  i.  e.  pro  auri 
pretio ;  wollte  man  dagegen  ergänzen ,  quam  pleraeque  gentes, 
so  stund'  es  freilich  auch  hier  für  perinde.  Nicht  anders  bei 
Lucret.  3,  1066:  Si  homines  possefit  cognoscere^  proinde  ac 
sentire  videntur:  Si  pro  simulata  prudentia  saperent.  Das- 
selbe gilt  von  unzähligen  Stellen,  wo  man  Verwechselung  bei- 
der Partikeln  annimmt.  Perinde  ist  ein  Vergleich  von  wo  aus 
durch  oder  über  einen  grösserji  oder  kleinern  Raum  hin  sich 
ausbreitend,  proinde  der  Vergleich  zwischen  Ursach  und  ent- 
sprechender oder  nicht  entsprechender  Folge. 

Ibid.:  mtiltttm fluminum  huc  atque  illuc  ferri  erklärt  der 


188  Rüniische  Litteratur. 

Hr.  Verf.  von  Meeresströmungen.  Allein  da  vor-  und  nachher 
von  der  Natur  der  Ebbe  und  Fluth  an  Schottlands  Küsten  ge- 
sprochen wird,  so  können  wir  der  Annahme  nicht  beitreten. 
Der  Hr.  Verf.  hringt  p.  3«1  selbst  die  Stelle  aus  Mela  III ,  6 
hei,  die  der  unsern  ganz  ähnlich  lautend  von  derselben  Natur- 
erscheinung zu  Terstehn  ist.  Wiewohl  sie  auch  dort  so  eigen- 
thiimlichen  Zusammenhang  hat,  dass  man  glauben  muss,  Mela 
selbst  habe  nicht  das  Rechte  gedacht:  Fert  nemora^  lacus 
ac  praegrandia ßu7nina  ^  alternis  niotibus  modo  iiifelagus^  modo 
retro  fluentia  etc.  Hier  wo  von  der  vordringenden  Ebbe  und 
der  zuriickweichenden  Fluth  die  Rede  war,  konnte  T.  die  Rich- 
tung durch  die  nnhestimmten  AusdrVicke  huc  atque  illuc  hezeich- 
nen  ohne  Furcht  vor  Älissdeutung.  Wir  wissen,  dass  noch  jetzt 
die  Fluth  der  aestuaries  Schottlands  mit  solchem  Ungestüm 
hereinbricht ,  that  wellraounted  horsemen  lay  aside  hopes  of 
safety ,  if  they  see  its  wliite  surge  advancing,  while  they  are 
yet  a  distance  from  the  bank. 

Ibid.:  iugis  etiani  atque  montibus  inseri^  velut  in  suo. 
'Dringe  in  Gebirge  sogar  und  Höhen  ein,  wie  —  in  die  Seinen.' 
Diess  erklären  dieAnmerk.:  wie  in  dieThäler,  Schluchten,  Ber- 
ge, Gebirge  auf  dem  Meeresboden.  Die  Stelle  ist  eine  von 
den  vielen,  die  ganz  einfach,  wenn  wir  sie  einmal,  von  andern 
verwirrt,  mit  befangenem  Auge  ansehn,  in  die  wunderlichsten 
Irrgänge  lockt.  Es  ist  einzig  und  allein  ,  wie  an  so  unzähligen 
Orten  das  der  Sprache  fehlende  Participium  ens  zuzudenken: 
Eines  möchte  ich  zufügen ;  dass  nirgends  das  Meer  unumschränk- 
ter gebiete,  viele  Ströme  hiehin  und  dorthin  treibe,  und  nicht 
bis  zu  dem  Ufer  allein  anwachse  und  zurückgeschlürft  werde, 
sondern  auch  gänzlich  hinein-  und  umfliesse,  ja  in  Gebirgskäm- 
me  sogar  und  Berge  eindringe,  wie  in  seinem  Eigenthum  schaltend. 

Cap.  12:  naturam  margantis  deesse,  quam  nobis  avarüiam. 
'Ich  möchte  lieber  glauben,  Perlen  mangle  diese  Beschaffen- 
heit ,  als  tins  —  Habsucht.'  "  Man  denkt ,  quae  margaritis  est 
in  rubro  mari.  Natura  für  das  Princip ,  Natur  von  uns  genannt, 
zu  nehmen,  welches  stiefmütterlich  die  brit.  Perlen  behandelte, 
würde  deesse  m  doppelter  Bedeutung  setzen ;  für  T.'s  Stil  nicht 
unpassend ;  will  sich  hier  aber  nicht  empfehlen.'  Wäre  hier  die 
Beschaffenheit  oriental. Perlen  gemeint,  (die  übrigens  im  Text 
nicht  einmal  namentlich  genannt  ist,)  so  konnte  das  vieldeutige 
natura  bei  so  lockerer  Beziehung  nicht  ohne  einen  Satz ,  wie 
ihn  Hr.  W.  zudenkt,  oder  wenigstens  nicht  ohne  Pronomen  ge- 
setzt werden.  Daher  ist  Natura  allerdings  die  schaffende  Na- 
tur und  defuit^  sie  hat  es  an  etwas  fehlen  lassen.  Dadurch 
wird  jedoch  deesse  so  wenig  in  doppelter  Bedeutung  gesetzt, 
dass  avarüiam  nobis  deesse  gar  nichts  anders  heissen  kann,  als: 
unsre  Habsucht  habe  es  an  etwas  fehlen  lassen ,  nemlich  am 
Versuch  aller  Mittel,  jene  minder  beliebte  Bleifarbe  den  Perlen 


Tacitus'  Agricola,  herausgeg.  von  Walch.  189 

zu  nehmen.  Dicss  bezeugt  ausser  manchem  Andern  der  aus- 
drücklich vorherg^elicnde  Gegensatz  mit  abesse:  Quidam  arlem 
abesse  legentihis  arbilrantur. 

Cap.  20.     Wir  haben  bis  jetzt  uns,  nach  den  vorangesand- 
ten allgemeinen  Bemerkungen  iiber  den  Ton  des  Hrn.  W.,  aller 
Bitterkeit  sehr  geflissentlich  enthalten;  Menn  wir  es  in  den  näch- 
sten Ausstellungen  vielleicht  nicht  immer  können,  so  bitten  wir 
im  Voraus  um  Nachsicht;  uns  überwältigt  derUnmuth.  —  Wohl 
nur  Vorliebe  fürRhenanus  und  dessen  Verbesserungen,  oder 
Eigensinn  gegen  neuere  Ansichten  verleitet  den  Hrn.  Verf.  jenes 
Mannes  Conjcctur   militiim   in  agmine   vorzuziehn,    und  um 
die  Auctorität  der  Codd.  zu  vermindern ,    gegen  sein  besseres 
Wissen  mancherlei  Irrthümliches  aufzustellen.     Zuerst  läugnet 
er  tnultus  in  agmine  wäre  lateinisch.    Ich  sage,  ganz  g^^ew  bes- 
seres Wissen;  denn  da  nacn  Hrn.  W.  Zugeben,  —  und  wie  ist  es 
anders  möglich  —  multum  esse  in  agmine  lateinisch  ist,  wie 
wird  doch  auf  einmal,  sobald  esse  in  der  Participialconstruction 
oder  einem  elliptischen  Satze  wegfällt,    die  Phrase  Unlatein? 
Ferner  wird  behauptet,  es  wäre  diese  Bezeichnung  '  multum  esse 
in  agmine'    wenigstens  überflüssig   bei  einem  Feldherrn,  'der 
fortwährend  in  oder  Äe^m  Heere  war.'     Als  wenn  Hr.  W.  nicht 
wüsste,    dass    in   agmine  nicht  lieisst,    beim  Heere ^    sondern 
mit  dem  Heere  auf  dein  Marsche  beschäftigt.     Und  hier  viel- 
fach thätig  zu  sein,  war  nichts  weniger  als  überflüssig.     Denn 
erstlich  suchte  natürlicli  A.  von  vorn  herein  dem  Heere  eine 
Vorstellung   von    der  nun  überall  andersgewordenen  Disciplin 
fühlbar  zu  machen;    nicht  erst,  wenn  er  vor  den  Feind  kam. 
Daher  begann  er  gleich,  so  wie  das  Heer  sich  zusammengezogen, 
beim  Ausrücken.     Und  zweitens  verdiente  diese  Maassregel  um 
so  eher  genannt  zu  werden,  weil  auf  dem  Marsche  selbst  von 
strengern  Feldherrn  manches  übersehn  wird.     Daher  ist  multus 
in  agmine  ;  laudare  modestiam  die  unbezweifelt  richtige  Lesart, 
welche  auch  Rhenanus  würde  unangetastet  gelassen  haben. 
Aber  sehr  gern  geben  wir  zu,    dass,    was  Rhenanus  vorfand: 
multum  laudare    ein  sehr  überflüssiger  Zusatz    wäre;    und 
darum  corrigirte  es  derselbe  mit  Recht;  auch  lag  militum  sehr 
nahe;   denn  contracto  eccercitu  multum  in  agmine  laudare  mo- 
destiam gab  einen  anstössig  allgemeinen  Satz.    Gleichwohl  war 
militum  nicht  richtig.  Denn  wie  käme  dieser  ganz  unbedeutende 
Genitiv  an  die  Spitze  eines  Satzes,  der  rerscA/erfweDisciplinmittel 
beschreibend  aufzählt  'i  Er  könnte  sich  nur  rechtfertigen  durch  ei- 
nen Gegensatz  wie  Officiere,Tross u.a.m.  Davon  aber  findet  sich 
nichts.  Denn  i/ise  im  Folgenden  bildet  keinen  Gegensatz  für  mili- 
tiim; multus  in  agmine  aber  ist  ein  allgemeiner  Satz,  der  in  zwei 
Unterabtheilungen  zerfällt :  modestiam— disjectos.  Endlich  in  dem 
Satz  selbst  (agmine),  in  dem  nächst  vorhergehenden  exercitus^ 
dem  disjectos  ist  hinlänglich  gesorgt,    dass  hier  nicht  mehr 


190  Römische  Litteratur. 

(was  Hr.  W.  noch  fürchten  will,)  "^von  philosophischen  Kernsprü- 
chen' im  Allgemeinen  die  Rede  sei. 

Ibid.  Die  schwere  Stelle:  Qm'bus  rebus  —  illacessita  tran- 
sierit^  wird  sehr  umständlich  besprochen,  doch  schwerlich 
genügend  corrigirt  und  erklärt.  Wir  müssen  hier  gegen  unsre 
bisherige  Weise  auch  einige  Widerlegungen  berühren,  da  sie 
gegen  theilweise  von  uns  gebilligte  Erklärungen  gerichtet  sind. 
'Die  Verbesserung,  sagt  Hr.  W.,  ut  nulla  —  pais  magis  illaces- 
sita manserit  lässt  eben  so  unbestimmt,  als  historisch  uube- 
gründet,  auf  wen  das  unbefehdet  gehe,  ob  auf  die  Britannen 
oder  auf  die  Römer.'  Wird  wohl  Jemand  in  dem  Satze :  Die 
eroberten  Provinzen  wurden  so  wohl  durch  Kastelle  geschützt, 
dass  kein  Theil  je  unangefochtuer  blieb,  die  Frage  aufwerfen: 
unangefochten  von  Wem?  Und  historische  Begründung  wird 
verlangt!  Diesen  Einwand  scheint  sich  Hr. W.  so  angewöhnt  zu 
haben,  dass  er  ihm  in  Ermanglung  eines  Bessern  sogleich  auf 
die  Zunge  tritt.  Ist  nicht  bekannt  genug,  dass  die  Britannen 
frülier  keine  Gelegenheit,  keinen  Winter  vorüberliessen,  ohne 
Freiheitsversuch*?  Und  dass  diess  jetzt  nicht  der  Fall  war,  er- 
fahren wir  ja  eben  hier!  und  zwar  als  etwas  ganz  Unerhörtes; 
ja  recht  ausführlich  im  nächsten  Capitel,  im  nächsten  Satze 
selbst :  Sequens  hiems  saluberrimis  consiliis  absmnpta.  —  (Cap. 
22.)  Itaque  intrepida  ibi  hiems  ^  et  sibi  qiiisque  praesidio  — 
irritis  hostibus  eoque  desperantibus  ^  quia  —  tum  aestate  atque 
hieme  juxta  pellebaiitur.  Man  wird  versucht,  Hrn.W.  auf  seine 
eignen  Worte  p.  281  zu  verweisen.  'Dem  überall  im  Grossen 
und  Allgemeinen  erzählenden  Historiker  möchten  wissbegierige 
Leser  gern  (nach  heutigem  Bedürfniss)  im  Einzelnen  folgen, 
um  wo  möglich  mit  arithmetischer  Genauigkeit  über  Umfang 
und  Grösse  der  Ereignisse  dieses  Sommers  nach  Tag  und  Stun- 
de in  voller  Zuversicht  abzuurtheilen.'  Auch  in  Ernestis  Vor- 
schlag: ut  nulla  pars  —  SIC  illacessita  transierit  findet  Hr.  W. 
die  Annahme,  A.  habe  die  in  friedliche  Verhältnisse  eben  mit 
den  Römern  gekommenen  Völker  mit  Schanzen  umringt,  an  sich 
unwahrscheinlich,  und  müsste  des  Beispiels  wegen  doch  auf 
etwas  Historisches  sich  gründen.  Dies  aber  bleibe  Ernesti 
schuldig.  Den  Beweis  wollen  wir  auf  unbezweifelte  Auctori- 
tät  gründen:  'Immer  durchstreiften  die  Römer  erst  das  Land, 
und  suchten  durch  gelegte  Schanzen  es  in  Besitz  zu  nehmen.' 
Tacitus'  Agricola  durch  G.  L.  Walch.  p.  300.  Ibid.  p.  313:  'Es 
ist  bekannt,  wie  vorsichtig  die  Römer  beim  Eindringen  durch 
Schanzen  den  Besitz  zu  erhalten  suchten.'  [verkürzt.]  Hier  aber 
ist  von  neuen  Bundesgenossen  die  Rede*?  Kann  Ernesti  oder 
Tacitus  etwas  dazu ,  dass  Hr.  W.  ihnen  diesen  Gedanken  unter- 
legt, und  dann  einen  Beweis  vermisst,  den  sie  nicht  nöthig  hat- 
ten zuführen*?  Wo  hat  Hr.  W.  den  historischen  Erweis ,  dass 
hier  Bundesgenossea  erworben  wurden  ?  Denn  die  wirklich  an- 


Tacitus'  Agricola ,  heraiisgeg-.  von  Walch.  191 

geführten  Stellen  Liv.  34,  57  und  28,  34  beweisen  nichts.  — 
Der  Haupteiawurf  aber  gegen  alle  bisherigen  Erklärungen  ist 
dieser.  "^Terrere  und  pacis  irritamenta  ostentare,  oder  dieses 
tapfere  und  zugleich  milde  Betragen  bewirkte^  viele  von  Britan- 
niens Stämmen  —  lieferten  Geissein,  bewirkte^  sie  wurden 
mit  Schanzen  umschlossen.  Wer  glauben  wollte,  T.  habe  so 
antilogisch  das  Unischliessen  mit  Burgen  als  Folge  von  A.'s 
mannliaftem  und  menschenfreundlichem  Betragen  aussprechen 
wollen,  für  den  möchte  bei  Tacitus  Vieles  —  nicht  ausgespro- 
chen sein.'  Sehr  wohl.  Aber  wird  uns  denn  hier  A.  als  mann- 
haft und  menschenfreundlich  beschrieben'?  Es  wäre  wenigstens 
ein  sehr  befremdliches  Mittel  letztere  Eigenschaft  durch  'pacis 
irritamenta  ostentare' an  den  Tag  zu  legen.  Hr.  W.  sieht,  weil  er 
mühseelig  sucht ,  was  nicht  ist.  T.  schildert  uns  hier  nur  den 
grossen  Feldherrn  im  raschen  Fortschreiten  und  bedachtsamen 
Sichern,  wodurch  ihm  gelang,  was  Keinem  vor  ihm,  1)  durch 
wechselndes  Schrecken  und  Locken  viele  noch  nie  besiegte 
Völkerstämme  (wie  wilde  Thiere)  zu  zähmen  (iram  posuere) ; 
2)  diese  so  gewonnenen  Stämme  so  wohl  zu  sichern,  dass  nie 
ein  erworbenes  Land  unangefochtener  zu  den  Römern  überging. 
Ist  hierin  etwas  antilogisch*?  Denn  wer  wollte  T.  aufbürden,  er 
habe  quibus  rebus  (terrere  et  pacis.  irrit.  ostent.)  auch  ani prae- 
sidiis  circumdatae  bezogen?  Et  giebt  das  weitere  Verfahren 
A.'s  nach  der  Eroberung  mit  ausgelassnem  sunt.  Hören  wir  jetzt 
Hrn.  W's.  eigene  Lesung  und  Paraphrase :  Quibus  rebus  multae 
civitates  —  ira7n  posuere:  QUAE praesidiis  castellisque  cir- 
cumdatae (tanta  ratione  ET  cur a^  QUANTA  nulla  ante  nova 
Britanniae  pars,)  ILLACESSITAE  TRANSIERUNT.  'Dies 
milde  und  tapfere  Betragen  A.'s  hatte  zur  Folge,  viele  von  Bri- 
tanniens Stämmen,  welche  mit  Nachdruck  bisher  widerstanden, 
legten  von  selbst  die  Waffen  nieder,  wurden  unabhängige  Bun- 
desgenossen: (hatte  zur  Folge)  auch  Schwächere  mit  Burgen 
Umschlossene  (und  zwar  mit  so  viel  Einsicht,  wie  zuvor  kein 
neuumfasstes  Volk  Britanniens)  wurden ,  ohne  gereizt  werden 
zu  dürfen,  römische  Bundesgenossen.'  Der  Gegensatz  'Schwä- 
chere mit  Burgen  Umschlossene'  wird  hauptsächlich  dadurch 
geschaffen  (aus  Nichts)  dass  behauptet  wird :  'Schanzen  anzu- 
legen sei  nur  da  möglich,  wo  der  Feind  —  in  Schlupfwinkel 
und  Wälder  und  Sümpfe  sich  zurückzieht.'  Wir  wollen  weder 
dazn  etwas  bemerken,  noch  zu  manchem  Andern,  sondern  nur 
darüber  Aufklärung  bitten,  wie  von  Jemand,  der  schwach  vor 
dem  mächtigen  Feinde  in  Sümpfe  und  Wälder  fliehend ,  dann 
mit  Burgen  rings  umgeben,  gleichsam  umgarnt  und  wehrlos 
gemacht,  und  dadurch  zur  letzten  Nothwendigkeit  der  Erge- 
bung in  die  Gewalt  des  Siegers  gezwungen  ist,  wie,  fragen 
wir,  von  diesem  Tacitus  habe  sagen  können:  illacessitae  tran- 
aierunt.    In  der  That ,  ein  solcher  Satz  wäre  die  bitterste  Iro- 


192  Römische  Litteratur. 

f 

nie  entweder  von  oder  mif  Tacitus.  Wir  selbst  finden  den  Satz, 
wie  ihn  die  Ausgaben  lesen,  wenn  man  mit  allen  alten  Edd.  et 
vor  tantaratione  streicht,  ganz  richtig:  Qiiibus  rebus  —  iram 
posuere,  et  praesidiis  castellisque  circuradatae  tanta  ratione 
curaque,  ut  nulla  ante  Br.  nova  pars  illacessita  transierit.  Durch 
diese  Mittel  legten  viele  Völker,  welche  bisher  unbeugsam  ent- 
gegenstanden, Geissein  liefernd  ihren  Zorn,  und  wurden  so 
einsichtsvoll  und  sorglich  mit  Schanzen  und  Burgen  umgeben, 
dass  kein  neuer  Theil  Br.  früher  unangefochten  iibergegangen 
war.  Wollte  man  mit  Ernesti  szc  illac,  sounangef. ,  lesen,  so 
erhielte  man  denselben  Sinn  geschwächt.  Denn  ohne  Verglei- 
chungspartikel wird  alle  friihere  Beschiitzung  neu  erworbener 
Provinzen  Viberhaupt  als  unzulänglich  bezeichnet.  Da  nun  aber 
gleichwohl  hier  eine  Vergleichung  angestellt  wird  ,  so  drückt 
der  unerwartet  allgemein  eintretende  Satz  das  Missverhältniss 
ungleich  stärker  aus.  Ausserdem  ist  bekannt ,  dass  der  Cora- 
parativ,  wenn  er  schon  im  ganzen  Satze  angedeutet  ist,  wie 
hier  in  tanta ^  oft  ausgelassen  wird.  So  nahm  gewiss  Lipsius 
die  Stelle,  und  ging  still  über  sie  hin. 

Cap.  22  wird,  wie  in  früheren  Ausgaben,  unbequem  inter- 
pungirt:  Periti — legisse^  nullum —  desertiim.  Crebrae  etc. 
Allein  das  ürtheil  der  Kundigen  kann  sich  nur  auf  fion  alium 
—  legisse  beziehen.  Die  folgenden  Sätze  Nullum  etc.  beschrei- 
ben den  Erfolg  jenes  klugen  Benehmens  ,  wovon  crebrae  irru- 
ptiones  e\n.'Y\\^\{  %mA.  Daher  ist  richtiger:  legisse.  Nullum  — 
desertum;  crebrae  etc. 

Cap.  24.  Indem  Hr.  W.  Rh  enanus  Lesart  diff'e?'u?it.  Me- 
lius annimmt,  und  die  derlldschrr.  und  neueren  Ausleger  differt 
hl  melius  verwirft,  verwickelt  ihn  wieder  die  eigensinnige  Ge- 
ringschätzung seiner  Zeitgenossen  in  schlimme  Fallstricke,  unde 
pedem  proferre  vetat  pudor  aut  operis  lex.  Zuerst  kann  Hr.  W. 
die  grammatische  Richtigkeit  des  Singul.  dijfert  nicht  läugnen. 
Doch,  sagt  er,  sollten  Ausnahmen  die  Grundregeln  nie  erschüt- 
tern. Gewiss  nicht.  Doch  ebensowenig  soll  eine  Grundregel 
zu  willkührlicherAenderung  dawider  laufender  Ausnahmen  ver- 
führen, umso  weniger,  wenn  die  Abweichung,  wie  hier,  all- 
gemeinanerkannt, und  von  allen  Schrifstellern  zugelassen  ist. 
Und  gar  nicht,  wenn,  wie  wiederum  liier,  Gründe  da  sind,  die 
für  sie  sprechen.  Die  röm.  Dichter  hatten  schon  längst  gern 
das  Verbum  dem  letzten  Substantiv  im  Singular  zugefügt ,  wo- 
durch die  Sprache  nähere  Beziehung  und  grössere  Lebendig- 
keit gewinnt;  Tacitus  Zeitalter  aber  hatte,  nach  dem  gewöhn- 
lichem Verlauf  der  Sprachen,  unter  andren  Redeweisen  auch 
diese  auf  die  Prosa  übergetragen.  Soll  man  nun  dergleichen 
Eigenthi'iralichkeiten  des  Zeitalters  willkührlich  verwisclien? 
Also  könnte  man.  ganz  richtig  mit  den  alten  Ausgaben  lesen: 
differt.  in  melius.    Für  die  andere  Abtheilung  cultus  differt  in 


Tacitua'  Agricola ,  herausgcg.  von  Walch.  193 

melius  verlangt  JJr,\y.  historische  Begründung!  Wir  kennen  die 
alte  Parade!  Sic  ist  wohl  unterhaltend;  aber  verdriesslich  ist» 
doch  auch,  aiil'  alle  iiiinVitzen  Fragen  antworten  zu  müssen.  Und 
diese  ist  so  unuiifz  als  möglich.  Denn  erstens,  wenn  Ilr.  W. 
non  mnltum  diffenint  für  lüstorisch  begründet  annimmt,  wie  er 
thut,  wie  in  alier  Welt  ist  non  differunt  in  melius  es  nicht*?  Wo 
ein  geringer  Unterschied  ül)erhaupt  ist,  ist  er  doch  wohl  zum 
Bessern  wie  zum  Schlechteren  gering?  Ferner:  '^Wie  wäre  ein 
so  unbestimmtes,  auf  Treu  und  Glauben  liiiigestelltes  Urtheil 
[nemlich:  diffcrunt  in  melius]  in  der  Weise  eines  Scliriftstellers, 
der  nie  selbst  urtlieilt,  ohne  dem  Leser  das  Urtheil  zu  begrün- 
den'?' sagt  Ilr.  W.  Und  was  sollen  wir  dazu  sagen'?  Doch  wohl, 
diess  sei  eine  ganz  leere  und  nichtige  Redensart.  Denn  wo  ist 
denn  non  mnltinn  diffenint  begründet'?  Nirgends;  gar  nicht. 
Ja  was  mehr  ist ;  es  konnte  nicht  begründet  werden ;  denn  es 
ist  falsch.  Der  Unterschied  des  Klimas,  des  Landes,  der  Men- 
schen ist  keineswegs  so  gering,  und  wie  noch  jetzt,  wird  schon 
damals  über  Irland  und  Schottland  geurtheilt;  diess  lehrt  ein 
Blick  in  die  Geographen  und  Ossian.  Auch  der  Cliaracter  der 
Iren  w  ird  anders  beschrieben.  Aber  der  Ausspruch  no7i  mul- 
tum  differuut  in  melius  kann  selir  wohl,  wie  hier  der  Fall  ist, 
einen  ganz  bedeutenden  Unterschied  annehmen,  und  nur  läng 
MQn^  dass  er  zum  Vortheil  des  einen  Tlieils  ausfalle.  Nur  diess 
konnte  T.  behaupten;  und  gerade  diess  Urtheil  hat T. in  unsrem 
Capitel  begründet,  so  weit  wenigstens,  als  es  der  gegenwärtige 
Zweck,  A.'s  Absichten  auf  Irland,  erheischte.  Denn  mit  einer 
Legion  und  massigen  Ilülfstruppen  getraute  sich  A.  das  Land 
zu  nehmen  und  zu  behaupten.  Er  hielt  sie  also  für  nicht  so 
tapfer,  als  die  Britannen.  Aber  differre  in  melius  ist  nicht  la- 
teiniscli,  sagt  Ilr.  W.  Auch  diess  kennen  wfr;  und  Hr.  W.  wei^s 
es  selbst  wieder  besser.  Man  vergleiche  seine  eignen  Beispiele. 
Und  ohne  alle  Beispiele ,  bedenke  man  bei  dem  Streben  dieses 
Zeitalters  nach  möglichster  Kürze  den  ganz  ungemein  erwei- 
terten Gebrauch  der  Präp.  in  mit  dem  Accus.,  und  frage  sich 
selbst,  ob  T.  den  Begriff  "^sich  zu  seinem  Vortheile  unterschei- 
den anders  geben  konnte,  als  'differre  in  me/ius.'  Jedoch  Ilr. 
W.  zieht  melius  zum  zweiten  Satze.  Wir  fragen  zuerst:  War- 
um nicht  mit  den  Codd.  In  ?nelius  cogniti'}  Diess  übergeht  er 
ganz,  und  behauptet  nur  non  mulium  diffenint  verlange  "^einen 
kräftigen  Gegensatz,'  Weswegen,  sieht  man  nicht  ein.  Sei 
es!  Der  Gegensatz  ist:  ^Besser  (als  von  Britannien)  kennt 
man  A7ifuhrlen  und  Häfen!  Welch  ein  Gegensatz  !  Land  und 
Bewohner  sind  wenig  verschieden;  besser  kennt  man  die  An- 
führten! Hätte  nicht  gerade  dieser  höchst  unpassende  Sinn 
durch  das  an  die  Spitze  gestellte  melius  jeden  Unbefangenen 
überzeugt,  es  könne  unmöglich  hiehergehören?  Aber  es  hat 
eine '^historische  Beziehung;  theils  auf  Caesars  fruchtlose  Ver- 

Jahrb.f.  Phil.  u.  Pädag.  Jahrg.  lil,  fleftü.  ^g 


1^4  Rüraisclie  LItteratur. 

suche  von  Britanniens  Häfen  Kunde  einzuziehen;  theils  auf  Agri- 
cola  selbst.'  Was  hat  aber  Caesar  und  seine  Versuche  mit  der 
jetzigen  Zeit  und  AgricolasKenntniss2u  schaffen?  Oder  wodurch 
würde  der  Leser  an  jenes  Mannes  Kenntniss  von  Britannien  er- 
innert'? Auf  Agricola  passt  eben  so  wenig:  besser  kannte  er 
die  Anführten  durch  Kaiifleute.  Denn  der  nächst  folgende  Satz 
berichtet:  Agricola  habe  einen  Irischen  Fürsten  zum  Zweck 
eines  gelegentlichen  Einfalls  bei  sich  behalten.  Von  wem  wird 
er  nun  bessere  Kenntniss  der  Anführten  gesucht  haben;  von 
unzuverlässigen  Kaufleuten,  oder  von  diesem  regulus',  den  mit 
ihm  geraeinsames  Interesse  verband?  Daher  kann  hier  ein  ganz 
allgejueiner  Satz — "^aditus  per  commercia  cogniti' — allein  richtig 
stehn,  und  die  ganze  Stelle  heisst  ohne  Zweifel:  —  cultusque 
—  Jiaud  mullum  a  Bi\  differt  in  melius.     Aditus  etc. 

Cap.  27  wird  constuutia  et  fama  durch  fama  constans  er- 
klärt. Nicht  richtig.  Der  Begriff  eines  daurenden,  gleich- 
bleibenden, überall  hin  verbreiteten  Rufs  kann  hier  gar  nicht 
gemeint  sein,  wo  die  unmittelbare  Folge  des  Sieges  geschildert 
wird ,  Siegestrunkenheit  und  Selbstvertraun.  Dagegen  die 
grosse  Beharrlichkeit,  womit  die  schwächste  Legion,  überfallen, 
zur  Nacht,  mit  jedem  Nachtheil  kämpfend,  dennoch  mit  der 
ganzen  feindlichen  Armee  ausdauernd  gestritten  und  endlich 
gesiegt  hatte,  war  das  grösste  Verdienst,  das  der  Soldat  sich 
zuschreiben  und  zu  Erhöhung  seines  Muthes  gegen  einen  ge- 
fürchteten Feind  gebrauchen  konnte.  Und  diese  aus  den  Um- 
ständen des  Kampfes  treffend  entlehnte  Mahlerei  würde  Nie- 
mand, selbst  wenn  eine  constans  fama  möglich  wäre,  gegen 
diese  vertauschen  mögen.  Ueber  die  Richtigkeit  des  victoriae 
constanlia  wird  hoffentlich  Niemand  Zweifei  erheben,  und  am 
wenigsten,  wer  sich  erinnert,  dass  victoria  nicht  nur  den  da- 
von getragenen  Sieg,  sondern  auch  dieHandlung  des  Siegens  be- 
deute (wie  umgekehrt  vincere  auch  Sieger  sein).  So  gleich 
am  Ende  des  Cap.  26:  Nisi  silvae  fugieiites  tesissent.,  debella- 
tuvi  illa  victoria  foret.  Denn  nicht  der  schon  davongetragene 
Sieg  hätte  leicht  den  Krieg  beendigt,  sondern  ein  fortgesetztes 
Siegen  über  den  flüchtigen  Feind,  hätten  ihn  nicht  die  Wälder 
gedeckt. 

Cap,  28.  Rh  en  an  US  Lesart:  viox  hac  aique  illa  rapti^ 
so  passend  sie  an  und  für  sich  ist,  entfernt  sich  doch  zu  frei 
von  der  Schreibung  der  Codd.  mox  ad  aquani  atque  ut  illa  raptis 
oder  rapti.  Vergleicht  man  mit  diesen  Wörterfragmenten  des 
DioCassius Nachricht:  agtö  ts  xv^a  ncclo  äve^uog  autovg  e(psQSj 
so  wird  uns  wenigstens  sehr  wahrscheinlich,  jene  Worte  ent- 
hielten: mos  ab  aqua  atque  vi  procellarutn  acti. 

Cap.  30 :  recessus  ipse  ac  sinus.  "  Uns  schützte  Tiefe  und 
Busen  unseres  Rufs  bis  zum  heutigen  Tage.'  Hr.  W.  versteht 
unter  recessus  et  sinus  famae  '  Glanz  und  Macht  des  Rufs',  und 


Tacitus' Agricola ,  herausgeg.  von  Walch.  195 

indem  er  ausgeht  von  fnma  crescit  eundo^  behauptet  er,  je  ent- 
legner der  Gegenstand  der  Fama,  desto  grösser  sei  ihre  Kraft 
an  Intensio?i;  diese  uäre  durcli  recessus  ausgedrückt.  Docli 
ein  so  entfernter  und  intensiv  staiker  Ruf  sei  darum  noch  kein 
extensiv  ausgebreiteter;  diese  PJxtension  gäbe  am  zweckmässig- 
stensz/ms,  und  dieser  grosse  Ruf  der  Tapferkeit  habe  sie  bis  da- 
hin gescinitzt.  Diese  Ilerleitung  aber  und  Erklärung  hat  wolil 
bloss  das  Ausserordentliclie  für  sich,  und  verlaugt  im  Einzelnen 
keine  Widerlegung.  IIi\W. ,  der  so  oft  bemerkt,  dass  bei  T. 
kein  Wort  dürfe  übersehen  werden ,  übersieht  liier  ipse  (nos 
terrarum  extiemos  recessus  ipse  etc.).  Wir  sind  die  fernsten, 
und  eben  diese  Entfernung  hat  uns  beschützt.  Diese  Entfernung 
nun,  die  nur  durch  Hörensagen  mit  den  Römern  in  Berührung 
bringen  konnte,  wird  durch /«/««e  recessus  näher  bestimmt. 
In  diesem  einfachen  Fortschi*itte  des  Gedankens  liegt  keine  Er- 
"wähnung  des  Ruhras.  Wie  käme  auch  Calgacus  in  dieser  Abge- 
schiedenheit darauf,  seinen  Leuten  einen  so  unermesslichenRuf 
beizulegen'?  Und  thäte  er  es,  warum  besteht  der  grössteTheil 
der  Rede  in  dem  Beweise  der  unumgänglichen  liriegsnothwen- 
digkeit?  Er  wäre  gänzlich  zwecklos.  Dagegen  führt  auf 
unsern Gedanken  Cap. 31  zurück:  "^Et  longincjuitas  et  secretum 
ipsum  quo  tutius  ^  eo  suspectius.'  Jenes  ist  recessus  und  sinus, 
das  suspectu7n^i  tiz\Q\\i  sich  auf  die  Furcht,  dass  dort  die  Feinde 
der  Knechtschaft  sein  möchten.  Es  ist  die  Furcht  des  Tyran- 
nen ,  nicht  die  Furcht  seines  Siege  suchenden  Kriegers.  Bloss 
auf  Entfernung  führt  auch  an  unsrer  Stelle  die  Fortsetzung: 
Jmn  terminus  patet.  Offenbar :  Nun  ist  die  Entfernung  aufge- 
hoben. Nach  Hrn.  W. 's  Erklärung  würde  etwa  folgen:  Jetzt 
wagen  die  Tollkühnen  sich  selbst  an  uns.  (Die  früher  erwähn- 
ten priores  pugnae  haben  folgenden  Zusammenhang:  Andre 
konnten  sich  auf  uns  verlassen,  besiegt  in  noch  freie  Gegenden 
entrinnen.  Darum  fochten  sie  nicht  mit  ganzer  Kraft.  Wir 
haben  hinter  uns  das  Meer,  vor  uns  die  feindlicheren  Römei-.) 
Ist  diese  Erklärung  richtig,  so  folgt,  dass  Hr.  W.  Atqui  omne 
ignotum  etc.  nicht  richtig  nimmt:  "^ Bisher  schützte  uns  unser 
Ruf.  Jetzt  aber  ist  das  Ende  Britanniens  dem  Blick  unsrer 
Feinde  geöffnet:  folglich  von  unserm  Ruf  keine  Hülfe  mehr. 
Denn  nur  das,  was  nicht  aus  der  Nähe  gekannt  ist,  gilt  als 
gross.'  Wie  kann  man  doch  diesen  Gedanken  herausfinden  ! 
Atqui ^  welches  die  zweite  Prämisse  einführt,  sollen  wir  mit 
^de!ui'  übersetzen  können*?  Und  der  Schlusssatz  mit  seinem 
-^t^,^^  soll  gar  nicht  dasein,  sondern  von  den  Hörern  ergänzt 
werden'?  Es  ist  unmöglich.  Dazu  kommt,  dass  der  Schluss 
erst  nachher  folgt  von  infestiores  Romani  an.  Ist  aber  atqui 
-zweite  Prämisse ,  so  hat  sie  Hr.  W.  schon  gehabt  in  sinus  und 
recessus,  und  es  kann  nicht  noch  einmal  folgen;  und  heisst 
ginus  nicht  grosser  Ruf,  sondern  Entfernung,  was  uns  erwie- 

13* 


190  Römische  L  i  1 1  e  r  a  t  n  r. 

sen  tlüiikt,  so  ist  der  Syllogismus:  Früher  schützte  uns  Ent- 
fernung ;  jam  terniinus  etc.  Nim  aber  ist  die  Entfernung  auf- 
gehoben, also  müssen  wir  kämpfen ;  dieser  Schluss  beginnt  mit 
einer  Beschreibung  des  Feindes  (infestiores  Rom.),  den  bis  in 
diese  entlegensten  Gegenden  Kaubsucht  führt,  bis  er  aus  eben 
dieser  Beschreibung  c.  31  mit  Ita  siimite  animos  beendigt  wird. 
Aus  beiden  Auslegungen  scheint  uns  also  deutlich  hervorzugehen, 
dass  atqui  oder  atqiie  omne  ignotian pro  mngnißco  est  ein  Glos- 
sera von  sinus  sei,  in  dem  Sinne,  in  dem  Ilr.W.  erklärt.  Diess 
zeigt  auch  der  Verfolg:  Sed  milla  jam  ultra  gens.  Hr.W.  er- 
klärt, die  Zwischenidee  fehle:  Schützt  uns  unser  Ruf  nicht, 
so  werden  wir  bei  entfernten  Völkern  Hülfe  finden.  Diesem 
Einwände  begegne  er:  Allein  über  uns  hinaus  etc.  Allein  wie 
hätte  Calgacus  einen  so  wunderlichen  Einwand  machen  können, 
da  Alle  das  Gegentheil  Avussten?  Sed  gentes  ist  nemlich  die 
Fortsetzung  von  Brit.  ter minus  jjatet^  den  bisher  das  ganz  \\n- 
hraxichhare  ^fqui  ignotum  falsch  unterbrach.  Es  wird  gut  sein, 
kurz  den  Gedankengang  der  Rede  zu  skizziren:  Hoffnung  er- 
regt mir  ])  unsere  gute  Sache,  2)  unsere  Noth,  Nach  dieser 
Parütio  eine  kurze  captatio  benevolentiae:  Lob  jetziger  Eintracht. 
Hierauf  wird  das  2te,  die  Noth,  zuerst  abgehandelt ;  (um  mit  dem 
Ermuthigenden ,  der  guten  Sache,  besser  zu  schliessen.)  Skla- 
ven sein  mögt  ihr  nicht,  euch  zurückziehn  könnt  ihr  nicht, 
um  dem  gierigen  Raubthier  aus  dem  Wege  zu  gehn.  Also  müs- 
sen wir  kämpfen,  alle,  auch  die  Feigen.  Früher  Besiegten 
waren  wir  eine  Zuflucht:  uns  selbst  hat  bisher  die  äusserste 
Entfernung  geschützt.  Nun  sind  die  Feinde  da,  aber  hinter 
uns  kein  Volk  weiter ,  wir  sind  die  letzten ,  vorn  drängen  die 
Römer,  durch  nichts  zu  beschwichtigende,  unersättliche  Feinde, 
gleich  hart  in  Krieg  und  Frieden.  Also  fasst  Muth ,  wie  die 
Briganten.  Diess  macht  den  Uebergang  zur  guten  Sache.  Die 
Römer  sind  entnervt,  nur  sicher  durch  unsre  Fehler,  die  wir, 
jetzt  einträchtig  abgelegt  haben ,  und  im  Vertrauen  auf  unzu- 
verlässige Bundesgenossen,  die  bald  für  uns  kämpfen  werden. 
Wir  selbst  etc. 

Cap.  31.  Für  die  schwere  Stelle:  Nos  integri  etc. 
schlägt  Hr.  W.  folgende  Conjectur  vor :  Nos  integri  et  indomiti^  et 
LIBERTATEM  in  PRAECIPITEM  ALEAM  VATÜRT, 
primo  statim  etc.  Sie  hat  aber  das  gegen  sich,  dass  inpraecip. 
al.  dare  nur  von  freiwillig  Angreifenden  gelten  könnte.  Sie 
aber  haben  keine  Wahl;  sie  müssen  kämpfen.  Wir  finden  die 
Lesart  derCodd.,  wenn  man  mit  Vatic.  3429  in  vor  libert.  aus- 
streicht, so  vortrefflich,  dass  wir  sie  mit  keiner  Aenderung 
vertauschen  möchten:  Nos  integri  et  indomiti^  et  libertatem 
non  in  praesentiam  latiiri  —  non  ostendamus  — '?  Die  Brigan- 
ten hatten  in  übermüthigem  Genüsse  die  langentbehrte  Frei- 
heit,  nur  wie  einen  im  Raube  davon  getragenen  Gewinn  der 


Tacllus'  Agricolu,  hcrausgeg,  von  Walch.  I9T 

kurzen  Gegenwart,  träge  veigeudet.  Non  ferebant  libertatem 
nisi  in  pracseiitiani.  Diess  ist  ausserordentlich  characteristiscli 
als  Folge  langer  Knechtschaft  aufgestellt,  die  keinen  Lebens- 
zweck und  Plan,  nur  augenblickliche  Bei'ricdigung  der  Lust, 
am  liebsten  durch  llaub  und  List  kennt!  Sie  dagegen,  noch  frei 
und  nie  bezähmt,  würden  sie  nicht  beim  ersten  Angriff  sogleich 
zeigen  etc. 

Cap.  34.  Die  Stelle:  nori  restüertint^  sed  deprehensi sunt 
novissimi ;  ideo  ejctremo  mein  eorpora  deJLvere^  erinnert  so  sehr 
in  alleir  Theilen  an  jene  homerische  Beschreibung  der  erjagten 
Hindin  II.  d,  243: 

O'     Tiq)\f   ovTcaß  s6tf]t£  xEd'TjTtoTgg  t^vts  vißQol; 
(t   lijtJfjV  £Ä£t  ovv  ixa^iov  jioXsos  TtshioLO  &£0V6aL, 

£öT«ö',  ovo'  äga  ri'g  öcpi  ^btcc  g}Q£Gl  yiyvbtai  dl^t] '  etc. 

dass  man  das  vonRhenanus  als  Glosse  weggeworfene  ßc/ewt 
hinter  deßsere^  in  allen  Codd.  stehend,  in  der  Bedeutung  von 
Blich  mit  zugefügtem  et  wohl  mit  vollem  Rechte  in  seine  Stelle 
zurückführen  rauss:  extremo  mein  eorpora  defixere  et  aciem. 
Vielleicht  zögen  Andre  vor  et  animum.  — 

Noch  sind  uns  in  den  folgenden  Capiteln  manche  Punkte 
übrig,  die  wir  gern  durchgesprochen  und,  nach  unsrer  Ansicht 
wenigstens,  bei  dem  Herrn  Verfasser  berichtigt  hätten.  Allein 
wir  haben  die  Geduld  des  Lesers  vielleicht  schon  unbillig 
in  Anspruch  genommen,  und  brechen  daher  mit  der  Be- 
merkung ab:  Dass  wir  nur  das  herausgehoben,  was  uns  ei- 
ner Berichtigung  zu  bedürfen  schien;  dass  man  aber  dem  Werke 
grosses  Unrecht  thun  würde,  wenn  man  über  unsre  Aus- 
stellungen vielleicht  vergässe ,  dass  des  Guten  und  Treff- 
lichen leicht  mehr  darin  ist ,  als  des  Falschen ;  —  auch  ist 
ja  vielleicht  nicht  alles  falsch ,  was  uns  so  schien.  —  Auch 
raaclien  wir  darauf  aufmerksam,  dass  Jemand,  der  treti  alles 
erörtert,  leichter  eine  Blosse  giebt,  als  wer  hier  und  da  nur 
anmerkt,  was  er  gewiss  weiss  —  und  Viele  mit  ihm.  Möchte 
nur  der  Herr  Verf.  durch  unbefangenes  Urtheil  und  anspruch- 
losen Vortrag  künftig  nicht  ferner  zu  unniuthigem  Einspruch 


reizen 


Posen ,  im  Mai.  Fr.  Jacob. 


Q»  Curtii  Rufi  de  reb.  gestis  Alex  and  ri  Magni 
jRegis  Macedonum  libri  super  st  it  es.  Ad  opti- 
iiiarum  editiunuui  lidoru  scholaruiu  in  iisuia  curavU  G,  II. 
Lünemanii^     I'hiloa.    Doct.    ac    gyiunaäii    Gottingensis     Ileotor. 


198  Römiäche     Litteratur. 

Hannoverae  1827.     In  bibllopolio  aulico  Hahniano.    VIII  u.  248 
Seiten  in  8.    9  Gr. 

"a  die  Ausgabe  des  Ciirtius  von  Hrn.  Lünemann  für  den 
Gebrauch  der  Schulen  bestimmt  ist,  macht  sie  natVirlich  keine 
Anspriiche  auf  eine  mit  neuen  kritischen  Hülfsmittehi  begriin- 
dete ,  sondern  nur  mit  Benutzung  der  vorhandenen  möglichst 
gut  konstituirte  Textesrecension.  Von  einer  solchen  Ausgabe 
verlangen  wir  aber,  dass  sie  den  Text  des  Autors  so  forme, 
dass  die  Integrität  desselben  nach  den  besten  krit.  Vorarbeiten 
wiederhergestellt,  oder  doch  wenigstens,  so  weit  dieses  schon 
früher  geschehen  ist,  erhalten  werde.  Es  liätte  also  eine 
Ausgabe  zum  Grunde  gelegt  werden  müssen,  welche  uns,  so 
weit  es  sich  bisher  nach  genauer  Vergleichung  der  Codd.  und  alten 
Edd.  ermitteln  liess  ,  den  Curtius  selbst  giebt.  Hr.  L.  nun  hat 
die  Sc  hmi  e  der  seh  e  Ausgabe  der  seinigen  zum  Grunde  ge- 
legt, in  welcher  allerdings  viele  Stellen  mit  Scharfsinn  verbes- 
sert sind,  deren  Hauptvorzug  aber  in  der  histor. Kritik  besteht; 
wogegen  Schmied  er  in  der  diplomat.  Krit.  derMss.  noch  den 
alten  falschen  Weg  des  Zählens  und  ohne  gehörige  Consequen;^ 
verfolgte  (vergl.  Zumpt  Praef.  ad  Ciirt.  p.  XVI.);  und  wenn 
Hr.  L.  selbst  von  Schm.  sagt  (Praef.  VI):  qui.,  quanquam  se~ 
veriori critica  fieglecta^  mtilta  tatnen  loca  (sie!)  ad  manü&cri- 
ptortim  libroruju  ßdem  correcta  dedit^  so  liegt  hierin  ein  sehr 
unbestimmter  und  relativer  Vorzug,  der  nur  so  lange  dieser 
Ausg.  ein  entschiedenes  Uebergewicht  über  die  übrigen  geben 
konnte,  bis  eine  erschien,  in  welcher,  mit  Beimtzung  aller  al- 
ten und  einer  möglichst  grossen  Anzahl  neuer  Hülfsmittel,  der 
Text  kritisch  durchgesehen  und  verbessert  war.  Eine  solche 
aber  ist  die  von  Zumpt  zu  Berlin  1826  herausgegebene, 
die  eine  neue  Textesrecension,  mit  Angabe  der  Abweichun- 
gen von  der  Freinsheim.  Ed.,  enthaltend,  als  ein  Vorläufer 
der  in  der  Vorrede  angekündigten  grösseren  anzusehen  ist. 
Diese  musste  also,  nach  des  Rec.  Ueberzeugung,  der  neuen 
Schulausgabe  zum  Grunde  gelegt  werden,  und  da  Hrn.  Lüne- 
m  ann  keine  neue  Hülfsmittel  zu  Gebote  standen,  hätte  er  nur 
in  solchen  Stellen  seinem  oder  andrer  Urtheile  folgen  sollen, 
wo  Zumpt  entweder  frühere  oder  eigene  Emendationen  in 
den  Text  gesetzt  hatte.  Obgleich  nun  Hr.  L.  die  Vorzüge  die- 
ser Ausg.  nicht  verkennt,  ujid  zugesteht ,  dass  bei  dem  acre 
tersumque  Judicium  cum  interiori  latinae  linguae  cognidoiie 
juncttim  des  Herausgebers ,  und  dem  neuem  krit.  Apparate,  der 
ihm  zu  Gebote  stand,  es  natürlich  gewesen  wäre,  dass  der 
Text  des  Curtius  innumeris  locis  seine  ächte  Gestalt  wieder  er- 
halten, so  trug  er  jedoch  deshalb  Bedenken  auf  sie  die  seinige 
zu  begründen,  weil  der  Herausg. ,  aus  Neigung  einen  neuen 
Text  zu  konstituiren ,  bisweilen  auf  Abwege  gerathen  sei ,  und, 


Q.  Gurt.  Rufi  de  reb.  gest.  Alex.  M.  libb. ,  edid.  Lüneraann.    )9|||,' 

mit  Yerwerfung  guter  Lesarten,  schlechtere  an  ihre  Stellci ge- 
setzt oder  wieder  aufgeiiortinien  habe.  Desl»alb  habe  er  mit; 
gehöriger  Vorsiclit  die  Abweichiuigen  zwischen  der  S(;hraie~i 
derscJien  und  Z um p tischen  Ausg.  verglichen,  und  sei? 
jedesmal  demjenigen  gefolgt,  welcher  das  Richtige  getroflfei|, 
zu  haben  scheine.  Die  Stellen,  in  welchen  von  der  Schmie-ri 
derscli,eu  Ausg.  abgewichen  worden,  sind  hinter  deniTei^li 
(S.  235  —  248)  angeführt,  zum  Theil  mit  Angabe  des  Grtuideji^' 
gewöhnlich  aber  ist  nur  die  Ausgabe  angegeb.en,  der  .gefolgt 
ist,  und  zwar  meist  die  von  Zumpt,  zum  Theil  auch  Freins- 
lieim,  Cunze  und  Koken;  und  es  ist  nicht  zu  leugnen,  dass 
die  aufgenommenen  Abweichungen  von  der  Schmiederschen 
Ausgabe  sich  durchweg  empfehlen.  Ein  grosser  Theil  dersel- 
ben besteht  zwar  nur  in  Aeränderter  Stellung  und  Schreibartj 
der  Wörter ,  aber  eine  genaue  Aufjnerksamkeit  hierauf  trägt] 
nicht  nur  zum  Melodischen  sondern  auch  zur  feineren  Kennt- 
niss  der  Sprache  überhaupt  viel  bei ,  und  darf  deshalb  auch 
bei  SchuUusgaben  Mi^^tSfirmisst  werden.  Dahin  gehört  z.  B. 
lll,  1,  5  esse  vtderaui;^t^:vid.  esse  ^  ib.  7  nobilem  quoiidum  st. 
q.  noh.^  ib.  V,  1  pulvei'ß^-^ißiul  ac  sudore  st.  p.ac  s,  siuiul^  und 
dergi  mehr.  Besonders  zu  loben  ist,  dasS  Ilr.  L.  von  der 
Schmiederschen  Schreibart  vieler  Wörter  abgewichen  ist ,  in- 
dem dieser  Editor  keine  Assimilation  bei  den  mit  Praeposs.  zu- 
sammengesetzten Wörtern  zulässt,  so  dass  er  durchgängig  adx 
sciscü ,  adsumtis^  obcupatus^  ohcisi^  subpressi  u.  dgl.  schreibt ;: 
tibenso  in  einigen  einzelnen  Wörtern,  übereinstimmend  mit  Z., 
wie  abscisiis  st.  abscissus^  fidversus  st.  adver sum^  causa  st. 
caussa^  cunctanti  st.  contanti^  devertisse  st.  divertisse^  inß- 
tias  st.  inßcias  ^  qiiicquid  %i.  quidquid  .^  ru?  sus  st.  rursum^  sol- 
licitare  st.  solicitare.,  und  noch  einigen  anderen.  Auch  verbes- 
serte er  an  einigen  Stellen  nach  Zumpts  Vorgange  tu7n  st. 
tunc  (z.  B.  IV,  1,  14.  3,  2.),  wo  die  Erzählung  fortschreitet, 
postero  die  statt  postera  rf. ,  was  er  iiberhaupt  für  richtiger  er- 
klärt, und  es  auch  IV,  3^  10  (13)  zu  schreiben  vorschlägt,  ob- 
wohl dies  ohne  Autorität  der  Codd.  nicht  rathsam  ist,  da  die 
Lateiner  bei  blosser  Angabe  der  Zeit  keinesweges  das  Femini- 
num durchaus  vermieden  haben,  obwohl  postero  die  häufiger 
ist  (vergl.  Drakenb.  zu  Liv.  I,  12,  1  und  Spald.  zu  Quint.  Inst. 
VI,  3,  90).  Dagegen  behielt  Hr.  L.  gegen  Z.  bei:  alioqui  st. 
alioquin^  annidus  st.  anulus.,  arcesso  und  arcessivi  st.  accerso 
und  accersi.,  circumittis  st.  circuitus.,  concio  st.  cojilio.,  conjux 
st.  conjimx .1  dilionis  st.  dicionis .,  esafiimeni  st,  exam'?mtm  ^  ex- 
sistit  ^  exstinguil .,  exstruxil  u.  dgl.  statt  das  s  bei  diesen  Wör- 
tern auszulassen;  auch  quum  st.  t-wm,  obgleich  jene  Form 
nach  Quiutilians  Zeugniss  (I,  1,  5)  zu  seiner  Zeit  wenigstens 
für  eine  veraltete  und  übertriebene  Subtilität  gehalten  wurde, 
weshalb  er  gelbst  gewiss  stets  cum  schrieb »  wie  auch  Spalding 


200  Kölnische    Litterat  iir. 

edkt  Hat.  Auf  Quintilian  scheint  uns  aber  deshalb  für  Curtius 
eri'rt' besondres  Gewicht  gelegt  werden  zu  müssen,  weil  beide 
in  ihrer  ganzen  Schreibart  eine  nicht  geringe  Uebereinstim- 
ihung  haben,  welches  vielleicht  genauer  untersucht  einigen 
Aufschhiss  über  das  Zeitalter  des  Curtius  geben  könnte,  wenn 
nicht  et^a  anzunehmen  ist,  dass  Quint. ,  der  nicht  in  der 
Sprache  seiner  Zeit  schrieb,  sich  einen  ähnlichen  Stil  wie  Cur- 
tius gebil'det  habe. 

ji-  Bei  den  etwas  bedeutenderen  Abänderungen  sind  die  we- 
nigen beigefügten  erklärenden  Noten  kurz,  und  da  sie  sich  auf 
die  Sprache  beiziehen,  für  Schüler  angemessen;  so  über  major 
exercitns  nnmero  (111,  10,  1),  über  aqua  eminebät  (IV,  2,  15), 
niiUia  (IV,  11,  7),  interpeUabat  und  interpolahat  (VI,  2,3), pße- 
dipere  und  praeripere  (IX,  10,  8),  esse  desistis  st.  destitistis 
(X,  2,  13).  An  einigen  Stellen  änderte  Ilr.  L.  den  Text  nach 
eigner  Conjectur:  IV,  D,  4  aliae  (falces)  in  terram  dentis sae 
8t.  dimissae,  nicht  übel,  aber  nicht  nothwendig,  da  der  Schrift- 
steller dadurch  zugleich  die  auseinandei'gehende  Richtung  der 
einzelnen  Sicheln  konnte  bezeichnen  w-dHen  (cf.IV,  15, 2).  Eben- 
so VI,  7,  5  quaecungfie  de7niss'(i>'eits(B?it  in  cavernani  ^i.  di- 
missa^  wo  die  alte  Lesart  der  etWäs  gezierten  Schreibart  des 
Curtius ,  wie  etwa  unser  entsendet  in  diesem  Fall ,  angemesse- 
ner ist.  Dagegen  ist  das  viel  befremdendere  diinittere  insepnl- 
tös  (V,  4,  2)  im  Text  gelassen;  wofür  Z.  deserere  liest.  IM  och 
weniger  zu  billigen  ist  der  Vorschlag  V,  4,  4,  von  ad  mare  me~ 
ridient  versus  die  beiden  ersten  Wörter  ohne  erheblichen  Grund 
und  ib.  7,  3  fuit  aus  blosser  Verbesserungslust  zu  streichen. 
Ferner  emendirt  Hr.  L.  V,  5,  9  memhrbriim  parte  midcati  statt 
des  in  allen  Mss.  stehenden  midtati^  sich  berufend  auf  VII,  11, 
9:  muh' ati  parte  menibrorum^  und  fiigt  hinzu:  Rectius  enim 
hoc.,  quum  multare.,  quanluni  scio ^  nonnisi  damnum  de  in- 
dustria  illatuni.,  mulcare  aufem  quamvis  vexalionem,  etiam 
quae  casu  accidit^  denotet.  Allein  dieser  Unterschied  ist  in 
der  Sprache  nicht  vorhanden,  sondern  midcare  wird  nur  von 
Contusionen  des  Körpers  gebraucht,  weshalb  es  VII,  11,  9 
mit  Recht  gelesen  wird,  und  den  quidayn  midcati  parte  mein- 
hroriim^f  .^^ Einige.,  die  Quetschungen  behommen  hatten.,'"''  ge- 
genübergestellt werden:  omnes  fatigatione  coiitiimati  laboris 
affecti.  Anders  verhält  es  sich  aber  V,  5,  9,  wo  Euthymon 
diejenigen  majore  membrorum  parte  midtati  nennt,  quos  Per- 
sae  vario  snppliciorufn  modo  aßecerant  (ib.  4).  Endlich  be- 
hauptet Hr.  L.  VII,  8,  5  (H),  paucorum  verborum  levi  immu- 
tatione  et  interpunctio7ie  correcta  sanasse  ^  indem  erliest:  Sic 
quae  (st.  Sicque^  locvtos  esse  —  proditum  est ,  abhorrent  for- 
sitan  etc.  —  ßdes  ?iostra  non  debet.,  qua  (st.  quae)  — perfere- 
mus;  indem  er  Sic  durch  quae  qmmi  ita  sint  erklärt,  und  qua 
auf  ßdes  bezieht,  was  schon  Walch  Emend.  Liv.  p.  41  emen- 


Q.  Curt.  Rufi  dereb,  gest.  Alex.  M.  libb. ,   edid.  Lüncmann.    201 

dirte.  Beide  Aenderunj^en  sind  aber  niclit  iiothwendig ,  da 
abhorrent  —  perferemus  parenthetisch  zu  nehmen  ist,  der  Satz 
qktie^  utcu?i(fue  simt  tradita^  imorrupla  perfercmus  das  Subj, 
•zivtibhorrent forsüanmoribus  uoslris  bildet,  und  sed  iit  possit 
oratio  eoriim  .spertn\  tomen  ßdcs  nostra  noii  debet  ein  erläu- 
ternder Zwischensatz  ist;  der  unterbrocline  Satz  :  Sicque  locu- 
tos  esse  etc.  aber  wird  durch  Igilui-  uiiuin  es  his  ma.rt?n?im 
natu  locntum  accephnus  wieder  aufgenommen.  — '■  Richtig  ist 
indess  unstreiti,!^  der  \oY)^d\\^%  Atharias  nidit  nur  V,  2,  S; 
VI,  8,  10;  VIII,  ],  iß  st.  Adarchias  u\n\  yJtiarras ^  sondern 
auch  VII,  1 ,  2  st.  Apharias  zu  lesen,  denn  auch  hier  tritt  die- 
ser g^änz  in  dem  Karakter  des  alten  Veteranen  auf,  der,  wej^en 
des  Ansehens,  in  dem  er  hei  den  Soldaten  steht,  fiir  die  Uebri- 
gen  das  Wort  fiihrt,  Mie  wir  ihn  an  den  iibrigen  Stellen  ken- 
nen gelernt  Iiaben.  Ebenso  IV,  2,  1  a  qua  st.  «  quo^  weil  es 
sicli  am  natiirlichsten  auf  continenti  bezieht,  welches  unmittel- 
bar vorhergeht,  und  nur  gezwungen  auf  rej;  oder  etwas  andres 
bezogen  werden  kann.  Der  Vollständigkeit  wegen  erwähnt 
Reo.  noch  den  Vorschlag,  VIII,  2,  4  nach  den  Worten:  Mc 
frater  —  a  me  inte?'  epulas  occisus  est^  ein  Fragezeichen  statt 
des  Punktum  2u  setzen;  nicht  unrichtig,  obgleich  Kec,  wenn 
er  die  Interpunktion  hier  bestimmen  sollte ,  ein  Ausrufungszei- 
clien  vorziehen  wiirde. 

Hierauf  liätten  sich  höchstens  die  Aenderungen  des  Hrn.. 
L.  beschränken  sollen,  wenn  er  nicht  wollte,  dass  sein  gegen 
Zumpt  ausgesprochner  Tadel  auf  ihn  zuriickfiele ,  zumal  da 
es  ihm  an  neuen  Hülfsraitteln  zu  einer  Textesuragestaltung_ 
gänzlich  fehlte,  und  er  hätte  sich  in  den  Lesarten,  die  sich 
auf  Codd.  stVitzen  ,  nur  an  Z.  halten  sollen,  wenn  ihn  nicht  et- 
wa ganz  entschiedene  Griinde  nöthigten,  davon  abzugehen: 
wohin  llec.  allein  rechnen  möchte  IV,  14,  1  praetereuntibus 
nach  Mss.  ^i.  praeeuntibiis^  was  keinen  Sinn  giebt,  u.  VII,  3, 
5  superne  lumen  accipiunt.  Ad  medium  vites  et  arbores  — 
obruunt^  nach  Koken,  der  viejileicht  Walch  (Em.  Liv.  pag. 
141)  folgte,  wo  Z.  emendirtc  sup.  lumen  admittunt.  Vites  etc., 
weil  jenes  den  Codd.  näher  kommt,  und  penifus  hieine  defos- 
sae  latent  den  Gegensatz  ad  medium  fordert,  der  in  obruuntal- 
lein  nicht  liegt.  Am  wenigsten  aber  hätte  Hr.  L.  gar  gegen  die 
Autorität  der  Codd.  bisweilen  den  Conjecturen  Früherer  folgen 
sollen.  Dahin  gehört  III,  13,  6  die  Conjectur  von  Acidalius: 
humus  rigebat  gelu  tum  astricta^  vestes  etc.  induunt  ^^^cw 
die  Vulgate  h.  r.  g. ,  tum  astrictas  vestes  —  induunt ,  weil  er 
meint,  dass  sonst  tum  das  vorhergehende  quum  aufnehme;  al- 
lein tum  ist  hier  nichts  anders  als  damals^  und:  „s/e  zogen  die 
damals  zusammengeschnürten  Kleider  an'-''  giebt  noch  dazu  ei- 
nen besseren  Sinn,  als  das  Pleonastische:  ^^die  Erde  erstarrte 
damals  durch  Frost  zusamme?igezogeu.''''     Die  Conjectur  von 


202  Römische    Litteratur. 

ebeiulemselbeii  IV,  11,  11,  zwi>iclien  percussor  und  veneficus 
ein  et  einzuschieben,  hat  den  Schein  für  sicli,  allein  im  Ge- 
gensatz zu  non  vt  jvstiis  hostis  lässt  sich  ;je/-c.  reu.  aucli  crkiä-, 
ren  als:  „e?//i  Mörder^  der  sich  vergifteter  Waffen  bedie/ft,% 
Ebenso  hat  V,  2,  1  die  Cojijectur  des  Cellarius  Sittacene 
st.  Satrapene  andre  geographische  Angaben  für  sicli,  wiewohl 
es  darujn  nicht  ausgemacht  ist,  dass  Curtius  nicht  Satrapene 
geschrieben  habe:  wenigstens  entbelirt  dieser  Name  nicht  aller 
Autorität  (vergl.  Freinsh.  h.  1.),  und  wer  wollte  alle  geographi- 
sche Irrthümer  des  Curtius  emendiren*?  —  Koken  s  Conj.  V, 
9,  Ü  deprecantes  tristimn  specie  hat  auch  nur  den  Vorzug  vor 
Zurapts  deprecantium  sp.^  dass  sie  sich  mehr  der  Lesart  der 
Mss.  deprecarentur  tr.  sp.  nähert ,  allein  dem  Sinne  nach  ist 
diese  vorzuziehen,  Menn  man  den  Gegensatz  beachtet  ceterum 
si  perseverarent  vinctirri;  —  sie  nahmen  also  nur  den  Schein  an, 
als  wollten  sie  Fürbitte  thun.  —  VII,  4,  5  (9)  fordert  der 
Sinn  weder  eine  grosse  Lücke  anzunehmen,  noch  Bessus  ein- 
zuschalten, das  sich  zwar  nach  einem  langen  Zwischensatze 
aber  doch  von  selbst  ergänzt.  Ib.  5,  5  (9)  ist  bei  tit  meminis- 
set  svi  nicht  nötliig  sni  zu  streichen,  die  Rede  ist  sogar  viel 
kräftiger,  wenn  wir  ut  meminisset  sni  als  die  eigentlichen 
Worte  der  amici^  und  animi  sui  tnagjiitudinein  unicum  remediuin 
deßcientis  exercitus  esse  als  eine  Epexegese  dazu,  ebenfalls 
abhängig  von  7neminisset^  annehmen«  Rec.  hält  es  nicht  für 
nöthig,  noch  melir  Einzelnes  zu  behandeln,  um  zu  zeigen,  wie 
wenig  Hr.  L.  genöthigt  wurde,  durch  Aufnahme  früherer  Con- 
jecturen  den  Text  zu  verändern;  es  fragt  sich  nur,  ob  die  in- 
neren Gründe  genügten,  die  ihn  zur  Uefolgung  andrer  Lesar- 
ten, als  wir  im  Zumptsclien  Texte  finden,  bewogen.  III,  (>, 
9  ist  grates  agebant  aus  einer  Handschr.  st.  gr.  habehant  in 
den  Text  genommen ,  ^^quiim  de  verbis  non  de  animo  inteUigen- 
dum  est'-'-  (^ sie \).  Aber  was  zwingt  uns,  wenn  von  den  Sol- 
daten, als  sie  nach  der  Genesung  Alexanders  den  Arzt  Philip- 
pus  erblickten ,  gesagt  wird  :  pro  se  quisque  destram  ejus  am-r 
plexi  grates  habebant^  an  einen  ausgesprochenen  Dank  zu  den- 
ken? —  IV,  2,  4  ist  die  Lesart  desselben  Cod.,  qui  crebros 
ex  alto  fliictus  in  Utas  evolvit,  an  sich  nicht  zu  verwerfen,  sieht 
aber  einer  frühern  Emendation  selir  ähnlich,  weil  dadurch  die 
Verbindung  mit  dem  Vorhergehenden  erleichtert  wird;  und 
warum  sollte /re/wm  nicht  Subj.  zu  evoivit  sein  können*?  —  IV, 
13 ,  T.  expetere  —  debitas  a  vecordibus  poenas  statt  e  vecord. 
hat  den  gewöhnlichen  Sprachgebrauch  für  sich,  allein  dieses 
gründet  sich  auf  bessere  Codd.  und  ist  nicht  sprachwidrig, 
ebenso  IV,  8,  1.  zit  ad  Mareotim  paludem  venit  gegen  Z.  ut 
Mareotin  pal.  v.  Dringt  aber  die  Autorität  der  Codd.  darauf  ad 
auszulassen ,  so  wäre  diese  Stelle  nur  noch  eine  melir  von  de- 
nen ,  wo  Prosaiker  in  diesem  Falle  auf  poet,  Art  den  Accus. 


Q.  Curt.  Buii  ilc  rcb.  gest.  Alex.  M.  libb. ,  edid.  Lünemann.   20S 

allein  setzen,  was  bei  Ciirtiiis  p^erade  nicht  sehr  befremden 
kann  (vergl.  Uiulim.  cd.  Staub,  p.  284).  —  IV,  !(>,  2  ist  llec. 
mit  Schmied  er  der  Ueberzenfj^un:;^,  dass  die  Ynig. :  jam  rnul- 
iiim  viae  processerat  re.r,  nur  eine  Erklärung  von  der  Lcisart  der 
("odd.  praeceperat  sei;  denn  wenn  Hr.  L,  auch  Recht  bat,  dass 
die  Reiter  das  Parraenio  nicht  mit  dem  Könige  in  Schnellig- 
keit wetteiferten,  so  brauclit  man  deshalb  praecipere  viam 
hier  nicht  zu  verwerfen,  welches  nur  heisst  ,,er  hatte  einen 
y Ursprung  bekommen^  war  vorangeeüt^  ohne  dass  man  an  ei- 
nen Hinterhereilenden  zu  denken  iiat,  wenn  nur  überhaupt  eine 
Beziehung  auf  einen  Zurückbleibenden  vorhanden  ist,  wie  dies 
auch  in  unsrem  voraneilen  liegt.  Es  ist  also  hier  nicht  anders 
zu  verstehen  als  IX,  10,  8:  quantum  itineris  festi/ta?ido  praeci- 
perent^  und  an  der  der  uiisi-igen  im  Ausdruck  sehr  ähnlichen 
Stelle  Liv.  XXXVI,  10,  9:  aliquanlum  viae  praeceperat  res. 
—  VI,  2,  1  liest  Hr.  L.  nach  Cod.  Bong.  1  tempestiaa  convi- 
via  st.  intemp.  c,  der  Ansicht  folgend,  dass  \\\iQxa\\  temjiesiiva 
convivia  zu  lesen  sei ;  allein  es  ist  Unrecht ,  dieser  gewaltsa- 
men Kritik  zu  folgen,  die  nach  einer  vorgefassten  Meinung  Al- 
les ändert ,  zumal  da  hier  von  Gastmählerji  die  Rede  ist,  wel- 
che die  Nacht  hindurch  dauern,  was  in  dem  7Ansa.tz per pot and i 
pervigilandique  i?isana  cttpido  liegt ,  in  welchem  Falle ,  wenn 
mangern  einer  gewichtigen  alten  Autorität  folgen  will,  Lip- 
sius  (Excurs.  ad  Tac.  Ann.  XIV,  23)  intempestivus  statuirt. 

Rec.  hat  nur  diejenigen  Stellen  ausführlich  behandelt,  worin 
vorliegende  Ausg.  vonZ.  mit  Angabe  des  Grundes  abweicht,  weil 
diese  gerade  für  dieKi'itik  von  Interesse  sein  können,  da  sie  uns 
auf  die  für  dieLitteratur  desCurtius  neueste  wichtige  Erschei- 
nung zurückführen ,  und  die  grössere  Ausgabe  von  Zumpt  noch 
zu  erwarten  ist.  Die  Supplemente  von  Freinsheim  zu  den  ein- 
zelnen lückenhaften  Stellen  sind  von  Hr.  L.  mit  aufgenommen, 
eines  jedoch  IV,  6,  15  vor  qimm  zmdique  ^  warum  ist  nicht  be- 
merkt ,  nur  in  den  Noten  aufgef ülirt.  In  der  äusseren  Einrich- 
tung liat  der  Hr.  Herausg.  der  Leichtigkeit  des  Nachschlagens 
durch  Veränderung  der  Paragraphenzahlen  sehr  geschadet. 

E.  Bonn  eil. 


Programme. 


Diesertatio  jnridica  inauguralis,  qua  loca  e  Plinii  jfnioris 
scriptis^  quae  ad  ins  civile  pertinent^  recen- 
sentur   et   illustraiittir ^    ^lam  ....  publico  ac   so- 


204  Programme. 

lemni  examini  suhmittit  Julius  Auguslus  Sclineither ,  Lug- 
duno  -  Biitavus.  (MDCCCXXVII.)  Groningae  apud  W.  van 
Boekeren.  203  S.   gr.  8.  Leipz.  bei  Barth.   12  Gr. 

VÄTewiss  ist  es  ein  piter  Gedanke,  einen  Römischen  Classiker 
mit  besonderer  Rücksicht  auf  diejenigen  Stellen  durchzugehen, 
welclie  Beziehungen  auf  civilrechtliche  Verhältnisse  entliaiten, 
oder  aus  der  Jurisprudenz  erklärt  werden  mi'issen.  Eine  solche 
Bemühung  muss  dem  Philologen  und  dem  Juristen  in  gleichem 
Grade  willkommen  seyn;  jenem,  weil  sie  ihm  zum  bessern 
Verständniss  eines  Autors  Hülfsmittel  darbietet,  die  von  ihm 
in  der  Regel  niclit  benutzt  werden,  da  der  Umfang  seiner 
Wissenschaft  an  sich  schon  so  gross  ist,  dass  es  ihm  unmög- 
lich fällt,  iu  die  Einzelheiten  der  Ilülfswissenschaften  einzu- 
gehen —  diesem,  weil  in  den  nichtjuristischen  Schriftstellern 
ein  grosser,  noch  lange  niclit  vollständig  zu  Tage  geförderter 
Schatz  der  wichtigsten  Beiträge  zur  Kunde  des  altern  Rechts, 
also  mittelbar  auch  zur  vollständigem  Erläuterung  der  eigent- 
lichen Rechtsquellen  enthalten  ist.  Auch  möchte  wohl  kaum 
ein  Classiker  in  dieser  Hinsicht  ganz  unbenutzt  geblieben  seyn, 
ja  bisweilen  haben  die  sogenannten  eleganten  Juristen  der  neu- 
ern Zeit  ihre  Kenntniss  des  Altertliums  zu  einer  Art  von  Spie- 
lerey  benutzt,  über  die,  aller  dabei  aufgewandten  Gelehrsam- 
keit ungeachtet,  der  Philolog,  wenn  er  überhaupt  etwas  davon 
erfuhr,  lachen  musste  und  der  Jurist  sich  ärgerte.  Man  denke 
an  des  seel.  Stockmann  Programmen  unter  dem  Titel:  Ckre- 
stomalhia  iuris  Horatiana^  oder  an  manche  Schriften  von 
Piittraann.  So  wird  z.  B.  von  dem  Letztern  in  seinem  Cri- 
minalrechte  in  dem  Capitel  vom  Diebstahle  zwar  gerade  keine 
Stelle  eines  Classikers  (wäre  ihm  eine  beigefallen,  so  wäre, 
ihm  diese  ohne  Zweifel  noch  lieber  gewesen)  aber  doch  ein, 
Epigramm  eines  neuern  lateinischen  Dichters,  des  Owen: 

Qui   domino   invito  rem  contrectaverit ,   est  für. 
Quid   si  hoc  invita  non  faciat  domina?  — 

ganz  ernsthaft,  und  ohne  dass  er  den  Muthwillen  des  Dichters, 
und  den  Doppelsinn  in  den  Worten  rem  contrectare  im  Minde- 
sten ahnet,  mit  der  Bemerkung  citirt,  dass  hier  auf  eine  quae- 
stio  controversa  aufmerksam  gemacht  werde,  die  ihn  selbst 
oft  beschäftigt  liabe;  und  hieran  knüpft  er  nun  die  Untersu- 
chung: was  Rechtens  sey,  wenn  eine  Sache  wider  Wissen  und 
Willen  des  Eigenthümers,  aber  mit  Bewilligung  der  Ehefrau 
desselben,  hinweggenommen  werde.  —  Eine  solche  Art  und 
Weise  mit  den  Schriftsteilern  umzugehen ,  ist  freilich  eben  so 
unnütz  als  lächerlich ;  zum  Glück  ist  sie  aber  auch  ziemlich 
aus  der  Mode  gekommen,  und  der  Geist  der  jetzigen  Zeit 
nimmt  es  mit  der  S«\che  ernster.  —   Unser  Verfasser  hat  seine 


Schncither :   Loca  e  Plinii  jun.  scriptis,  quae  ad  jus  civ.  pcrtlnent.  205 

Bestrebungen,  die  auf  das  Recht  bezüglichen  Steilen  der  Alten 
aufzusuchen  und  zu  erläutern ,  für  diessnial  den  Briefen  des 
Plinius  zugewendet.  An  sich  ist  gegen  diese  Wahl  nichts  zu 
erinnern,  da  dieser  Schriftsteller  bisher  von  den  Juristen  zwar 
nicht  gerade  vernachlässigt,  aber  doch  auch  bei  weitem  noch 
nicht  ganz  vollständig  benutzt  ist.  Was  nun  aber  die  Ausfiih- 
rung  betrifft,  so  ist  diese  nicht  in  gleichem  Maasse,  wie  die 
Idee,  zu  loben.  Schon  eine  Bemerkung  im  Eingange  zeigt, 
dass  Ilr,  S.  eine  seltsame  Ansicht  von  den  Obliegenheiten  eines 
Scliriftstellers  hat.  F'ast  gleichzeitig  mit  seiner  Dissertation 
ist  die  eines  andern  holländischen  Gelehrten,  van  der 
Brugghen,  über  denselben  Gegenstand  erschienen,  und  Hr. 
Schneithcr  hätte  sie  noch  benutzen  können;  aber  er  hat 
Bedenken  getragen ,  es  zu  thun.  „Nam  cum  tempus  me  raone- 
ret,"  sagt  er  S.  3,  „ut  meam  Dissertationen!  typis  jam  nianda- 
rem,  e  consulto  illius  Doctissimi  viri  disputationem  inspicere 
nolui,  ut  majorem  mihi  ipse  relinquerem  iibertatem  augendi  et 
corrigendi  ea,  quae  in  iterata  lectione  omissa,  falsa  vel  minus 
bene  proposita  viderem."  Ilec.  hat  nun  freilich  Hrn.  van  der 
Brugghens  Monographie  auch  nicht  gelesen ,  und  so  muss  er 
sich  denn  lediglich  an  das  Iialten,  was  Hr.  S.  selbst  giebt.  Die- 
ser hat  aus  dem  Plinius  eine  Art  von  Rechtssystem  zusammen- 
zustellen versucht,  und  handelt  demnach  in  zwey  Büchern,  zu- 
erst (B.  I.)  vom  iure  'personarwn  (Pars  prima :  l)e  iure  per- 
sonarum  publico.  Caput  I:  üe  iure  civitatis.  Caput  II:  De 
magistratibus.  Pars  sccunda:  De  iure  personarujji  privato. 
Caput  I:  De  servis.  Caput  II:  De  excusationibus  et  privile- 
giis.)  sodann  (B.  II.)  vom  iure  rerum  (Caput  I:  De  rebus  sa~ 
cris  et  Religiosis.  Caput  II:  De  hypotheca  et  privilegiis  im 
Texte  selbst  heisst  es  S.  58  richtiger :  de  privilegiis  credito- 
rum.  Caput  III:  De  modis  acqtiirendi.  Caput  IV:  De  Te- 
stamentis  et  Codicillis.  Sect.  1 :  de  forma  testamentorum  et 
codicillorwn.  Sect.  2:  de  heredibus  instituendis  ^  et  adeimda 
haereditate,  Sect.  3:  delegatis.  Sect.  4:  quaedam  ad  haeredi- 
tates  et  legata  communiter  pertinentia  Cap.  V:  De  usuris^. 
Ein  Anhang,  nur  eine  Seite  und  vier  Zeilen  lang,  bemerkt  zu 
den  Worten  aus  Lib.  X  ep.  66  (nach  Gesners  Zählung  71): 
„Edicta  quae  vera  et  emendata  in  tuis  scriniis  credebam,"  dass 
man  hieraus  die  Gewohnheit  der  Kaiser  ,  Abschriften  der  Re- 
scripte,  Gesetze  und  Senatusconsulte  ('?)  in  ihrem  Archive  zu 
behalten,  ersehen  könne.  —  Schrieb  der  Verf.  sein  kleines 
Werk  blos  mit  Rücksicht  auf  das,  was  der  philologische  Leser 
des  Plinius  etwa  wünschen  möchte,  so  wäre  diese  Anordnung 
der  Materie  vielleicht  insofern  zu  entschuldigen ,  als  hierbey 
die  Absicht  stattgefunden  haben  könnte,  einen  kurzen  juristi- 
schen Commentar  zu  mehreren  Stellen  der  plinianischen  Briefe 
auf  eine  solche  Weise  zu  geben ,   dass  es  keiner  Wiederholung 


206  Programme. 

des  etwa  schon  Gesagten  bei  ähnlichen  Stellen  bedurfte.  Wollte 
Hr.  S.  aber  seinen  Autor  für  die  Jurisprudenz  benutzen,  so  ist 
einleuchtenderweise  jene  Methode  schlechterdings  unpassend; 
vielmehr  musste  er  dann  die  im  Plinius  vorfindlichen ,  auf  die 
Rechtsverfassung  sich  beziehenden  IN  achrichten  einzeln  oder 
in  ihrer  Verbindung  unter  sich  betrachten  und  aus  ihnen  das- 
jenige entwickeln ,  was  liieraus  für  die  vollständigere  Ueber- 
siclit  des  alten  Rechts  gewonnen  werden  kann.  Wir  Avollen 
nicht  untersuchen ,  welche  von  diesen  beiden  Arten,  den  ge- 
wählten Stoif  zu  bearbeiten,  dem  Zwecke  einer  juristischen 
Probeschrift  angemessener  seyn  dürfte,  sondern  wir  wollen  die 
•  Schrift  nehmen,  wie  sie  nun  einmal  ist,  und  nur  sehen,  was 
denn  in  ihr,  sey  es  nun  für  Philologie  oder  für  Jurisprudenz, 
wii'klich  geleistet  worden  ist.  Der  \f.  hat  also  unter  den  vor- 
gedachten Rubriken  eine  Anzahl  einzehier  Fragmente  seines 
Autors  (grösstentheils  aus  dem  lOten  Buche  entnommen)  ge- 
sammelt, und  nun  in  einer  kurzen  Einleitung  die  Rechtssätze 
dargestellt,  aus  welchen  jene  Stellen  erklärt  werden  müssen. 
Diess  könnte,  wie  gesagt,  wenigstens  dem  nichtjuristischen 
Leser  des  Plinius,  in  mancher  Hinsicht  nicht  unwillkommen 
seyn.  Allein  zu  einem  solchen  Unternehaien  ist,  leider,  das 
juristische  Vermögen  des  Verfs.  nur  noch  gar  zu  schwach,  und 
fast  auf  jedem  Blatte  kommen  Irrthümer,  Missverständnisse, 
oflfenbar  falsche  Sätze,  zum  Theil  mit  Berufungen  auf  falsch- 
verstandene, am  Ende  wohl  gar  nicht  gelesene  Gesetze,  kurz 
eine  Menge  von  Fehlern  vor,  die  dem  Philologen  diese  Schrift 
um  so  unnützer  machen,  je  weniger  vernünftigerweise  von  ihm 
gefordert  werden  mag,  dass  er,  wie  der  Jurist  vom  Fache, 
solche  Uni'ichtigkeiten  gleich  auf  den  ersten  Blick  erkennen 
soll.  Es  würde  mehr  Raum  kosten,  als  die  Anzeige  einer  Dis- 
sertation in  Anspruch  nehmen  kann,  wenn  Rec.  Seite  für  Seite 
durchgehen  oder  durchcorrigiren  wollte;  es  mögen  also  nur 
einige  Belege  aus  den  ersten  Bogen  für  dieses  oben  ausgespro- 
chene Urtheil  hier  stehen.  S.  8  heisst  es :  die  Peregrinen  hät- 
ten das  jus  libertatis  jure  Quiritiuju  nicht  gehabt;  ausserdem 
liätten  sie  auch  mehrerer  anderer  Vorzüge  der  Römischen  Bür- 
ger entbehrt.  So  wäre,  wie  S.  9  beispielsweise  angeführt 
wird ,  nach  der  Lex  Porcia  zwar  der  Römische  Bürger  von  der 
poena  capitis  befreiet  gewesen,  aber  keineswegs  der  Peregri- 
nus.  Als  Autorität  für  die  Behauptung,  dass  peregrini  kein 
ins  libertatis  iure  Quiritium  gehabt  hätten,  ist  citirt:  Heinec- 
c  i  u  s  append.  ad  Lib.  I  Aniiq.  liom.  sec.  ord.  Instit.  §  134  sq. 
Liest  nun  jemand  Hirn.  S.s  Worte,  so  muss  er,  wenn  er  die  Sa- 
che vorher  nicht  schon  besser  weiss,  glauben,  man  hätte  den 
Peregrinen  in  Rom  die  Freiheit  abgesprochen;  sie  wären  also, 
mit  andern  Worten,  Sclaven  gewesen.  Hat  etwan  Heineccius 
einen  so  Ungeheuern  Satz  aufgestellt'*     Keineswegs.     Er  sagt 


Sclineither:  Loca  e  Plinü  jun.  scriptw,  quae  ad  jus  civ.  pertinent.  207 

1.1.  §  13?  nur:  „Non  ergo  liberi  erant  iure  Quiritinm  ?Va,  ut 
ßagris  virgisque  caedi  non  possenl.'-''  Allerdings  ist  schon  die- 
ser Ausdruck  etwas  schielend,  indessen  ist  doch  der  Unter- 
schied zwischen  dem,  was  lieineccius  wirklich  sagt,  und  dem, 
was  Herr  S.  aus  jenen  Worten  beweisen  will,  immer  noch  hin- 
reichend in  die  Augen  springend.  S.  13  lesen  wir  Folgendes: 
„Jus  civitatis  oninia  jura  civis  Romani  continebat,  tani  publica 
quam  privata ;  Jus  vero  Quiritiura  tantum  ea  jura  coraplecteba- 
tur,  quae  ad  privatam  pertinent  vitam,  uti  sunt  v.  c.  con- 
nubii  jus,  jus  patriae  potestatis,  ceteraque  quae  ad  domesticam 
se  referunt  vivendi  rationera,  cum  jus  militiae,  census,  cet.,  ab 
CO  jure  exularent.i'  Etwas  xlehnliches  ist  freilich  noch  vor  unge- 
fähr 50  Jah.  behauptet  worden.  Wenn  diess  aber  Jemand  im  Jahr 
1827  nachschreibt,  obendrein  Ulpian.  fragm.  tit.  III  §  2  dazu 
citirt,  und  dabey  sogar  diesen  Koryphäen  der  Jurisprudenz  noch 
gleichsam  verbessern  will,  so  weiss  man  in  derThat  nicht,  was 
man  dazu  sagen  soll.  Die  Ausdrücke  ius  Quiritium  und  ins  ci- 
vitatis werden  grösstentheils  gleichbedeutend  gebraucht;  wo 
sie  aber  einander  entgegengesetzt  werden,  wie  z.  B.  in  den  von 
dem  Vf.  hier  behandelten  Stellen  des  Plinius  X,  4  u.  X,  105, 
so  bedeutet  ius  Quiritium  den  Inbegriff  derjenigen  Rechte  eines 
Civis,  welche  der  blosse  Latinus  niclit,  sondern  jener  vor  diesem 
voraus  hat.  AVenigstens  ist  diese  Meinung  als  diejenige  anzu- 
sehen, die  für  jetzt  am  besten  begründet  ist,  [Vgl.  A.  G.  Gra- 
mer de  iuris  Qiiirit.  et  civil,  discriinine.  Kil.  1803.]  die  vom  Vf. 
aufgestellte  Ansicht  aber  ist  seit  vielen  Jahren  als  otfenbar  falsch 
erkannt.  S.  28  lesen  wir  von  den  Sclaven,  welche  Fabatus,  der 
Schwiegergrossvater  des  Plinius,  inter  amicos  manumittirt  hatte: 
„in  libertate  tantum  morabantur,  statu  liberi  erant ;  jus  Latinorum 
Junianorura  acceperant.'"'  Diess  sind  offenbare  Widersprüche. 
Was  denkt  sich  wohl  der  Vf.  unter  statu  liberi*?  Bekannt  ge- 
nug ist  es,  dass  ein  Sclave,  dem  die  Freiheit  unter  einer  ge- 
wissen Bedingung,  oder  auf  eine  bestimmte  zukünftige  Zeit  zu- 
gesagt war,  bevor  diese  Bedingung  oder  Zeit  eintrat,  mit  je- 
nem Ausdrucke  bezeichnet  wurde.  Bis  zur  wirklichen  Freilas- 
sung war  und  blieb  er  Sclav.  Wie  könnte  denn  also  von  die- 
sem das  i?i  libertate  morari  gesagt  werden*?  Latini  Juniani 
dagegen  waren  keine  Sclaven,  sondern  wahrhaft  Freigelassene, 
deren  Rechte  durch  lex  Junia  Norbana,  von  der  sie  auch  den 
Namen  hatten ,  näher  bestimmt  waren.  Vielleicht  hat  Ilr.  S. 
etwas  davon  gehört:  eos  qui  nunc  Latini  Jimiani  dicuntur^  olim 
ex  jure  Quiritium  servos  fuisse^  sed  ausilio  Praetor is  in  liber- 
tatis  forma  servari  solitos  (Gaj.  Inst.  III  §  5ß.).  Er  hätte  aber 
nur  die  ebenangefiihrte  Stelle  des  Gajus  lesen  dürfen,  um  zu 
erkennen,  was  er  für  ein  wunderliches  qui  pro  quo  gemacht  hat. 
Doch  Gajus  scheint  dem  Hrn.  Vf.  überhaupt  ziemlich  fremd  zu 
seyn,  ob  er  ihn  gleich  bisweilen  und  gerade  auch  an  dieser 


208  i;^-';  .ri-j  r  ;         Programm   o.'7  f>  j  .  O 

Stelle  citirt  hat.  —  S.  43  ist  die  Rede  vom  jus  triiim  libero- 
rum,  um  welches  Plinius  bei  dem  Trajan  für  den  Sueto- 
iiius  nachsucht.  Die  Worte  des  Briefs  (X,  95)  sind:  Huic 
jus  trium  libcrorum  necessariuin  faciunt  duae  causae.  Nani 
et  jtidicia  amicorum  promeretur ,  et  purum  felix  inatrimonium 
espertus  est.  Hier  lujjt  Hr.  S.  zur  Erläuterung  hinzu:  „Ju- 
dicia  lioc  loco  sunt  ea  judicia  et  opiniones  amicorum,  quibus  eum 
dignum  censeant,  qui  partem  hereditatis  accipiat,  quem  vero, 
cum  liberos  non  haberet,  inutiliter  haeredem  aut  legatarium 
scriberent.''  Aber  nicht  jeder  Kinderlose  war  schlechthin  un- 
fähig ,  aus  einem  Testamente  zu  erwerben ;  dicss  war  nur  der 
coelebs  ;  der  orbus  hingegen  konnte  in  einem  letzten  Willen  be- 
dacht werden,  aber  er  bekain  nur  die  Hälfte  dessen,  was  ihm 
beschieden  worden  war.  S.  48  ist  eine  sehr  ungenaue  Erklä- 
rung von  einer  Stelle  üb.  X  ep.  75  gegeben.  Plinius  spricht  von 
dem  Hause  eines  gewissen  Polyänus,  und  sagt,  der  ehemalige 
Besitzer  habe  es  dem  Kaiser  Claudius  vermaclit ,  und  die  An- 
ordnung getroffen,  dass  diesem  iiaPeristylio  ein  Tempel  erbauet 
werden  solle;  ob  diess  Letzere  aber  wirklich  geschehen  sey, 
davon  meldet  er  nichts.  Hierauf  fragt  er  bey  dem  Kaiser  an, 
ob  er  dieses  als  kaiserliches  Gut  zu  betrachtende  Haus,  da  es 
gänzlich  verfallen  sey ,  vollends  wegreissen  und  ein  Bad  dort 
erbauen  lassen  dürfe.  Im  Gewährungsfaile  wolle  er  eum  locum., 
in  quo  aedificia  fuerunt  exhedra^i  et  portiribus  amjdecli^  atque 
Trujano  consecrare^  dass  aber  das  templum  als  res  sacra  ein 
Hinderuiss  dieses  Plans  sejn  könne,  daran  denkt  er  gar  nicht. 
Also  hätte  denn  unser  Vf.  auch  nicht  sagen  sollen:  ,,l)ubitavit 
Plinius,  num  liceret  haue  doinum  alii  usui  destinare.  Trajanus 
vero  Ep.  76  omnem  ejus  dubitationem  toUit,  cum  affirmet,  hunc 
locum  nunquam,  etiamsi  aedes  plane  esset  coliapsa,  alii  dicari 
posse,  quia  Claudii  religio  solum  occupaverat.''  Trajan  sagt 
vielmehr,  er  genehmige  die  Verwendung  des  Platzes  zu  einem 
Badegebäude, und  fährt  nun  fort:  lllud  tarnen  parum  expressisti^ 
an  aedes  in  peristylio  Claudio  facta  esset,  ^am  si  facta  aedes 
esset.,  licet  coliapsa  sit.,  religio  eins  occupavit  solum.  S.64  fin- 
den wir  einen  sehr  auffallenden  Beweis,  wie  der  Vf.  mit  den 
Gesetzen  umgeht.  Er  sagt  hier  in  der  Note  unverzeihlicher 
Weise:  „ Ususfructus  peculii  castrensis  semper,  etiam  post  lu- 
Btiniani  tempora  penes  patrem  mansit."  und  beruft  sich  zum  Be- 
weis dieser  unerhörten  Behauptung  auf  L.C.  Cod.  de  bonis  quae 
üb.  in  potest.  const.  In  dem  citirten  Gesetze  nemlich  erwähnt 
Justinian ,  dass  dem  Vater  in  der  Regel  der  Ususfructus  am 
peculio  der  Hauskinder  zustehe,  fährt  aber  sogleich  fort:  ex- 
ceptis  castrensibus  peculiis ,  quorum  nee  usumfru  dum  pa- 
trem ,  vel  uvum ,  vel  proavum  habere  veter  es  leges  concedunt : 
in  kis  enim  nihil  innovamus.,  sed  veter a  jura  intacta  servamus : 
eodem  observando  etiam  in  his  peculiis ,  quae  quasi  castrensia 


Tittmann,  Ilcmpel,  Guiard  u.IIack :  Ucb.  d.Religlonsunterr.  in  Gymn.  209 

peculia  ad  instar  castrensis  peculii  accesserunt.  Rec.  weiss 
nicht,  ob  es  für  den  Vf.  schlimmer  ist,  wenn  man  annimmt, 
dass  er  dieses  Gesetz  gelesen,  oder  wenn  man  voraussetzt,  dass 
er  es  niclit  gelesen  habe.  Wenn  ihm  vielleicht  jene  Stelle  ja 
noch  nicht  recht  deutlich  seyn  sollte,  so  lese  er  z.  li.  gleich  das 
folgende  Gesetz :  Si  quis  a  Principe  vel  ab  Augusto  —  donatio- 
7ies  sit  consecutus  —  Jilius  familias  tarnen  co?istitutus ,  habeat 
eins  modi  res  om7ii  acqiiisilione  absolutas ,  et  nemini  eas  acqui- 
rat ,  neque  earii  m  usu  in  fr  uctum  p  ater^  vel  avus^ 
velproavus  sibi  vindicet,  sedad  similitudinein  ca- 
strensis peculii  omneni  facultatem  in  eas  filii 
familias  habeant.  Wir  glauben,  dass  unsere  Leser,  zumal 
an  dieser  letzten  Probe,  genug  haben  werden.  —  Die  Literatur 
ist  fast  gänzlich  vernachlässigt.  Hugo's  Rechtsge schichte^ 
die  jedoch  stets  nur  in  der  ßten  Ausgabe  citirt  wird,  und  IV  ie- 
b  u  h  r's  Römische  Geschichte  sind  fast  die  einzigen  neuern  Werke, 
auf  die  verwiesen  worden  ist.  —  Wie  Vieles  ist  dem  Vf.  noch 
zu  lernen  iibrig,  ehe  er  in  dem  Fache,  in  welchem  er  sich  hier 
versucht  hat ,  etwas  Verdienstliches  zu  leisten  im  Stande  seyn 
w  ird ! 

D.    GüntJie r. 


1)  Joh.  Aug.  Henr.  Tittmannus,  Ord.  Theol.  LIps.  H.  T.  Decanns, 
Viruni  Maxime  Reverendum  Tlieoph.  Samuelem  Forbig-eruin,  AA. 
M.  et  scliolae  Nicol.  Rectorem,  post  quinquuginta  a  Baccalaureatii 
impetrato  annosTlieologiae  Doctorem  rite  creatum  esse  faustls  omi- 
nibus  indicat.  —  De  aniniis  iuvenum  in  gynifiasiis 
ad  pietatem  christianam  formandis.  —  P.P.  d. 
XXI  Febr.   a.  Dom.  1827.  in  Vniv.  Lipsiensl.   16  S.   in  4. 

2)  Ad  Examen  Aiictumnale  in  Gyranasio  Brombergensi  cum  discipulis 
oranium  urdinum  babendum  invitat  X.  N.  F.  Muellei\  Dir.  — 
Conimentationeni  de  Novi  Testamenti  Graeci 
studio  in  Gymnasia  revocando  scripsit  Hempel^  Ph. 
D.  Brorabergae ,   typis  Gruenaueriaiiis.  1826.  44  S.  4. 

3)  De  r eligionis  in  Gymiiasiis  docend ae  via  et 
ratione^  scripsit  /.  Guiard .^  Prorector  et  sacrorum  reforma- 
tornni  antistes.  Schulnachricbtcn  von  dem  Gymnasium  in  den  Jah- 
ren Ostern  1824  bis  dahin  1826.  Programm,  womit  —  einladet 
Dr.  'lliiel,  Director  des  Gymnasiums  zu  Königsberg  in  der  Neu- 
mark.     Schwedt  1826.      Gedr.   bei  Janzen.  36  S.   4. 

4)  Examen  Publicum  in  Gymnaslo  Monasterio-Eifliaco  d.  d.  19  et  20 
M.  Septembr.  1825  habcndnm  etc.  Praeraissa  est  brevis  com- 
mentatio   de  r eligionis  doctrina   in  gymnasiis 

Jahrb. f. Phil. u.  Pädagog.  Jahrg.ni,  Heft   ^.  14 


210  Programme. 

tr ad 6  71(1  a    a    /.  Hack   conscripta.  Coloniae   Agrippinae  typia 
J.  G.  Schmitz.  20  S.  4. 

Nr.  1.  „"ie  Klagen  der  Lehrer,  dass  man  ihnen  die  Schuld 
beizumessen  pflege ,  wenn  nicht  alle  ihre  Schiller  einen  gottes- 
fiirchtigen  und  frommen  Sinn  sich  aneignen,  sind  sehr  gerecht. 
Denn  ein  solches  Verfahren  ist  höchst  unbillig  und  nimmt  auf 
die  obwaltenden  Umstände  keine  Riicksicht.  Es  meinen  viele, 
in  unsern  Schulen  lernten  die  Knaben  und  Jünglinge  alles  An- 
dere, nur  nicht  christliche  Pze^ßY ;  dies  Averde  nicht  eher  bes- 
ser werden  ,  als  bis  man  die  profanen  Classiker  wieder  entferne 
und  den  Unterricht  vom  neuen  den  Geistlichen  allein  in  die 
Hände  gebe.  Dergleichen  Urtheile  empören  aber  alle  Verständi- 
ge. Sciunt  enim,  ab  eo  inde  tempore,  quo  omnis  puerorum  in- 
stitutio  et  disciplina  in  clericorum  potestate  esse  coepisset,  verae 
eruditionis  rationem  in  dies  magis  magisque  obscuratam,  ipsam- 
que  religionera  in  superstitionem  mutatam  fuisse ;  sciunt,  literas 
humaniores  et  philosophiam  seraper  odio  fuisse  his,  qui  quod 
Tirtute  et  sapientia  alios  regere  difficilius  esse  intelligerent,  quam 
rudibus  et  imperitis  imperare,  tenebras  magis  quam  lucem  ama- 
rent,  ne  ipsorum  opera  raanifesta  fierent;  sciunt  denique  atque 
intelligunt ,  quid  sibi  velint  blandae  voces  iilae  ,  quibus  nostra 
aetate  homines ,  quos  verissime  descripsit  to  q)ag  xov  xoöfioVy 
(Matth.VII,  15  sq.)  et  permulcere  principes  et  sopire  populos 
cupiunt.  —  Scilicet  optime  erant  omnia  constituta  illo  tempore, 
quo  literas  clerici  tantura  docebant ,  et  omnia  humana  et  divina 
religioni,  quam  illi  quidem  dicebant,  id  est  superstitioni  et  su- 
perbiae  ecclesiae  serviebant:  pacati  populi,  nullae  seditiones 
erant,  nisi  quas  Romani  Pontifices  excitassent ,  neque  principes 
regnis  exuti  aut  trucidati  nisi  in  maiorem  dei  gloriara.  Nicht 
Luther  und  seine  Reformation  hat  den  Geistlichen  die  Unter- 
weisung der  Jugend  entrissen :  sondern  sie  selbst  haben  dies 
Geschäft  den  Laien  überlassen.  Bei  der  Wiedergeburt  der 
Wissenschaften  fühlten  sie  sich  nämlich  demselben  nicht  mehr 
gewachsen,  und  zogen  das  Wohlleben  auf  der  geistlichen  Pfrün- 
de dem  Schulstaube  und  den  Beschwerden  des  Lehramts  vor. 
So  kam  es ,  dass  fast  überall  die  Gymnasiallehrer,  per  totura 
diem  tractandis  scriptoribus  graecis  et  latinis  et  herculeo  speci- 
raina  discipulorum  corrigendi  labore  defatigati,  auch  noch  den 
Religionsunterricht  übernehmen  mussten.  Dazu  kommt  noch  zu 
unsrer  Zeit  ingens  rerum  copia,  quas  simul  in  gymnasiis  imper- 
tiri  pueris  volunt,  quasi  vero  earum  rerum,  quibus  animi  pueri- 
les ad  omnemveram  eruditionera  aliquando  coraparandani  prae- 
parandi  sunt,  scientia  idonea  imbui  non  possint  illa  ipsa  libro- 
rura  graecorum  et  latinorum  lectione,  non  ea  quidem  in  sylla- 
barum  aucupiis  criticisque  aculeis  occupata,  sed  ad  res  cum 
verbis  discendas  apte  instituta.     Hierbei  ermüden  die  Lehrer; 


Tittmann,  Ileinpel,  Gulard  u.  Hack :  Ueb.  d.  Religionsunterr.  in  Gymn.  211 

ihre  Studien  werden  zu  5?eTir  gctiieilt,  und  fiir  den  Religions- 
unterricht bleibt  ihnen  vollends  keine  Müsse;  die  Schiller  aber, 
von  der  Men^e  der  Lehrobjecte  in  Anspruch  genommen,  halten 
diesen  ebenfalls  fiir  geringfügig,  und  in  den  obern  Classen  be- 
sonders meinen  die  künftigen  Theologen,  dass  sie  zeitig  genug 
auf  der  Universität  diese  Dinge  treiben  würden.  Das  Uebel  ist 
also  da.  Aber  worin  besteht  es  denn  eigentlich*?  Was  meinen 
die,  welche  sagen,  es  mangle  der  Jugend  an  der  pietas  christia- 
na?  Enimvero  pius  sibi  quisque  suo  modo  videtur,  impium  vo- 
cans,  a  quo  superstitiosus,  mysticus,  fanaticus  vicissim  dicitur; 
hie  fidem  ostentat,  alius  factis  superbit;  multi  in  recte  et  honeste 
agendo  pietatem  quaemint,  virtutis  causam  ignorantes ;  sunt  et- 
iam,  qui  ex  theologorum  formulis  christianam  pietatem  aestu- 
ment.  Sonst  und  auch  jetzt  noch  las  und  erklärte  man  in  den 
Gymnasien  die  Schriften  des  neuen  Testaments;  oder  man  trug 
den  Schülern  ein  theologisches  System  vor.  Besonders  das  Letz- 
tere erstickte  vielmehr  den  religiösen  Sinn  und  eckelte  die  Ju- 
gend an.  Diesen  Widerwillen  vermehrte  noch  der  Zwang,  wö- 
chentlich mehrmals  den  Gottesdienst  anzuhören ;  während  ein 
andrer  Theil  der  Schüler  gar  nicht  dazu  augehalten  wurde. 
Wie  ist  also  zu  helfen*?  Erstens  par  est,  ipsos  magistros 
verae  pietatis  sensu  imbutos  esse.  Zweitens  übertrage  die  Be- 
hörde den  besten  Ortsgeistlichen  den  Religionsunterricht  in 
den  Gymnasien.  Ferner  darf  das  N.  T.  nicht  so  gelesen  wer- 
den, wie  die  profanen  Schriftsteller.  Viele  nämlich  behandeln 
es  so,  als  sollte  die  Griechische  Grammatik  dabei  eingeübt 
werden.  Andre  gehen  besonders  darauf  aus,  ut  formulas,  ia 
quibus  scriptores  sacri  ab  elegantia  attica  recesserint,  non  sine 
superbia  discipulis  denuncient,  quasi  istarum  elegantiarum  causa 
libri  N.T.  legendi  sint.  Eben  so  fehlerhaft  verfahren  diejeni- 
gen ,  welche  statt  des  Christenthumes  philosophische  Vorträge 
halten,  die  natürliche  Religion  in  pomphaften  Heden  darstel- 
len, und  wo  sie  Stellen  der  h.S.  anführen,  diese  mit  den  Aus- 
sprüchen der  Classiker  vergleichen  und  dadurch  bestätigen,  die 
Klugheit  dieser  Welt,  nicht  aber  die  Verdienste  und  Wohltha- 
ten  Jesu  zur  Basis  machend.  Dergleiclien  schadet  ebensosehr 
der  wahren  Philosophie,  als  der  christlichen  Religionserkennt- 
niss.  Endlich  sollte  in  den  Gymnasien  noch  besonders  für  die 
Jünglinge  gesorgt  werden ,  welche  künftig  Theologen  werden 
wollen." 

Dies  ist  der  Inhalt  jenes  academischen  Programms ,  wel- 
ches Referent  eben  so  wegen  seines  berühmten  Verfassers,  als 
wegen  der  eleganten  und  anrauthigen  Lateinischen  Schreibart 
mit  dem  grössten  Interesse  gelesen  hat.  Die  Rügen  der  Miss- 
griffe  bei  der  Leetüre  des  N,  T.  sind  ganz  zeitgemäss  und  fin- 
den gewiss  allgemeine  Berücksichtigung.  Manche  andre,  nicht 
geringere  Fehlgriffe  hätten  ebenfalls  Erwähnung  verdient.  Was 

14* 


212  Programme. 

aber  die  3Ieinung  von  der  Unfähigkeit  oder  der  Unlust  der 
Gymnasiallehrer  für  den  Religionsunterricht  betrifft,  so  mag 
der  würdige  Herr  Verfasser  vielleicht  eine  nähere  oder  entfern- 
tere Umgebung  dabei  vor  Augen  gehabt  haben;  im  Allgemeinen 
aber  glaubt  und  hoflFt  der  Referent,  dass  es  diesen  Lehranstal- 
ten auch  zu  unserer  Zeit  nicht  an  einem  oder  raehrern  Mitglie- 
dern des  Lehrercollegiums  mangele,  welche  auch  diesen  Unter- 
richt mit  innern  Beruf  übernehmen,  und  mit  Liebe  und  Eifer 
zum  grossen  Nutzen  der  Jugend  betreiben.  Wenn  die  Schüler 
diese  Lectionen  geringer  achten,  so  wird  die  Schuld  davon  ge- 
wiss auf  den  Lehrer  fallen.  Dem  Vorschlage,  dass  der  Reli- 
gionsunterricht in  den  Gymnasien  den  Ortsgeistlichen  übertra- 
gen werden  solle,  würde  Referent  sehr  Vieles  entgegenstellen, 
wenn  er  nicht  voraussetzte,  der  Herr  Verfasser  habe  dies  nicht 
so  gemeint,  dass  diese  Verpflichtung  mit  einer  von  den  vorhan- 
denen Predigerstellen  verbunden  werden  solle,  sondern  er  wolle 
diese  Einrichtung  nur  da,  wo  die  Persönlichkeit  irgend  eines 
der  Herrn  Geistlichen  sie  anempfiehlt. 

Nr.  2.  Der  Herr  Verfasser  zeigt  zunächst  S.  5  —  10,  wie 
es  gekommen  sei,  dass  man  in  den  Gymnasien  die  alte  Sitte,  das 
Griechische  N.  T.  mit  den  Schülern  zu  lesen,  aufgegeben  habe. 
Dann  hält  er  es  für  zeitgemäss,  jetzt  auf  die  Wiedereinführung 
dieser  Sitte  zu  dringen,  weil  erstens  die  Lutherische  Ueber- 
setzung  nicht  mehr  passend ,  sondern  vielmehr  eine  neue  wün- 
schenswerth  sei;  zweitens  weil  kein  Vortrag  eines  dogmatischen 
Systems  den  Jünglingen  das  echte  und  reine  Christenthura  un- 
gefärbt und  unvermischt  mittheile,  dies  vielmehr  nur  aus  dem 
N.T.  selbst  geschöpft  werden  könne.  Der  Ungelehrte  könne 
sich  heut  zu  Tage  nicht  mehr  aus  der  L.Uebersetzung  belehren, 
und  lese  sie  auch  deshalb  wenig.  Dem  Gelehrten  aber  sei  in  je- 
dem Wissen  das  Quellenstudium  unerlässlich  und  gerade  beim 
Christenthume  am  nöthigsten.  Das  N.T.  in  der  Ursprache  fes- 
sele die  Aufmerksamkeit  des  Jünglings  sehr  leicht,  es  stelle 
ihm  Christi  Beispiel  und  Leben  vor,  und  stimme  propter  sim- 
plicitatem  et  perspicuitatem  fast  überall  mit  der  Vernunft  über- 
ein. Die  genaue  Bekanntschaft  mit  diesen  Schriften  bewahre 
den  Jüngling  vor  allen  den  Lehrsätzen,  welche  die  Ausgeburt 
der  spätem  Jahrhunderte  sind,  und  führe  ihn  zu  derUeberzeu- 
gung:  nee  Jesum  nee  eins  discipulos  in  verbis  ullam  salutera, 
omnera  vero  in  vita  pia  et  honesta  posuisse.  Oder  solle  etwa, 
um  Einheit  der  Lehre  und  des  Glaubens  zu  bewirken,  Men- 
schensatzung und  Aberglauben  fortgepflanzt  werden?  Sei  nicht 
selbst  zwischen  Petrus  und  Paulus  Meinungsverschiedenheit?- 
Habe  nicht  Johannes  eine  eigenthümliche  Ansicht  von  der  Per- 
son Jesu?  Biete  nicht  die  rechtgläubige  Kirche  zu  jeder  Zeit 
Anhänger  der  abweichends^ten  Meinungen  dar?  —  Von  S.  27 
bis  32  giebt  der  Herr  Verfasser  noch  einige  Vorschläge  zur  Ein- 


Tittmann,  Ilempel,  Gulitrd  u.  Hack :  Ueb.  d.  Rellgionsiinterr.  in  Gynin.  213 

richtnng  dieser  Lectionen.  Nur  die  erste  und  zweite  Classe 
ist  fähig,  diesen  Unteriiclil  zu  erhaltoii;  beide  können  auch 
zusanimeui^enommen  werden.  Alle  Kritik  des  Textes  werde 
übergangen.  Ebensowenig  verweile  man  bei  Ifebräismen,  Clial- 
däismen,  Latinismen  u.  dergl.  Aus  den  Hebräisclien  Alter- 
thiimern  werde  nur  das  Nothwendigste  beigebracht,  ohne  allen 
Prunk  mit  Gelehrsamkeit.  Die  moralischen  Vorschriften  Jesu 
bleiben  überall  die  Ilauptsaciie.  Da  die  Gymnasien  leider  wö- 
chentlich nur  zwei  Stunden  fiir  den  Religionsunterricht  erüb- 
rigen können,  so  sei  die  eine  davon  der  Lecti"ire  des  N.T. 
bestimmt;  in  dieser  Averde  in  jedem  Jahre  ein  Evangelium  und 
ei7ie  Epistel  vollendet,  mit  Weglassung  des  Evangeliums  des 
Marcus;  im  vierten  Jahre  werde  die  Apostelgeschichte  gele- 
sen; die  andre  bleibe  dem  dogmatischen  Vortrage  vorbehalten. 
Referent  erklärt  sich  in  allen  diesen  Ansichten  mit  dem  wür- 
digen Herrn  Verfasser  vollkommen  einverstanden,  und  glaubt, 
dass  diese  Abhandlung  auch  in  Hinsicht  ihrer  Lateinischen 
Fassung  und  Form  auf  ein  ausgezeichnetes  Lob  Ansprüche 
habe.  Nur  hätte  er  gewünscht,  dass  der  Herr  Verfasser  sich 
noch  über  die  Schwierigkeiten  verbreitet  hätte ,  welche  mit 
der  Erklärung  des  N.  T. ,  auch  wenn  sie  sich  innerhalb  der 
angegebenen  Grenzen  hält,  unzertrennlich  verbunden  bleiben. 
Nr.  3.  Der  Herr  Verfasser  dieser  Abhandlung  entwirft 
einen  Plan  für  den  Religionsunterricht  in  allen  sechs  Classen 
der  Gymnasien.  Er  theilt  ihn  in  drei  Cursus.  Der  erste  ist  fiir 
die  combinirte  fünfte  und  sechste  Classe.  Auf  dieser  unter- 
sten Stufe  soll  die  biblische  Geschichte  den  Knaben  er- 
zählt werden,  wobei  es  nicht  auf  die  Beibehaltung  des  wört- 
lichen Ausdruckes  der  Bibel  ankomme,  wenn  nur  der  anmu- 
thige  und  einfache  Ton  und  Geist  ihrer  Erzählungen  beibehal- 
ten werde.  Hauptsache  sei  hierbei,  nicht  dass  die  Schüler 
alle  Ereignisse  von  Adam  an  bis  auf  des  Paulus  Gefangenschaft 
mit  ihrem  Gedächtnisse  festhalten,  sondern  dass  ihnen  durch 
diese  Erzählungen  Frömmigkeit  und  Liebe  zu  Gott  eingeflösst  wer- 
de, und  dass  sie  erkennen  lernen,  wie  die  Menschen  handeln  sol- 
len. Nur  müsse  man  nicht  bei  jeder  Erzählung  jede  morali- 
sche Anwendung,  die  möglich  sei,  erschöpfen  wollen,  sondern 
immer  nur  das  andeuten,  was  dem  Knabenalter  am  nächsten 
liege.  Ferner  dürfe  man  nicht  etwa  eine  zusammenhängende 
Jüdische  Geschichte  vortragen  wollen,  sondern  man  habe  nur 
kleine  Erzählungen  auszuheben,  besonders  aus  der  Patriarcha- 
lischen alten  Zeit,  und  Scenen  aus  dem  Leben  Jesu.  Die  Er- 
zählungen müssten  Beispiele  von  guten  Handlungen  enthalten; 
denn  wenn  mau  den  zarten  Gemüthern  lasterhafte  Geschich- 
ten uiittheile,  vermindere  man  dadurch  allmälig  ihren  Abscheu 
vor  dem  Bösen.  Nebenbei  sollen  leichte  Bibelstellen  auswen- 
dig  gelerut  werden.    Halte  mau  es   aber    doch  für   nöthig, 


214  Programme. 

schon  auf  dieser  Stufe  eine  zusammenliängeude  Religionslehre 
vorzutragen,  so  sei  wenigstens  keiner  von  unsern  Katechis- 
men dazu  tauglich,  wohl  aber  Junker's  Biblischer  Catecliis- 
mus  für  Volksschulen  zu  empfehlen,  eine  Biblische  Anthologie, 
welche  jedoch  der  Vorwurf  treffe,  dass  die  Bibelstellen  darin 
häufig  sehr  verändert  seien.  Der  zweite  Cursus  ist  für  die 
combinirte  vierte  und  fünfte  Classe  bestimmt.  Hier  seiKennt- 
iiiss  der  heiligen  Schriften  die  Hauptsache.  Dem  Lehrer  Avird 
empfohlen  Krummacher's  Bibelcatechismus  d.  i.  kurzerund 
gründlicher  Unterricht  von  dem  Inhalte  der  heiligen  Schrift. 
Nur  müsse  einige  Kenntniss  von  dem  Ursprünge  und  den  Schick- 
salen dieser  Bücher  mitgetheilt  werden  ;  was  Herr  Krummacher 
weggelassen  habe.  Die  ausgehobenen  Stellen  des  A.  u.  N.  T. 
sollen  kurz  erläutert  und  erlernt  werden;  vorzüglich  aus  dem 
N.  T.  sollen  noch  mehrere  hinzugefügt  werden.  Weil  aber 
aus  der  dritten  Classe  ^iele  Schüler  zu  andern  Berufsarteii 
übergehen,  soll  ihnen  ausserdem  noch  das  Wichtigste  aus 
der  Kirchengeschichte  vorgetragen  werden.  Um  Abwechselung 
zu  gewinnen,  könne  man  auch  zuweilen  ein  ganzes  Evangelium 
z.B.  das  des  Lucas  lesen  und  erklären,  oder  einen Abriss  der 
ehristlichen  Religionslehre  mittheiien;  nur  solle  man  bei  diesem 
ja  nicht  die  gewöhnliche Eintheilung  in  Glaubens-  und  Sitteit- 
lehre  befolgen  Der  dritte  Cursus  ist  auf  die  Schüler  der  zwei- 
ten und  ersten  Classe  berechnet.  Vorangehen  soll  eine  Ein- 
leitung in  die  Schriften  des  A.n.  N.T.  Die  allgemeine  sei  weit- 
läuftiger,  die  specielle  kürzer;  an  diese  schliesse  sich  an  das 
Lesen  der  sogenannten  klassischen  Stellen.  Dann  folge  ein  Ab- 
riss der  Kirchengeschichte,  aber  nur  eine  strenge  Auswahl  der 
wichtigsten  Thatsachen,  mit  Uebergehung  der  ermüdenden 
Darstellung  aller  Irrthümer  und  Religionsstreitigkeiten.  Den 
letzten  Haupttheil  dieses  Cursus  raaclie  die  geordnete  Glau- 
bens -  und  Sittenlehre  aus ,  welche  sich  aber  eben  so  weit 
von  der  Dogmatik  der  Theologen,  als  von  den  Systemen  der 
Philosophen  entfernt  halten  muss.  Bei  der  Moral  hüte  man 
sich  vor  der  Entwickelung  aller  einzelnen  Tugenden  oder  La- 
ster ,  denn  dies  ist  unnöthig ;  länger  verweile  man  bei  denen, 
über  welche  verkehrte  Ansichten  im  Gange  sind,  oder  bei  den 
Begierden,  zu  welchen  die  Jugend  am  geneigtesten  ist.  — 
Alle  diese  Ansichten  werden  von  dem  Herrn  Verfasser  entwik- 
kelt  und  begründet.  Sie  stimmen  im  Allgemeinen  mit  den  Vor- 
schriften überein,  welche  diesem  Unterrichte  auf  den  Preussi- 
schen  Gymnasien  zur  Richtschnur  gegeben  sind.  Zum  Schluss 
wird  noch  ein  Wort  über  die  Disciplin ,  welche  der  Religions- 
lehrer gebrauchen  soll,  beigefügt.  Da  gebührt  folgender  Stelle 
volle  Zustimmung:  „Ad  poenas  non  saepe,  irao,  si  fieri  poterit, 
nunquam  accedendum  est.  Semper  enim  mihi  is  optirae  docerc 
Visus  est,  qui  nunquam  puniret,  raro  acerbius  in  discipulos  in- 


Tittmann,  Henipel,  Guiard u.  Hack:  Ueb.d.  Religlonsunterr.inGyinn.  215 

vcheretur,  raro  cos  increparet.  Nam  si  saepius  increpandum 
vel  puiiienduni  est,  magnam  iam  temporis  iacturara  facimus" 
u.  s.  w.  Im  Ausdrucke  ist  hier  und  da  etwas  iibersehen,  z.  B. 
prupinamus  S.  5 ,  incogitantia  S.  10.  Auch  ist  der  Druck  nicht 
mit  der  nöthij^ea  Correctheit  besorgt  worden. 

Nr.  4.  Dieser  Aufsatz  füllt  noch  nicht  vier  Seiten,  und 
hat  folgenden  Inhalt:  Für  einen  christlichen  Religionslehrer 
schickt  es  sich  nicht,  venu  er  die  Weislieit  des  Socrates  oder 
anderer  Philosophen  sehr  rülimt;  dadurch  kann  er  die  uner- 
fahrne Jugend  leicht  zu  dem  Irrthume  verleiten,  als  habe  die 
menschliche  Vernunft  das  von  sich  selbst  gefunden,  was  uns 
Christus  doch  erst  vom  Himmel  aus  dem  Schoosse  seines  Vaters 
herabgebracht  hat.  Der  Lehrer  der  geoflfenbarten  Religion  muss 
vielmehr  davon  ausgehen,  dass  er  zeigt,  wie  mangelhaft  die 
Kenntniss  auch  der  grössten  Vi^eltweisen  gewesen  sei.  Ferner 
rauss  er  über  die  Glaubenslehren  {dogjnata)  nicht  wegeilen, 
sondern  sie  sorgfältig  entwickeln.  ]Nam  cum  religionis  revelatae 
viysteria  potissimum  coraplectantur ,  rairum  quantum  mentes 
discentium  summa  dei  optirai  maximi  reverentia  perfundunt, 
unde  ea  nascitur  alacritas^  qua  praeceptis^  quae  ad  mores  per- 
tinent^  est  obtemperandtan,  (!)  Dann  soll  die  Sittenlehre  so 
dargestellt  werden,  ut  quicunque  nos  audiunt,  supremi  numinis 
auctöritale  permoti  non  solum  fidem  mandatis  divinis  tribuant, 
sed  et  paratos  sese ,  propensosque  praebeant  ad  ea  exsequenda. 
Endlich  soll  gelegentlich  {pro  re  natd)  Einzelnes  aus  den  De- 
creten  der  Concilien ,  den  Schriften  der  Kirchenväter,  und  aus 
der  Kirchengeschichte  beigebracht  werden;  wahrscheinlich  da, 
wo  die  heilige  Schrift  jene  „auctoritas"  nicht  darbietet.  — 
Endlich  sollen  nicht  blos  die  Religionslehrer  ihre  Schüler  zu 
allen  Tugenden  durch  Lehre  und  Beispiel  anleiten,  sondern 
auch  die  übrigen  Lehrer,  welche  bei  dem  Lesen  der  Classi- 
ker  und  bei  dem  Vortrage  der  Geschichte  hierzu  die  beste 
Gelegenheit  hätten.  Sehr  richtig!  Mögen  hiervon  die  Lehrer 
aller  Confessionen  tief  durchdrungen  sein  !  —  Die  Sprache  ist 
ziemlich  correct. 

Cöslin.  Müller. 


216  Abhandlung;. 

Abhandlung. 


Ueber  die  Nothwendigkeit  einer  neuen  Ausgabe  der  Latei- 
nischen Anthologie  von  Burmann  dem  Jüngern ,  und  die 
Art  der  Bearbeitung  derselben,  nebst  Angabe  mehrerer  kri- 
tischen und  exegetischen  Hülfsmittel,  welche  dabei  zu  be- 
rücksichtigen sind. 

[Aus  einem  Schreiben   des  Diaconus  Bardili  zu  Urach  an  den  Her- 
ausgeber der  Jahrbücher,] 

"ass  die  von  dem  jüngeren  Burniann  in  den  Jahren  1759  und  1173 
zu  Amsterdam  in  zwei  Quartbänden  herausgegebene  Laleiiii.se/ie  An- 
thologie unter  die  schätzbarsten  Erscheinungen  im  Gebiete  der  Rümi- 
echen  Litteratur  gehöre ,  ist  eine  unter  den  Gelehrten  eben  so  ausge- 
machte Sache  ,  als  dass  dieses  Werk  heut  zu  Tage  ziemlich  selten  und 
nicht  anders ,  als  zu  sehr  hohem  Preise ,  zu  haben  ist.  Eine  neue, 
berichtigte  und  vermehrte ,  Ausgabe  dieser  Anthologie  ist  demnach  ein 
dringendes  Bedürfniss ;  auch  soll ,  wenn  ich  einer  mir  zugekommenen 
Nachricht  Glauben  schenken  darf,  die  Bearbeitung  derselben  in  dem 
Plane  des  verdienten  Verlegers  der  Jahrbücher  liegen  ,  und  von  ihm 
einem  rühmlichst  bekannten  Gelehrten  aufgetragen  worden  seyn,  durch 
dessen  Besorgung  sie  als  ein  Tlieil  der  Griechischen  und  Römischen 
Autoren -Sammlung  zu  erscheinen  bestimmt  ist.  Erlauben  Sie  mir  je- 
doch in  dieser  Beziehung  die  Frage  aufzustellen,  ob  eine  neue  Aus- 
gabe des  genannten  Werkes  in  der  Form,  welche  der  für  die  ganze 
Sammlung  entworfene  Plan  vorschreibt,  wohl  ihr  Glück  machen  würde, 
und  ob  es  nicht  zweckmässiger  seyn  möchte ,  eine  selbstständige ,  ki-i- 
tisch  und  exegetisch  ausgestattete ,  neue  Ausgabe  der  Lateinischen  An- 
thologie zu  besorgen,  da  sehr  viele  Gedichte  in  derselben  einer  aus-r 
führlichen  Erläuterung  und  kritischen  Behandlung  bedürfen ,  bei  an- 
dern genauere  Untersuchungen  über  ihre  Aeclitheit  und  ihren  Ursprung 
anzustellen  sind ,  und  Beides  nicht  in  so  kurzen  Anmerkungen  gesche- 
hen könnte ,  wie  sie ,  wofern  die  neue  Ausgabe  als  intcgrirender  Theil 
der  Teubnerischen  Autorensuite  erscheinen  sollte ,  die  Rücksicht  auf 
die  Gleichmässigkeit  doch  unumgänglich  vorschreiben  würde?  Ich 
zweifle  nicht,  dass  bei  dem  regen  Eifer  unserer  Tage  für  das  Studium 
der  alten  Litteratur  sich  bald  auch  ein  zweiter  Bearbeiter  der  Lateini- 
schen Anthologie  finden  werde  ,  und  würde  mich  innig  freuen ,  wenn 
es  diesen  Zeilen  gelingen  sollte,  einen  jungem  Genossen  der  Wissen- 
schaft auf  ein  Unternehmen  aufmerksam  zu  machen,  durch  dessen  glück- 
liche Vollendung  er  sich  ein  bleibendes  Verdienst  erwerben  könnte. 
Leicht  ist  die  Arbeit  nicht ;  sie  erfordert  tüchtige  Vorbereitung  durch 
das  Studium  sämmtlicher  Römischer  Dichter,  und  namentlich  auch 
fleissige  Benutzung  der  herrlichen  auf  der  Königl.  Bibliothek  zu  Paris 
aufbewahrten,  und  daselbst  von  dem  gefälligen  Vanpraet  und  dem 


Bardili:  Ucbcr  eine  neue  Ausgabe  der  Anthologla  Latina.     217 

gelehrten  Hase  so  liberal  verwalteten,  Hülfsmittol.  Um  auch  von 
meiner  Seite  zu  der  Förderung  des  eben  so  nothwcndigcn  als  verdienst- 
lichen Unternehmens  etwas  beizutragen,  sey  es  mir  vergönnt,  einige 
Puncte  anzudeuten  und  mehrere  kritisclie  Schriften  nahnihal't  zu  ma- 
chen ,  die  bei  einer  neuen  Bearbeitung  der  Lateinischen  Anthologie 
Berücksichtigung  verdienen  dürften. 

1)  Einzelne  Gedichte  in  der  Sammlung  müssen  hesser  geordnet, 
und  an  den  Stellen ,  Mohin  sie  gehören ,  eingereiht  werden.  So  ge- 
hören, wie  Burraann  selbst  bemerkt,  das  90,  Ol,  i)'l  und  93ste  Ge- 
dicht des  6ten  Buches ,  Seite  6'41  —  045  im  2ten  Bande,  zu  den  Ge- 
dichten des  im  Isten  Bande  enthaltenen  3ten  Buches;  das  mit  den  Wor- 
ten :  Occiwris  cum  mane  mihi  anfangende,  dem  Dichter  Gullus  fälsch- 
lich zugeschriebene  \ind  nicht  im  Texte  der  Bnrmann.  Anthologie ,  son- 
dern in  der  Anmerkimg  zum  210sten  Epigramm  des  3ten  Buches ,  S. 
670,  stehende  Gedicht  muss  in  den  Text  selbst  gleich  nach  dem  241sten 
Epigramm  gesetzt  und  die  von  Burmann  in  den  Addendis  nachgetrage- 
nen Gedichte  müssen  überall  an  Ort  und  Stelle  eingereiht  werden. 

2)  Einige  Gedichte  sind  zweimal ,  im  Isten  und  wieder  im  2ten 
Bande,  abgedruckt  worden,  und  müssen  somit  an  der  einen  Stelle  ge- 
strichen werden.  So  steht  Lib.  I  epigr.  177  pag.  149  tom.  1  wieder 
Lib,  V  ep.  155  pag.  448  tom.  2  und  ist  an  dem  erstem  Orte,  nach  Bur- 
mann's  Bemerkung,  zu  tilgen;  Lib.  II  ep.  11  p.  189  fg.  tom.  1,  wie- 
derhohlt  Lib.  V  ep.  193  p.  463  fg.  tom.  2  steht  besser  nur  an  der  letz- 
tem Stelle;  Lib.  II  ep.  134  p.  320  tom.  1  ist  zu  streichen,  da  es  Lib. 
IV  ep.  307  pag.  228 fg.  tom.  2,  noch  einmal,  und  hier  an  einem  taug- 
licheren Orte  steht;  Lib.  III  ep.  32  pag.  479  tom.  1  steht  wieder  Lib. 
VI  ep,  59  pag.  610  fg.  tom.  2  unter  den  Epigrammen  des  Liixoriiis^ 
zu  denen  es  gehört,  imd  ist  sonach  an  dem  erstehen  Orte  wegzulassen. 
Selbst  in  dem  nemlichen  Buche,  Lib.  IV  ep.  363  pag.  275  und  ep.  382 
pag.  281  tom.  2  kommt  ein  Epigramm  theilweise  zweimal  vor,  und  die 
letzte  Nummer  muss  getilgt  werden. 

3)  Dagegen  sollte  die  neue  Ausgabe  der  Latein.  Anthologie  mit 
einigen  Gedichten  vermehrt  werden ,  welche  ihrem  ganzen  Inhalt  nach 
zu  ihr  gehören,  und  von  Burmann  ohne  zureichenden  Grund  weg- 
gelassen worden  sind.  Diese  sind  das  Peryigiiium  IKenerisj  das  dem 
Lactantius  zrgeschriebene  Carmen  de  Phoenice ,  die  Oden  des  so- 
genannten Vestritius  Spuriniia,  und  mehrere  kleinere  Gedichte,  wel- 
che ,  wie  die  eben  genannten  Oden ,  Wernsdorf  in  seinen  Poet. 
Latin,  minor,  hat  abdrucken  lassen.  Ja ,  wir  glauben ,  dass  auch 
die  6,  dem  Cornelius  Gallus  mit  Unrecht  beigelegten,  Elegieen  des 
Maximianus  einen  ganz  schicklichen  Platz  in  der  neuen  Ausgabe  der 
Anthologie  finden  würden ;  auf  jeden  Fall  aber  muss  in  dieselbe  die 
dem  Dichter  Gallus  gleichfalls  zugeschriebene ,  mit  den  Worten  Non 
fuit  Arsacidum  tantl  expugnare  Seleucen  anfangende,  und  zuerst 
mit  den  drei  Epigrammen,  die  auch  den  Namen  des  Gallus  führen, 
(Anthol.  Lat.  Lib.  lU  ep.  172,  ep.  238  und  ep.  240  not.)  von  Aldus  Ma- 


218  Abhandlung. 

nuttiiä  zu  Florenz  Lei  Georj^  Marescotti  1588"),  8,  herausgegebene 
Elegie  aufgenoininen  Averdeii,  die  auch  Wernsdorf  zugleicli  mit  den 
drei  E[)igramnicn  im  dritten  Bande  der  Poi-t.  Lat.  min.  erläutert  hat. 
Auch  ist  nicht  zu  zweifeln,  dass  unter  den  in  der  neueren  Zeit  aufge- 
fundenen Inschriften  sich  die  eine  und  andere  zur  Aufnahme  in  die  An- 
thologie eignen  wird :  wie  denn  wirklich  eine  solche  in  den  Jahrbb.  für 
rhilol.  J.  1828,  1,2  S.  238  aus  dem  Giornale  dell'Italiana  lettera- 
tura  abgedruckt  ist,  welche  zu  den  im  4ten  Buche  stehenden  Epitaphien 
hinzugefügt  werden  muss.  Damit  die  alte  Zählung  der  Epigramme 
beibehalten  werden  kann,  und  um  keine  Verwirrung  in  das  Citiren  zu 
bringen ,  möchte  es  am  gerathensten  seyn ,  wenn  an  die  Stelle  der  Ge- 
dichte,  welche,  weil  sie  zweimal  gedruckt  sind,  an  Einem  Orte  weg- 
fallen ,  jedesmal  eines  der  aus  den  Addendis  aufzunehmenden  gesetzt, 
und,  wofern  die  auf  jene  Art  entstandenen  Lücken  ausgefüllt  sind  ,  die 
übrigen  an  das  Ende  der  Bücher  zu  denen  sie  gehören  ,  mit  fortlau- 
fenden Zahlen  angereiht  würden. 

4)  Ueberdie  Aeclitheit  und  den  Ursprung  einzelner  dieser  Gedichte 
müssen,  wie  schon  oben  bemerkt  worden,  genauere  Untersuchungen 
angestellt  werden.  Mehrere  flerselben  sind  entschieden  aus  neuerer 
Zeit:  was  Burmann  selbst  z.  B.  vom  41sten  Epigramm  des  Isten  Bu- 
ches, Seite  21  tom.l,  und  Seh  rader  in  der  vor  dem  2ten  Bande  ste- 
henden Epistola  Critica  von  mehreren  der  im  4ten  Buche  enthaltenen 
Gedichte  bemerkt  hat.  Eben  so  ist,  was  sowohl  Burraann  als 
Wernsdorf  unbekannt  blieb,  das  Gedicht  Orpheus,  welches  dem 
C.  Cas,sius  Parmeiifii'i  zugeschrieben  wird,  und  Lib.  I  ep.  135 pag. 
97fgg.  steht,  von  einem  neueren  Verfasser,  Antonius  Thylesius,  wie 
sich  aus  der  von  Fr.  Daniele  ")  zu  Neapel  im  J.  1762  in  8  besorgten 
Ausgabe  der  Werke  jenes  Dichters  und  aus  einem  Aufsatz  des  grossen 
Litterators  Barth  elemy  Mercier  Abbe  de  Saint  Leger 
über  dessen  Lateinische  Gedichte  in  Mi  Hins  Magas.  eiicyclop,  lll, 
6 ,  351  ergibt.  Auch  das  schöne  Epitaphium  Claudiae  Jlomonoeae^ 
Lib.  IV  ep.  142  pag.  90  —  98  tom.  2,  hält  Vulpius  zu  CataU.  carra. 
94  (al.  96.)  V,  5  pag.  473  für  die  Arbeit  eines  neueren  Dichters.  Wir 
wollen    die     Gründe    seiner    Behauptung,    welche    Burmann    und 


♦)  Nicht  1590,  wie  bei  Fabric.  Bibl.  Lat.  tom.  I  p.  429  ed.  Ernest.  und  anderwärtg 
Bteht.  Uer  Titel  der  Ausgabe  iat;  Asinii  Cornelii  Galli  Elegia  nunc  jtrimum  e  tene- 
bris  eruta  ab  Aldo  Manuccio  :  Eiusdem  Epigrammata  tria.  Florentiae ,  ex  t ypogra- 
phia  Genrgii  Marescotti  1588.  8.  8  Blätter.  Es  ergibt  sich  aus  diesem  Titel ,  dass, 
woran  man  nach  Burmanu's  Note  zu  Lib.  III  ep.  240  S.  Cli9  fg.  tom.  1  zweifeln  könn- 
te,  in  der  Ausgabe  nicht  bloss  die  Elegie,  sondern  auch  die  drei  Epigramme  dem 
Dichter  Gallua  zugeuchrieben  werden.  Burmann  und  VVerusdorf  kannten  diese  Aus 
gäbe  nicht. 

♦•)  Vgl.  Johann  Hartmann  Eberhadt  über  den  Zmland  der  svhönen  Wis- 
senschflen  bei  denRömern.  (Aus  dem  Schwedischen.  Mit  Zuaät/.en.  Altona  Iftül.  8.;  S. 
199  f.  Diese  Schrift  verdiente  bekannter  zu  eeyn ,  als  sie  ist.  Die  Zusätze ,  deren 
Verfasser  der  verstorb.  gelehrte  Bibliothekar  Berend  Kordes  in  Kiel  ist,  enthal- 
ten eine  Fülle  der  trefflichsten  Notizen  zur  Geschichte  der  llöaiischen  Litteratur. 


Bardili:    lieber  eine  neue  Ausgabe  der  Anthologia  Latlna.       219 

Wernsdorf  nicht  erwähnt  haben,  mit  bcinen  eigenen  Worten  an- 
rühren: „Contrariam  huic  sententiuni  contiiu;t  iniTäq)iov  honestae  luu- 
lieris,  quod  lloiuae  servari  perhibent;  id  eiusiuüdi  e^^t:  lllci  tgo^  qicae 
.  claris  fiieram  praelata  TpuelUs  etc.  Quuc  tarnen  inscriptiu  ,  ne  id, 
quod  sentio ,  dissiiuulcm ,  videtur  mihi  a  docto  quodam  viro  saeculi  a 
Christo  nato  XVI  ad  antiquarum  exemplum  concepta  et  pro  veteri  sup- 
poäita.  Eüt  cnim  profecto  cloquentiae  nimis  accuratae,  et  vix  e  ger- 
manis  inscriptiüiiibus  versu  conscriptis  aliquani  reperias,  quae  verbo- 
rura  delectu  ac  proprietate  cum  ca  certare  possit.  Initium  porro  sura- 
tum  est  ex  Ovid.  Mctani.  üb.  4  v.  5(»,  ubi  sie  de  Thisbe :  ylUera  qiias 
Oriens habuit  praelata puellis.'-''  Uebrigens  würde  ich  um  keine  wei- 
tere Aenderung  mit  den  Zahlen  vornehmen  zu  dürfen,  und  weil  man 
doch  einmal  daran  gewöhnt  ist ,  diese  Gedichte  in  der  Anthologie  zu 
lesen,  auch  mehrere  der=elben,  als  vermeintliche  Erzeugnisse  älterer 
Dichter,  in  philologischen  Schriften  angeführt  werden ,  nicht  dazu  ra- 
then,  sie  in  dem  neuen  Abdrucke  ganz  auszustossen ;  sondern  ich  halte 
es  für  besser ,  dass  sie  an  ihrer  seitherigen  Stelle  beibehalten ,  aber 
durch  einen  vorgesetzten  Asteriscus  oder  ein  andei'es  Merkmahl  schon 
im  Texte  der  Anthologie  als  unecht  und  einer  späteren  Zeit  angehö- 
rend bezeichnet  werden. 

5)  Um  eine  den  Anforderungen  unserer  Zeit  entsprechende  neue 
Ausgabe  der  Lateinischen  Anthologie  besorgen  zu  können,  sollten  so- 
wohl der  bekannte  Salniasische ,  nun  auf  der  Königl.  Bibliothek  zu 
Paris  befindliche ,  Codex ,  von  welchem  B  u  r  m  a  n  n  in  der  Vorrede 
zum  Isten  Bande  S.  XL  VI  —  LI  handelt,  als  auch  die  ebendaselbst  S. 
LH  fg.  genannten  Pariser  Handschriften  ,  der  Tkuaneus  y  Petaviaiuis 
vuA  Puteaneus  y  auf  das  neue  sorgfältiger  verglichen  werden ;  und, 
wofern  Burmann's  Vermuthung,  ebendas.  S.  XVH,  gegründet  ist,  dass 
die  in  dem  Cataloge  der  >Iss.  auf  der  Paris.  Bibl.  Tom.  H  pag.  903,  C, 
und  pag.  1280,  C,  angeführten  zwei  Handschriften  noch  ungedruckte 
Epigramme  enthalten ,  so  w  ären  auch  diese  einer  genaueren  Prüfung 
und  V^ergleichung  würdig.  Burmann  sah  den  Salmasischen  Codex,  den 
wichtigsten  von  allen,  nicht  selbst,  sondern  hatte  bloss  von  Andern 
gemachte  Auszüge  aus  demselben  vor  sich ,  und  es  ist  nicht  zu  zwei- 
feln, dass  eine  neu  anzustellende  Vergleichung  dieser  Handschrift,  de- 
ren Alter ,  Beschaffenheit  und  Inhalt  noch  "nicht  zureichend  bekannt  ist, 
bedeutenden  Gewinn  für  die  Kritik  der  in  ihr  enthaltenen  Gedichte 
gewähren  wird.  Dabei  wird  sich  dann  auch  ergeben ,  in  wie  weit 
die  Meinung  Gustav  Sarpe's  über  das  Alter  und  den  Verfasser  dea 
gleichfalls  in  jenem  Codex  stehenden  PtrvlgUium  T^eneris  haltbar 
ist,  welche  er  in  seinen  Quaeiiiiones  philolugicae  (Rostoch.  1819.4.) 
Cap.  V  pag.  36  mit  den  Worten  ausspricht:  „lUud  procerum  carmen: 
Crasamet,  qui  niunquam  amavit  cet.,  cuius  fragmentum  codex  Mar- 
tisburgensis  adscriliit  Senecae,  referendum  erit,  exceptis  tamen  primis 
versibug  numero  XXII,  ad  Thomam  Senecara  Camertem.  Quem  virum 
eaeculu  p.  Ch.  XV  ineunte  vixisse ,  egregie  demonstrat  Huschkius  in 
praefat.  ad  Tibull.   pag.  XV.     De   isto  pervigilio  Veneris  ita  sentienti 


220  A  b  h  a  n  d  I  u 


S- 


non  irascentur  raanes  Buherü  et  Sanadoniü ;"  eine  Behauptung ,  wel- 
che mir  wenigstens  sehr  nnwalirscheinlith  ist ,  da  Salinasius  einen 
Codex,  in  dem  das  Gedicht  eines  Verfassers  aus  dem  loten  Jalirhun- 
dert  enthalten  wäre,  gewiss  nicht  velustissünum  (s.  Burraann  1.  c.  p. 
XLVI.)  genannt  haben  würde.  Neben  den  angeführten  Pariser  Hand- 
schriften verdient  auch  die  auf  der  Bibliothek  zu  Wolfenbüttel  befind- 
liche,  von  Marq.  Gudius  aus  dem  Sahnasischen  Codex  gemachte, 
Abschrift  der  Epigramme  des  Luxorius  und  einiger  anderen  Gedichte 
Berücksichtigung.  Von  ihr  handelt  Lessing  in  dem  Isten  Beitrage 
zur  Geschichte  und  Litteratur  aus  den  Schätzen  der  Herzogl.  Bibliothek 
zu  Wolfenbüttel ,  Seite  252  —  258,  welcher  ganze  Aufsatz  um  meh- 
rerer Ursachen  willen  verglichen  werden  muss  und  namentlich  auch  da- 
für einen  BeAveis  gibt,  dass  die  von  Burmann  benutzten  Abschriften 
des  Salmasischen  Codex  nicht  überall  genau  waren,  also  eine  neue  Un- 
tersuchung desselben  keine  überflüssige  Arbeit  ist,  und  dass  auch  die 
sogenannten  Schedae  Dlvionenses  aus  diesem  nehmlichen  Codex  ge- 
flossen, und  nicht,  wie  Burmann  1.  c.  pag.  L  fg.  vermuthete ,  aus  einer 
anderen  Handschrift  genommen  sind. 

6)  Dass  Burmann's  Anmerkungen,  welche  er  in  den  Addendis 
zum  Isten  und  2ten  Bande  gibt,  mit  den  übrigen  verbunden  werden 
müssen ,  versteht  sich  von  selbst ;  auch  die  kritischen  Verbesserungen 
zu  den  im  4ten  Buche  der  Anthologie  enthaltenen  Epitaphien ,  welche 
Sehr  ad  er  in  der  vor  dem  2ten  Bande  stehenden  Epistnla  Critica  mit- 
theilt, sollte  den  Burmann.  Bemerkungen  zu  jenen  Gedichten  einver- 
leibt werden:  denn  nichts  ist  unbequemer  und  verdriesslicher,  als  sol- 
che Dinge  an  drei  und  vier  Orten  zusammensuchen  zu  müssen.  Bur- 
mann's Anmerkungen  selbst  könnten  in  der  neuen  Ausgabe  um  vieles 
abgekürzt,  imd  dadurch  für  die  Kritik  und  besonders  für  die,  von  ihm 
beinahe  ganz  vernachlässigte,  Erklärung  der  Gedichte  Raum  gewon- 
nen Werden.  Seine  ungebührlichen  und  plumpen  Ausfälle  auf  Theo- 
dorus  Gorallus  oder  loannes  Clericus,  an  welchem  zum 
Helden  zu  -werden  eben  kein  grosses  Geschäft  war,  auf  Everhard 
Otto,  auf  Christoph  Saxe,  auf  Gessner  —  denn  er  ist  der 
Censor  Lipsiensis  ^  der  im  Isten  Bande  so  übel  mitgenommen  wird 
—  auf  den  gleich  groben  Klotz  und  axif  R  u  h  n  k  e  n  ,  mit  welcheni 
er  sich  später  wieder  versöhnte,  wird  Niemand  in  dem  neuen  Abdrucke 
wieder  lesen  wollen.  Sehr  viel  Ranm  nehmen  in  Burmann's  Noten 
die  r.arallelstellen  aus  der  Griechischen  Anthologie  weg,  die  er  im  2ten 
Bande  nicht  bloss  im  Original  sondern  auch  in  der  Lateinischen  Ueber- 
setzung  des  Hugo  Grotius  ihrer  ganzen  Länge  nach  anführt,  was  in 
jener  Zeit  wo  die  Abdrücke  der  Griechischen  Blumenlese  selten  und 
Grotins  Uebersetzung  noch  ungedruckt  war,  allerdings  ein  Vcinlienst 
eeyn  mochte.  Nun  aber,  da  diese  Uebersetzung  gedruckt  und  das  Ori- 
ginal in  mehr  als  Einer  Ausgabe  verbreitet  ist,  kann  jene  füglich  weg- 
gelassen werden,  und  hinsichtlich  des  Originales  mag  es  hinreichend 
seyn ,  wenn  bei  den  angeführten  Parallelstellcn ,  ohne  dass  man  sie 
wieder  abdrucken  lässt,  auf  die  Nummer  und  Seitenzahl  der 
Brunckischen  oder  ersten  Jacobsischen  Ausgabe  verwiesen  wird.      Auf 


Bardili:  Ueber  eine  neue  Auegabe  der  Anthologia  Latina.     221 

diese  Art  M'ird  der  ne»ie  Herausgeber  freiere  Hand  zu  seinen  eigenen 
Bemerkungen  haben,  bei  denen  ihm,  wie  eben  gesagt  worden,  die 
von  Burmann  gar  zu  sparsam  behandelte  Erläuterung  der  Gedichte  eine 
Hauptrücltsielit  seyn  muss. 

7)  B  u  r  mann  hat  die  Gewohnheit ,  wenn  er  in  seinen  Anmer- 
kungen zur  Anthologie  auf  andere  in  ihr  enthaltene  Gedichte  verweist, 
dabei  nicht  nach  den  Seitenzahlen  seiner  Sammlung,  sondern  nach  de- 
nen der  beiden  Sammlungen  von  Pithöus  und  Lindenbrog  zu 
citiren.  Diese  Citationen  müssen  in  dem  neuen  Abdrucke  sämmtlich 
auf  die  Ziffern,  weldie  die  Gedichte  in  den  6  Büchern  der  Burmanni- 
schcn  Anthologie  führen ,  und  auf  die  Seitenzahlen  dieses  Wei'kes  zu- 
rückgeführt werden.  Ich  habe  diess  in  einem  Exemplare  der  Antholo- 
gie an  den  meisten ,  wo  nicht  an  allen  Stellen  getluin ,  und  weide  ei- 
nem neuen  Herausgeber ,  Avofern  er  es  wünschen  sollte ,  mit  Vergnü- 
gen eine  Abschrift  davon  zukommen  lassen.  Die  Mühe  ,  welche  mir 
diese  Reduction  der  Ziffern  verursachte,  Avar  nicht  gering,  und  es  ist 
unnöthig,  dass  sich  ein  Anderer  einem  schon  vollendeten  beschwerli- 
chen Geschäfte  auf  das  neue  unterziehe. 

8)  Für  die  Verbesserung  und  Erklärung  der  Gedichte  müssen  In 
dem  neuen  Abdrucke  folgende  Schriften  benutzt  werden,  welche  ich, 
um  der  leichteren  Uebersicht  willen ,  in  alphabetischer  Reihenfolge 
der  Namen  ihrer  Verfasser  aufführen  will. 

Anton,  Conrad  Gottlob.  Seine  Anmerkungen  zu  den  im 
6tcn  Buche  der  Anthologie  abgedruckten  Priapeia  stehen  in  der  von 
ihm  besorgten  Ausgabe  des  Petronius,  (Lips.  1781.  8.)  zu  welcher  jene 
Gedichte  einen  Anhang  bilden. 

Burmannus  Secundus.  Burmann  hat  das  Carmen  Lactantii 
de  Phoenice  hinter  seiner  Ausgabe  des  Claudianus  (Amstelodam.  1760. 
4.)  mit  seinen  und  Kic.  Heinsius  Anmerkungen  abdrucken  lassen ,  und 
dieses  Gedicht  muss,  wie  oben  unter  Num.  3  gesagt  wurde,  in  die  neue 
Ausgabe  der  Anthologie,  und  zwar  mit  jenen  Anmerkungen,  die  denen 
zur  Anthologie  ganz  gleich  sind ,  aufgenommen  werden.  Derselbe 
Burmann  gibt  in  der  berüchtigten  Schrift:  Pttri  Biirmanni  Secun- 
di  Antiklotz'ms  (Amstelaedami,  ex  officina  Gerardi  Tielenburg.  1762. 
4.),  einem  würdigen  Seitenstücke  zu  dem  unten  anzuführenden  Antibur- 
mannus  von  Klotz,  und  in  seinem  Commentare  zum  Propertius 
(Traiecti  ad  Rhen.  1780.  4.)  mehrere  Nachträge  Zu  seinen  Anmerkun- 
gen zur  Lateinischen  Anthologie. 

Eichstaedt,  Heinrich  Carl  Abraham.  J^aleril  Cato- 
nis  Dirae ,  cum  hrevi  notatione  critica  edidit  H.  C.  A.  Eichsta- 
dius.  lenae.  1826.  4.  Vgl.  mit  Sillig's  Recension  in  den  Jahrbb. 
fürPhilolog.  und  Pädag.  J.  1826,  II,  2  S.  333  —  343.  Zwei  andere 
Schriften  über  dieses,  im  2ten  Bande  der  Anthol.  S.  649 fgg.  stehende, 
Gedicht  werden  unter  Jacobs   und  Näke  genannt  werden, 

Hoeufft,  Jac.  Ileinr.  Die  Ptricicla  Crliica  dieses  Gelehr- 
ten ,  in  welchen  auch  Stellen  der  Anthol.  kritisch  behandelt  werden, 
erschienen  zuerst  im  dritten  Bändchen  seiner  Pericula  po'etica ,  in 


222  Abhandlung. 

Holland,  ohne  Angahe  des  Ortes,  Im  J.  1788,  8.  (Das  Iste  BSndchen 
ist  V.  J.  1783.)  Eine  2te  Auflage  dieser  Pericula  critlca  kam  vor  dem 
J.  1809  heraus  —  denn  sie  wird  von  Lennep  in  seinen  Anmerkungen 
zu  Ovid's  Herolden,  die  zu  Amsterdam  im  J.  1809  und  wieder  im  J. 
1812  gedruckt  wurden,  mehrmals  citirt;  —  das  Jahr  und  den  Ort  der 
Erscheinung  vermag  ich  aher  nicht  anzugeben.  Für  die  Anthologie 
müsste  die  2te  Ausgabe  benutzt  werden. 

Huschke,  Im  man.  G.  Eines  der  schwierigsten  Epigramme 
der  ganzen  Anthologie,  Lib.  II  eplgr.  242  p.  423  —  425:  Epigramma 
Virgilli  in  C.  yinniiini  Cimbnim  Rhetoreiv^  wird  von  dem  genann- 
ten Gelehrten  ausführlich  behandelt  in  seiner  Comnientatio  de  C.  An- 
nio  Clmbro ,  Lysidici  F.  ^  (Rostoch,  1824.  4.)  zu  welcher  in  seinen 
Analecta  Litterarla  (Lips.  1826.  8.)  Nachträge  gegeben  sind. 

Jacobs,  Fried r.  Specimen  emendationum  in  auctores  ve- 
teres  cum  graecos  tum  latinos,  (Gotha  178fi.  8.)  in  welchem,  so  wie 
in  den  nachher  anzuführenden  Schriften  von  Medenbach  Wakker, 
Nodell,  Ouwens  und  Sehr  ade  r,  einzelne  Stellen  der  Antholo- 
gie verbessert  werden.  Von  Jacobs  ist  auch  ein  Aufsatz  über  die  Di- 
rae  des  Valerius  Cato  eingerückt  in  die  Bibliothek  der  alten  Litteratur 
und  Kunst.     9tes  Stück  (Göttingen.  1792.  8.)  Seite  56—61. 

II gen,  Car.  Dav.  Animadversiones  pliilologicae  et  criticae 
in  Carmen  virgilianum^  qiiod  Copa  inscrihitur.  Halae.1821.4.  Die- 
ses Gedicht  steht  im  Isten  Bande  der  Anthologie,   S.  707 — 718. 

Klotz,  Christian  Adolph.  Antiburmannus.  lenae.  1761. 
8.  Diese  Schrift  enthält  eine  sehr  strenge ,  im  plumpsten  Tone  abge- 
fasste ,  Kritik  des  Isten  Bandes  der  Burmann.  Anthologie ,  mit  vielen 
Bemerkungen  zu  einzelnen  Gedichten   in  demselben. 

L  es  sing.  Im  Isten  Bande  seiner  vermischten  Schriften,  S.  282 
fgg.  der  Ausg.  Berlin,  1771,  oder  S.  263 fgg.  der  Ausg.  v.  1796,  ver- 
besserte Lessing  Stellen  in  den  Priapeis  aus  einem  Breslauer  und  Wol- 
fenbüttl.  Codex,  und  bemerkt  dabei  dass  auf  der  Bibliothek  zn  Wolfen- 
büttel sich  ein  Exemplar  der  Lindenbrogischen  Appendix  Virgil.  mit 
vielen  Zusätzen  und  Verbesserungen  von  Lindenbrog  selbst  befinde,  wel- 
che eben  so  wohl ,  als  die  dort  aufbewahrte  Gudische  Abschrift  (s. 
oben  Num.  5.) ,  für  die  neue  Ausgabe  der  Anthologie  benutzt  werden 
sollten. 

Mai,  A  n  g  e  1  US.  In  den  von  ihm  herausgegebenen  Fragmenten 
einiger  Ciceron.  Reden  (Mailand,  1817.  8.)  hat  Mai  S.  224  — 226  ans 
7  Handschriften  der  Ambrosianischen  Bibliothek  zu  Mailand  die  12 
Epitaphia  in  Ciceronem,  Anthol.  Lat.  tom.  I  pag.  342—348,  abdruk- 
ken  lassen,  und  seine  Lesarten  weichen  von  den  Burmann,  hie  und 
da  ab. 

Martini,  Adolph.  Lactantii  Carmen  dePhoenice  ad  Codi- 
ces quosdam  mss.  antea  nondum,  collalos  veteresque  editt.  recens, 
et  cum  lection.  puriet.  ed.  Ad.  Martini.  Lüneburg.  1825.  8.  Vgl. 
oben  unter  Burmanniis    Secundus. 


Bardili :  Ueber  eine  neue  Ausgabe  der  Authulogia  Latina.        223 

Medenbach  Wakkcr,  lac.  Phil.  de.  Atnoenitates  Ut. 
terariae.     Traiecti  ad  Rhen.  1770.  8. 

Moebius,  Anton.  Die  Nac/dfder  der  Melius.  Laleinisch 
und  Deutsch ,  mit  Amnerhungen.  Süst.  1816,  8,  Vgl.  oben  unter 
Num.  3. 

Nacke,  Aug.  Ferdin.  De  Battaro  Valerii  Catonis.  Scri- 
psit  A.  F.  Naekius.  Im  Isten  Heft  des  2ten  Jahrganges  vom  Rheini- 
schen Museum ,  herausg.  von  IN'iebuhr  und  A. 

Nodell,  lo.  Ad.  Criticarum,  ohservaiionum  LiheUus.  Cam- 
pis.  1781.   8. 

Ouwens,  Rutgeri,  Noctes  Haganae ,  sive  Ohservatio- 
num  Libri  tres,  in  quibus  inulti  veteriun  scripiorum  hei  expli- 
canlur,  vindicanlur  vel  emendantiir.     Franequerae.  1780.  4. 

Peerlkamp,  Petri  Hofman,  Observationes  Anacreon- 
ticae ,  in  dem  Isten  Bande  der  Nova  Acta  literaria  Societat.  Rheno  - 
Traiect.  (1821.  8.)  pag.  121  —  183.  Sie  enthalten  mehrere  Verbesse- 
rungen von  Gedichten  in  der  Burraann.  Anthologie. 

Seh  rader,  loann.,  Emendationum  Liber ,  (Leovard.  1776. 
4.)  eine  der  wichtigsten  kritischen  Schriften  welche  bei  ihrer  Selten- 
heit gar  wohl  eines  neuen  Abdruckes  würdig  wäre. 

Wagner,  Georg.  Phil.  Eberh.  Elegia  ad  M.  Valerium 
Corvinum  Messalam. ,  edidit ,  commentatione  de  auctore  et  obser- 
vationibus  criticis  instruxit  G.  Ph.E.  TVagner.  Lips.  1816.  8.  Die 
Elegie  steht  im  Isten  Bande  der  Anthologie,   S.  292  —  301. 

Wernsdorf,  lo.  Christian.  Dass  seine  bekannte  Ausgabe 
der  Poetae  Latini  minores ,  in  welcher  viele  Gedichte  der  Burmann. 
Anthologie  wieder  abgedruckt  sind ,  überall  verglichen  werden  muss, 
braucht  kaum  erinnert  zu  werden. 

9)  Ein  Hauptmangel  der  Burmannischen  Anthologie,  wel- 
cher das  Nachschlagen  in  ihr  ungemein  erschwert,  ist  der,  dass  sie 
keine  Register  über  die  Gedichte  selbst  und  ihre  Verfasser  hat,  und, 
um  diesem  Uebelstande  abzuhelfen ,  sollten  dem  neuen  Abdrucke  drei 
Register  beigegeben  werden,  1)  ein  alphabetisches  der  Verfasser,  2) 
ein  gleichfalls  alphabetisches  mit  den  ersten  Worten  jedes  Gedichtes 
und  der  Angabe  der  Ziffer  und  Seitenzahl,  unter  welcher  es  in  der 
Anthologie  zu  finden  ist,  und  3)  ein  Register,  in  welchem  die  Ziflern 
jedes  einzelnen  Gedichtes  mit  den  Seitenzahlen  der  beiden  Sammlun- 
gen von  P  i  t  h  ö  u  s  und  Lindenbrog  verglichen  w  ürden.  Das  erste 
dieser  Register  darf  nicht  erst  verfertigt,  sondern  nur  aus  der  Vorrede 
zum  Isten  Bande  des  Onomasiicoii  Liiterariwn  von  Christoph 
Saxe   S.  XXVII  —  XXXI  herübergenommen  werden. 

Ehe  ich  diese  Bemerkungen  und  Notizen  schliesse ,  welche  ein  in 
günstigeren  litterarischen  Verhältnissen  stehender  neuer  Herausgeber 
der  Latein.  Anthologie  gewiss  mit  vielen  andern  wird  vermehren  kön- 
nen, will  ich  noch  etwas  über  eine  hieher  gehörige  Schrift  siigcn,  die 
Burmann  zwar  gekannt,  aber  nicht  sorgfältig  genug  beschrieben  hat. 


224  Abhandlung. 

Dass  in  den  1505  und  1515  zu  Fano  in  8  gedruckten  Ausgaben  des 
sogenannten  PZ/if/a/MÄ  TJiehaniis  sich  einige  Epigramme  befinden,  und 
die  erstere  derselben  vom  J.  1505  mehrere ,  als  die  zweite  von  1515, 
enthalte,  hat  Burmann  S.  XIII  fg.  der  Vorrede  zum  Isten  Bande  aus 
den  Zusätzen  zu  den  IVaudaeana  pag.  198  und  aus  Fontanini's  Histor. 
Liter.  Aquilei.  lib.  I  cap.  3  pag.  58  und  62  bemerkt;  die  frühere  jener 
Ausgaben  aber  niemals  gesehen ,  —  doch  besass  er  ein  Exemplar  der 
Sammlung  des  Pithöus,  dem  Petrus  Scriverius  ihre  Varianten 
beigeschrieben  hatte  —  und  die  spätere  von  1515  erst  vom  2ten  Bande 
an  benutzen  können.  Auch  ich  habe  diese  2te  Ausgabe  vor  mir ,  imd 
da  sie  Burmann,  ihrer  grossen  Seltenheit  ungeachtet,  nirgends  genauer 
beschreibt,  ja  sogar,  verleitet  durch  Fontanini,  etwas  ganz  Unwahres 
von  ihr  berichtet,  so  glaube  ich  einem  neuen  Herausgeber  der  Antho- 
logie einen  Dienst  damit  zu  leisten ,  wenn  ich  hier  eine  genügende  Be- 
schreibung derselben  folgen  lasse,  mit  Angabe  der  in  ihr  enthaltenen 
Epigramme,  und  der  Lesarten  in  diesen  Epigrammen,  welche  Bur- 
mann entweder  gar  nicht  oder  unrichtig  ausgezeichnet  hat.  Der  Titel 
der  Ausgabe,  die  40  ungezählte  Blätter  in  klein  8  hat ,  lautet  so,  auf 
der  Stirnseite  des  ersten  Blattes : 

PYKDARVS  de  hello 

Troiano 
ASTYAXAX  maphaei 
Laudensis 
Epigrammata  quaedam 
diversorum  autoriT 
Auf  der  Rückseite  des  ersten  Blattes  steht  ein  Brief  von  Franciscus 
Polyardus  mit  der  Ueberschrift:  Franciscus  Polyardus  Fanen, 
Mutlo  Arellio,  S.  P.  D.  am  Ende  des  Briefes:  ex  Fano  fort une. 
Octauo  cal.  octob.  M.  D.  X.K,  Nun  folgen  Bemerkungen  zum  Pyn- 
darus  Thebanus,  auf  den  2,  3,  4,  5,  G,  7  und  der  Stirnseite  des  8ten  Blat- 
tes ,  die  mit  den  Worten  eingeleitet  Averden :  Apposuimus  hie  hrevi- 
ter  qiie  ad  huius  poete  lectionem  pertinere  videbantur.  Von  diesen 
Bemerkungen  sind  einige  kritischen  Inhaltes ,  die  meisten  beschäftigen 
sich  mit  der  Erklärung  der  Namen  der  in  dem  Gedichte  vorkommen- 
den Homerischen  Helden.  Auf  der  Rückseite  des  8ten  Blattes  befinden 
sich  2  Gedichte  ,  das  erste  in  2  Distichen  von  TTieronymus  Martiro- 
tius ,  das  zweite  in  Einem  Distichon  \oxv  Albertus  Soncinus ,  beide 
zum  Lobe  des  Pyndarus  Thebanus.  Vom  9ten  Blatte  an  bis  zum  Ende 
des  Buches  auf  der  Stirnseite  des  letzten  und  40sten  Blattes  folgt  der 
Text  der  auf  dem  Titel  genannten  Gedichte.  Mehrere  der  Epigramme, 
welche  die  Ausgabe  enthält,  sind  von  neueren  Verfassern,  z.  B.  von 
Constantius  Fanensis  und  Baptista  Guarinus;  von  den  in 
der  Burmann.  Anthologie  gedruckten  gibt  sie  folgende  Lib.  I  ep.  41 
pag.  21  tora.  1.  Die  Ueberschrift  ist:  Leonardi  arretini  Carmen  sub 
Imagie  braccii  montunii  und  im  2ten  Verse  liest  sie:  non  vastis 
moenia  fossis.  —  Lib.  II  ep.  172  pag.  349  tom.  1.  V.  2  egredere- 
tur.     V.  3  Accedant,  —  Lib.  II  ep.  258  pag.  445  tom  1.    Die  Ueber- 


Bardili:  Ucbcr  eine  neue  Ausgabe  der  Anthologia  Latina.       225 

Schrift  ist:  Ex  codlce  Pa-piiii  veluatiHsimo^  V.  8  Moeaos ^  nicht 
Maesos.  —  Lib.  III  ep.  177  pa<j;.  fi20  toni.  1.  Die  Uebcrüclirift :  hi- 
certi  autoris.  Die  Lesarten  stimmen  mit  den  von  Burmanu  in  den 
Addend.  pag.  744  tom.  2  aus  der  früheren  Ausgabe  v.  1505  angcfülir- 
ten  überein;  nur  V.  1  liest  die  spätere  genitrix ^  und  V.  5  .sie,  nicht 
si.  —  Lib.  III  ep.  219  pag.  651  tom.  1.  Die  Ueberschrift  ist:  Gutll 
Poeie  loci.  Hier  wird  also  dieses  Gedicht  wirklich  dem  Gallus 
zugeschrieben,  und  Burmann  hätte  in  don  Addend.  tom.  2  pag.  740,  wo 
er  die  Lesarten  der  Ausg.  von  1515  anführt,  auch  dieses  ausdrücklich 
bemerken ,  und  dabei  Zugleich  den  Irrthum  berichtigen  sollen ,  den  er 
in  der  ersten  Kote  zu  jenem  Gedichte,  pag.  651  tom.  1,  (vgl.  die  A'or- 
rede  dieses  Bandes  S.  XIII.)  durch  Fontanini  verfährt,  begangen  hatte. 
Er  schreibt  an  dem  gedachten  Orte:  „Editnm  olim  fuit  [hoc  epigram- 
nia]  in  anti({uioribus  Maximian!,  falso  Gtilli  nomen  mentientis,  Ele- 
giarnra  editionibus,  ut  in  prima  Gaurici  et  Laur.  Abstemii  editione  Fa- 
nensi  1515  post  Pindarum  Thebanum  et  vetera  epigrammata,  unde  de- 
cepti  viri  eruditi  aliquando  versus  ex  hoc  Epigrammate  sab  nomine 
Cornelii  Galli  produxerunt."  Er  selbst  war  der  Getäuschte :  denn  von 
den  Elegieen  des  Maximianus  findet  sich  in  der  Ausgabe  v.  1515  keine 
Spur,  wie  er,  nachdem  er  sie  später  zur  Benutzung  für  den  2ten  Band 
seiner  Anthologie  erhalten  hatte ,  beim  ersten  Anblick  hätte  sehen 
können,  und  die  Angabe,  dass  jene  Elegieen  in  der  genannten  Ausgabe 
stehen,  welche  aus  Fontanini  Burniann,  und  aus  ihm  Wernsdorf 
(Poet.  Lat.  »lin.  Tora.  VI  pars  1  pag.  237)  und  Ebert  (Bibl.  Lexik. 
Num.  16907)  wiederhohlt  haben,  ist  durcliaus  falsch  und  ungegründet. 
Die  Ausgabe  v.  1515  enthält  nicht  nur  nicht  mehr,  sondern  weniger 
als  die  frühere,  (die  Epigramme,  welche  jene  weggelassen  hat,  wer- 
den gleich  nachher  angeführt  werden)  und  die  Notiz  von  ihr ,  welche 
Burmann  S.  XIII  seiner  Vorrede  zum  Isten  Bande  aus  den  Zusätzen  zu 
den  Naudaeana  gegeben  hat,  ist  genauer,  als  was  ebendaselbst  aus 
Fontanini  über  sie  gesagt  worden  ist.  Ich  kehre  nun  zur  Angabe  des 
Inhalts  und  der  Lesarten  der  Fan.  v.  1515  zurück.  Lib.  IV  ep.  16  pag. 
16  tom.  2.  V.  %  Perlege.  V.  3  mecum  hie  Aralda  qulesclt.  V.  4 
genitrix.  \.  ^  eiügmata  sp Ingos,  nicht  sphxngis.  —  Lib.  IV  ep» 
58  pag.  42  tom.  2.  V.4  /lonor.  —  Lib.  IV  ep.  92  pag.  62.  — =  Lib.  IV 
ep.  154  pag.  111.  Die  Ueberschrift  ist:  Romae  in  saiicta  tnariä 
Tnaiori.  V.  2  coniux.  V.  5  Supremum  munns  versus.  Von  den  in 
die  Anthologie  aufgenommenen  Epigrammen ,  welche  auch  in  der  frü- 
heren Fan.  V.  1505  stehen ,  sind  in  der  v.  1515  folgende  weggelassen 
worden:  Lib.  III  ep.  24  pag.  473  tora.  1,  Lib.  IV  ep.  47  pag.  34,  ep. 
48  pag.  35,  ep.  110  pag.  74  und  ep.  142  pag.  90  tom  2.  Die  An.-gabe, 
deren  Inhalt  für  die  Latein.  Anthologie  nun  so  erschöpft  ist,  da^s  sieh 
kein  neuer  Herausgeber  mehr  um  das  äusserst  seltene  Bnrh  bemühen 
darf,  schlicsst  auf  der  Stirnseite  des  40sten  Blattes  mit  den  Worten: 

Impressum  Fani  ab  Hlero 

Jahrh,  f.  Phit.  u.  Päddg.  Jahrg.  III ,  Heft  fl.  '^^ 


226  Bardili :  ücber  eine  neue  Bearb.  der  Poetae  hat.  Min.  v.  Wcrnsd. 

n^mo   Soncino   Sexto  Id. 
octobris.  M.  D.  XV. 


Uebev  eine   neue  Bearbeitung  tler  Poetae   Latini  Mino- 
res von   Wernsdorf. 

[Aus   demselben   Schreiben.] 


Die  vorstehenden  Bemerkungen  zur  Lateinischen  Anthologie,  wel- 
che aus  einiger  Beschäftigung  mit  ihr  und  aus  steter  Aufmerksamkeit 
auf  ihre  Litteratur  entstanden  sind ,  füliren  mich ,   da  beide  Werke  zu 
einander   in  unmittelbarer  Beziehung  stehen   und  so   Vieles   aus   dem 
früheren  in   das  spätere  übergegangen  ist,   von    seihst  auf   Werns- 
dorf's  Poetae  Latini  Minor e.s  ^  deren  erste  Bände   im  Buchhandel 
längst  vergriffen ,  und   die  auch  um  anderer  Ursachen  Avillen  eben  so 
wohl  einer  neuen  Bearbeitung  würdig  sind.      Und  wer  sollte  zu  diesem 
Geschäfte  mehr   befähigt,   wem  sollte  diese  Arbeit  leichter  seyn ,  als 
einem  neuen  Herausgeber  der  Lateinischen  Anthologie,  der,  um  bei  der 
eben   genannten  Sammlung  seinen   Zweck  zu  erreichen ,  die  des  Deut- 
schen Gelehrten  beständig  vergleichen  rauss ,   sich  dadurch  mit  dersel- 
ben ganz  vertraut  macht,  und  bei  der  kritischen  und  exegetischen  Aus- 
stattung des  einen  Werkes  zugleich  die  reichsten  Materialien  zu  der  des 
andern ,  so  nahe  verwandten ,  sich  gleichsam  unter  der  Itand  anwach- 
sen sieht?  Durch  die  neue  Bearbeitung  beider  Sammlungen  von  Einefh 
Gelehrten  würden  dieselben  auch  in  noch  nähere  Beziehung  zu  einan- 
der treten,  indem,  was  in  der  einen  steht,  in  der  andern  weggelas- 
sen, und  jeder  von   ihnen  ihr  eigenthümlicher  Cyklus  von  Gedichten 
zugewiesen  werden   könnte,     während  man  nach   der   gegenwärtigen 
Einrichtung  eine  sehr  grosse  Anzahl  dieser  Gedichte  zweimal,  bei  Bur- 
mann sowohl  als  bei  Wernsdorf,   lesen  muss.   Die  Sammlung  des  letz- 
teren,  in  welcher  nach  dem   vorgeschlagenen  Plane   vieles  wegfallen 
würde,   sollte  dagegen  mit  den  beiden  Dichtern,   Q.  Serenus  Sammo- 
nicus  und  T^indlcianus  s.  Marcellus   de  Medicina ,    vermehrt  wer- 
den,  welche  Wernsdorf  in  sein  Werk  nicht  aufgenommen  hat:  wess- 
wegen   auch  neben  demselben  der  Besitz  der  Poetae  Latini  minores 
des    älteren   Burmann    noch   immer  unentbehrlich   ist.       Ob   die 
neue  Ausgabe  dieser  Dichter,   welche  zu  Paris  als   ein  Theil  der  L  e  - 
maire' sehen  Autorcnsammlung  erschienen  ist,  auch  neuen  Gewinn 
für  die  kritische  und  exegetische  Behandlung  gewähre,  weiss  ich  nicht; 
möchte  jedoch  daran  nach  sonstiger  Kunde  von  jenen  Ausgaben  zwei- 
feln.     Auf  jeden  Fall  wird  sie  ein  neuer  Herausgeber  nicht  übersehen 
dürfen ,   welchem  auch   für  den ,   im   4ten  Bande  der  Wcrnsdorfischen 
Sammlung'  abgedruckten ,    sogenannten  Pindc^rua  Thcbanus   die  Aus- 


M  i  s   c  e  l  1  e  n.  227 

gäbe  von  Weytingh  (Arasterd.  1809.  8.)  so  wie  eine  Abschrift  der 
liritischen  Annuu-kungen  und  eine  \'«rglejt;}imig  der  Lesarten  der  zu 
Fano  1515  erschienenen  Ausgabe,  wofern  er  Gebrauch  davon  machen 
will ,  hiemit  angeboten  wird. 


M    i    s    c    e    1    l    e    n. 


Am  28  Mai  hielt  die  Oberlausitzer  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zn 
Görlitz  ihre  jährliche  Hauptversammlung  und  erkannte  von  7  Preis- 
Bchriften  ,  welche  zur  Beantwortung  der  Frage:  74  ann  und  aus  wel- 
chem RecJitsgrwide  heim  die  Oberlau.sltz  im  13  JaJirh.  an  das 
Haus  Brandenburg  etc.  [s.  Jbb.  V  S.  211],  eingegangen  waren,  zwei 
für  des  Preises  würdig,  der  auch  zwischen  ihren  beiden  Verfassern,  dem 
Superint.  Dr.  JVürbs  in  Priebus  und  dem  Pastor  M.  Trabert  in  Rau- 
sche, getheilt  ward.  Eine  dritte  Arbeit  mit  dem  Motto:  Dislingue 
tempora  et  sie  concordabit  scriptura ,  wurde  ausserdem  rühmlicher 
Erwähnung  werth  befunden.  Als  neue,  bis  zum  letzten  März  1829  zu 
lösende  Preisfrage,  mit  dem  Preise  von  50  Thlrn.  in  Golde,  wurde 
aufgegeben:  £ine  Geschichte  der  Cultur  der  bildenden  Künste  in 
der  Oberlausitz,  mit  Verzeichniss  der  Künstler,  die  darin  gebo- 
ren wurden  oder  darin  gelebt  haben. 


Ein  Spassvogel  könnte  folgenden  Titel  und  Vorrede  eines  kürz- 
lich erschienenen  pharmaceutischen  Taschenbuchs  für  —  medicinische 
Latinität  ausgeben:  Pharmacopoea  Borussica  cum  adnotationibus 
in  Therapia.  Vis ,  usus  et  dosis  remediorum,  JEx  decreto  col- 
legii  medicl  et  sanitatis  superioris  Hegis  Borussorum  in  Berolino 
edidit  Doctor  in  medicina  et  chirurgia  Franciscus  Nagel  in  Vra- 
tislavia.  Pars  1.  Jiemedia  simplicia.  Editiü.  Anno  1827.  Cum 
medalia  autoris.  Sumptibus  autoris.  —  —  J^g^  scripsi  hoc  li- 
bellum  Medicis  et  Chirurgis  ad  Usum.  Hie  solum  pars  prima 
Pharmacopoeae  Borussicae  est ,  Hemedia  simplicia;  sed  mox  ve- 
nit  etiam  pars  secunda  Remedia  composita.  Vim,  Usum  et  J)o~ 
ses  Remediorum  distinctissime  ostendi,  et  opto  ut  lectores  mecum 
contenti  sint.      Vratislaviae  Imo  Jan.  1828.  Z>r.  Franc.  Nagel. 


In  London  hat  sich  eine  Gesellschaft  reicher  Literaturfreunde ,  an 
deren  Spitze  der  Prinz  von  Coburg  steht,  vereinigt,  seltene  Orienta- 
lische Werke ,  welche  sich  auf  die  Geschichte  des  Orients ,  seine  Wis- 
eenschaft  und  schöne  Literatur  bezichen,  im  Urtext  mit  Commentar 
und  Uebersetzung  herausgeben  zu  lassen  und  darauf  eine  jährliche  Ein- 
nahme von  fast  1100  Pf.  zu  verwenden,  mit  dem  Vorbehalt,  dass  sie 
bei  dem  Erscheinen  dieser  Werke  als  Subscribenten  Exemplare  auf 
besserem  Papier  erhalten,  übrigens  aber  so  viel  dafür  zahlen  als  jeder 


228  M  i  s  c  e  1  1  e  11. 

andere  Käufer.  Sie  wollen  mit  allen  Indischen  und  Orientalischen  Hö- 
fen und  Ländern  in  Verbindung;  treten.  Die  Orientalischen  Manuscripte 
der  Bibliotheken  zu  Oxford  und  Cambridge ,  des  Urittischen  Museuiud 
und  des  East -India- hou>e  sollen  die  Grundlag-e  der  Sammlung  bilden. 
Vor  der  Hand  sind  15  seltene  Werke  zur  Uebersetzung  bestimmt ,  dar- 
unter die  bis  jetzt  ganz  unbekannten  Didaskalien  oder  apostolischen  Ver- 
ordnungen der  Abyssinischen  Kirche ,  eine  Arabische  Geschichte  und 
Statistik  Aegjptens  unter  den  Kaliphcn  und  eine  Persische  Geschichte 
his  ziim  Tode  Alexanders  des  Grossen.  Die  Asiatic  Society  hat  ibre 
MitM  irkung  versprochen.  Der  Subscriptionspreis  für  das  Ganze  ist  10 
Guineen. 


In  London  wurde  in  den  letzten  Tagen  des  Juni  die  von  dem  Pa- 
riser Buchhändler  Renouard  für  seine  Geschichte  der  Aldinischen 
Drucke  zusammengebrachte  Sammlung  dieser  Ausgaben  öfTentlich  ver- 
steigert. Den  Livius  kaufte  der  Graf  Spencer  für  95  Guineen  (683 
Thlr.).  Ein  Petrarca  auf  Pergament  wurde  für  65  Guineen,  Galeni 
opera  von  1525  für  54  Guineen ,  ^ristotelis  et  Theop/irasti  opera 
für  40  Pfund  ,  der  Ttreniiufi  für  27  Pf. ,  der  Virgilius  von  1514  für 
20^  Pf.,  Amicl  epistühi  ad  Campesaninn  für  204  Pf. ,  Sclp.  Car- 
^tvumac/«' (Fortingnerra)  oralio  de laiidlbuH  llter.  Graec.  für  15  Gui- 
neen ,  Miirets  Catullus  für  11  Pf. ,  der  Caesar  (ein  Exemplar ,  das 
einst  de  Thou  hesass)  für  7  Guineen  verkauft. 


Eine  apodictischc  und  oft  ungründlichc  Würdigung  der  jüngsten 
Deutschen  Literatur  fuidet  man  in  der  Schrift:  Das  vergangene  Jalir- 
zchend  der  Deiitsc/ien  Llleratur,  Eine  Betrachtung  von  IL  F. 
Mass  mann.  (München,  Lentner.  1827.  8.  14  Gr.)  —  einem  Buch, 
das  humoristisch  geschrieben  seyn  soll,  und  an  einem  sonderbaren,  den 
Johannes  Müllerschcn  Stil  affectirenden  Deutsch  krank  liegt.  Aber  das 
Buch  verdient  gelesen  zu  Averden ,  theils  Aveil  es  viele  Gebrechen  der 
Deutschen  Schriftstellerei  rügt ,  und  z.  B.  besondere  Capitel  über  die 
zehnjährige  Leipziger  Messe  und  die  Papierfabrik  ohne  Ende, 
über  die  Musenwirthschaft  oder  Paneni  et  Circenses,  über  die  dop- 
pelte Buchhaltung  der  Tagblälter  und  Zeitschriften  ,  über  Droit 
d^ainisse  oder  von  der  Schriftsässigkeit  enthält,  theils  manche  Cu- 
liosa  liefert  und  z.  B.  zusammengestellt  hat,  dass  zu  den  neusten  Deut 
sehen  Liederdichtern  Gastwirthe,  Kaufleute,  Buchhändler,  Apotheker, 
Leihbibliotbekare,  Pharmaccutcn,  Fechtmeister,  Bürstenbinder,  Schn- 
inachermeister,  Schneidergesellen,  Bauersleute  und  gemeine  Soldaten 
gehören.  Wer  wird  da  noch  behaupten  woUcu ,  dass  unsere  Literatur 
nicht  volk^thümlicli  sey? 


Die  Römer  sind  am  Endo  bei  ihren  lleereszügen  in  Gei-manien  al- 
ler Geschichte  zum  Trotz  nicht  bloss  his  an  die  Elbe,  sondern  bis  über 
dieselbe  vorgedrungen.  In  einer  in  HuUe  bei  RufF  erschienenen  Schrift 


M  i  s  c  c  1  1  c  n.  229 

nruulicli :  Seschreihun^  einiger  hei  liadchcrg  im  Königreich  Sach- 
sen aufgefundenen  Urnen  mit  nnbckannLen  Charctktcreny  Avird 
berichtet,  dass  iliose  Urn«m  in  INischeii  <;ines  jj^emaurrtcu  Gewölbes  zu- 
jj^leich  mit  Röinisiclieii  Münzen  {^felumlen  worden  sind,  und  daraus  ge- 
folgert, dass  das  Ganze  ein  Komisches  Grabmal  gewesen  sey.  Einfa- 
cher wäre  es  freilich  gewesen ,  bei  Radeberg  ein  Deutscht' s  oder  gar 
Slavisches  Ileldengrab  zu  suchen,  dem  Römische  Münzen  ala  Sieges- 
Leute  einverleibt  worden  sind. 


In  Berlin  bei  Voss  ist  erschienen:  Geschichte ,  Geographie  und 
Statistik  der  Insel  Sardinien,  nebst  einer  Schilderung  ihrer  ^l- 
terthünier  ^  natürlichen  Erzeugnisse  und  ihrer  Sewohner,  nach 
den  neuesten  Französ,  Quellen  bearbeitet  von  Dr.  F  e  r  d.  II  ö  r  s  c  h  e  I  - 
mann.  Mit  2  Charten  und  einer  Medaillentafcl.  Besonders  M  i  m  a  u  t '  a 
Sardaigne  ancienne  et  moderne  ist  dem  Werke  zu  Grunde  gelegt; 
aber  auch  viele  andere  Hülfsmittcl ,  besonders  Marmora's  Reise, 
sind  sox'gfältig  benutzt. 

Wie  in  Paris  [Jbb.  IV  S.  108]  so  hat  auch  in  Wien  die  Ankunft 
einer  Girafe  zu  gelehrten  Untersuchungen  Veranlassung  gegeben.  Zu- 
erst nilmlicli  lieferte  Jos.  von  Hammer  in  der  Wiener  Zeitschr. 
für  Kunst ,  Liter. ,  Theat.  und  Mode  einen  Aufsatz  über  die  Orientali- 
schen, besonders  Türkischen  und  Persischen  Namen  dieses  Thicres.  Ein 
zweiter  Aufsatz  von  L.  J,  Fitzinger  ebendas.  St.iSfT.  ist  besonders  für 
die  Naturgeschichte  wichtig,  indem  er  eine  genaue  Beschreibung  der 
Girafe  liefert.  Aber  auch  antiquarisch  giebt  er  folgende  Ausbeute: 
Die  Girafe  heisst  in  einigen  älteren  Reisebeschreibungen  Ghianiala  ; 
im  Hebräischen  Zanier  oder  Zemer  und  Zoiner  ;  im  Chaldäischen  Z)e~ 
ba  •  bei  den  Arabern  nach  Rüppel  Serafe,  nach  Mongez  Sirqf  oder 
Zurapha ,  nach  Nemnich  ZurapJiate ,  nach  Aldrovand  Saraphaph^ 
nach  Albin  Zurnap  ^  nach  Bellonius  Zurnapa  ;  bei  den  Türken  Sur^ 
napa;  in  Persien  nach  Nemnich  Seraplia^  nach  den  Wörtei-büchern 
TJschturgiawpelenh  (Kamehlkuh- Leopard),  Schuturgiawpelenh  oder 
Giawpelenh  (Kuh -Leopard)  und  Schulurgiaw  (Kamehlkuh);  in  Ae- 
gjliten  nach  Albertus  Magnus  u4nabula ;  bei  den  Aethiopiern  nach 
Plinius  Nabis  oder  Nabuna ;  bei  den  Hottentotten  JSaip ;  bei  den 
alten  Griechen  KafiriXoncc^duXiq ,  bei  den  neuen  Zorpaqiq;  bei  den  La- 
teinern Camelopardalus ,  Camelopardus  und  Orasius ;  bei  den 
Etrnskern  Oraflus ;  bei  den  alten  Italienern  Seraphe ,  Saraphal, 
Gyraphan,  Zirafa,  Girafa  und  GiraJJa.  Die  Girafe  war  schon 
in  sehr  alter  Zeit  bekannt,  vie  die  Abbildungen  derselben  auf  dem 
berühmten  Pränestinischen  mosaischen  Pflaster  und  die  beiden  Giraten 
auf  den  Basreliefs  Aegyptischer  Tempolj  [nach  Lancret's  und  Jomard's 
Zeichnungen  beweisen.  Die  älteste  Nachricht  giebt  Moses  Deuteron, 
14,  5,  Aristoteles  kannte  sie  nicht.  Ptoleraäus  Philadelphus  zeigte 
sie  in  meinem  Triuiuphzuge  den  Alexandrinern  zugleich  mit  einem  Rhi- 


230  M  i  s  c  e  1  1  e  n.  • 

uoceros  aus  Aelliioplen.  Zuerst  beschrieb  sie  Agatharchides  (140  v. 
Chr.)  und  gab  die  westlichen  Ufer  des  rotben  Meeres  als  ihren  Aufent- 
liailsort  an;  dann  Arteiuidor  (100  v.  Chr.).  Julius  Cäsar  sah  sie  in 
Aegjpten  und  brachte  sie  45  v.  Chr.  nach  Rom.  Diese  sahen  Varro 
und  Horaz  und  beschrieben  Strabo  und  Plinins,  Auch  Diodorus  Sic. 
sah  entweder  dieselbe  oder  eine  auf  seiner  Reise  nach  Asien.  Auch 
der  Verfasser  des  Griech.  Gedichtes  über  Jagd  und  Fischfang  beschreibt 
sie.  248  n.  Chr.  brachte  Philipp  I  10,  und  274  Aurelianus  mehrere 
Girafen  nach  Rom.  Auch  Philostorchus  (im  4  Jahrb.)  sah  eine,  eben 
so  Gosmas  Indicopleustes  (535)  eine  andere  in  Aethiopien;  Heliodor  gab 
eine  ausführliche  Beschreibung.  Cassianus  Bassus  sah  sie  in  Antio- 
chia  und  lässt  sie  aus  Indien  kommen;  nach  Suidas  scljickteu  die  Ae- 
thioper  dem  Kaiser  Leo  VI  Girafen  nach  Constantinopel.  Vincentius 
Bcllovacensis  sah  und  beschreibt  die  Girafe,  welche  der  Kaiser  Frie- 
drich zAvischen  1152  und  1190  vom  Sultan  von  Babylon  erhielt  und 
welche  m  ahrscheinlich  die  nämliche  ist ,  die  im  12  Jahrb.  in  Palermo 
war.  Dieselbe  wird  nach  Vosmaer  in  einer  alten  Handschrift  in  Flam- 
ländischen  Versen  besungen,  deren  Dichter,  wahrscheinlich  S.  Maarland, 
das  Th'icr  Ora/ji/iif 6-  nennt.  Albertus  Magnus  gab  eine  Beschreibung 
ilcr  Girafe,  welche  der  Sultan  von  Aegjpten  dem  Kaiser  Friedrich  11 
zwischen  1218 u.  1250  schenkte;  Pachymeres  von  derjenigen,  welche  Mi- 
chael nil  in  Constantinopel  vom  Könige  von  Aethiopien  ZM'ischen  1260 
— 1282  erhielt;  Antonio  Constanzi  und  Politian  vonder,  Avclche  der  Dey 
von  Tunis  an  Lorenz  von  Medicis  schickte.  Auch  später  kamen  noch 
mehrere  Girafen  nach  Europa,  und  Mongez  irrt,  w  enn  er  seit  i486  keine 
in  Europa  gewesen  seyn  lässt;  noch  mehr  Schinz,  welcher  meint,  seit 
den  Spielen  der  Römer  seyen  keine  lebenden  Girafen  mehr  nach  Euro- 
pa gekommen. 

Der  Britte  Grierson  hat  in  einem  rotben  Sandsteinfelsen,  2  Mei- 
len von  Lochmabon  in  Dumfries ,  bis  70  Fuss  tief  unter  der  obersten 
Felslagc  unverkennbare  (?)Fussstapfen  wandelnder  Heerden  vierfüssiger 
Thiere  gefunden,  lieber  diese  Entdeckung  hat  Buckland  in  der  anti- 
quarischen Gesellschaft  von  Pertli  eine  Abhandlung  vorgelesen,  in  wel- 
cher er  diese  Fussstapfen  Krokodilen  oder  Schildkröten  zuschreibt  und 
diess  aus  dcoi  regelmässigen  Wechsel  zwischen  den  linken  und  rechten 
\ Order-  und  Hlnterfüssen ,  dem  Abdruck  des  Fusses  selbst,  der  Zehen 
und  Hacken  und  dem  Scharren  des  Fusses  längs  dem  weichen  Fels  ge- 
schlossen.    Also  eine  neue  antediluvianischc  Spur! 


In  Ilcrculanura  hat  man  ein  Haus  ausgegraben ,  das  eine  Barbier- 
etuhe  enthält.  Man  fand  darin  Bänke ,'  auf  denen  die  Kunden  wahr- 
scheinlich Sassen  und  vor  und  nach  dem  Rasieren  schwatzten ,  da  ja, 
wie  wir  aus  Horaz  wissen,  die  Barbierstuben  als  Klatschboutiken  be- 
rüchtigt waren.  Auch  mehrere  gut  erhaltene  Nadeln ,  deren  sich  die 
Frauen  für  ihren  Kopfputz  bedienten ,  wurden  daselbst  aufgefunden. 


T  o  d  e  s  f  ü  I  1  e.  231 

Nach  «ffentlirhen  NacLricliteii  hat  man  in  Rom  nchon  dem  al(en 
CapUül  einen  marmornen  Sarg  mit  8  ein1)alsainierten  Gänsen  gelinulen, 
und  aus  den  Trümmern  einer  Inschrift  soll  hervorgclien ,  da^^s  dieses 
Monument  den  (iänsen  g-esctzt  wurde,  die  durch  ilir  Geschrei  das  Ca- 
pitolium  von  den  Galliern  retteten. 


Zu  Valenciennes  hat  man  in  einer  Tiefe  von  8  Fuss  einen  {?ut  er- 
haltenen Mosaik -Fusshoden  entdeckt,  welcher  grosse  Aehnlichkeil  mit 
dem  zu  Ilerculanura  gefnndenen  hat.  Bis  jetzt  ist  etwa  der  vierte  Theil 
aufgedeckt,   der  8  Fuss  Länge  und  7  Fuss  Breite  hat. 


In  der  Nähe  von  Lillehonne  fanden  Torfgräber  am  28Mai  9  Fuss 
unter  der  Oberfläche  einen  hölzernen  Kasten  mit  300  Römischen  Sil- 
bermünzen aus  den  Jahren  98  bis  249  nach  Christus. 


Fried r.  Aug.  Wolf  von  einem  Makel  befreit.]  Das 
kön.  Baierische  General- Conservatorium  der  Missenschaftlichen  Anstalt 
des  Staats  hat  bekannt  gemacht ,  dass  die  Handschrift  der  Odyssee, 
welche  Wolf  von  der  Angsburger  Stadtbibliothek  entliehen  hatte  und 
welche  er  auf  die  später  gemachte  Aufforderung  zur  Rückgabe  bereits 
zurückgegeben  zu  haben  behauptete  (ungeachtet  sein  Empfangschein 
noch  vorhanden  war) ,  sich  wirklich  bei  einer  vor  kurzem  vorgenom- 
menen Revision  der  Münchener  Bibliothek  wiedergefunden  und  zugleich 
sich  ergeben  hat,  dass  sie  Wolf  wirklich  vor  jener  Aufforderung  zu- 
rückgesandt hatte. 


Todesfälle. 


/ia  Paris  starb  vor  kurzem  das  Mitglied  der  Akademie  der  Inschriften 
Dom  £ria/ ,  geboren  In  Perpignan  am  26  Mai  1743.  Er  war  der  letzte 
der  gelehrten  Französischen  Benedictiner  und  hat  die  üeransgabe  des 
12  bis  18n  Bandes  der  von  Bouquet  angefangenen  Sammlung  der  Fran- 
zösischen Geschichtschreiber  besorgt,  auch  zu  der  von  den  Benedict!- 
nern  herausgegebenen  histoire  litteraire  de  la  France  sehr  viel  Beiträge 
geliefert,  sichrere  Nachrichten  über  ihn  findet  man  im  2n  Theil  von 
Dibdin's  biographical  tour  in  France  and  Germany.  Seine  Stelle  wird 
nicht  wieder  besetzt,  weil  unter  dem  Minister  von  Corbiere  durch  einen 
"kön.  Befehl  die  Zahl  der  Mitglieder  von  40  auf  30  herabgesetzt  wor- 
den ist. 

Den  12  Jan.  zu  Görlitz  der  Schreiblehrer  des  Gymnasiums  Chri- 
stoph Gottlob  Piltz ,  Glöckner  und  Organist  an  der  Kirche  zur  heil. 
Dreifaltigkeit  und  Inhaber  des  allgein.  kön.  Ehrenzeichens  erster  Classe, 


232  Todesfälle. 

91  J.  alt.  Seit  3  Jahren  war  er  am  Gymnasium  nicht  "Weiter  thätig 
und  sein  Amt  verwaltete  der  dritte  College   Stolz,  Vgl.  Jbb.  II  S.  401. 

Den  30  Mai  zu  Ehingen  der  ehemals  bei  der  Oesterreichischen  Re- 
gierung angestellte  ,  schon  lange  pensionierte  Dichter  TV eitzmann, 
Torzüglich  durch  seine  launigen  Gedichte  in  Schwäbischer  Mundart 
bekannt,  61  J.  alt. 

Den  7  Juli  zu  Halle  der  berühmte  Kanzler  der  Univers.,  Director 
der  Franke'schen  Stiftungen  etc.  \iv.  yliig.  Herrn.  Nlemeyer  ,  geboren 
ebendaselbst  am  1  Sept.  1754  und  erzogen  in  dem  Pädagogium,  dessen 
Vorsteher  er  44  Jahr  lang  gewesen  ist.  Seit  dem  18  Apr.  1777  Avar 
er  Lehrer  an  der  Universität. 

Biographische  Nachrichten  von  Heinrich  Soie  [Jbb.  V  S.  419]  ste- 
hen in  d.  Hall.  L.  Z.  1828  Nr.  156  S.  393  f.,  von  MarezoU  [Jbb.  VI  S.  244] 
in  der  Darmstädter  Kirchenzeit.  Nr.  79  S.  641  —  45,  von  X/.  F.  G.  v. 
GöcL-ing  [Jl)b.  VI  S.245]  in  d.  Hall.  L.  Z.  Nr.  150  S.  345  —  48. 

Am  18  Febr.  d.  J.  erlitt  die  Universität  Rostock  einen  schmerzli- 
chen Verlust  durch  den  an  diesem  Tage  zu  Greussen  im  Schwarzburg- 
Sondershäusiscben  erfolgten  Tod  des  bekannten  Philologen  Immcinutl  G, 
Hwichhe.  Ebendaselbst  im  Jahre  1761  geboren  ward  er  von  seinem 
frommen  und  tüchtigen  Vater,  einem  Kaufmann,  der  sich  durch  24  jäh- 
tigen  Aufenthalt  im  Holländischen  Ostindien  so  viel  Vermögen  erwor- 
ben hatte,  um  seinen  Kindern  eine  liberale  Erziehung  geben  zu  kön- 
nen, frühzeitig  für  die  Wissenschaften  bestimmt  und,  da  die  Ortsschule 
keine  Gelegenheit  zur  höhern  Ausbildung  darbot,  auf  die  Fürstenschule 
zu  Pforta  geschickt.  Hier  legte  er  den  Grund  zu  der  genauem  Kennt- 
niss  der  alten  Sprachen  und  erwarb  sich  eine  schon  damals  aulTallendo 
Gewandtheit  im  Lateinischen  Ausdrucke ,  sow  ohl  in  Prosa  als  in  Ver- 
sen. Im  Versificieren  hatte  er  es  so  weit  gebi-acht,  dass  er  oft  (wie  er 
eelbst  später  erzählte)  durch  gelungene  Lateinische  Oden  seine  durch 
seinen  Muthwillen  erzürnten  Lehrer  wieder  zu  versöhnen  wusste.  Von 
Pforta  aus  bezog  er  die  Universität  Zu  Jena,  eigentlich  um  Theologie 
und  nebenher  philosophische  Wissenschaften  zu  studieren.  Seine  von 
der  Schule  mitgebrachte  Vorliebe  für  die  Philologie  indessen  behielt  «o 
sehr  die  Oberhand,  dass  er  ihr  nicht  nur  auf  der  Universität  die  meiste 
Zeit  widmete ,  sondern  auch  nach  vollendetem  akademischen  Cursus 
den  Entschluss  fasste ,  in  diesem  Fach  sein  Fortkommen  zu  suchen  und 
fürs  erste  nur  durch  Annahme  vortheilhafter  Hauslehrerstellen  sich  Zeit 
und  Mittel  zu  seiner  weitern  wissenschaftlichen  Ausbildung  zu  verschaf- 
fen. Auch  gelang  es  ihm,  diesen  Plan  zu  realisieren.  Nachdem  er  eine 
Zeitlang  theils  in  Jena,  wo  er  Secretär  der  Lateinischen  Gesellschaft 
war,  thcils  in  Göttingen,  wo  er  noch  Collegicn  hörte,  privatisiert  hatte, 
erhielt  er  zuerst  eine  Stelle  bei  einem  adligen  Gutsbesitzer  in  Liefland, 
die  freilich  wegen  derBeschaflenheit  des  Landes  minder  erfreulich  Avarj 
einige  Jahre  nachher  aber  eine  andere  bei  einem  der  ersten  Handels- 
häuser in  Amsterdam.  Dieser  Aufenthalt  des  Verstorbenen  in  Holland, 
welcher  auch  nach  vollendeter  Erziehung  der  seiner  Leitung  anVertrail- 
tea  Kiudcr  noch  mehre  Jahre  abwechselnd  in  Leyden  und  Amaterdam 


Todesfälle.  233 

fortwährte,  wirkte  entscheidend  für  sein  ganzes  Lehen  und  die  Art  sei- 
ner wissenschaftlichen  Thätigkeit.  Abgesehn  davon,  dass  er  durch 
die  freigehige  Dankharkeit  seines  Principals  in  eine  sorgenfreiere  Lage 
versetzt  wurde  ,  erhielt  seine  Art  die  philologischen  Wissenschaften  zu 
betreiben  durch  den  täglichen  Umgang  und  die  Vorlesungen  eines 
Huhnken,  AVyttenbach  und  der  übrigen  damals  lebenden  Holländischen 
Philologen  diejenige  Richtung,  welche  alle  seine  seitdem  verfassten 
Schriften  charakterisiert.  Eine  öffentliche  Anstellung  indessen ,  zu  der 
ebenfalls  ihm  in  Holland  sich  Aussichten  eröffneten ,  nahm  er  nicht  an. 
Die  Sehnsucht  nach  der  Heimath  und  die  damalige  Umgestaltung  aller 
Verhältnisse  in  Holland  in  Gefolge  der  Französischen  Revolution  bewo- 
gen ihn  selbst  jenes  sein  zweites  A  aterland  ,  wie  er  es  zu  betrachten 
pflegte,  im  Anfange  dieses  Jahrhunderts  gänzlich  wieder  zu  verlassen. 
Ohne  eigentliche  Anstellung  und  öffentlichen  Beruf  lebte  er  zunächst 
wieder  einige  Jahre  in  Göttingen  mit  wissenschaftlichen  Arbeiten  be- 
schäftigt ,  bis  ihn  im  Jahr  18C6  eine  Vocation  als  Professor  der  Be- 
redtsamkeit  an  die  Universität  zu  Rostock  versetzte.  Nach  dem  dort 
damals  noch  bestehenden  Unterschiede  der  von  der  Stadt  und  der  vom 
Fürsten  besoldeten  Professoren  war  er  anfangs  städtischer  Professor, 
nachher  ging  er  bei  Gelegenheit  einer  ausgeschlagenen  Vocation  nach 
Leyden  in  derselben  Professur  in  die  Dienste  des  Grossherzogs  über, 
und  erhielt  von  diesem  nach  O.  Tychsens  Tode  auch  die  Stelle  eines 
ersten  Universitätsbibliothekars.  In  beiden  Wirkungskreisen  ist  er  bis 
an  sein  Ende  thätig  gewesen.  Leider  nur  war  diese  Thätigkeit  mehrmals 
durch  ernsthafte  Krankheitsfälle  unterbrochen.  Ein  in  der  Jugend  ausge- 
standenes fast  vierjähriges  u.  nur  durch  gewaltsame  Mittel  curiertes  AVech- 
selfieber  hatte  eine  Schwäche  des  Unterleibes  zurückgelassen,  welche  mit 
zunehmenden  Jahren  in  ein  hartnäckiges  hypochondrisches  Uebel  ausar- 
tete. Schon  zweimal,  im  Jahr  1816  und  1823,  hatten  die  Ausbrüche 
desselben  den  Verstorbenen  genöthigt,  seine  Berufsarbeiten  eine  Zeit- 
lang auszusetzen  und  im  Schoosse  seiner  Familie  Wiederherstellung 
seiner  Gesundheit  zu  suchen.  Auch  gelang  es  diese  beide  Male ,  ihn 
gestärkt  seinen  Geschäften  zurückzugeben.  Allein  dem  dritten  im  J. 
1827  erfolgten  Anfalle  konnte  der  Altersschwache  nicht  mehr  Mider- 
stelien.  Er  starb  an  einer  Art  von  Kervenauszehrung  im  67  Lebens- 
jahre, eben  als  von  seinem  Fürsten,  der  ihn  immer  vorzüglich  ge- 
schätzt hatte,  die  erbetene  Entlassung  von  seinen  Aemtern  nebst  Be- 
willigung einer  lebenslänglichen  Pension  eingetroffen  war. 

Von  Huschke's  schriftstellerischen  Leistungen ,  die  ja  dem  Publi- 
cum durch  sich  selbst  hinlänglich  bekannt  sind,  wäre  es  überflüssig 
hier  zu  reden,  Nur  über  die  von  ihm  unvollendet  hinterlassenen  Ar- 
beiten tnöchte  es  von  Interesse  seyn ,  Einiges  anzuführen.  Die  Durch- 
sicht seines  litterarischen  Nachlasses  hat  ergeben ,  dass  ihn  ausser  der 
Herausgabe  des  Propertlus ,  an  der  er  schon  seit  länger  als  20  Jah- 
ren arbeitete ,  und  für  welche  sich  ein  sehr  grosser  kritischer  und  exe- 
getischer Apparat  in  seinem  Nachlass  vorgefunden   hat,  auch  die   des 

15* 


234  Schul-und  U  niv  er  sitäts  na  ehr  ich  te  n, 

Terentianus  Mauriis  und  des  Timaeus  Locrus  beschäftigte.  Für  je- 
nen hatte  er  sich  auch  schon  eine  Menge  von  Bemerkungen  aufgezeich- 
net: die  Herausgabe  dieses  Grammatikers  von  van  Lennep  scheint 
Ursache  gewesen  zu  seyn,  dass  der  Verstorbene  seine  Arbeit  einstwei- 
len zurücklegte.  Für  den  Timaeus  Locrus  sind  meistens  nur  Colla- 
tionen  von  auswärtigen,  besonders  Pariser  Handschriften  und  seltenen 
Ausgaben  unter  seinen  Papieren  gefunden  worden.  Bei  der  grossen 
Tüchtigkeit,  mit  welcher  Jlusc/ike  kritische  Ausgaben  zu  besorgen 
pflegte,  ist  gewiss  die  Unterbrechung  seiner  Bemühungen  gerade  um 
diese  zwei  so  sehr  corrumpierte  Auetoren  sehr  zu  bedauern. 


Schul-  und  Universitätsnachrichteii ,    Beförderungen  und 
Ehrenbezeigungen. 


Maiiand.  Der  bisherige  zweite  Secretär  an  der  hies.  Bibliothek 
Lodigiani  ist  zum  ersten  Custos  derselben  ernannt  worden.  Der  be- 
kannte Nuniismatiker,  Prof.  Domenico  Sestini  hat  vom  Kaiser  von 
Russland  für  die  Uebersendung  seiner  numismatischen  Werke  einen 
Brillantring  erhalten. 

Parcuim.  Die  dasige  gelehrte  Schule  ist  von  dem  Grossherzoge 
mit  Verbesserung  des  Schulfonds  zum  Friedrich -Franz- Gymnasium 
ex'hoben  und  am  10  Dec.  v.  J.  als  solches  eingeweibt  worden.  Zu  glei- 
clier  Zeit  wurden  der  Dr.  ZeJiIike  als  Director  u.  Heinricli  Gesellius 
als  Conrector  eingeführt. 

PosEW.  Der  hiesige  Reglerungsbezirk  zählt  742  Elementar  -  und 
5  höhere  Bürgerschulen  (1  zu  Bojanomo  mit  4 ,  1  zu  Fraustadt  mit 
3,  2  zu  Posen  mit  4  und  3  und  1  zu  Rawicz  mit  4  Classen).  In  den 
erstem  Averden  74(i00,   in  den  letztern  2290  Kinder  unterrichtet. 

Preitssen.  Die  Univ.  zu  Berlin  hat  den  Namen  Friedrich -Wil- 
helms Univ.,  die  zu  Bonn  den  Namen  der  Rheinischen  Friedrich- Wil- 
helms Univ.  erhalten.  Se.  M.  der  König  haben  dem  Rector  Cö/fr^«^  in 
GiiTTSTADT  das  allgemeine  Ehrenzeichen  erster  Classe  verliehen  und  zu 
den  Reparaturen  am  Römer- Thor,  den  Römischen  Bädei-n  und  dem 
Römischen  Amphitheater  in  Trier  sowie  an  dem  Römischen  Mauso- 
leum zu  Igei.  7!)1  Thlr.  2  Sgr.  4  Pf,  ausserordentlich  bewilligt.  Die 
evangel.  Gemeinde  zu  Wormditt  hat  ein  Gnadengeschenk  von  151G9 
Thlrn.  4  Sgr.  5  Pf.  und  die  evangel.  Gemeinde  zu  Braunsberg  ein  glei- 
ches von  53196  Thlrn.  13  Sgr.  9  Pf.  zum  Bau  der  Kirchen-  und  Schul- 
gebäude ,  die  Gemeinde  zu  Fuciismüiil  (Reg.  Bez.  Liegnitz)  300  Thlr, 
und  die  Gemeinde  zu  Zuzelle  (Reg.  Bez.  Oppeln)  144  Thlr.  zum  Bau 
des  Schulhauses  erhalten.  Zu  gleichem  Zweck  sind  dem  Amtsdorfe 
Krusemarkshagen  (R.  B.  Stettin)  150  Thlr.,  der  Colonlegeraeinde 
Neu-Kenzlin  (R.  B.  Stettin)  180  Thlr.  und  der  Gemeinde  Bismark 
(R.  B.  Potsdam)  118  Thlr.  aus  Staatsfonds  ausserordentlich  bewilligt. 


Befördern  ng-cn  und  Ehrenbezeigungen.  235 

Der  cvang.  Geuiclude  in  Rösskjl  in  Ostpreussen  ist  der  westliche  Theil 
des  Ordens- Schh)sscH  daselbst  nebst  den  dazu  gehörigen  lluincn  zu 
Scliulzwecken  als  ein  Gnadengeschenk  überlassen  und  zur  Wiederher- 
stellung dieser  Gebäude  eine  Collectc  in  den  evangelisclien  Kirchen  der 
Provinz  Ostpreussen  nachgegeben.  Der  kathul.  Gemeinde  zu  Mim)es 
wurde  die  Uhleiuann'sche  \  icariats- Curie,  hinter  dem  Dome,  zur  Er- 
weiterung der  kathol.  Knabenschule  überlassen.  Der  Etat  der  königl. 
Akademie  der  Künste  in  Bekmin  ist  um  7038  Thlr.  20  Sgr.  jährlich 
(aus  den  Verwaltungs  -  Summen  des  Ministeriums  der  geistl.  und  Un- 
terrichtsangelegenheiten) erhöht  worden,  damit  sie  nach  den  zeitge- 
mässcn  Anforderungen  ihren  Bedürfnissen  abhelfen  könne.  Zur  ersten 
Einrichtung  des  in  vorigem  Jahre  angekauften  neuen  Anatomie -Ge- 
bäudes der  L'niversität  in  Berlix  sind  9840  Thlr.  ausserordentlich  an- 
gewiesen. Der  Verein  znr  Unterstützung  hülfsbedürftiger  Gymnasiasten 
in  Aacheri  erhält  für  die  Jahre  1828  und  1829  eine  jährl.  Beihülfe  von 
200  Thirn.  aus  Staatsfonds;  die  erledigte  Pension  des  verstorbenen 
Schulcassen-Rendanten  Schartow  in  KÖx\igsberg  in  Preussen  von  41 
Thlrn.  17  Sgr.  6  Pf.  ist  zur  AnschafTung  von  Lehrbedürfnissen  für  arme 
Lehrer  und  dürftige  Kinder  daselbst  bestimmt  worden.  Für  das  neu- 
errichtete Gymnasium  in  Coesfeld  ist  ein  schönes  und  massives  Ge- 
bäude nebst  einem  beträchtlichen  Hof-  und  Garten -Raum  für  10000 
Thlr.  angekauft  und  die  Summe  von  343  Thlrn.  zur  AnschafTung  eines 
mathematisch -physikalischen  Apparats  bewilligt  worden.  Ein  gleicher 
Apparat  wurde  für  das  Gymnasium  in  Braunsberg  um  549  Thlr.  von 
den  Mechanikern  Gebr.  Müller  in  Berlin  angekauft.  Der  von  dem 
technischen  Verein  in  Breslau  gegründeten  Gewerbschule  wurden  458 
Thlr.  zur  Anschaffung  der  nöthigsten  Apparate  für  ein  chemisches  La- 
boratorium und  40  Thlr.  zum  Ankauf  der  wichtigsten  technologischen 
Zeitschriften  in  diesem  Jahre  ausserordentlich  bewilligt.  Der  Profes- 
sor Jioß mann  an  der  Universität  in  Halle  erhielt  Behufs  einer  geogno- 
stisclien  Reis«  durch  Deutschland,  die  Sclnveiz,  Italien  und  Sicilien 
einen  Urlaub  auf  18  Monate  unter  Beibehaltung  seiner  Besoldung  und 
eine  ausserordentliche  Reiseunterstützung  von  900  Thlrn. ;  der  Doctor 
Uietz  in  Berlin  zu  einer  Reise  nach  Wien,  Rom  und  Paris,  um  die 
Handschrr.  des  Hippokrates  zu  vergleichen  [Jbb.  VI  S.  258] ,  auf  zwei 
Jahre  ein  Reisestipendium  von  200  Thlrn.  jährlich  und  für  das  erste 
Jahr  noch  eine  ausserordentliche  Unterstützung  von  250  Tlilrn.  Der 
Director  Hojjinann  an  den  vereinigten  Waisen  -  und  Pensions  -  Er- 
ziehungsanstalten und  dem  Landschullehrer- Seminar  in  Buxzlau  ist 
mit  einer  Pension  von  600  Thlrn.  in  den  Ruhestand  versetzt  worden. 
Der  Director  Bhnne  am  Gymnas.  in  Potsdam  erhielt  ein  königl.  Gna- 
dengeschenk von  250  Thlrn.  Als  ausserordentliche  Gratification  wur- 
den am  Gymnas.  in  Bromberg  dem  Director  Müller  150  Thlr. ,  dem 
Professor  Jlrnold  und  dem  Unterlehrer  Kretschniar  jedem  42  Thlr. 
und  dem  Lehrer  Sadowski  50  Thlr. ,  am  Jesuiten  -  Gymnas.  in  Cöln 
dem  DLrector  Binibaiim  200  Thlr. ,  dem  Collaborator  Grysar  100 
Thlr. ,    den  Lehrern  Niegemann ,   Bheinstädter  und  Ley  jedem   50 


236  Schul-  und  Universitätsnach richten, 

Thlr.  bewilligt.  AU  ausserordentliche  Remuneration  empfing  in  Ber- 
I.IN  der  Prof.  ILinsius  am  Gymnas.  zum  grauen  Kloster  200  Thlr., 
der  Prof.  Trahndorjf  am  Friedrich- Wilhelms  Gjmnas.  100  Thlr.,  in 
Breslau  der  Privatdocent  Dr.  Guppert  für  seine  liülfsleistung  bei  der 
VerMaltung  des  botanischen  Gartens  100  Thlr. ,  in  Eisleben  der  Leh- 
rer Engelbreclit  am  Gymnas.  50  Thlr. ,  an  der  Univ.  in  Greifswald 
der  Prof.  und  Licent.  Boliiiier  50  Thlr.  und  der  Zeichenlehrer  Titel 
100  Thlr. ,  in  Halle  der  Prof.  JFalil  an  der  Univ.  100  Thlr. ,  in 
HiRscHBERG  der  Gymnasialdirector  Linge  50  Thlr.,  in  Königsberg  in 
der  Neumark  der  Direct.  des  Gymn.  T/iitl  150  Thlr. ,  in  Oppelx  der 
Oberlehrer  Dr.  Hach  bei  seiner  V^ersetzung  nach  Breslau  [Jbb.  VI  S. 
379]  50  Thlr.,  in  Pforta  der  Tanzlehrer  lioller  50  Thlr.,  in  Salz- 
wedel derRector  Danntil  200  Thlr.  und  der  Subconrector  Gliemann 
50  Thlr. ,  in  Stargard  der  Gymnasiallehrer  Dr.  fidiirlitz  50  Thlr., 
in  Stetti.\  die  Consistorialräthe  Sc/nnidt ,  Fiic/itcr  und  Koch  und  der 
Schulrath  Bernhard  jeder  200  Tlilr. ,  der  Schulrath  Grassniann  100 
Thlr. ,  in  Thorx  der  Unterlehrer  Dr.  Hühnefeld  am  Gymnas.  50  Thlr., 
in  Wittenberg  der  Pi'of.  und  Rector  Spitzner  zu  einer  Badereise  175 
Thlr.  An  Gehaltszulagen  wurden  bewilligt:  in  Berlin  dem  Prof.  Dr. 
Mltficherlicli  bei  der  Univ.  300  Thlr. ,  dem  Oberbibliothekar  //  ilken 
450  Thlr.,  dem  Bibliothekar  Splker  300  Thlr.,  in  Bonn  bei  der  Uni- 
versität den  Professoren  T Psalter,  Drüste-IIüls/ioß ,  Frey  lag,  Bran- 
dis ,  Diesierweg ,  Nöggerath,  ran  Calher  ^  Nees  von  Eaenbeh  d. 
jung,  und  Duz  jedem  100  Thlr.  und  den  Proff.  /.  Müller  und  Pugge 
jedem  200  Thlr.,  in  Greifswald  dem  Prof.  Dr.  E/icA^o«  100 Thlr.,  in 
Halle  dem  Oberbibliothekar /^oi^^t/ 100  Thlr.  und  dem  Prof.  Dr. /C/a- 
kenberg  200  Thlr.  Wegen  des  zu  grossen  Andranges  junger  Leute 
ohne  Mittel  und  Beruf  zum  Studieren  und  zum  Staatsdienste  hat  das 
königl.  Ministerium  der  geistl. ,  Unterrichts-  und  Medicinalangelegen- 
heiten  unter  dem  10  Mai  bestimmt,  liass  solche  Schiller  der  vier  un- 
tern Classen  eines  Gymnasiums,  welche  nach  dem  reillichen  und  ge- 
wissenhaften einstimmigen  Urtheile  aller  Lehrer,  aller  Bemühungen 
ungeachtet ,  sich  zu  den  Gyranasialstudien  nicht  eignen  und  we- 
gen Mangel  an  Fähigkeit  und  Fleiss,  nachdem  sie  zwei  Jahr  in  einer 
Classe  gesessen  haben  ,  doch  zur  Versetzung  in  die  nächstfolgende  hö- 
here Classe  nicht  für  reif  erklärt  werden  können,  aus  der  Anstalt  ent- 
fernt werden  sollen,  nachdem  den  Eltern,  Vormündern  oder  sonstigen 
Angehörigen  derselben  mindestens  ein  Vierteljahr  vorher  Nachricht  da- 
von gegeben  ist. 

Rastatt.  Das  grossherzogliche  Lyceum  kam  im  Spätjahr  1808 
von  Baden  nach  Rastatt  an  die  Stelle  und  in  das  Klostergebäude  der 
bis  dahin  bestandenen  Piaristenschule,  und  wurde  mit  acht  Schulen, 
von  denen  je  zwei  eine  Classe  oder  Bildungsstufe  ausmachen,  als  voll- 
ständige zu  jedem  sogen.  Brod  -  oder  Fachstudium  auf  Universitäten 
vorbereitende  höhere  Lehranstalt  eingerichtet.  Zur  gewöhnlichen  Be- 
nennung der  einzelnen  Schulen  sind  die  alten  Jesuitischen  'tarnen  Prin- 
eipien  (I) ,  Inßnia  (U) ,    Grammatik  (III),  Syntax  (IV),  Poesie  (V), 


Bcfürilcrungcn   und  Ehrenbezeigungen.  231 

Rhetorik  {\\),  Logih  (\\\)  und  Physik  (VIII)  noch  gangbar.  Die 
ersten  Anfänger  müssen  zur  Aulnahnie  eine  Prüfung  bestehen,  wobei 
von  denselben  Fertigkeit  im  Lesen  und  Schreiben  des  Lateinischen  und 
Deutschen  und  einige  Kenntniss  der  Deutschen  Orthographie  verhingt 
M'ird,  Auch  zum  Eintritt  in  die  übrigen  Schulen  wird  eine  Aufnalims- 
prüfung  erfordert,  nur  in  die  vierte  Classe  d.  i.  in  die  philosophische 
Vorbereitvmgsclasse  können  die  fremden  Schule*  mit  einem  blosen  Ent- 
lassungszeugiiiss  über  die  vollendeten  Gymnasialstudien  aufgenommen 
werden.  Gleich  dieser  Aufnahme  geschieht  die  Versetzung  der  Schü- 
ler aus  der  niedern  in  die  niichsthölicre  Schule  nur  jährlich  im  Herbste, 
und  die  ganze  Anstalt  wird  von  jedem  fleissigen,  mit  massigen  Fähig- 
keiten versehenen  Lyceisten  in  acht  Jahren  vollendet;  jedoch  kann  der 
einzelne  Schüler  schon  früher,  und  um  die  Universität  zu  beziehen, 
auch  nach  Vollendung  der  sechs  untern  Sciiulen  die  Entlassung  erhalten : 
wer  jedoch  in  die  philosophische  Vorbereitungsciasse,  die  auf  zwei  Jahre 
berechnet  ist,  eintritt,  muss  wenigstens  ein  ganzes  Schuljahr  bleiben. 
Der  Unterricht  am  Lyceum  ist  1)  unter  folgende  gei.stlic/ie  Lehrer  ver- 
theilt:  Geistl.  Rath  und  Lyceumsdirector /o.sf/j/i  JLoreye,  Voeti]c  in  V 
und  Lat.  Autoren  in  V  —  VIII;  FroL  Friedrich  Schinüiing,  Geschichte 
und  Geographie  in  III  —  VIII,  und  Religionslehre  in  III  —  VI,  (Stadt- 
pfarrer Eisenlohr  ertheilt  den  evangelisch -protestantischen  Schülern 
den  Religionsunterricht) ;  Prof.  Ji'endeliii  Eckerle,  ]\'aturgeschichte 
und  Technologie  in  III  —  VII,  empirische  Physik  in  VII,  und  mathe- 
matische Physik  in  MII;  Dekan  und  Präparandendirector  \iv.  Gerhard 
Iluldermaiiii,  Religionslehre  in  VII  u.  VIII;  Prof.  Carl  Grieshaber, 
allgemeine  Theorie  des  Stils  in  V  und  VI,  Rhetorik  in  VI,  Griechisch 
in  M  und  in  VII  und  VIII ,  Lateinisch  in  V  und  VI ,  Hebräisch  in  VII 
oder  VIII;  und  2)  unter  die  weltlichen  Lelu-er:  Prof.  Joseph  Lump, 
Vocal-  und  Instrumentalmusik  in  I  —  VIII  nach  verschiedenen  Abthei- 
lungen; Prof.  Dr.  Aloys  J Finnefeld  (zugleich  Bibliothekar  des  Ly- 
ceums)  ,  philosophische  Propädeutik,  und  zwar  Encyclopädie  der  Ge- 
lehrtenbildung,  Anthropologie  und  Logik  in  VII,  Metaphysik,  allge- 
meine Encyclopädie  und  philosoph.  Systeme  in  VIII,  Lateinisch  und 
Griechisch  in  VII  und  VIII ,  Hebräisch  in  VII  oder  VIII  und  Arabisch 
in  VII  und  VIII;  Prof.  Johann  Sc/tneyder,  Deutsch  und  Lateinisch  in 
II,  Französische  Sprache  in  I  —  VIII;  Prof.  Joseph  Mayer^  reine  Ma- 
thematik in  III  —  VIII;  Prof.  Sebastian  T eidbausch.  Deutsch  und  La- 
teinisch in  IV ,  Griechisch  in  IV  und  V ;  Prof.  Josep/i  Dambaclier, 
Deutsch  und  Lateinisch  in  III,  Griechisch  in  II  und  III,  Badische  Ge- 
schichte und  Geographie  in  II;  Prof.  August  Mossbrugger,  Zeich- 
nungsunterricht in  I  —  VIII;  Oberlehrer  IVilhehn  TVittmer,  Religions- 
lehre in  I  und  II,  Deutsch  und  Lateinisch  in  I,  diese  Gegenstände  pro- 
visorisch ,  hingegen  Arithmetik  in  I  und  II  definitiv ;  Lehrer  Franz 
Segmüller,  Kalligraphie  in  I  —  IV,  Vocal-  und  Instrumentalunterricht 
in  I  —  VIII.  Von  der  ganzen  Lehrerzahl  sind  zugleich  an  dem  in  Ra- 
statt befindlichen  kathol.  Schulpräparandeninstitut  beschäftigt:  liolder- 
mann,   fFittmer,  Lump^  Segmüller,  E>ckerle,    Sclunüling,  3Ioss- 


238  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

brugger,  ScJmeyder  xmA  Mayer.  Die  geistlichen  Lehrer,  mit  Aus- 
nahme des  Dccan  Holderniann ,  haben  auch  den  Gottesdienst  in  der 
Lyceumskirche  zu  besorgen,  welcher  jeden  Sonn-  und  Feiertag  und 
jede  Mittwoch  für  die  Lycelsten  gehalten  Avird,  an  Sonntagen  mit  ei- 
ner dem  Amte  vorhergehenden  halbstündigen  Katechese  in  dem  Lyce- 
umssaal  und  mit  einer  kurzen  Predigt  unter  dem  Amte.  An  Lehr- 
mitteln besitzt  das  Lycemu  1)  ein  Stückchen  Garten  zum  Gebrauche 
des  botanischen  Unterrichts ;  2)  eine  chemische  Küche;  3)  ein  soge- 
nanntes Cubiculnm,  das  einen  brauchbaren  physikalischen  Apparat,  ge- 
sammelte Mineralien  und  Conchylien  nebst  ausgestopften  Tliieren  ent- 
hält. Zur  Erhaltung  und  Vermehrung  alles  dessen  sind  jährlich  100 
Fl.  bestimmt;  4)  eine  Bibliothek  von  5000  Bänden,  welche  grössten- 
theils  den  frühern  Stifts -,  Kapuciner-  und  Jesnitenbibliotheken  zu  Ba- 
den und  dem  Piaristenklostcr  angehörten.  Zur  Vervollständigung  der 
Büchersammlung  mit  besonderer  Rücksicht  auf  das  am  meisten  benö- 
thigte  Fach  der  classischen  Litteratur  werden  jährlich  200  Fl.  verwen- 
det, Avovon  jedoch  alle  Jahr  13  Fl.  zur  Anschaffung  von  Schulbüchern 
für  arme  Lyceisten  abgegeben  werden,  um  allmählig  eine  Armenbi- 
bliothek zu  bilden.  Die  angegebenen  Summen  sind  aufs  jNeue  für  die 
Zukunft  mit  dem  Bedeuten  bcAvilligt ,  dass  dieser  Etat  für  die  Biblio- 
thek und  das  Cubiculnm  nicht  mehr  überschritten  werden  könne  und 
auch  nicht  stets  erschöpft  werden  müsse,  indem  der  Zustand  des  Fonds 
der  Anstalt ,  woraus  ihr  sämmtlicher  Geldbedarf  bestritten  wird ,  die 
möglichste  Ersparniss  gebiete. 

RuDOLSTABT.  Zu  der  öffentlichen  Schulprüfung  des  Gymnasiums 
am  25  und  20  März  d.  J.  hat  der  Director  Dr.  L.  Fr.  Hesse  durch 
das  19te  Stück  seines  Verzeichnisses  geborner  Schwarzburger  ^  die 
sich  als  Gelehrte  oder  K'uiisLler  durch  Schriften  bekannt  macliten^ 
eingeladen  (Rudolstadt,  gedr.  b.  Fröbel.  20  S.  4.)  und  darin  biogra- 
phische und  literarische  Nachrichten  von  15  gelehrten  Schwarzbur- 
gern  [von  Joli.  Frledr.  JVachsmaiin  bis  Joh.  Nlcol.  JVerner^  gege- 
ben. Vgl.  Jbb.  III,  2  S.  122,  Ueber  die  Schule  ist  nichts  mitgetheilt, 
als  dass  8  Schüler  öffentliche  Reden  hielten,  und  4  davon  auf  die  Uni- 
versität abgingen. 

ScHNEEBERc.  Die  dasjge  gelehrte  Schule  zählte  zu  Anfang  des 
Schulj.  18||^  in  5  Classen  204 ,  zu  Ende  desselben  198  Schüler  [32, 
34,  45,  52,  35],  und  entliess  zu  Michaelis  vor.  J.  6,  zu  Ostern  d.  J. 
8  Seh.  zur  Universität.  Das  Programm  zu  den  Osterprüfuugen  d.  J. 
(Sehne  iberg,  gedr.  b.  Schill.  24  S.  8.)  liefert  auf  16  S.  eine  Dlspu- 
tatlo  brevls  de  loco  Jloratil  Od.  III,  3,  49  —  52  vom  Rector  M. 
Aug,  Voigtl linder ,  und  erklärt  die  genannten  vier  Verse  auf  eine 
scharfsinnige  Weise  für  unächt.  Beigefügt  sind  noch  einige  Verbes- 
serungen und  Ergänzungen,  welche  der  Verf.  in  der  neuen  Ausgabe 
des  Forcellinischen  Thesaurus  L.  L.  zu  machen  gedenkt. 

Soest.  Zu  der  öffentlichen  Prüfung  auf  dem  Archigymnasium 
am  4  Oct.  1827  lud  der  Conrector  Joh.  Friedr.  Christ.  Mumpäus 
Aurch  Bemerkungen   über  Sie/hmg,    Beugung  und  Betonung  der 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  239 

Deutschen  Beiwörter  vor  llirem  Jlaiqifiuorte  (Soest,  gedr.  1).  Nasse. 

23  S.  4.)  ein,    denen   der  Director  Dr.  //'////.  Frledr.  Phil.  Patze  S. 

24  —  42  die  gewöhnlichen  Schulnaclirichten  angeliüngt  hat.  Aus  dein 
Bericht  über  die  behandelten  Lehrgcgenstände  ist  zu  bemerken,  dass 
in  Prima  und  Secunda  auch  Englisch  und  Italienisch  öffentlich  gelehrt, 
dagegen  die  Geographie  nur  in  IV  —  VI  vorgetragen  Avurde.  Lehrer 
der  Anstalt  Ovaren:  der  Director  Patze ^  Ordin.  in  I;  der  Conrect. 
Kicmpcius ,  Ordin.  in  II;  der  Conrect.  Früjnine ,  Ord.  in  III;  der 
"Rccior  ICg eil  [Jlih.  IV  S.  359,],  Mathematicus;  der  Dr.  ScidenstilcL-er 
[Jbh.  V  S.  222.J,  Ord.  in  IV;  der  Subrector  i^o«-,  Ord.  in  V;  der 
Dr.  Sc/iliepsteiii  [Jbb.  a.  a.  0.],  Ord.  in  VI;  der  Gesanglehrer  Eii- 
gelhardt ,  der  Zeichenlehrer  Rautenbach,  und  der  Cantor  Gall- 
hof i  welche  in  den  Gelassen  in  wöchentl.  192  Lehrstunden  [34,  33, 
33,  32,  30,  30.]  unterrichteten. 

Wien.  Der  Ingenieurs -Hauptmann  Ludwig  Goro  von  ~^gy- 
afah'u  ,  Verf.  der  Wanderungen  durch  Pompeji,  ist  von  der  Bourbo- 
nisch-IIercnlanischcn  Akademie  zu  Neapel  und  von  der  archäologischen 
Gesellschaft  zu  Rom  zum  Mitgliede  gewählt  worden. 

Wiesbaden.  Der  Prorector  Schniitt/ienner  am  Pädagogium  [Jbb. 
V  S.  424]  ist  zum  Director   des  S-chullehrerseminars   in  Idstein  ernannt. 

Zittau.  Zu  den  Osterprufungen  (am  23  ff.  Apr.)  d.  J.  im  Gymna- 
sium lud  der  Director  Lindemann  durch  ein  Programm  (Zittau,  ge- 
druckt bei  Seyfert.  38  S.  gr.  4.)  ein ,  das  auf  31  Seiten  desselben 
Epistola  ad  JSiebuhrium  de  nova  Editione  Grainmaticorum  La- 
tinorum  enthält  u.  von  den  kritischen  Hiilfsraitteln  Nachricht  giebt,  wel- 
che Hr.  L.  zu  dieser  neuen  Ausgabe,  deren  erster  Band  jetzt  gedruckt 
wird ,  benutzt  hat.  Aus  den  Schulnachrichten  ist  nur  zu  bemerken, 
dass  an  die  Stelle  des  verstorbenen  Pastor  primarius  M.  Pesc/ieck  der 
seitherige  Archidiaconus  M.  Jo/i.  Fritdr.  Hll/i.  Schmidt  Pastor  pri- 
mär, und  als  solcher  (seit  dem  20  Juni  1827)  Mitglied  der  Schulcom- 
inission  geworden  ist. 

ZÜLLicHAU.  Das  Programm,  womit  der  Director  des  dasigen 
Waisenhauses  und  Pädagogiums,  F.  A.  Steinhart,  zu  der  öffentlichen 
Prüfung  am  6  ff.  Apr.  1827  einlud  (15  u.  12  S.  4.),  enthält  als  gelehrte 
Abhandlung:  De  Angelologia  Veteris  Testamenti  dissert.  pariic.  I, 
scripsit  Dr.  Car.  Petr.  Guil.  Gramberg.  Das  Lehrerpersonale  erlitt 
im  Schuljahr  18|^  mehrere  Veränderungen.  Im  Frühjahr  1826  ging 
der  Dr.  Seehicht  als  Rector  an  das  Gymnasium  in  Jever.  Seine  Stelle  - 
und  das  Ordinariat  in  Ober -Quarta  erhielt  der  Schulamtscandidat  For- 
dan, ein  ehemaliger  Zögling  der  Anstalt.  Zu  Michaelis  1826  über- 
nahm der  Prof.  Körner  das  Directorat  des  Gymn.  in  Oels  und  statt 
seiner  wurde  der  Oberlehrer  Steiner,  Mitglied  des  Seminariuras  für 
gelehrte  Schulen  in  Berlin,  als  Ordinarius  in  Secunda  angestellt.  Fer- 
ner ging  der  Ijehtev  Hoff  mann  als  Prediger  nach  Königswalde,  und 
dessen  Lehrstunden  übernahm  zu  Ostern  1827  der  Schulamtscandidat 
Kuhn ,  ein  ehemaliger  Schüler  des  Pädagogiums. 


240 

Zur  Recension  sind   versprochen: 

Schaafs  Encyclopädie  der  classisclien  Alterthumskunde.  —  Die 
Uebersetzungeii  des  Anakreon  von  S.  von  Himmelst  lern ,  Brock/mit- 
sen  und  Feissier  Descombes.  —  Isocratis  ad  Demonicum  adhortatio 
Latuie  versa  a  Schrnieder.  —  Hippocrates  de  morbu  sacro  v.  Dletz. 
—  Apollodorus  von  Brolun.  —  Mai:  Scriptoriim  vett.  nova  Col- 
leclio ,  Vol.  II.  —  Chrysostonii  selecta  von  /.  van  Voorst.  —  Vale- 
riiis  Cato  von  'Putsche.  —  Liicani  Pharsalia,  die  Corte- JVeher- 
sche  Ausgabe,  —  Poctarum  Gerraanic.  carmina,  Latiiie  reddidit  Fi- 
scher. —  TobiscJi  :  Carmina.  —  Klopstockü  XV  carmina,  Latine 
redd.  Knapp.  —  li'öller :  Schola  vespertina.  —  üiedhammer's  Ue- 
bersetz.  der  Scjiillerschen  Glocke.  —  Büst's  und  M^üstemann' s  An- 
leitung z.  Uebers.  ins  Griech. ,  2r  Theil.  —  MehlhorrCi»  Griech.  Lese- 
buch. —  Väuchcr :  Traite  de  la  Syntaxe  latine.  —  Midzel:  De  no- 
minum  radicibus.  —  Die  Uebersetzungsbüclier  aus  d.  Deutsch,  ins  Lat. 
von  Klippel .j  Beutler,  Uronke ,  Cammeitr  und  Hoth.  —  Fleisch- 
ntr's  Onomatologie.  —  fV^ittmer's  Deutsche  Sprachlehre,  —  HasseVs 
geogr.  und  Statist.  Ephemeriden.  —  Kries:  Lehrb.  der  raathera.  Geo- 
graphie. —  Die  Atlanten  zur  neuern  Geographie  von  Stein  ,  JJeü^ 
nisch,  Heichard,  Stieler,  Krütnmer,  nebst  den  zu  Freiburg  bei  Her- 
der, Augsburg  bei  Walch  und  Halberstadt  bei  Brüggemann  1827  er- 
schienenen.—  Fischhaber'' s  Lehrbücher  der  Logik,  Moral,  Psycholo- 
gie und  des  Naturrechts.  —  Zerenner''s  Denkübungen.  —  Püilen- 
berg's  Rhetorik.  —  TVisseler''s  Morgengebete.  —  Butiinger  und 
Lang:  Sammlung  geistlicher  Lieder.  —  Menzel:  Ueber  den  Unter- 
richt in  der  3Iiisik.  —  Jiientzsch  :  Sammlung  zwei-,  drei-  und  vier- 
stimmiger Gesänge.  —  Stöphasius:  Beiträge  zur  praktischen  Päda- 
gogik. • —  Zerenner :  Grundsätze  der  Schulerziehung.  —  Müller: 
Ueber  einige  Förderungsmittel  der  Jugendbildung.  —  Hopfner :  Ue- 
ber Wesen  und  Bedeutung  höherer  Bürgerschulen.  —  Tegner's  zwei 
Reden,  übers,  v.  Mohnike.  —  Schmieder:  Senecae  praecepta  artis 
legendi.  —  TVilde:  Ueber  die  Stelle,  welche  der  Bildung  des  Schön- 
heitssinnes anzuweisen  ist.  —  Gerbel  und  Krebs:  Ueber  ästhetische 
Bildung.  —    Eichstädt :    De  Eichhornio. 


Inhalt 

von  des  zweiten  Bandes  zweitem  Hefte. 

Rcinganum :  Das  alte  Megaris.  —  Vom  Professor  Kruse  in  Halle.  S.     131  —  141 

Scholia  antiqua  ia  Sophoclis  Oedipum  Tj'rannum.    \ 

Ex  cod.  Laur.  edid.  Elmsley.     .         .         I    Vom    Oberlehrer     Dr. 

Scholia  iii  SophoclisTragoediati.  Ex  cod.  Laur.  ed.    i      LeArs  in  Königsberg.      141  —  110 
Elmsley.  .....' 

Rost  u.   Wüstemann:  AnleilUDg  zumUebersetzen aus  dem  Deutschen  in  das 

Griechische.  Ir  Thl.  —     Vom  Director  Dr.  Schulze  in  Duisburg.     .     146  —  161 

Tacitus'  Agricnla.  Ur:jchrift,  Uebersetzung,  Anmerkungen  etc.  durch  Jf^alch. 

Vom  Professor  Jacob  in  Posen.      .......     161  —  197 

Curtii  Ruli  de  rebus  geatis  Alexaudri  M.  libri.  Gurav.  liünemann.  —  Vom 

Oberlehrer  Bonndl  iu  Berlin 197  —  203 

Sclincithei' :  Dissert.,  qua  loca  e  Pliuii  jun.  scriptis,  quae  ad  jus  civile  per- 
tinent,  recensentur  et  illustrantur.  —  Vom  Dr.  jur.  Carl  Günther 
in  Leipzig 203—209 

Tiltmatin:  De  animia  juvenum  in  gymnasiis  ad pie-  \ 
tatem  christianam  formandis. 

IJeinpel :  De   Novi   Testameuti   Graeci  studio  in  1 

gymnasia  revocando.         .         .         .  {    Vom    Director   Müller 

Guiard:  De  religionis  in  gymnasiis  docendae  via|      in  Cöslin.  .         .     209  —  215 

et  ratione.       ..... 

Hack:    De  religionis  doctrina   in   gymnasüs   tra- 
denda.     ...... 

Bardili:  lieber  die  Nothwendigkeit  einerneuen  Ausgabeder  Lateinischen  An- 
thologie von  Barmann  dem  Jüngern,  und  die  Art  der  Bearbeitung  der- 
selben, nebst  Angabe  mehrerer  kritischen  und  exegetischen  Hülfsmit- 
tel,  weiche  dabei  zu  berücksichtigen  sind.       ......     216  —  226 

Derselbe:  lieber  eiue  neue  Bearb.  der  Puetae  Latini  Minores  von  Wernsdorf.     22^^  —  227 

Miscellen.     ............     227  —  231 

Todesfälle 231  —  234 

Schul  -  und  Universitiitsnacfarichten  ,   Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.     234  —  210 


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JAHRBUCHER 

FÜR 

PHILOLOGIE  ündPJEDAGOGIK. 


Eine  kritische  Zeitschrift 

in  Verbindung  mit  einem  Verein  von  Gelehrten 

herausgegeben 
von 

M.  Joh,  Christ.  Jahn, 


Dritter   Jahrgang, 

Zweiter  Band.     Drittes    Heft. 

Oder  der  ganzen  Folge 

SiebenterBand.     Drittes   Heft. 


Leipzig, 

Druck  und  Verlag  von  B.  G.  Teubner. 
18     2     8. 


Si  quid  noviäti  rectius  istia, 
Candidas  imperti;    si  non,    his  utere  mecum. 


Romische  Litteratur. 


Lateinis  che  Gr ammatik  von  hudw.  Ramsliorn.     Leipzig, 
Vogel.  1824.  8. 

[Beschluss  der  im  ersten  Hefte  dieses  Bandes  abgebrochenen 
Recension.] 

"ie  dritte  Abtheilung  des  ersten  Tlieils  vom  Verhum  und 
desse?i  Theilen  im  einfachen  Satze  behandelt  von  §  162  bis  175 
die  Lehre  über  die  Personalendungen,  das  Genus,  die  Tem- 
pora, die  Modi,  und  die  Adverbia.  Im  Allgemeinen  ist  auch 
hier  der  schon  mehrmals  gerühmte  sorgfältige  Fleiss  des  Hrn. 
Verf.  nicht  zu  verkennen ;  indess  zeigt  sich  derselbe  hier  fast 
durchaus  mehr  in  eiiifer  nach  möglichster  Vollständigkeit  stre- 
benden Aufzählung  der  betreffenden  Einzelheiten ,  als  in  kla- 
rer, lichtvoller  Anordnung  und  Verknüpfung  des  reichhalti- 
gen StoflFes.  Für  am  besten  gearbeitet  halten  wir  §  1(>7,  vom 
Imperativ ^  vorzüglich  wegen  der  eben  so  neuen,  als  treffenden 
Art  und  Weise ,  wie  der  sonst  sogenannte  Imperat.  praesentis 
vom  Imperat.  futuri,  oder  wie  sie  der  Hr.  Verf.  nennt,  die 
befehlende  Imperativform  von  der  gebietenden  unterschieden 
wird. 

Was  nun  die  einzelnen  Abschnitte  anlangt,  so  bemerken 
wir,  dass  die  §  162  über  die  Personalendungen  gegebnen  Be- 
merkungen durchaus  von  einer  andern  Seite  aufgefasst  sind,  als 
man  es  in  einer  lateinischen  Grammatik  erwarten  sollte.  Statt 
nämlich  vom  Lateinischen  auszugehen  und  die  etwaigen  Eigen- 
thümlichkeiten  des  Gebrauches  jener  Personalendungen  anzuge- 
ben, legt  der  Hr.  Verf.  das  Deutsche  zu  Grunde  und  giebt 
fast  nichts  als  die  verschiedtien  Fälle  an,  in  welchen  der  Deut- 
sche sich  impersonell  ausdrücke  und  Man  gebrauche,  während 
andres  wirklich  hieher  Gehörige ,  wie  z.  B.  §  203  S.  659,  §  206 
S.  693  f.  u.  700  erwähnt  wird ,  selbst  ohne  alle  Verweisung 
übergangen  worden  ist.  Das  lateinische  Imperso?iale ,  das  die 
alten  Grammatiker  mit  so  grosser  Sorgfalt  unterschieden,  dass 
sie  es  sogar  als  besondern  Modus  betrachteten ,  ist  hier  so- 
wohl,   wie  überhaupt  im  ganzen  Werke  gänzlich  übergangen 

16* 


244  R  ö  m  i  9  c  li  e    L  i  1 1  e  r  a  t  n  r.  *^ 

worden,  trotzdem  dass  auch  in  syntactischer  Hinsicht  man- 
ches darüber  zn  erinnern  gewesen  m  äre.  iVaraentiicJi  vermis- 
sen wir  die  mit  manchen  andern  der  lateinischen  Sprache  eigen- 
thümliclien  Constructionenin  enger  Berülirung  stellende  Angabe, 
dass  das  Pussivian  desselben  in  der  altern  Latinität  mit  dem 
Acctisativ  construirt  werde.  Plaut,  Mil.  Gior.  2,2,  98:  dum 
modo  —  inducamus^  vera  ut  esse  credal ,  qtiae  inentibitur. 
cf.  Terent.  Eunuch,  prol.  17. 

§  lfi3,  Aev  yom.  Genus  des  Verbi  handelt,  spricht  der  Hr. 
Verf.  unter  andern  auch  von  einer  Vertauschung  der  Genera 
verbi,  und  führt  vehejis  statt  vectus^  punitus  es^  suppedüatus 
es,  cadere  ah  hoste  u.  s.  w.  an.  Allein  so  scheinbar  die  Sache 
an  sich  seyn  mag,  so  verführt  doch  der  Ausdruck  ,^Ve7tau- 
schimg'-''  den  Schüler,  an  Dinge  zu  glauben,  die  absolut  un- 
möglich sind.  Die  \  ertauschung  muss  der  Grammatiker  nach 
unsrer  Ansicht  durchaus  läugnen,  und  vielmehr,  wo  sie  schein- 
bar sich  findet,  durch  passende  Erläuterung  der  Stellen  die 
Entstehung  der  anscheinenden  Unregelmässigkeit  aus  dem 
Sprachgebrauch  nachweisen.  So  ist  z.B.  bei  vehere  der  Begriff 
des  Sichfortbewegens  festzuhalten,  der  Gebrauch  also  derselbe, 
wie  bei  movere  statt  se  movere^  und  daher  entstanden,  weil  der 
vectus  thätigen  Antheil  an  der  Handlung  nimmt.  Praeterve- 
hens,  das  der  Hr.  Verf.  gleichfalls  anführt,  gehört  wohl  gar  nicht 
hieher,  wenigstens  kennen  wir  von  diesem  Verbum  keine  eigent- 
lichen activen  Formen.  Eben  so  würden  wir  punitus  es  und 
suppedüatus  es  mitQuinct.  9,  3  iür  seltnere  Depo/ientialformen 
erklärt  haben,  denn  wenn  gleicli  derselbe  von  einer  per  niutatio 
spricht ,  so  zeigt  doch  schon  die  Vergleichung  von  fabricor^ 
dass  er  dasselbe  damit  meint,  was  wir  meinen.  Cadere  ab  hoste 
aber  ist  völlig  regelmässig  und  gehörte  gar  nicht  hieher. 

S.386  wird  zwar  sehr  richtig  bemerkt,  dass  das  Hülfswort 
lassen  nicht  ausgedrückt  werde,  wenn  es  sich  von  selbst  verstehe, 
dass  jemand  eine  Handlung  nicht  selbst  habe  verrichten  kön- 
nen,  sondern  nur  veranlagst  und  veranstaltet ,  die  Ausführung 
derselben  aber  andern  überlassen  habe.  Allein  seltsam  irrt  sich  der 
Hr.Verf.,  wenn  er  die  aus  Tacit.  Ann.  13,  20  angeführte  Stelle: 
Nero^  interficiendae  rnatris  avidus^  ?io?i  prius  d  iff  e  r  r  i  potuit 
cet.,  jener  Bemerkung  gemäss  durch  non  prius  adduci  potuit^ 
ut  dip'erret  erklären  zu  können  glaubt.  So  dachten  siclis  die 
Römer  keineswegs,  sondern,  so  wie  man  iiberhaupt  differre 
aliguid,  d.i.  etwas  aufschieben^  sagte,  so  sagten  Dichter  und 
Spätere  auch  von  Personen,  differre  aiiquem  d.  i.  auf  eine  a?idre 
Zeit  verweisen  u.  dgl.  S.  Oudendorp  ad  Siiet.  Caes  82,  Ernest. 
ad  Suet,  Vespas.  23,  Schwarz  ad  Plin.  Paneg.  26,  2. 

Leber  den  Gebrauch  und  dieBedeutnng  der  einzelnen  Tem- 
pora wird  §  164  sehr  viel  Gutes  und  Richtiges  gesagt;  nur 
wird  hier  der  schon  obeu  er\>äliate  Mangel  eiuer  zweckmässigen 


I 


Ramshorn  :  Latciniäclie  Grammatik.  245 

Eintheünng  der  Zeiten  überhaupt  ^anz  vorzüglich  fühlbar.  Der 
Hr.  Verf.  geht  die  einzehiea  Tempora  mehr  blos  der  Reihe 
nach  durch  ,  als  mit  Rücksicht  auf  das  Yerhältniss  und  den  iu- 
iiern  Zusammenhanff,  in  dem  sie  zu  einander  stehen,  und  fasst 
nun  bei  jedem  alles  zusammen ,  was  sich  etwa  darüber  bemer- 
ken lässt,  ohne  diese  Bemerkungen  strenger  zu  sondern  und 
ohne  anzugeben ,  ob  sie  dem  betrelFenden  Tempus  als  Tempus 
absolutum,  oder  relativum  oder  aoristum  gelten.  Dass  daraus  ver- 
schiedne  Uebelstände  hervovgeliu  müssen,  liegt  am  Tage  und 
ist  zum  Tlieil  schon  früher  nachgewiesen  worden.  Ausser  dem 
Hauptnachtheil,  dass  eine  solche  Anordnung  den  Schüler  keine 
klare  Einsicht  und  Uebersicht  in  dieser  so  wichtigen  Lehre  ge- 
winnen lässt,  bemerken  wir  hier  noch  besonders,  dass  in  Folge 
dieser  Behandhmgsweise  manches  als  etwas  Auffälliges  oder 
Besonderes  in  die  Anmerkungen  a  erwiesen  worden  ist ,  was  bei 
einer  richtigen  Eintheilung  der  Zeiten  als  ganz  natürlich ,  zu- 
weilen sogar  gerade  als  die  erste  Bedeutung  eines  Tempus  er- 
scheint Einen  Beleg  für  die  letztere  Behauptung  giebt  Seite 
401,  Anmerk.  6,  a  u.  6,  wo  überdiess  Beispiele  des  Perfecti  ab- 
soluti  und  aoristi  in  seltsamer  Weise  als  gleich  oder  ähnlich  zu- 
sammengestellt sind. 

§  165.  Ueber  das  Wesen  der  Modi  im  Allgemeinen  hätte 
der  Hr.  Verf.  viel  gründlicher  und  ausführlicher  sprechen  sollen. 
Anfangs  scheint  er  auch  hier  deren  nur  drei,  Indicativ,  Con- 
junctiv,  Imperativ,  anzunehmen.  Allein  im  Folgenden  zählt 
er  auch  noch  den  Infinitiv,  das  Gerundium  und  Supinum  ,  und 
das  Particip  dazu,  eine  Anordnung,  für  die  sich  wohl  Gründe 
anführen  lassen,  die  aber  doch  wenigstens  eine  vorausgeschickte 
Erörterung  und  Rechtfertigung  verlangt.  Ebenso  sollte,  was 
nach  dem  was  Hermann,  B e  r  nh  a  r  d i  und  andre  darüber  ge- 
sagt haben ,  nicht  schwer  war,  das  Wesen  und  Gebiet  eines  je- 
den einzelnen  Modus  sowie  besonders  sein  Verhältniss  zu  den 
übrigen  weit  genauer  und  bestimmter  angegeben  seyn,  als  es 
vom  Hrn.  Verf.  hier  ge><chehen  ist.  Er  würde  sich  dadurch  in 
der  Behandlung  der  einzelnen  Modi  vor  manchem  Irrthum  ge- 
sichert haben. 

Wie  nachtheilig  diese  Unterlassung  geworden  sey ,  zeigt 
sich  ganz  besonders  §  l(j6  bei  der  Lehre  vomConjunctiv,  trotz 
dem,  dass  übrigens  der  Abschnitt  mit  sichtbarem  Fleisse  gear- 
beitet ist.  Im  Ganzen  wird  darüber  folgendes  gelehrt:  „Durch 
den  Conjunctivus  spricht  der  Redende  Behauptungen  und  Fra- 
gen nur  bedingt  aus  ,  oder  stellt  Zustände  dar,  wie  er  sie  au- 
sser der  Wirklichkeit  sich  denkt,  als  abhängig  von  Umständen 
und  braucht  ihn  daher,  im  Gegensatz  des  Indicativs,  nach  fol- 
genden vier  Modificationen:  als  Modus  potentialis,  M-enn  er  Zu- 
stände als  bedingt  möglich;  als  Modus  couditionalis ,  wenn  er 
sie  als  bedingt  nothtoendig ;  als  Modus  optativus,  wenn  er  sie 


246  Römische    Litteratur. 

als  bedingt  zufällige  und  als  Modus  permissivus,  wenn  er  sie 
als  bedingt  wirklich  darstellt.''  Die  eben  angeführten Prädicate 
jener  vier  Modificationen  des  Conjunctivs  definirt  der  Hr.  Verf. 
also:  ^^bedingt  möglich  ist  ein  solcher  Zustand,  zu  dessen Ilea- 
lisirung  zwar  alle  Bedingungen  vorhanden  sind  ,  die  aber  noch 
von  Umständen  abhängt  [etwas  hmin  seyn);  bedingt  nothwen- 
dig  ein  solcher,  dessen  Realisirung  entweder  Umstände  absohit 
gebieten  {etwas  muss  seyn)^  oder  dessen  Realisirung  Umstände 
fordern  (etwas  sollseyn)^  oder  der  als  Folge  anders  gedachter  Um- 
stände, als  die  wirklichen  sind,  erscheint  (etwas  würde  seyn^  etwas 
würde  geivesen  seyji);  bedingt  zufällig  ein  solcher,  dessen  Rea- 
lisirung von  zufälligen  Umständen  abhängt  [etwas  möge  seyn); 
bedingt  vnrklich  endlich  ein  solcher,  dessen  Realisirung  ich, 
Verzicht  leistend,  dahingestellt  seyn  lasse,  zugebe  oder  einräu- 
me {mag  ettvas  geschehen)'-'-. 

So  manches  Wahre  hierin  im  Allgemeinen  seyn  mag,  so  we- 
nig können  wir  uns  doch  von  der  Haltbarkeit  der  gemachten 
Eintheilung,  und  von  der  Richtigkeit  der  Erklärungen  überzeu- 
gen ,  welche  hierin  über  die  Bedeutung  jener  vier  Modificatio- 
nen des  Conjunctivs  im  Einzelnen  gegeben  werden;  ja  wir  glau- 
ben vielmehr,  dass  alle  jene  Bestimmungen  des  Einzelnen  mehr 
auf  die  jedesmalige  Form  des  Deutschen  Ausdruckes  ,  als  auf 
das  Wesen  der  Sache  selbst  gegründet  seyen,  und  die  ganze 
Eintheilung  mehr  logischen  Schein  habe,  als  Wahrheit  enthalte. 
Offenbar  nämlich  versteht  der  Hr.  Verf.  unter  jenem  bedingten 
Aussprechen  von  Behauptungen  und  Fragen,  worein  er  das  We- 
sen des  Conjunctivs  setzt,  gerade  dasselbe,  was  andre  u4bhän- 
gigkeit  von  der  Vorstellung.,  oder  blosses.,  dem  Factum  entge- 
gengesetztes ,  Gedachtseyn  genannt  haben ,  und  wenn  er  sagt, 
der  Conjunctiv  stelle  Zustände  dar,  wie  sie  der  Redende 
ausser  der  Wirklichkeit  sich  denke,  so  ist  diess  nichts  anders, 
als  was  andre  Grammatiker  haben  ausdrücken  wollen,  wenn 
sie  ihn  den  3Iodns  der  Möglichkeit.,  oder  auch,  wie  Bern- 
hard!, der  Möglichkeit  und  Zufälligkeit  nannten.  Diess  alles  ist 
nun  vollkommen  richtig;  allein  wie  sollen  sich  denn  hieraus  die 
Unterabtheilungen,  bedingte  Möglichkeit.,  bedingte  Nothtoen- 
digkeit.,  bedingte  Zufälligkeit  tmd  bedingte  Wirklichkeit  herlei- 
ten lassen?  Unter  jenem  ÄerfeV/g^i  versteht  ja  eben  der  Hr.  Verf. 
die  blosse.,  der  ii?ibedingten  IVirklichkeil  eben  entgegengesetzte., 
Möglichkeit ',  wie  kann  da  nun  noch  weiter  von  einer  bedingten, 
d.  i.  möglichen,  Möglichkeit ,  Nothwendigkeit  und  Zufälligkeit 
die  Rede  seyn*?  Wir  geben  zwar  gern  zu,  dass  die  verschieil- 
nen Fälle,  in  denen  der  Conjunctiv  im  Lateinischen  gesetzt  wird, 
sich  nicht  leicht  in  streng  systematische  Ordnung  bringen  lassen, 
allein  dieser  vom  Hrn.  Verf.  gemachte  Versuch  beruht  offen- 
bar viel  zu  sehr  auf  Formalitäten  des  deutschen  Ausdruckes, 
als  dass  man  ihn  für  gelungen  halten  könnte,  und  wir  sind  vielmehr 


ßamsliorii :    Luteini^chc  Granuuiitik.  247 

der  Meinung,  dass  die  ganze  Behandlung  der  Lehre  überhaupt 
dadurch  wesentlich  gelitlcn  habe,  und  weder  umfassend  genng, 
noch  deutlidi  und  verständlich,  noch  überhaupt  zweckmässig  sey. 
Den  Vorwurf  der  Unzweckmässigkeit  machen  wir  der  Be- 
handlung vorzüglich  deshalb,  weil  sie  den  Gebrauch  des  Con- 
junctivs  eigentlich  nur  insofern  darstellt,  als  derselbe  allein 
und  unabhängig  steht,  den  Gebrauch  desselben  in  abhängigen 
Sätzen  aber  ausgeschlossen  hat,  und  nur  hin  und  wieder,  gleich- 
sam nothgedrungen,  aber  eigentlich  inconscquenter  Weise,  auf 
letztere  Rücksicht  nimmt.  Die  Lehre  vom  Conjunctiv  in  abhän- 
gigen Sätzen ,  oder  dem  sogenannten  Siibjunclivus  ist  nun  zwar 
nicht  etwa  völlig  übergangen  ,  sondern  wird  weiter  unten  im 
vierten  Abschnitt,  Von  den  verbundenen  Sätzen^  an  mehreren 
Orten  behandelt,  wahrscheinlich  um  den  dem  Conjunctiv  ge- 
widmeten Paragraplien  nicht  unverhältnissmässig  lang  werden 
zu  lassen.  Allein  wir  würden  darin  bei  weitem  keinen  so  gro- 
ssen Uebelstand  finden,  als  jetzt  in  der  vom  Hrn.  Verf.  gemach- 
ten Anordnung.  Bei  derselben  nämlich  muss  nicht  nur  nothwen- 
dig  der  Zusammenhang  des  Ganzen  leiden,  indem  die  Lehre  an 
verschiedne  Orte  hin  zerstreut  und  gleichsam  zerstückelt  und 
eine  klare  Uebersicht  somit  fast  unmöglich  gemacht  wird  ;  son- 
dern es  gewinnt  auch  den  Schein,  als  sey  der  Conjunctiv  von 
denverschiednen  Conjunctionen  der  verbundenen  Sätze  abhän- 
gig, während  doch  sein  Gebrauch  keineswegs  durch  die  Bedeu- 
tung jener  Partikeln,  sondern  lediglich  durch  die  Beschaifen- 
heit  des  Gedankens  bedingt  wird.  Den  Vorwurf  der  Unver- 
ständlichkeit  machen  wir  besonders  den  über  jene  vier  Modifi- 
cationen  des  Conjunctivs  gegebnen  einzelnen  Regeln ,  welche 
nach  unsrer  Ansicht  für  Schüler  wenigstens  auch  dann  nicht 
verständlich  seyn  würden,  wenn  es  mit  der  Sache  selbst  seine 
Richtigkeit  hätte.  Der  Vorwurf  der  UnvoUständigkeit  endlich 
lässt  sich  der  Behandlung  in  mehrerer  Hinsicht  machen.  So  ver- 
missen wir  zuvörderst  manche  Bemerkung  über  die  Tempora 
des  Conjunctivs  und  deren  Verschiedenheiten  und  Eigenthüm- 
lichkeiten ;  es  ist  z  B.  nichts  erwähnt  über  den  Mangel  des 
Conjunctivs  in  manchen  Temporibus  und  wie  dieser  ersetzt  wer- 
den könne;  ebenfalls  nichts,  dass  in  verschiednen  Fällen,  in 
welchen  der  Conjunctiv  gesetzt  werden  kann,  doch  manche 
Tempora  nicht  gebraucht  werden  können,  wie  z.B.  der  Conjunct. 
jussivus  und  permissivus  kein  Plusquaraperfectum,  der  delibera- 
tivus  weder  Perfectum  noch  Plusquamperfectum  haben  könne  u. 
dgl. ;  und  selbst  die  wenigen  über  dergleichen  Dinge  in  den  Rand- 
anmerkungen gemachten  Bemerkungen  geben  mehr  oberflächliche 
Andeutung,  als  wirkliche  Erklärung.  Ganz  vorzüglich  aber  be- 
weisend ist  hier  der  Umstand,  dass  der  Hr.  Verf.  weiter  unten 
§  192  u.  195  nocli  nachträglich  eine  eigne  Art  von  Conjunctiv 
anführt,   welche,   nach  geiner  Ansicht,   ganz  verschieden  von 


248  Römische  Litteratur. 

den  hier  angeführten  Arten ,  Gedanken  Ufid  Vorstellungen  als 
solche  darstelle.  Wir  halten  diesen  Conjunctiv  keineswegs  fiir 
verschiedenartig,  sondern  finden  in  seinem  Gebrauche  ganz  die- 
selben Grundbedingungen  ,  welche  in  allen  übrigen  Fällen  sei- 
ner Anwendung  sichtbar  sind,  und  wundern  uns,  wie  diess  der 
Hr.  Verf.  verkennen  konnte.  Indess,  möchte  er  aucli  wirklich 
verschieden  seyn,  so  ist  es  doch  auch  selbst  dann  unwiderleg- 
lich, dass  die  ursprüngliche  Theorie  des  Hrn.  Verf.  nicht  um- 
fassend gewesen  sey ,  indem  sie,  wie  man  doch  an  dieser  Stelle 
erwarten  musste,  keine  solche  Erklärung  des  Wesens  dieses  Mo- 
dus gab,  welche  alle  mögliche  Arten  seines  Gebrauches  um- 
fasste.  Wir  sind  daher  der  Meinung,  dass  dieser  ganze  Ab- 
schnitt des  Werkes  einer  völligen  und  gründlichen  Umarbeitung 
bedürfe. 

In  dem  Abschnitt  vom  Infinitiv  §  168  ist  der  Hr.  Verf. 
theilweise  zu  kurz  gewesen  ,  ganz  besonders  in  der  Lehre  vom 
Accusat.  cum  Infinitiv.  Wir  tadeln  dieses  nicht  etwa  in  Betrach- 
tung der  Weitschweifigkeit ,  mit  welcher  andre,  besonders  frü- 
here Grammatiker  diese  Construction  gleichsam  als  Hauptsache 
in  der  ganzen  latein.  Grammatik  und  eignen  Lieblingsgegenstand 
behandelt  haben;  allein  wir  glauben  doch  auch ,  dass  die  grö- 
ssere Bedeutsamkeit  derselben  vor  vielen  andern  Constructionen 
billiger  Weise  eine  genauere  und  ausführlichere  Erörterung  ver- 
diene, als  ihr  liier  geworden  ist.  Namentlich  hätten  wir  vom 
Hrn.  Verfasser  eine  Erklärung  ihres  Ursprungs,  imd  eine  nähere 
Würdigung  des  Verhältnisses  erwartet ,  in  welcher  sie  zu  den 
andern  Constructionen  steht,  mit  denen  sie  nach  der  gewöhnli- 
chen Annahme  wechseln  oder  vertauscht  werden  kann ;  und 
zwar  um  so  mehr,  da  auch  in  den  Paragraphen  (§  182,  183, 
185),  welche  über  jene  Constructionen  handeln,  wenig  oder 
nichts  über  dieses  Verhältniss  bemerkt  worden  ist.  Der  Hr. 
Verf.  scheint  das  unverhältnissmässige  Hervorheben  dieser 
Lehre  in  andern  Grammatiken  gemissbilligt  zu  haben;  allein 
was  jene  zu  viel  thaten,  thut  er  selbst  zu  wenig.  Eben  so  hätte 
die  Lehre  vom  Nominat.  cum  Infinit,  nicht  b!os  in  einer  Note 
(S.  431)  abgehandelt,  und  die  nicht  selten  sich  findenden  Ab- 
weichungen genauer  erörtert  werden  sollen.  Gewölinlich  wer- 
den solche  Constructionen,  wo  bei  Passivis,  wie  dicitur,  vide- 
tur  u.  d.  gl.  der  Accusat.  cum  Infinit,  steht ,  von  den  Interpreten 
mehr  entschuldigt,  als  erklärt,  und  die  meisten  Grammatiker 
warnen  sogar  dagegen  als  vor  seltenen  ja  nicht  nachzuahmen- 
den Versehen  der  Schriftsteller.  Indess  sind  sie  bei  weitem 
nicht  so  selten,  als  man  sagt,  und  ob  wir  gleich  weit  entfernt 
sind,  sie  etwa  Schülern  zur  Nachahmung  anzuempfehlen,  so 
glauben  wir  doch  auch  anderseits ,  was  wir  vielleicht  bei  einer 
andern  Gelegenheit  thun  werden,  zeigen  zu  können,  dass  sie 
meist  nicht  nur  völlig  richtig  und  keineswegs  blosse  Uebereiluu- 


Rarasliorn:   Lateinische  Grammatik.  249 

gen  der  Alten,  sondern  in  gewissen  Fällen  sogar  auch  nothwen- 
dig  sind. 

Der  Gebrauch  des  Infinit,  historicns  ist  gut  erläutert;  nur 
ist  die  Bestimmung,  dass  er  zu  Darstellung  heftiger^  anhalten- 
der Leidenschaft  diene,  fiir  seinen  Gebrauch  etwas  zu  be- 
schränkt. Er  steht  nicht  blos  bei  dauernder  oder  fortgesetz- 
ter, sondern  auch  bei  wiedei'holter  ^  und  selbst  bei  einer  ein- 
zelnen einmaligen  WaniWwn^^  wenn  dieselbe  von  mehrern  Per- 
sonen lind  zwar  von  jeder  besonders  geschieht.  Liv.  (|,  ß.  Eben 
so  hätte  auch  erwähnt  werden  sollen ,  dass  er  auch  nach  Zeit- 
jyartikeln  stehe,  und  im  Passiv  mir  höchst  selten  vorkomme.  So 
erinnern  wir  uns  im  ganzen  Sallust,  avo  doch  diese  Constru- 
ction  gleichsam  zu  Hause  ist ,  nur  etwa  folgende  vier  Beispiele 
gefunden  zu  haben,  Catil.  2,1'.  fatigari^  Jugurth.  30:  agitari, 
ibid.  (iO:  ferri  und  83:  trahi.  Die  Ssache  lässt  sich  übrigens 
leicht  aus  der  Bedeutung  des  Passivs  erklären,  da  natürlich  jene 
Lebhaftigkeit  in  der  Handlung,  für  deren  Bezeichnung  jene 
Construction  eigends  bestimmt  ist,  mit  dem  dem  Passiv  eigen- 
thümlicben  Begriif  des  Leidens  gewissermassen  coutrastirt. 

§  109  u.  170  handeln  über  Gertindium  und  Supinum^  und 
geben  das  Gewöhnliche  darüber  ziemlich  genau  und  vollständig. 
Indess  hier  gerade  hätten  wir  vom  Hrn.  Verf.  eine  tiefere  Gründ- 
lichkeit erwartet,  da  über  diese  der  latein.  Sprache  cigenthüm- 
lichen  lledetheile  bei  den  Grammatikern  der  altern  wie  der 
neuern  Zeit  höchst  vei-schiedne  Ansichten  herrschen,  ohne 
dass  jedoch  dadurch  die  autfallenden  Eigenthümlichkeiten,  Avel- 
che  sowohl  die  Construction  des  Gerundiums  wie  die  des  Su- 
pinums  darbieten,  eine  leichte  und  gründliche  Erk'äriuig  ge- 
funden hätten.  Wir  können  hit^r  nicht  auf  eine  genauere  Un- 
tersuchung des  Ursprungs  und  Gebrauchs  dieser  Redetheile 
eingehen ,  sondern  begnügen  uns  aus  den  einzelnen  Bemerkun- 
gen des  Hrn.  Verf.  dasjenige  anzugeben,  was  er  bei  einer  aber- 
maligen gründlichen  Behandlung  der  Sache  gleich  selbst  als  un- 
richtig und  unhaltbar  finden  wird.  Wir  rechnen  dahin  gleich 
die  erste  Behauptung,  nacli  welcher  der  Infinitiv  ein  Seyn  als 
wirklich^  das  Gerundium  und  Supinum  nur  als  gedacht  nenne, 
weswegen  letztre  auch  Substantivform  angenommen  hätten.  Wir 
hätten,  wofern  wir  den  Hrn.  Verf.  überhaupt  verstanden  haben, 
die  Gründe  hören  mögen,  womit  er  diese  uns  seitsam  scheinen- 
den Behauptungen  rechtfertige;  namentlich  möchten  wir  wis- 
sen, wie  er  diesen  Unterschied  an  den,  von  ihm  selbst  weiter 
unten  citirten  Beispielen ,  wie  Cic.  Tuscul.  3,1:  Discrcpat  a 
t  im  endo  confidere;  oder  Terent.  Phorm.  1,  2,  52:  f  ul- 
tisne  eamus  visere?  verglichen  mit  Nep.  21,  2:  qi'uni 
spectat  um  ludos  iret^  nachweisen  möchte;  und  noch  mehr, 
wie  gerade  in  diesem  gedachten  Seyn  ein  Grund  liegen  könne, 
weshalb  Gerundium  und  Supinum  die  Substantivform  angenom- 


250  Römische    Litteratur. 

men  hätten.  Eben  so  wenig  sehen  Avir  ein,  wie  das  Gerundium 
einen  ]\'o?m'nattv  hahen  könne,  da  nach  der  richtigen  Bemerkung 
des  Hrn.  Verf.  selbst  die  Casus  desselben  die  Casus  obliqui  für 
den  Infinitiv  sind,  und  dieser,  wie  früher  richtig  gelelirt  wird, 
häufig  als  Nominativ  vorkommt.  Um  seine  Ansicht  zu  recht- 
fertigen, übersetzt  der  Hr.  Verf.  (8.437)  freilich  jnoriendum 
est^  das  Sterbens  ollen  findet  Statt;  allein  wir  kön- 
nen in  dieser  Uebersetzung  niclits  als  eine  falsche  Auffassung 
der  Sache  erkennen,  wodurch  hier  est  fälschlich  zum  wirkli- 
chen Prädicatsverbum  gemacht  wird,  um  moriendum  als  Sub- 
jectsnomiuativ  betrachten  zu  können.  Uns  sind  alle  jene  For- 
men Nomina  verbalia,  gerade  wie  die  Griechischen  TtotrjtEOV^ 
cpilr]TB0V  ^  mit  denen  sie  auch  ganz  gleiche  Construction  haben, 
d.  h.  den  Accusativ  regieren,  wenn  solche  gleich  nur  in  Schrift- 
stellern älterer  Zeit  häufiger  sich  findet,  während  die  spätere 
Sprache  in  solchen  Fällen  die  Attractionsconstruction  des  soge- 
nannten Particip.  Futur.  Passivi  vorzog.  Ob  dieses  Verbale  von 
dem  Gerundium,  oder  das  Gerundium  vom  Verbale  stamme, 
lassen  wir  dahingestellt  seyn,  aber  gewiss  stammt  jenes  soge- 
nannte Participium  Futur.  Passivi  von  dem  Verbale,  gerade  wie 
g)Lhjtsog  von  q^iXfjreov.  In  gleicher  Weise  halten  wir  es,  trotz 
dem,,  dass  der  Hr.  Verf.  viele  und  zum  Theil  gute  Auctoritäteii 
auf  seiner  Seite  hat,  doch  für  irrig,  dem  Gerundium  auch 
passive  Bedeutung  beizulegen;  denn  selbst  in  den  scheinbarsten 
Stellen,  welche  Voss  ins,  C  o  rte,  Ruh  nken  und  andere  da- 
für angeführt  liaben ,  findet  sich  genauer  und  näher  betrach- 
tet doch  nichts  weiter,  als  höchstens  ein  Mangel  strenger  Be- 
stimmtheit in  der  Form  des  Ausdruckes.  Man  spricht  mehr 
unbestimmt  und  im  Allgemeinen  der  Kürze  halber  und  weil  sich 
die  nähere  Beziehung  leicht  aus  dem  Zusammenhang  ergiebt. 
Ganz  auf  ähnliche  Weise  setzt  man  im  Griechischen  und  Deut- 
schen häufig  den  TafiiiitivusActivi,  wo  die  völlig  genaue  Bezeich- 
nung des  Veriiältnisses  eigentlich  den  Infinit.  Passivi  erfordert 
hätte;  und  zuweilen  thun  diess  auch  die  Lateiner,  selbst  bei 
jabcre^  wo  sie  doch  in  der  Regel  genau  zu  unterscheiden  pfle- 
gen. Cic.  Brut.  4 :  reddere  jubet  statt  reddi.  Man  begeht  also 
bei  jener  Annahme  den  freilich  sehr  gewöhnlichen  Fehler,  Sinn 
und  Bedeutung  zu  verwechsehi.  Ueber  die  Verwandlung  oder 
NichtVerwandlung  des  Gerundiums  in  das  sogenannte  Gerun- 
divum  hätte  wohl  auch  genauer  und  ausführlicher  gesprochen 
werden  sollen.  Der  Ilr.  Verf.  deutet,  und  zwar  gleicJisam  nur 
beiläufig,  in  den  untern  Randanmerkungen  (S.440  u.  447)  mehr 
auf  das  Richtige  hin,  statt  dass  eine  bestimmte,  den  Schüler 
sicher  leitende  Regel  darüber  hätte  gegeben  werden  sollen. 
Eben  so  hätte  die  Anomalie  des  ziemlich  weit  verbreiteten  Ge- 
brauchs von  Participien  wie  carendus^  desinendns  ^  pereundus^ 
placendus^  pigendus^    nascendzis^   adolescendus  u.    dgl.    hier 


Ramshorn  :  Lateinische  Grammatik.  251 

eine  Erwähnung  verdient,  um  so  mehr,  da  der  Ilr.  Verf.  auch 
nirgends  anderswo  dariibcr  gesprochen  hat. 

Vom  Supino  bemerkt  der  Jlr.  Verf. ,  es  bezeichne  das  ge- 
dachte Vollendelseyn  eines  Ziistandes,  weswegen  es  die  Form 
eines  Substantivs  4terDeciination  erhalten  habe.  Ueber  dasPrä- 
dicat  gedacht  und  über  den  uns  nicht  einleuchtenden  Grund, 
durch  welchen  es  Substaiitivform  erhalten  haben  soll,  haben 
wir  schon  gesprochen.  Mit  dem  P ollendet seyii^  was  Gern- 
hard  Commentt.  Gramm,  pari.  F,  de  supino  et  gerundio  etc. 
p.  7  läugnet,  hat  es  auch  nach  unsrcr  Ansicht  seine  Richtigkeit, 
nur  sehen  w  ir  nicht  ein ,  w  ie  es  der  Hi\  Verf.  bei  seiner  Auf- 
fassung darin  finden,  und  bald  darauf  auch  Scaliger  {de 
caiis.  liug.  Lat.  p. 375)  dafür  citiren  konnte,  da  doch  dieser  in 
den  Siipinis  einen  besondern  Tlieil  des  Verbums,  keineswegs 
aber  Nomina  der  4n  Declination  anerkennt.  Freilich  hat  Scaliger 
unter  allen  Grammatikern  älterer  und  neuerer  Zeit  die  besten 
Bemerkungen  über  die  Supina,  aber  da  sie  auf  ganz  andern  An- 
sichten vom  Wesen  der  Supina  beruhen,  so  durften  sie  doch 
unmöglich  zum  Beweise  dessen  gebraucht  werden ,  was  der  Hr. 
Verf.  bei  seiner  ganz  verschiednen  Ansicht  von  der  Saclie  dar- 
über behaupten  zu  können  glaubte,  sonder»  hätten  ihm  viel- 
mehr Veranlassung  geben  sollen,  dem  so  viel  besprochnen  Ge- 
genstand eine  völlig  neue  Untersuchung  zu  widmen.  Nach  un- 
serer Ansicht  bedurfte  er  derselben  auch  in  der  That  mehr, 
als  jede  andre  Lehre  der  gesammten  latein.  Grammatik.  Denn 
was  bisher  in  unsern  Grammatiken  über  Ursprung  und  Wesen 
und  zum  Theil  auch  über  den  Gebrauch  der  Supina  gelehrt 
M'ird,  sind  historisch  und  philosophisch  betrachtet  der  Haupt- 
sache nach  völlig  unerwiesene  und  unerweisbare  Behauptun- 
gen aus  der  lat.  Grammatik  des  17  Jahrhunderts ,  die  von  fast 
allen  Grammatikern  der  folgenden  neuern  Zeit  auf  Treu  und 
Glauben  hingenommen,  trotz  aller  ihrer  Unlialtbai'keit  doch 
jetzt  fast  allgemein  deshalb  als  ausgemaclite  WaJirlic.t  gel- 
ten ,  weil  nun  schon  seit  langen  Jahren  die  Sache  nicht  anders 
gelehrt  und  gelernt  worden  ist.  Da  die  gründliche  Untersu- 
chung des  Gegenstandes  eine  weitläufige  Abhandlung  erfor- 
dert ,  so  können  wir  hier  nicht  tiefer  auf  die  Sache  eingehen, 
aber  da  der  Hr.  Verf.,  wie  wir  hören,  schon  wieder  mit  einer 
neuen  Bearbeitung  seines  Werkes  beschäftigt  ist ,  so  halten  wir 
uns  für  verpflichtet,  ihn  aufzufordern,  diese  Lehre  der  sorgfältig- 
sten Beachtung  zu  würdigen  und  namentlich  die  Gründe  näher 
zu  betrachten,  mit  welchen  die  Supina  im  vorletzten  Jahriiun- 
dert  von  Scioppius,  Vossius,  Ursinus,  Ruddiman- 
nus,Perizonius  und  andern  zu  Nominibus  der  4n  Declination 
gemacht  worden  sind.  Soweit  wir  die  Sache  kennen,  beniht 
jene  ganze  Ansicht  in  historischer  Hinsicht  auf  niciits,  als  ei- 
nem schwankenden   Videliir  Priscians,    dem  aber  schon  die, 


252  Römische  Litteratur. 

manche  gute  Wiiike  enthaltenden,  Beraerkung:en  Quinctilians, 
Charisius,  Probus,  Diomedes ,  Servms,  Cledonius  und  andrer 
völlig  widerstreiten,  und  mehrere  Grammatiker  des  15  wnd  16 
Jahrhunderts,  wie  namentlich  L.  VaUa,  M.  Crusius,  A. 
S  a  b  u  r  n  i  u  s  ,  E  m.  A 1 V  a  r  e  z  und  andre,  auch  schon  zum  Theil 
gar  nicht  zu  verachtende  Griuide  entgegengestellt  haben.  Was 
ihre  philosophische  Begvündnn^  aber  anlangt,  so  ist  sie  auf  ei- 
nige unhaltbare,  zum  Theil  völlige  Cirkelschlüsse  enthaltende 
Voraussetzungen  und  in  der  Hauptsache  auf  jene  längst  verwor- 
fene Ellipsentheorie  gebaut,  mit  welcher  man  in  jenem  Jahr- 
hundert alle  Schwierigkeiten  der  griechischen  und  latein.  Gram- 
matik mit  freilich  bequemer  Leichtigkeit  zu  lösen  wusste.  In 
der  spätem  Zeit  lehrte  man  nun  die  neuerfundne  Lehre  sorglos 
fort,  gab  mit  stillschweigender  Uebergehung  der  für  unsre 
Zeit  etwa  anstössigen  Behauptungen  jener  frühern  Grammatiker 
nur  die  Hauptpuncte  und  verdeckte  so  mit  dieser  confideutea 
Kürze  die  Willkürlichkeiten ,  Inconsequenzen  und  Widersprü- 
che, die  in  der  frühern  ausführlichen  Erörterung  freilich  auch 
zii  oü'en  am  Tage  lagen.  Um  nicht  zu  scheinen  zu  viel  gesagt 
zu  haben,  erlauben  wir  uns  nur  noch  einige  die  letzterwähnten 
Uebelstände  berührende  Fragen  und  Bemerkungen.  1)  if'ie 
und  womit  ist  denn  die  bei  Aufstellung  und  Beurtheilung  jener 
neuen  Lehre  am  meisten  in  Betracht  kommende  Behauptung, 
nämlich  dass  die  Supina  de?i  Accusaliü  ihres  V  er  bums  als  no- 
mina  verbalia  regieren  können^  bewiesen  worden'?  Die  dafür 
angeführte  Construction  der  gar  sehr  verschiednen  Verbalia 
auf  «0,  wie  quid  tibi  hanc  curatio  est  rem  u.  s.  w.  be- 
weis't  diess  noch  keineswegs;  ja  wir  tragen  vielmehr  kein  Be- 
denken, bei  den  Verbalibus  der  4n  Declination  auf  us  aus  Grün- 
den, die  in  ihrer  ursprünglichen  Bedeutung  liegen ,  sogar  die 
Möglichkeit  jener  Construction  zu  läugnen,  und  haben  dabei 
wenigstens  den  doch  gewiss  nicht  geringfügigen  Umstand  für 
uns,  dass  eben  ausser  jenen  vermeintlichen  Accusativen  der 
Supina  auf  iitn  aus  der  ganzen  latein.  Sprache  auch  nicht  ein 
einziges  Beispiel  sich  dafür  nachweisen  lässt.  Die  Perizonius 
(zu  Sand.  Min.  3,  9  p.  (iÜl)  so  selir  genirende  Nebenfrage, 
warum  denn  nicht  auch  die  Supina  auf  u  einen  solchen  Accusa- 
tiv  regieren,  wollen  wir,  so  sehr  man  auch  bei  jener  Ansicht 
von  den  Supinis  sie  zu  beantworten  verpflichtet  gewesen  wäre, 
doch  deshalb  gar  nicht  thun,  weil  wir  uns,  auch  ohne  mit  frü- 
hern Grammatikern  die  Supina  auf  u  von  denen  auf  zim  als  gar 
nicht  zusammengehörig  zu  trennen ,  wenigstens  gnügendere 
Gründe  anzuführen  getrauten,  als  Perizonius  mit  se'nmm  fortu- 
na  et  casus  gegeben  hat. 

2)  ist  es  nicht  ain  seltsamer  Widerspruch,  in  der  Form- 
lehre bei  Ableitung  der  Tempora  die  Supina  als  Grundformen 
anzuerkennen,  und  in  der  Syntax  doch  zu  behaupteji,  es  seyen 


Ramshorn:  Lateinische  Grammatik.  253 

nichts  als  Caäus  des  gewöhnliclien  Verbalsubstantivs,  das  un- 
bestreitbar später  entstanden  seyn  inuss,  als  alle  die  Formen, 
die  man  in  der  Formlebre  and  zwar  mit  Recht  und  nach  der 
Auctorität  der  alten  Grammatiker  von  dem  Supitio  herleitet'? 
Die  ganze  4e  Declination  überhaupt  ist,  wie  der  Hr.  Verf.  §  25, 
Anmerk.  1  selbst  richtig  bemerkt,  oH'enbar  spätem  Ursprungs; 
die  Snpiiia  dagegen  sind,  wie  ihr  Gebrauch  und  viele  andre 
Umslän<te  zeigen,  unstreitig  ^/y•«//e  Formen ;  ist  es  nun  nicht 
weit  natürlicher,  sie  auch  für  jene  Verl)alsubstantive  auf  tis  als 
Grundformen  anzuerkennen,  als  umgekehrt  sie  für  isolirt  da- 
stehende Casus  dieser  Verbalsubstantive  selbst  zu  erklären,  die 
docli  naturgemäss  nicht  anders  zu  Defectivis  Averden  konnten, 
als  im  Laufe  hmger  Zeiten,  für  welche  sich  obigen  Thatsachen 
zufolge  in  der  ganzen  Geschichte  der  Sprache  ja  eben  gar  kein 
Raum  ermitteln  lässt.  Und  auch  abgesehen  von  der  Zeit,  wäre 
es  jücht  ausserdem  auch  in  anderer  Hinsicht  in  vielen  Fällen 
völlig  unbegreiflich,  wie  von  Verbalsubstantiven,  welche  wie 
dictiis  u.  dgl.  schon  ihrem  Regrift"  nach  in  allen  Casibus  eine 
liäufige  Anwendung  hätten  finden  müssen,  doch  gerade  nur  im- 
mer Accusativ  und  Ablativ  hätten  übrig  bleiben ,  die  nicht  min- 
der oft  nöthigen  Nominative ,  Genitive  und  Dative  aber  allmäh- 
lig  wieder  ausser  Gebrauch  hätten  kommen  können,  wenn  ihre 
Formen  früher  einmal  gleichfalls  in  der  Sprache  vorhanden  ge- 
wesen w  ären ,  und  mit  den  Siipiiiis  w  irklich  in  dem  angenom- 
menen Zusammenhang  gestanden  hätten. 

3)  Was  nun  endlich  die  Art  und  Weise  anlangt,  wie  man 
seit  Vossius  den  Gebrauch  des  Supinums  auf  um  bestimmt  hat, 
so  finden  wir  auch  hierin  meist  nur  Willkür  oder  wenigstens 
grosse  Einseitigkeit,  die  aller  tief  ern  sprachhistorischen  Umsicht 
ermangelt.  Die  seine  Anwendung  auf  so  enge  Grenzen  beschrän- 
kende Regel,  dass  es  nur  nach  Verbis  der  Absicht  und  vorzüg- 
lich nach  V  erbis  der  Bewegung,  w  ie  ire^  venire^  mittere  u.  s.  f. 
stehen  soll,  ist  eine  Annahme,  die  meist  nur  zu  Gunsten  jener 
Ellipsenthcorie  und  höchstens  nach  der  Mehrzahl  der  Beispiele 
aus  einer  Zeit  entworfen  ist,  in  welcher  die  Construction  des 
Supinums  schon  fast  völlig  veraltet  war  und  nur  noch  in  kärgli- 
chen Ueberresten  existirte.  Ist  es  nun  nicht  völlig  verkehrt, 
das  Wesen  solcher  alterthümlichen  Constructionen  aus  dem 
Sprachgebrauch  einer  Zeit  bestimmen  zu  wollen,  in  welcher 
man,  einige  alte,  zu  stehenden  Jledensarten  gew  ordne  Formeln 
abgerechnet,  schon  aufgehört  hatte,  sich  ihrer  zu  bedienen? 
Und  nocli  %iel  weiter  in  dieser  Verkehrtheit  ist  man  nun  bei  der 
Anwendung  jener  selbsterfundenen  Rfgel  gegangen.  In  einem 
kaum  begreiflichen  Verkennen  der  Sache  nämlich  beurtheilt 
man  nun  auch  den  Sprachgebrauch  aller  Zeitalter  nach  jener 
Regel  und  bestimmt  sogar  nach  ihr,  was  für  ein  Supinum  ge- 
halten werden  soll,  oder  nicht.     So  sind  z.  R.  blos  jener  Regel 


254  Römische  Litteratur. 

und  ihren  Grundsätzen  zu  Gefallen  Beispiele,  wie  das  Plautini- 
sche  ad  mercatiim  ire^  das  Lucretianische  in  commutatum  ve- 
nire u.dgl.  zu  Supiiiis  creirt  worden.  An  dem  Sallustianischen 
nee  ego  vos.nltv in  inj?i/ias  hortor  dagegen  nimmt  selbst 
unser  Hr.  Verf.  (S.  450)  Anstoss  und  will  i/e  ergänzt  wissen; 
die  Worte  des  Pompejus  bei  Cic.  Att.  8,  IH:  coho/ies  ad  me 
mis Silin  facias  sind  nach  Vossius  höchst  seltsam,  und 
Beispiele,  wie  das  Plautinische  rerf?Y?/7n  oportuit  (Pers.3,3,4'.>) 
oder  das  Terentianisclie  inansiim  tarnen  oportiiit  ^  die  früher 
nach  gewiss  bessern  Gründen  und  Ansichten  als  Snpina  galten, 
lässt  er  gar  nicht  weiter  als  solche  gelten.  Und  doch  ist  der 
Grund  alles  dieses  Anstosses  näher  betrachtet  kein  andrer,  als 
weil  sich  solche  Beispiele  nicht  nach  der  Regel  fügen  wollen, 
die  man  nun  einmal  über  das  Supinum  aufzustellen  beliebt  hat. 
Gewiss  also ,  wenn  irgend  eine  Lehre  der  lat.  Grammatik  eine 
neue  und  gründliche  Behandlung  bedarf,  so  ist  es  die  vom  Su- 
pinmn.  Mehrere  gute  Winke  und  Bemerkungen  zu  einer  diessfall- 
sigen  Untersuchung  geben  Bopp,  Humboldt  und  besonders 
Schmidt  {JJeher  den  Infinitio ^  llatibor  1826.),  nur  dass 
auch  diese  Männer  bei  ihrer  sprachpliilosophischen  Betrachtung 
dieser  alten  Formen  docli  mehr  nur  die  jetzt  gewöhnlicheuLeh- 
ren  unsrer  Grammatiken,  als  die  eigentlichen  Quellen,  d.  h.den 
Sprachgebrauch  der  ältesten  lateinischen  Schriftsteller,  vor  Au- 
gen gehabt  zu  haben  scheinen. 

ImEinzelnenbemcrkcnwir  noch, dass S.  450  Not. 2,  u.  S.  452 
Not.  2,wo  die  verschiednen  Constructionen angeführt  werden,  wel- 
che statt  der  Supina  gebraucht  werden  können,  durchaus  auch  der 
Unterschied  ausführlicher  hätte  erörtert  werden  sollen,  welcher 
zwischen  ihnen  statt  findet.  Die  Kürze,  womit  der  Hr.  Verf. 
die  Sache  berührt,  kann  dem  Schüler  keine  sichere  Kenntnis« 
derselben  verschaffen,  sondern  wird  und  muss  ihn  zum  Irrtiuim 
verleiten  und  zwar  um  .^o  mehr,  da  sich  in  Folge  jener  flüchti- 
gen Kürze  der  Hr.  Verf.  selbst  nicht  immer  frei  davon  erhal- 
ten hat.  Zum  Belege  für  beides  verweisen  wir  nur  auf  S.  452 
Note  2,  h.  Hier  Avird  gelehrt,  dass  statt  des  Supini  in  ii  bei 
facile  est^difficile  est^grave  est  Qic  auch  derlnfinitivusjaraesew^/s 
stehen  könne,  und  gleich  als  erstes  Beispiel  dafür  angeführt: 
Facile  est  vincere  non  repugnantes^  Cic.  Tusc.  1,  1.  Wir  glau- 
ben recht  gern,  dass  dieses  seltame  Versehen  ein  Uebereilungs- 
fehler  ist,  finden  aber  auch  anderseits  darin  den  sichersten  Be- 
weis für  unsere  Behauptung,  dass  dergleichen  Dinge  nicht  blos 
kurz  berührt  werden  dürfen,  sondern  gründliche  Erörterung 
verlangen,  wenn  der  dem  Versehen  und  Missverstehen  an  sich 
schon  weit  leichter  ausgesetzte  Verstand  des  Schülers  gegen 
solche  Irrthümer  und  Missgriffe  wirklich  gesichert  werden  soll. 
Ueber  dasParticipium  giebt  der  Hr.  Verf.  §  111  u.  172  eine 
Menge  Bemerkungen,    die  zwar  viel  Iliclitiges  enthalten,  uns 


Ramshorn  :  Lateinische  Grammatik.  255 

aber  doch  nicht  immer  klar  und  treffend  genug,  noch  nothwen- 
dig  scheinen.  Zu  den  unklaren  und  verfeliiten  rechnen  wir,  wenn 
es  S.4C3  f.  lieisst,  „das  Participinm,  wenn  es  erklärend,  (d.h. 
in  Apposition)  stehe,  bezeichne  entweder  ein  blosses  Sey7i,  oder 
eine  auf  das  Prädicat  Bezug  habende //ßwrf//fw^";  ferner  wenn 
S.  479  in  Beispielen,  wie  diu  noii  perlitatnm  ienuerat  di- 
ctatorem^ne— passet  (Liv.7,8)  oder  siifßcere—  videbaturVespa- 
siani  nomcn  ac  nihil  arduuni  fatis  (Tacit.  IL  2,  82)  ein  No- 
minativus  absolutus  angenommen  wird,  da  dergleichen  Fälle 
doch  schon  von  Perizonius  und  andern  (Sanct.  Min.3,  9  p.  657  f.) 
richtig  erklärt  worden  waren.  Für  fast  überflüssig  aber 
halten  wir  die  ganze  grosse  Anzalii  %on  Bemerkungen  von  S. 
465  —  476,  in  welchen  fast  weiter  niclits  angegeben  wird,  als  wie 
raandielatein.Participialconstruction  in  diesem  oder  jenem  Falle 
im  Deutschen  übersetzen  soll.  Für  Schüler  der  Art,  für  welche 
der  Ilr.  Verf.  seine  Grammatik  bestimmt  liat,  konnte  alles,  was 
in  jenen  Bemerkungen  enthalten  ist,  weit  kürzer  und  bündiger 
und  dabei  zugleicli  auch  weit  tiefer  und  gründlicher  dargestellt 
werden.  Dagegen  vermisst  man  manches ,  dessen  nähere  An- 
gabe für  Schüler  hölierer  Classen  höchst  wünschenswerth  ge- 
wesen w  äre.  So  ist  z.  B.  niclits  darüber  gesagt,  dass  eine  grosse 
Anzahl  Participia  zu  völligen  Adjectivis  geworden  sind,  nichts 
über  den  in  den  verschiednen  Zeitaltern  der  Sprache  verschied- 
nen  Gebrauch  der  Participia  verschiedner  Tempora,  und  nur 
höchst  wenig  über  die  Fälle,  in  w  eichen  man  die  Participialcon- 
struction  nicht  gebrauchen  darf.  Eben  so  hätte  der  S.  480  f. 
berührte  Fall ,  dass  die  Ablativi  absoluti  zuweilen  unregelmä- 
ssig zu  stehen  scheinen,  eine  nähere  Erörterung  verdient.  Der 
Hr.  Verf.  erwähnt  blos  den  einen  Fall,  dass  die  Ablativi  abso- 
luti ,  auch  wenn  ihr  Subject  bei  dem  nächsten  Verbo  als  Pro- 
nomen wieder  vorkomme,  und  statt  des  Ablativs  also  eigentlich 
der  Casus  dieses  Pronomens  hätte  gesetzt  werden  sollen,  doch 
zuweilen  als  Zeitangabe  oder  zur  Hervorhebung  eines  besoiiders 
zu  beachtenden  ISiebenumstcmdes  beibehalten  würden-,  z.  B. 
M.  Porcius  Cato  vivu  quoque  S cipione  allatrare  ejus  ma- 
gnitudinem  solilus  erat^  Liv.  38 ,  54.  Dieser  Fall  w  ar  nun  aller- 
dings zu  erwähnen,  aber  gewiss  noch  weit  mehr  der  zweite, 
nämlich  dass  sich  sogar  auch  oft  dann  Casus  absoluti  hnden, 
wo  beide  Satztheile  ein  Subject  haben.  Plaut.  Trucul.2,  4,86: 
Ostendit  sese jammihi medullitus,  se  mihi  infidelem  nu7iquam^ 
se  Viva,  fore.  Ovid.  Amor.  2,  12,  13:  Me  duce  ad  hanc 
votifinem^  me  milite  veni.  Id.  Metam.  3,  460:  Lacrymas 
quoque  saepe  notavi,  me  lacrymante^  tuas.  vergl.  Caes. 
B.  C.  3,  1  init.,  Auct.  B.  Afric.  cap.  10,  Petron.  Sat.  c.  113, 
Senec.  de  Vit.  beat.  c.20,  Suet.  Tib.  31 ,  lustin.  11,  7,  Auson. 
Idyll.  2,  14.  Im  Griechischen  sind  Stellen  beiderlei  Art  noch 
häufigeir,  aber  eben  so  wie  im  Lateinischen  meist  als  unregel- 


256  Römische  Littcratur. 

massige  Ausnahmen  betrachtet  worden.  Die  genaue  Betrach- 
tung aller  Stellen  lehrt,  dass  es  keineswegs  Versehen  der  Schrift- 
steller sind ,  und  dass  die  Sache  noch  tiefer  aufgefasst  werden 
muss ,   als  es  vom  Hrn.  Verf.  geschehen  ist. 

§  173  handelt  von  den  Adverbiis  negandi,  aber  nicht  voll- 
ständig genug.  PJiniges  wii'd  zwar  in§  170  S.  528  und  andern 
folgenden  Paragraphen  nachträglich  bemerkt,  z.  B.  dass  nee 
auch  in  der  Bedeutung  von  iie  —  quidern  gebraucht  werde,  dass 
zwei  Negationen  einander  nicht  immer  aufheben  u.  dgl. ;  allein 
da  man  alle  diese  Bemerkungen  hier  erwartete,  so  hätte  wenig- 
stens auf  jene  andern  Orte  verwiesen  werden  sollen.  Die  zweite 
\o\\non  woh!  zu  unterscheidende  Negation  Äße^rf  ist  nicht  einmal 
erwähnt  worden. 

Vollständiger  ist  §  174iiber  die  Adverhia  interrogandi^  der 
aber  eigentlich  nicht  b!os  Viber  diese,  sondern  mit  Ausnalime 
dessen  ,  was  schon  friiher  §  \\\%  bei  den  Pronomiiiibus  inter- 
rogativis  erinnert  worden  war,  vielmehr  von  den  Fragesätzen 
überhaupt  handelt.  Die  iiber  die  einzelnen  Fragpartikeln  und 
ihren  Gebrauch  gemachten  Bemerkungen  sind  meist  richtig, 
wenn  schon  nicht  immer  klar  und  allseitig  genug  (s.  S.  491.). 
Ganz  übergangen  ist  nani^  das  in  der  früiiern  Latinität  auch 
ausser  dem  Pronomen  quhnam  in  der  Frage  gebraucht  wurde, 
Plaut.  Pers.  3,  1,  51,  und  hier  um  so  mehr  eine  Bemerkung 
verdient  hätte ,  da  auch  an  jenem  erstem  Orte  dieses  aus  qiiis 
und  nam  zusammengesetzten  Pronomens  und  anderer  derglei- 
chen Formen  {uternam^  utriinmani)  gar  nicht  gedacht  worden 
ist.  S.  502  spricht  der  Hr.  Verf.  über  7iecne  und  an  non  und 
stellt  folgenden  Unterschied  auf:  „Ist  in  dem  zweiten  Gliede 
(einer  disjunctiven  Frage)  die  Negation  des  ersten  enthalten, 
so  kann  damit  entweder  das  Nichtseynkörmen  des  ersten  geraeint 
seyn,  oAcy  das  wirkliche  Nichtseijn  desselben.  Jene  negative 
Möglichkeit  wird  durch  uec  ne  ^  die  negative  Wirklichkeit  hin- 
gegen durch  an  non^  im  Deutschen  Beides  durch  oder  nicht  aus- 
gedrückt. "  Früher  lehrte  man  nach  Ernestis  Bemerkung, 
an  non  stehe  gewöhnlich  mit  ^  nee  ne  meist  ohne  wiederholtes 
Verbum.  Ueber  beide  Behauptungen  und  deren  gegenseitige 
ünhaitbarkeit  haben  sicli  neuerdings  der  Hr.  Verf.  und  Hr. 
Zumpt  ziemlich  scharf,  jedoch,  wie  uns  scheint,  ohne  Gewinn 
für  die  Sache  selbst  gestritten.  Nach  unsrer  Meinung  enthal- 
ten beideBestimmungen,  inwiefern  sie  sich  in  der  That  auf  die 
Mehrzahl  der  Beispiele  anwenden  lassen,  allerdings  etwas  Wali- 
res,  können  aber  beide  deshalb  noch  keineswegs  als  grammati- 
sche Regeln  gelten ,  weil  es  der  einen  wie  der  andern  an  der 
nöthigen  Gründlichkeit  und  AUseitigkcit  fehlt.  Von  der  Ernesti- 
schen  Meinung  liegt  diess  klar  am  Tage,  indem  dabei  gleich 
selbst  ausdrücklich  zugestanden  wird,  dass  es  nur  eine  auf  die 
Mehrzahl  der  Beispiele  gegründete  Bemerkung  sey.    Die  Mei- 


Ramshorn:  Lat<-iiiiäclic  Graraipati^.  251 

nwns^  des  Hrn.  Verf.  scheint  nun  frcüicli  auf  mehr  philosoplu- 
schem  Gniiule  zu  ruhen  ;  allein  wir  sehen  nur  niclit  ein,  wie  dio 
logisch  feine  Unterscheidung  zwischen  Nichtseyrilömum  und 
wirhlichem  Ntchfscyn  mit  der  Natur  und  Bedeutung  jener  Par- 
tikeln in  einem  solchen  Zusanime.nhang  stehe,  dass  sich  die 
Römer  liättcn  veranlasst  finden  kininen,  zwischen  beiden  ge- 
rade auf  jene  Weise  zu  unterscheiden.  Lind  befragt  man  mm 
den  Sprachgebrauch  selbst,  so  iimlen  sich  gar  nicht  wenig 
IJeispiele,  weiche  theils  jene  üntersdieidung  als  völlig  willkiir- 
licli  ersclieinen  lassen,  theils  sogar  auch  deutlich  zeigen,  dass 
die  Lateiner  jtec  ne  auch  da  setzten,  wo  keineswegs  an  ein  blo- 
sses Nichtseynkönnen,  sondern  olfcnbar  an  das  wirkliche  Nicht- 
seyn  gedacht  werden  muss.  Stellen  der  Art  hat  der  Ilr.  \'erf. 
selbst  schon  mclirere  angefiihrt ;  z.B.  Cic.  Catü.  2,  0,  13: 
Quaesici  a  CaliUna^  an  noctiirno  conveiitu  apnd  M.  Laecam 
fuisset^  nee  ne;  Id.  Farn.  2,  17:  Parihi  transierint 
nee  w e,  yraeter  te rideo duhUare neminem ;  1  d. Tuscul. 2, 1 2, 29: 
Hoc  doce^  doleamne  necne  dolctun^  nihil  interesse ;  Liv.l^ 
51 :  Id  vanum  necne  s it^  extemplo sciri  jwsse ;  alles  Fälle,  wo 
durchaus  nicht  an  das  blosse  Nichtseynkönnen,  sondern  an  das 
Nichtseyn  zu  denken  ist.  Noch  auffälliger  ist  Cic.  Tuscul.  3, 
18,  41:  Sunt  haec  tua  verba  ncc  iie?^  wodurch  zugleich  auch 
Dölekes  Behauptung,  dass  nee  ne  nur  in  indirecten  Fragen 
sich  finde,  widerlegt  wird.  Nach  unsrer  Meinung  ist  der 
Unterschied  aus  dem  Wesen  jener  Partikeln  selbst  zu  bestim- 
men und  hauptsächlich  in  folgenden  Pnncten  begrVindet.  ISec 
ne  bildet,  wenn  wir  es  gleich  im  Deutschen  durch  ein  disjuncti- 
ves  oder  nicht  Vlbersetzen,  doch  im  Lateinischen,  wie  schon  die 
Partikel  7iec  zeigt,  keinen  eigentlich  disjunctiveu  Gegensatz, 
sondern  enthält  vielmehr  nur  eine^  aus  zwei  durch  die  Copulä 
verbuudnen  Gliedern  r:,nsam7nengeselzte  Frage  ^  bei  welcher 
das  erste  oder  positive  GVvqA  stets  die  2\%  Hauptsache  in  Betracht 
kommende  Sentenz  enthält,  während  das  zweite  negative  Glied 
stets  als  ininderwichtig  und  mehr  nur  als  ein  die  voransgegan~ 
gene  Hauptsache  näher  bestimmendes  Anhängsel  erscheint.  Nee 
7ie  ist  also  ein  ganz  gelindes  oder  nicht  und  steht  inFragen, 
in  welchen  man  blos  ipegen  der  genauem  Erforschung  und  Er- 
örterung einer  positiven  Sentenz  noch  kurz  und  anhangsweise 
auch  nach  dem  Gegentheil  fragt.  Ganz  anders  ist  es  bei  an 
non.  Dieses  nämlich  bildet  eine  tvirklich  disjunctive  Frage,  und 
steht  also,  wenn  bei  dem  Gegenstand  der  Frage  Affirmation 
und  Negation  als  gleich  erheblich  angesehen  w  erden  sollen ;  so 
dass  mithin  das  zweite  negative  Glied  nicht  blos  des  ersten 
positiven  halber,  sondern  auch  anundfilr  sich  selbst  in  Betracht 
kommt.  Da  indess  beide  Fragweisen  nicht  sowohl  in  Hinsicht 
des  S«/?/2es,  als  vielmehr  nur  nach  der  jedesmaligen  Jfürdigung 
der  Wichtigkeit  beider  Fragglieder  verschieden  sind,  und  diese 
Jahrb.  f.  thil.  u.  Fädag.  Jahrg.  111.  tieft  ?•  If 


258  Römische    Litteratur. 

Würdigung  oft  nur  von  dem  siibjectiven  Urtheil  des  Fragenden 
Abhängig  ist,  so  kann  es  natürlich  auch  Beispiele  geben,  in  wel- 
chen es  ziemlich  gleichgültig  war,  ob  der  Schriftsteller  7iecne 
oder  annon  setzte.  Gebieten  dagegen  die  Umstände,  beide  Glie- 
der als  gleichwichtig  zu  disjungiren,  oder  kommt  gar  das  nega- 
tive mehr  in  Betracht ,  so  muss  durchaus  an  non  stehen.  Stel- 
len der  Art  sind  Plant.  Epid.  4,  1,  11,  Id.  Pers.  3,  1,  50, 
Terent.  Andr.  1,  2,  15,  Id.  Eunuch.  5,  4,  46,  Id.  Heaut.  2, 
4,  25,  und  die  vom  Hrn.  Verf.  selbst  angeführten  Terent.  Phorra. 
ö,  (),  12,  Id.  Hecyr.  3,  5,  58,  so  wie  ganz  besonders  Liv.  8, 
13:  DU  ita  vos  potentes  hiijiis  consilii fecentnt^  ut  sit  Latium 
deinde^  an  non  sit^  in  vestra  manu  posuerint^  wo  durchaus 
nicht  necne  hätte  gesetzt  werden  können.  Nach  dieser  Erör- 
terung ergiebt  sich  nun,  wie  wir  glauben,  von  selbst,  warum 
nee  ne  meist  ohne  wiederholtes  Verbum  sich  finde,  und  wie  es 
vorzüglicli  auch  geeignet  sey,  da  gesetzt  zu  werden,  wo  es 
sich  um  blosse  Meinung  und  Möglichkeit  handelt. 

Die  vierte  und  letzte  Abtheiliing  des  ersten  Theils  handelt 
Ton  §  175  — 190  C071  den  verbundnen  Sätzen^  und  ist  im  Gan- 
zen gleichfalls  mit  ausgezeichneter  Sorgfalt,  wenn  schon  nicht 
in  allen  einzelnen  Theilen  gleich  gut  und  glücklich  bearbeitet. 
Die  Verbindung  der  Sätze  theilt  der  Hr.  Verf.  in  Coordination^ 
Explication  \md  Subordination^  eine  Eiiitheilung ,  wobei  nach 
dem  eignen  Eingeständniss  desselben  (S.  581)  das  Glied  der 
Explication  zu  den  beiden  iibrigen  in  keinem  richtigen  Verhält- 
niss  steht;  indem  eigentlich  die  meisten  vom  Ilrn.  \erf.  für  Er- 
klärungssätze ausgegebnen  Sätze  ihrem  Wesen  wie  ihrer  Gel- 
tung nach  zu  den  subordinirten  gehören,  die  meisten  übrigen 
aber,  wie  z.  B.  die  §  181  behandelten,  richtiger  theils  an  die 
coordinirten  angereiht,  tlieils  bei  der  Lehre  vom  einfachen 
Satze  behandelt  werden  konnten.  Wahrscheinlich  hat  auch 
hier  der  Hr.  Verf.  durch  diese  Trennung  verhüten  wollen,  dass 
der  Abschnitt  von  den  subordinirten  Sätzen  nicht  zu  einer  unver- 
hältnissmässigen  Grösse  anwachse;  allein  dieser  Gewinn,  wo- 
fern es  anders  überhaupt  einer  ist ,  ist  doch  gewiss  w  eit  gerin- 
ger als  die  dadurch  herbeigeführten  Uebelstände.  Denn  es  ist 
^«irklich  nicht  nur  sehr  störend  und  unbequem ,  sondern  auch 
in  vieler  andern  Hinsicht  selbst  für  den  Lernenden  nachtheilig, 
wenn  völlig  gleichartige  Constructionen,  deren  Wesen  und  Ei- 
genthümlichkeit  nur  aus  guter  Zusammenstellung  aller  Fälle  er- 
kannt werden  kann,  gerade  in  umgekehrter  Weise  gegen  die 
Forderungen  wahrer  Logik  auseiuandergerissen  und  an  ver- 
schiedne  Orte  zerstreut  Merden.  Wie  und  auf  welche  seltsame 
Weise  diess  hier  öfters  geschehen  sey,  zeigen  am  besten  die 
im  Ganzen  völlig  gleichartigen  Constructionen  der  Partikel  ut 
und  des  Pronomens  qui^  welche  in  Folge  jener  Eintheilung  ganz 
unzweckmässig  auseinandergerissen  und  trotz  aller  ihrer  Gleich- 


Bamshorn:  Latciniäche  GraraniatIL.  259 

artigkeit  oft  durch  mehr  als  10  lange  Paragraphen  von  einander 
getrennt  worden  sind  ;  vergl.  Index  unter  ut  und  qui.  Wolllo 
der  Ilr.  Verf.  die  Masse  der  sul)ordinirten  Sätze  nicht  zu  gross 
werden  lassen,  so  konnten  ofl'en'oar  am  richtigsten  und  leichte- 
sten die  Bedingungssätze  davon  getrennt  werden.  Am  besten 
sind  nach  unsrer  Meinung  die  coordinirtcJi  Sätze,  die  der  Hr. 
Verf»  in  correlative^  conti nuativc^  distributive^  copulative^  dis- 
junctite  und  adversative  getheilt  hat,  behandelt.  Besonders 
schätzbar  sind  dabei  die  gelegentlichen  Bemerkungen,  welche 
iiber  Bedeutung,  Gebrauch  und  Unterschied  der  dabei  vorkom- 
menden Partikeln  gemacht  werden,  wo  in  der  Regel  das  Rich- 
tige getroffen  ist.  Nur  einiges  hätten  wir  genauer  oder  anders 
bestimmt  gewünscht,  wie  z.  B.  die  Bemerkungen  über  et  und 
que  und  ac  und  atque  ^  welche  uns  ungnügend  und  verfehlt 
scheinen.  Die  beiden  ersten  sollen  nach  S.  515  ^gleichartige 
(homogene)  Sätze  verbinden ,  und  zwar  et  solche,  die  als  noth- 
wendig  zusammengehörende^  que  solche,  die  als  zufällig  zu- 
sammenhommende  sich  zu  einander  verhalten;  ac  und  atque  hin- 
gegen ungleichartige.  Hier  halten  wir  sämmtliche  als  wesent- 
lich angegebne  Bestimmungen  weder  für  genau  und  verständlich 
genug,  noch  für  richtig.  Das  Gleichartige  und  Ungleichartige 
kommt  nach  unsrer  Meinung  weder  bei  et  und  que  noch  bei  ac 
und  atque  in  Betracht,  und  die  Prädicate  nothivendig  zusammen- 
gehörend und  zufällig  susa?nmenkomme7id  sind  avo  nicht  ganz 
falsch,  doch  wenigstens  schief  und  ungnügend.  Die  Verbin- 
dung durch  et  giebt  den  verbundnen  Dingen  gleichen  Itang^ 
gleiche  JVichtigkeit  in  Bezug  auf  dieSentenz,  que  hingegen  hängt 
Minderwichtiges  an  die  vorausgegangne  Hauptsache  als  bei-  und 
untergeordnet  an.  Man  sieht  hieraus  leicht,  dass  man  also 
wohl  sagen  kann ,  que  hänge  7iicht  nothivendig  zu  Erwähnendes 
an,  aber  daraus  folgt  noch  nicht,  dass  et  nur  nothwendig  Zu- 
sammengehörendes^ und  noch  weniger,  dass  que  blos  zufällig 
Zusammenkommendes  verbinde.  Im  Gegentheil  steht  que  ganz 
häufig  und  gewöhnlich  bei  Anreihung  solcher  Dinge,  die  sich 
zum  früher  Genannten  wie  Dazugehörendes  ^  Ajischliessendes 
verhalten.  Noch  sonderbarer  ist  die  Bestimmung,  dass  ac  und 
atque  Ungleichartiges  verbinde  ,  wie  schon  die  Vergleichung 
der  vom  Hrn.  Verf.  selbst  angeführten  Stellen  zeigt,  z.  B.  Si 
forte  quaereretur ^  quis  esset  imperator ;  Epaminojidam 
atque  Hannibalem.,  atque  ejus  generis  homines  ?iomi- 
narem  (Cic.  Orat.  1,  49),  in  der  That  ein  Beispiel,  das  jeder 
wählen  würde,  der  das  Gegentheil  behaupten  wollte,  >vas  übri- 
gens auch  schon  wirklich  geschehen  ist;  vergl.  Ileus  eher' s 
Fortgesetzte  Nachricht  von  dem  Gymnasium  in  Cottbus.,  Soraii 
1825,  S.  50  f.  Nach  unsrer  schon  oben  ausgesprochnen  Mei- 
nung hat  ac  und  atque  ursprünglich  compurative  Bedeutung, 
aus  welcher  sich  sodann  die  copulative  leicht  ableiten  lässt  und 

n  * 


260  Römische  Litteratur. 

auch  erliellt,  warum  beiEintlieilungssätzen  wohl  et — et^  que  — 
qae  u.  s.  w. ,  aber  nicht  atque  —  atque  gesetzt  werden  kann. 
Ebenso  finden  wir  es  aucli  bedenklich ,  mit  dem  Hrn.  Verf.  ans 
diesem  zuletzt  erwähnten  Gebrauch  des  verdoppelten  et  die 
Eedeutnng  auch,  sogar ^  den  die  Partikel  so  häufig  hat,  abzu- 
leiten. Er  nimmt  nämlich  au,  dass  in  diesem  Falle  das  erste 
Glied  einer  solchen  Eintheilung  im  Zusammenhange  versteckt 
liege.  An  sich  wäre  diess  nicht  unmöglich.  Allein  wegen  der 
so  nahen  Verwandtschaft,  in  welcher  die  Begriffe  und  und  auch 
stehen ,  und  vorzViglicli  weil  que ,  das  doch  ganz  denselben  Ge- 
brauch der  Verdopplung  hat,  jene  Bedeutung,  das  spätere 
hodieque  ausgenommen,  durchaus  nicht  hat,  so  halten  wir  es 
für  einfacher  und  richtiger,  der  Partikel  et  die  Bedeutung  der 
Verbindung  so  ganz  im  Allgemeinen  beizulegen,  dass  darunter 
beide  Begriffe  und  und  auch  subsumirt  werden,  wie  ja  auch 
bei  dem  griechischen  xal  der  Fall  ist.  Ganz  befremdend  end- 
lich ist  es  uns  gewesen,  dass  der  Hr.  Verf.  durch  diese  Annahme 
sich  zu  der  Behauptung  hat  verleiten  lassen,  „serf  et  sondern 
CMCÄ  könne  daher  eben  so  wenig  vorkommen,  als  ac  und  atque 
in  dieser  Bedeutung'"'  (S.  519).  Die  Sclilussfolge  zeigt,  dass  er 
nicht  etwa  die  auch  uns  noch  zweifelhaft  scheinende  Behaup- 
tung Bremi's  zu  Nepos  und  Sueton,  naoli  welcher  sed  et  stets 
sondern  sogar,  nicht  sonder?i  auch  bedeuten  soll,  dabei  im  Sinne 
hatte,  sondern  den  Gebrauch  iiberhaupt  läugnet.  Wie  diess 
möglich  war,  können  wir  uns  nicht  erklären,  und  gestehen  da- 
her, entweder  den  Hrn.  Verf.  gar  nicht  verstanden  zu  haben, 
oder  dass  wir  es  unbegreiflich  finden,  wie  er  jener  Verbindung 
sed  et,  die  bei  den  Spätem  namentlich  fast  gewöhnlicher  als 
sed  etiam  ist ,  sich  nicht  erinnern  konnte.  Bei  quoque  hätte 
wohl  bemerkt  werden  sollen,  dass  es  in  der  ältesten  Latinität 
mit  ne  verbunden  fiir  ?ie  —  quidem  gebraucht  ward;  vergl.  A. 
Gell.  17,  2;  und  eben  so  hätte  man  auch  wohl  etwas  über  den 
Unterschied  von  non  tantum,  no?i  solum,  non  modo  erwarten 
sollen,  besonders  da  über  die  ihnen  correspoudirenden  Adver- 
sativpartikeln sed^  verum  etc.  viel  Gutes  und  Richtiges  erinnert 
worden  ist. 

Der  Abschnitt  über  die  Bedingungssätze  §  190  hat  uns  nicht 
befriedigt.  Nach  dem,  was  von  Hermann,  Buttmann, 
T  h  i  e  r  s  c  h,  Krüger  und  andern  darüber  erinnert  worden  war, 
hätte  man  billig  eine  klarere  und  umfassendere  Darstellung  des 
Gegenstandes  erwarten  sollen,  als  der  Hr.  Verf.  gegeben  hat. 
Er  unterscheidet  zwar  drei  verschiedene  Gattungen  derselben, 
aber  weder  bestimmt  genug,  noch  mit  genauer  und  richtiger 
Angabe  ihrer  Verschiedenheit.  So  wird  S.  581  behauptet,  bei 
dem  Vordersatz  eines  Conditionalsatzcs  habe  der  Redende  Je- 
des?nal  das  in  der  Wirklichkeit  vorhandene  Gegentheil  im  Sinne. 
Demungeachtet  heisst  es  gleich  darauf  von  der  ersten  Gattung 


Rumshorn  ;  LutcinUcIie  Graniinatik.  261 

der  BefUngungssätze,  bei  welchen  in  beiden  Gliedern  der  Indi- 
cativ  steht,  sie  enthielten  im  Vordersatz  die  Voraussetzung  Gl- 
nes  ivi'rklich  vorkommende?i  Falles ^  eines  Zustandes,  der  in  der 
Gegenwai't,  Vergangenheit  oder  Zukunft  wirklich  stattfinde, 
oder  doch  als  solcher  angenommen  werden  müsse,  wobei  man 
sich  die  Negation  als  Gegentheil  denke;  und  von  dem  zweiten 
oder  dem  Folgesatz:  er  drücke  die  Folge  als  ?iothwendig  d.  i. 
als  wirklich  aus.  Wir  finden  hierin ,  wenn  nicht  völligen  Wi^- 
derspruch,  doch  durchaus  keine  Klarlieit  und  riclitige  Bestim- 
mung der  Saclie,  wie  sogleich  die  Betrachtung  der  vom  Hrn. 
Verf.  selbst  angeführten  Beispiele  und  noch  deutlicher  Cic.  de 
Fiu.  1,  21  lehrt.  Von  den  Sätzen  der  zweiten  Gattung  wird 
gelehrt:  Vorder-  und  Nachsatz  hätten  den  Conjunctiv,  wenn 
man  bei  erstem  die  Voraussetzung  bedingterweise  ,  der  Wirk- 
lichkeit entgegengesetzt,  nehme,  der  Nachsatz,  aber  die  Folge 
als  bedingt  ausdrücke.  Als  wäre  das  niclit  in  jedem  Conditio- 
nalsatz  der  Fall,  dass  der  Vordersatz  einen  bedingterweise  aus- 
gesprochnen  Gedanken,  und  der  Nachsatz  eine  bedingte  Folge 
enthalte.  So  ist  nun  auch  Aveiterhin,  wo  von"  den  einzelnen  For- 
men der  Conditionalsätzc  gehandelt  wird,  wenig  Klarheit;  die 
verschiednen  möglichen  und  Avirklich  vorkommenden  Fälle 
sind  bei  weitem  nicht  alle  erwähnt,  namentlich  nicht  die  ver- 
schiedenen Verschmelzungen  und  Vermischungen  der  einzel- 
nen Gattungen,  und  selbst  in  den  Beispielen  sind  Stellen  der 
verschiedensten  Art  ziemlich  bunt  durcheinander  geworfen, 
das  Gewöhnliche  von  dem  Ungewöhnlichen  nicht  gehörig  ge- 
schieden, das  Seltsame  nicht  hinreichend  erklärt  und  selbst 
nicht  vollständig  angeführt. 

Die  Concessivsätze  §  191  werden  zwar  sehr  richtig  in 
zwei  Classen  geschieden,  allein  das  Wesen  und  die  Verschie- 
denheit derselben  sind  nach  unsrer  Ansicht  nicht  gut  ange- 
geben. Nach  dem  Hrn.  Verf.  (S,  595f.)  soll  der  Unterscliied 
derselben  darin  bestehen,  dass  in  Sätzen  der  ersten  Classe  der 
Vordersatz  eine  als  Voraussetzung  von  Umständen  hergenom- 
mene Bedingung  enthalte ,  bei  Sätzen  der  zweiten  Ciasso  aber 
diese  Bedingung  einräumend  als  Willensäusserung  ausgespro- 
chen werde;  und  so  werden  nun  sodann  den  Sätzen  der  ersten 
Xxietsi,  etiamsiy  tametsi^  den  andern  ut  (gesetzt  dass),  ne 
(gesetzt  dass  nicht),  qiiumvis^  quanquam  und  quidem  gleichsam 
ausschliesslich  als  eigenthümlichc  Partikeln  zugewiesen  und 
einige  nähere  Bestimmungen  über  die  Modi,  die  dabei  zu  brau- 
chen seyen,  hinzugefügt.  Wie  mau  leicht  einsieht,  ist  der  Hr. 
Verf.  bei  dieser  Unterscheidung  von  der  Bedeutung  jener  Par- 
tikeln ,  oder  vielmehr  von  den  besondern  Modificationen  ihrer 
gemeinschaftlichen  Grundbedeutung  ausgegangen,  wobei  indess 
freilich  nur  die  Prädicate  als  Voraussetzung  und  einräumend^ 
nicht  aber  die  übrigen  Bestimmungen  dem  Sprachgebrauch  ent- 


262  Römische    titteratur, 

sprechen  und  wirklich  haltbare  Versehieilenlicitcn  anheben. 
Allein  nach  unsrer  Ansicht  konnte  diese  Bedfutungsverscliieden- 
heit  der  Partikeln  hier  nur  als  Nebensache  in  Betracht  kommen, 
dürfte  aber  bei  der  Unterscheidung  der  Sätze  selbst  keineswegs 
zum  Eintheilungsgrunde  gemacht  werden.  Offenbar  näm- 
lich musste  dabei  vielmehr  die  Art  und  f'/eise ^  wie  die  Sen- 
temen  ia  solchen  Sätzen  ausgesprochen  Averden  ,  das  ist  also 
die  bei  ihnen  stattfindende  Modusverschiedeiiheit  zu  Grunde 
gelegt  werden;  wo  sich  dann  wVirde  ergeben  haben,  dass  in 
Sätzen  der  ersten  Art  die  Sentenz  als  wirkliches  Factum,  in 
Sätzen  der  zweiten  Art  aber  Uqs  als  Gedanke  ausgesprochen 
erscheine,  und  wie  deshalb  in  den  ersten  der  Indicativ^  bei  den 
andern  aber  natiirlich  der  Conjunctiv  gebraucht  werden  miisse. 
Die  Partikeln  etsi^  etiamsi^  tarnetsi^  qiiamvis^  qiianquam^  qui- 
r/e/M  selber,  denn  w^  und  we  gehören,  wenn  gleich  jene  eigent- 
lich elliptischen  Constructionen  derselben  einen  ähnlichen  Sinn 
geben,  doch  nicht  als  wirkliche  Concessivpartikeln  hieher,  ha- 
ben eigentlich  alle  keinen  Einlliiss  auf  den  Modus  und  können 
gämmtlich  in  Sätzen  beider  Art,  d.h.  sowohl  mit  dem  Indicativ 
als  mit  dem  Conjunctiv  stelin;  so  dass  es  mithin  an  und  für 
sich  keine  Partikel  giebt,  welche  der  einen  oder  der  andern 
Gattung  der  (yoncessivsätze  unbedingt  und  ausschliesslich  zu- 
käme, Indess  verdienen  zufolge  des  Sprachgebrauchs  der  gu- 
ten Prosa  die  Partikeln  quamvis  und  quanquam  allerdings  einer 
hesondern  Beachtung,  und  können,  inwiefern  quamvis  stets  mit 
dem  Conjuncti])  ^  quanquam  aber  vorzugsweise  mit  dem  Indica- 
tiv verbunden  wird ,  gewissermassen  als  eigenthümliche  Parti- 
keln dieser  verschiedenen  Gattungen  der  Concessivsätze  ange* 
führt  Averden,  Allein  dadurch  Avird  die  Richtigkeit  der  oben 
angegebnen  Unterscheidung  der  Concessivsätze  keineswegs  Avi- 
derlegt,  sondern  bei  näherer  Betrachtung  der  Sache  vielmehr 
bestätigt,  Alle  Sätze  der  guten  Prosa  nämlich,  in  denen  y?/«/«- 
visi  steht,  enthalten  ja  wirklich  eine  als  blossen  Gedanken  ausge- 
sprochne  Sentenz,  und  haben  also  den  Conjunctiv  nicht  der  Par- 
tikel, sondern  vielmehr  dieses  oben  angeführten  Grundes  wegen. 
Quamvis,  eine  Provocation  auf  die  Ansicht  eines  andern  ent- 
haltend, war  natürlich  zufolge  dieser  Bedeutung  ganz  besonders 
geeignet,  in  Sätzen  gebraucht  au  Averden,  deren  Sentenz  als 
blosser  Gedanke  ausgesprochen  werden  sollte,  und  musste  in 
gleicherweise  für  Sätze  der  ersten  Art  unpassend  erscheinen. 
Wenn  nun  also  die  gute  Prosa  quamvis  blos  in  solchen  den  Con- 
junctiv for(lernden  Concessivsätzen  brauchte,  so  ist  diess,  wie 
von  selbst  einleuchtet ,  eine  sehr  natürliche  Sache,  aber,  was 
wohl  zu  bemerken  ist ,  eine  aus  der  Beschaffenheit  der  Senten-« 
»en  sich  ergebende  Folge y  nicht,  Avie  man  es  gewöhnlich  an- 
eieht,  der  Grund ^  Aveshalb  in  solchen  Sätzen  der  Conjunctiv 
pteht,    Die  gewöhnlieh  geltende  Ansicht  also ,  man  könne  eine 


'  Ramshorn:  Lateinische  Graniraatik.  263 

concessive  Sentenz  gleichrichti'r  dnrch  quainvis  und  durch 
qttttnquam  ausdrVicken,  wofern  man  nnr  zu  dem  erstem  den 
Conjunctiv,  zn  dem  zweiten  den  Indicativ  setze,  ist  nichts  als 
ein  auf  einem  Fehlschlnss  beruhender  Irrtlium  ,  bei  welchem 
man  Grund  und  Folgte  verwechselt.  So  sagt  Cic.  ad  Attic.  12, 
37:  Quarnvis  prudens  ad  cogitandinn  sis^  sicut  es,  tarnen 
etc.  und  freilich  auch  nach  jener  Bestimmung,  die  den  Con- 
junctiv von  (juamvis  regiert  seyn  lässt,  sehr  richtig.  Allein 
der  Conjunctiv  steht  nicht  wegen  quamvis  ^  sondern  quamvis 
Steht,  weil  es  die  fiir  die  Sentenz  passende  Partikel  war,  und 
quanquam—es  dafi'ir  zu  setzen,  was  nach  den  gewöhnlichen  Re- 
geln unsrer  Grammatiken  erlaubt  gewesen  wäre,  war,  wie  gleich 
die  Worte  s/cM^  es  zeigen,  völlig  unmöglich ,  und  wäre  in  der 
Thatein  eben  so  grosser  Sprachfehler  gewesen,  als  quamvis  — 
es.  Derselbe,  durchaus  sehr  verniinftige,  Sprachgebrauch  nun, 
der  quamvis  gleichsam  zur  Ilauptpartikel  für  Concessivsätze 
zweiter  Art  machte,  stellte  nun  diesem  quamvis  die  Partikel 
quanqnam,  gleichsam  im  Gegensatz  gegeniiber  und  machte  die- 
selbe somit  zur  Ilauptpartikel  für  Sätze  der  ersten  Ai't,  nicht 
weil  gerade  die  Bedeutung  der  Partikel  quanqnam  dazu  genöthigt 
hätte  ,  sondern  mehr  um  auch  für  Sätze  der  ersten  Art  eine 
Hauptpartikel  zu  haben,  wozu  übrigens  e/s?  und  ei?ß/nse  schon 
ihrer  ursprünglichen  Bedeutung  halber  (d.i.  jcai.  ft,  nicht  £txai, 
s.  Herrn.  Vig.  p.  832  f»)  weniger  geeignet  Avaren.  Daher  kommt 
es  nun,  dass  quanquam^  aber  ohne  dass  es  deswegen  unfähig 
wäre,  mit  dem  Conjunctiv  verbunden  zu  werden,  doch  meisten- 
theils  in  solchen  Concessivsätzen  gebraucht  wird,  die  den  Indi- 
cativ fordern ;  während  etsi^  etiamsi^  tametsi  fast  gleichhäufig 
in  Sätzen  beider  Art  gebraucht  werden.  Der  davon  sehr  ab- 
weichende Gebrauch  der  Spätem,  quamvis  auch  mit  dem  Indica- 
tiv,  und  quanquam  dagegen  auch  da,  wo  von  wirklichen  Factis 
die  Rede  ist,  mit  dem  Conjunctiv  zu  setzen,  rührt  übrigens 
■wieder  von  jenem  verkehrten  Streben  her,  durch  Nachahmung 
von  Constructionen ,  die  früher  selten  oder  nur  in  der  Dichter- 
sprache sich  fanden,  der  Rede  eine  gewisse  Eleganz  zu  geben. 
Bei  quanqt/am  und  etsi  hätte  endlich  auch  besonders  noch  der 
auf  eine  Ellipse  sich  gründende  Gebrauch  der  Partikeln  erwähnt 
werden  sollen,  nach  welchem  sie  soviel  als  sed,  tarnen^  jedoch 
zu  heissen  scheinen.  Cic.  p.  Flacc.  27,  de  Orat.  2,  §  197,  ad 
Fam.  15,  16,  ad  Att.  J),  32,  adFam.  6,  4. 

§  102,  193,  194  behandeln  die  Causalsätze,  wobei  wir 
vorzüglich  daran  Anstoss  genommen  Iiaben,  dass  der  in  ihnen 
sich  findende  Conjunctiv  eine  eigne^  von  den  §  166  behandel- 
ten ganz  verschiedne  Art  des  Conjunctivs  seyn  soll ,  eine  Mei- 
nung, über  deren  ünhaltbarkeit  wir  uns  schon  früher  erklärt 
haben.  Was  die  nähere  Darstellung  der  Sache  anlangt,  so 
sollte  §  193,  welcher  von  den  Sätzen  der  Absicht  handelt,  of- 


26'!  BüiuiscIicLitteratur. 

oifeiibar  vor  dem  die  Sätze  der  Fol^e  erörtenulcn  §  102  «te- 
Ijen;  da  ja  die  Absicht  natiirlicli  früher,  al_sä  der  Erfolg  ist, 
und  selbst  sehoii  der  Gebrauch  der  Fartikel  ?//,  deren  ursprüng- 
liche Bedeutung  fFie  in  Sätzen  der  Absiclit  noch  weit  reiner  und 
Uüverwiscliter ,  als  in  Sätzen  der  Folge  liervortriit,  mit  diesem 
unlogischen  vörtQOV  nQOtSQOv  der  Darstellung  in  Widerstreit 
steht.  Die  Sätze  der  Absiclit  werden,  aber  wie  uns  scheint, 
unnöthiger  Weise  in  Sätze  des  Zweckes  und  der  Bestinimmig 
getheiit;  wenigstens  ist  dann  der  generelle  Begriff,  unter  dem 
beide  subsumirt  werden  sollen,  durch  den  Ausdruck  ulbsicht 
schlecht  ausgedi'ückt,  da  diessWort,  jederzeit  einen  mit  Be- 
wusstseyii  verbundnen  Act  des  Willens  bezeichnend,  offenbar 
eineu  engem  Begriff  enthält,  als  jene.  In  der  Bestimmung  des 
Cfcbrauches  von  ut  ne  können  Mir  dem  Hrn.  Verf.  nicht  bei- 
stimmen. Es  soll  nach  seiner  Angabe  (S.OOi)  nicht  nur  in  Säz- 
zen  der  Absicht,  sondern  auch  der  Wirkung  und  Folge  dann 
stehen,  wenn  nidit  der  ganze  Satz,  sondern  nur  ein  einzel- 
ner Begriff  negativ,  im  Aeiliiitendeu  Sinn  genommen  werden 
solle,  daher  häufig  ut  ne  qiiis  ;  überhaupt  aber,  wo  diese  Ne- 
gation einen  starken  Accent  Iiabe.  Diese  säinmtlichen  Bestim- 
mungen scheinen  uns  nicht  nur  das  Wesentliche  bei  der  Sa- 
cbe  gar  nicht  zu  berühren  ,  sondern  sogar  auch  sich  selbst  wi- 
dersprechend und  falsch.  Sich  selbst  widersprechend  ist, 
dass  dadurch  nur  ein  einzelner  Begriff  negirt  werden  und  an- 
derseits doch  die  Negation  starken  Accent  iiaben  soll.  Würde 
ein  einzelnes  W  ort  dadurch  besonders  negirt,  so  müsste  noth- 
wendig  dieses  jenen  stärkern  Accent  erhalten,  was  in  der  vom 
Hrn.  Verf.  selbst  als  gewöhnlicli  anerkannten  Verbindung  die- 
ser Partikeln  mit  dem  enclilischen  qnis  rein  unmöglich  ist ;  wes- 
halb wir  auch  die  Erklärung  der  Worte  id  ne  qua  sciniillu  re- 
linquatiir^  „auch  nicht  ein  Fnnke"  für  durchaus  falsch  halten, 
Dass  aber  auch  ne  Jiicht  überliaupt  und  immer  starken  Accent 
habe,  zeigt  gleich  das  erste  der  angeführten  Bei;spiele:  prae^ 
disit^  ut  ne  prius  legatos  dimitterent,  quam  ipse  esset  reniis- 
sus  (Nep,  2,7),  wo  jener  starke  Accent  offenbar  auf  prius  ge- 
setzt werden  mnss.  Eben  so  widersprechen  sich  die  Behaup- 
tungen, dass  fit  ne  auch  in  Sätzen  der  Folge  stehen  könne,  und 
die  Sentenz  doch  im  verhütenden  Sinuc  genommen  werden  solle ; 
was  ja  eben  den  Satz  zu  einem  Absichtssatz  macht.  Nach  \uv~ 
srer  Ansicht  niuss  der  Unterschied,  der  sich  zwischen  M^/e  und  we 
und^^  non  allerdings  findet,  weit  tiefer  aufgefasst  werden  und  be- 
rulit,  wie  wir  bei  einer  andern  Gelegenlieit  zu  zeigen  versu- 
chen wollen,  auch  hier  wieder  hauptsächlich  ^ni  rhetorischen 
Gründen. 

S,607  Not.  1,  wo  vom  ausgelassenen  ut  nach  volo  u,  s,  w. 
die  Rede  und  der  Unterschied  gut  erklärt  ist,  hätte  der  ganz 
»hidiche Sprachgebrauch  ini  Deutschen  verglichen,  zugleich  aber 


Kiiiuähorn:  Liitcinlüche  Grainnialili.  265 

auch  bemerkt  werden  sollen,  dass  auch  ne  nach  cave  ansgelas- 
Ken  werden  könne.  Sludere^  das  nach  S.  (508,  N.  2  blos  den 
Infinitiv  bei  sich  liaben  soll,  steht  docli  anch,  wie  schon  Scliel- 
1er  nachweis't,  mit  ut  und  iiv.  Hirt.  B.  AI.  1,  Cat.  II.  11.  5 
extr. ,  Phacdr.  2  ,  epiio£^.  <>. 

Angeschlossen  an  diese  Sätze  ist  §  195  ein  Abschnitt  über 
die  oratio  obliqua^  der  sehr  gut  gearbeitet  ist.  Die  bekannten 
üntersuchungenKr ügers  sind  dabei  zweckmässig  benutzt  und 
namentlicli  sind  die  einzelnen  Fälle  gut  angegeben,  in  welchen 
abhängige  Nebensätze,  die  man  eigentlich  im  Conjunctiv  erwar- 
tete ,  doch  im  Lifinitiv  stehen. 

Der  zweite  Ilaupttlieil  der  Syntax,  i'on  der  Stellung  der 
Itedötheile  in  Sätzen  und  der  Sülze  in  Perioden  handelnd ,  § 
196  —  203  8.625  —  653,  ist  durchgehends  mit  ausgezeichne- 
ter Sorgfalt,  und  wenn  man  die  einzelnen  Bemerkungen  blos 
an  sich  betrachtet,  auch  sehr  gut  gearbeitet.  Sie  empfehlen 
sich  vorzüglich  dadurch,  dass  sie  nicbt  nach  einzelnen  Stellen, 
die  gerade  dafür  passten,  gemacht  sind,  sondern  auf  den  all- 
gemeinen Gesetzen  des  Denkens  überhaupt  sowohl,  wie  des 
lateinischen  Sprachgebrauchs  insbesondre  beruhen  und  dalier 
möglichst  bestimmt  und  allgemein  gültig  sind.  Weniger  dage- 
gen haben  wir  uns  hinsichtlich  der  Anordnung  und  Vollstün- 
digkeit  befriedigt  gefunden. 

Was  die  crstere  anlangt,  so  liat  der  Hr.  Verf.  sehr  richtig 
gefühlt,  dass  die  Grundlage  aller  richtigen  Wortstellung  die 
von  den  allgemeinen  Denkgesetzen  selbst  vorgeschriebene  natür- 
liehe  Aufeinanderfolge  der  Begriffe  sey,  ujid  dass  ferner  da- 
bei Accent  und  Uohllaut  in  Betracht  gezogen  werden  müsse. 
Deshalb  theilt  er  nun  die  ganze  Lehre  in  drei  Abschnitte,  de- 
ren erster  von  der  Ordnung  der  Wörter  und  Sätze  ^  §  197  — 
200;  A^Y  ziveite  vom  Accent^  §  200;  der  dritte  vom  Jf'ohllaut^ 
§•  201  f.  handelt.  Allein  diese  drei  Glieder  sind  durchaus  nicht 
gleichmässig  und  können  sich  keineswegs  als  von  einander  un- 
abhängig gegenübergestellt  werden.  Im  Gegenthcil  müssen 
fast  in  jedem  Satze  sämmtliche  Forderungen  jener  drei  Dinge 
zugleich  und  ebenmässig  berücksichtigt  werden;  was  freilich 
jede  systematische  Behandlung  der  Sache  ungemein  schwierig 
macht.  Am  wenigsten  aber  können  sich  die  Forderungen  jener 
logischen  Ordnung  und  der  Einfluss,  den,  wie  man  glaubt,  die 
Accentuation  auf  die  Wortstellung  hat,  als  trennbar  und  ver- 
schieden entgegengesetzt  werden,  da  beide  einander  wesent- 
lich gleich  sind.  Die  Forderungen  des  Accentes  in  dieser  Hin- 
sichtnämlich sind  näher  betrachtet  durchaus  auch  rein  logischer 
Natur  und  unterscheiden  sich  von  jenen  erstgenannten  nur  wiq 
Besonderes  vom  Allgemeinen.  Die  logische  Ordnung  der  Be^ 
griffe  eines  Satzes  hann  nämlich  doppelter  Art  seyn ,  eine  all- 
gemeine., bei  welcher  man  von  der  gegenseitigen  Wichtigheit 


2Ö0  Römische    L  i  1 1  e  r  :i  t  u  r. 

tier  Begriffe  an  sich  aiisj^flit,  und  eine  besondre^  bei  welclier 
man  vorziiglich  die  r<;^//^///re  WicJitiiikeit  der  im  Satze  auszuspre- 
chenden IJegriffe  berücksichtiget,  inwiefern  nämlich  der  eine 
oder  andre  derselben  durcb  die  hesotidern  jedesmaligen  Um- 
stünde ^  unter  welclien  die  Sentenz  aus^resprochen  wird ,  in  ein 
andres  Verbältniss  der  Wichtigkeit  kommt ,  als  in  welchem  er 
olnie  diese  Umstände  stehen  wVirde.  Dieses  Vcriiältniss  jener 
relativen  Wichtigkeit  riclitig  anzudeuten  ist  nun  eben  der 
Zweck  der  Accentuation.  Denn  offenbar  ist  der  Accent,  wo- 
mit der  Sprechende  das  eine  oder  andre  Wort  vor  den  Vibrigen 
liervorhebt,  nichts  anders  als  ein  Bestreben,  den  Hörenden 
über  das  Verbältniss  der  Wichtigkeit ,  in  welchem  er  die  ver- 
schiednen  Begriffe  des  Satzes  gerade  betrachtet  wissen  will,  in 
sichere  Kenntniss  zu  setzen,  und  namentlich  ilin  zu  veranlassen, 
das  betonte  Wort  in  einem  andern  Verliäitniss  der  Wichtigkeit 
aufzufassen,  als  es  sonst  geschehen  seyn  wiirde.  Genau  ge- 
nommen also  liat  der  Accent  an  sich  eigentlich  gar  keinen  Ein- 
iluss  auf  die  Wortstellung,  denn  wenn  im  Lateinischen  betonte 
Worte  eine  andre  Stellung  erhalten,  als  sie  ausserdem  einge- 
nommen haben  würden,  so  hängt  diess  nicht  von  diesem  Betont- 
vverden  ab,  sondern  ist  lediglich  Folge  von  jener  besondern, 
durch  die  Eigenthümlichkeit  der  jedesmaligen  Umstände  be- 
dingten, logischen  Ordnung,  auf  welche  beim  Sprechen  nur  Viber- 
diess  auch  noch  durch  den  Accent  besonders  aufmerksam  ge- 
macht wird;  und  die  so  oft  und  mit  Becht  gerühmten  Vorzüge 
der  lat.  Wortstellung  bestehen  ganz  eigentlich  darin,  dass  sich 
die  lateinische  Sprache  niclit  so  streng  wie  die  meisten  neuern 
Sprachen  an  die  allgemeine  logische  Aufeinanderfolge  der  Be- 
griffe gebunden,  sondern  sicJi  glücklich  die  Freiheit  erhalten 
hat,  diejenigen  Begriffe,  die  gerade  besondrer  Umstände  lial- 
ber  vor  den  übrigen  hervorzuheben  sind,  auch  aus  der  ihnen 
sonst  zukommenden  Stelle  lierauszuheben  und  an  den  Platz  zu 
stellen,  der  ihrer  jedesmaligen  Wiclitigkeit  der  angemessenste 
ist.  W^enn  nun  schon  liieraus  erhellt,  dass  die  Forderungen  je- 
ner logischen  Ordnung  und  des  Accentes  sich  nicht  als  von  ein- 
ander verschieden  und  unabJiängig  trennen  und  besonders  be- 
handeln lassen ,  so  zeigt  sich  diess  noch  deutliclier  in  der  Aus- 
führung des  Hrn.  Verfs.  selbst,  namentlich  §  200,  welcher  eben 
von  dem  Einfluss,  den  der  Accent  auf  die  Wortstellung  hat,  han- 
deln soll,  freilich  aber  sehr  der  wirklichen  Selbstständigkeit 
crmangelt.  Alles  nämlich,  was  darin  über  den  Einfluss  des 
Accentes  auf  die  Wortstellung  gesagt  wird ,  ist  nicht  nur  an 
»ich  sehr  wenig,  sondern  auch  fast  nichts  als  eine  recapituli- 
rende  Wiederholung  früherer  Behauptungen,  wie  denn  auch 
der  Ilr.  Verf.  selbst  deutlich  genug  zugesteht,  indem  er,  statt, 
wie  man  in  Folge  seiner  Eintheilung  erwarten  sollte,  neue  Re- 
geln zu  geben ,  ausdrücklich  auf  die  Grundsätze  verweis't ,  dife 


ßaiusliorn :  Latcinisclic  Gramiuatlk.  267 

in  der  ersten  ALtlieilung  darüber  aul'f^cstellt  worden  seyen. 
Dagegen  sind  eine  Menge  Fälle  und  Ik'ispiele,  die  §  197  ange- 
geben werden,  oilenbar  der  Art,  dass  die  ISigentliiimliclikeit 
der  Wortstellung  von  jener  besondern  logischen  Ordnung  ab- 
hängig ist,  und  also  mit  der  Lehre  vom  Accent  aufs  innigste 
zusanimenliängt ;  vgl.  besonders  §  1Ü7,  a,  4.  b,  1.  3.  4.  c,  1. 
2.  3.  4. 

Was  den  zweiten  Punet,  den  Mangel  an  Vollständigkeit^ 
anlangt ,  so  haben  wir  sowohl  im  Allgemeinen ,  wie  im  Beson- 
dern manches  vermisst ,  worüber  man  billiger  W  eise  nähere 
Auskunft  erwarten  und  wünschen  musste,  zumal  in  einem  so 
umfassenden  Werke  und  von  einem  Manne,  welcher  der  Spra- 
che so  kundig  ist ,  als  der  Hr.  Verfasser. 

In  Hinsicht  auf  das  Allgemeine  vermissen  wir  nun  zuför- 
derst die  Angabe  de?'  der  latein.  Sprache  im  Allgemeinen  cha- 
racteristischen  Anordnung  der  Wörter  und  Sätze  ^  deren  nir- 
gends besonders  gedacht  wird,  trotz  dem  dass  ihre  Eigenthüm- 
lichkeit  namentlich  im  Satzbau  bei  aller  Abwechselung  doch  so 
auttallig  sichtbar  hervortritt ,  als  kaum  in  irgend  einer  andern 
Spraclie.  Namentlich  wäre  es  hier  gerade  für  den  weiter  vor- 
geschrittenen Scliüler  sehr  erspriesslich  gewesen,  wenn  der 
Hr.  Verf.  das  Lateinische  mit  dem  Deutschen  in  nähere  Ver- 
gleichung  gestellt,  und  wenigstens  die  allgemeinen  Verschie- 
denheiten angegeben  hätte,  die  sich  in  Wortstellung  und  Satz- 
liau  dieser  Sprachen  finden.  Er  nimmt  sonst  häufig,  und  wie 
wir  schon  oben  an  einigen  Orten  nachgewiesen  haben,  oft  mehr 
als  für  Schüler  höherer  Classen  nöthig  war,  vergleichende 
Rücksicht  auf  das  Deutsche ,  während  sich  in  diesem  ganzeit 
Abschnitt,  wo  es  doch  am  nöthigsten  und  zweckmässigsten  ge- 
wesen wäre,  fast  keine  Spur  von  solchen  Vergleichungen  findet. 
Ferner  vermissen  wir  in  dieser  Hinsicht,  dass  nirgends  Rück-' 
sieht  auf  die  verschied?ien  Slylarten  genoimnen  worden  ist, 
DerHr.  Verf,  beweis't  seine  Bestimmungen  mit  Stellen,  die  bald 
ans  den  Reden,  bald  aus  den  philosophischen  Schriften,  bald 
aus  den  Briefen  Ciceros,  bald  aus  den  Historikern,  vorzüglich 
dem  Cornelius  Nepos  entlehnt  sind,  während  die  Dichter  gänz- 
lich unberücksichtigt  bleiben.  Allein  wenn  man  selbst  das  letz- 
tere gut  heissen  wollte,  und  zugiebt,  dass  alle  die  verschiede- 
nen Stylgattungen  der  Prosa  in  Hinsicht  der  Wortsteilung  und 
des  Satzbaues  vieles  mit  einander  gemein  haben,  so  unterschei- 
den sie  sich  dagegen  doch  auch  in  dieser  Hiiisicht  so  wesent- 
lich, dass  uns  Avenigstens  einige  nähere  Bestimmungen  hierüber 
eben  so  nölhig  scheinen,  als  an  andern  Orten  in  der  Grammatik, 
wo  allgemein  auf  die  Verschiedenheit  der  Stylgattungen  hinge- 
wiesen und  aufmerksam  gemacht  wird.  Die  Wortstellung  im 
Briefstyl  ist  häufig  eine  ganz  andre,  als  sie  die  strengern  Ge- 
getze  der  Darstellung  in  einer  philosophischen  Schrift  erfor- 


268.  Rüuiisclio    Litturutur. 

dern,  und  ebenso  selsr  imd  vielleicht  noch  mehr  unterscheidet 
»sich  in  dieser  Hinsicht  der  Redner  von  dem  Historiker,  na- 
mentlich im  Periodenbau,  der  im  Livius  bekanntlich  ein  ganz 
andrer,  als  im  Cicero  ist;  so  wie  überhaupt  dieser  letztgenann- 
te Gegenstand  in  dem  kleinen  Paragraph  199,  selbst  wenn  man 
das  §  201  dariiber  Gesagte  hinzunimmt,  luis  etwas  zu  kurz 
abgefertigt  zu  seyn  scheint.  Allein  selbst  auch  die  Stellung 
der  Wörter  bei  den  Dichtern,  die,  ob  sie  schon  durch  ihre 
Freüieit  sichtlich  von  der  prosaischen  abweicht,  doch  immer 
auch  noch  nach  Gesetzen  sich  richtet,  liätte  nicht  ganz  unbe- 
rücksichtigt bleiben  sollen,  besonders  da  Schriftsteller  späte- 
rer Zeit,  wie  überliaupt,  so  auch  in  dieser  Hinsicht  der  Dich- 
tersprache sich  zienilich  nähern,  und  wie  dem  Ilrn.  Verf.  wohl 
aus  eigner  Erfalirung  bekannt  seyn  wird,  selbst  reifere  Schü- 
ler noch  oft  in  dem  seltsamen  Wahne  stehen,  als  köjine  man 
sich  in  gebundenör  Itcde  jede  nur  beliebige  Stellung  der  W^örter 
gesetzlich  erlauben. 

Endlich  glauben  wir  aucli  wohl  noch  mit  Recht  hieher 
rechnen  zu  können  den  fi;cinz(icfie7i  Mafi^cl  einer  Jntei-piinclions^ 
lehre,  da  diese  gerade  hier  die  passendste  Stelle  gefunden  ha^ 
ben  würde.  Wir  wissen  recht  wolil,  dass  dieser  Vorwurf  kei- 
neswegs etwa  das  Werk  des  Hrn.  Verf.  allein  trifft,  sind  aber 
anderseits  aucli  eben  so  selir  überzeugt,  dass  eine  nähere  An- 
weisung darüber,  die  wenigstens  die  Hauptabweichungen  der 
lateinischen  Interpunction  von  der  deutscheu  angäbe,  für  jeden 
Schüler  sowohl,  so  wie  für  die  grosse  Zahl  der  Lehrer,  denen 
die  Correctnr  lateinischer  Ausarbeitungen  obliegt,  ein  wahres 
Bedürfniss  sey, 

Was  das  Einzelne  anlangt,  so  haben  wir  zwar  nur  Weniges 
ganz  übergangen  gefunden,  hätten  aber  in  niehrern  Fällen  grö- 
ssere Genauigkeit  und  Ausführlichkeit  gewünscht.  So  z.  B.  S. 
62(>f. ,  wo  die  Fälle  angegeben  werden,  in  Avelchen  das  Adje- 
«jtivum  i'or  und  in  welchen  es  nach  dem  Substantiv  zu  stellen 
sey.  Ohne  die  Sache  mit  lirödcr  von  der  Retonung  abhängig 
zu  machen,  giebt  der  Hr.  Verf.  den  Unterschied  richtig  so  an; 
das  den  JJuuptbegriß'  anthaltcnde  Wort  stehe  voran,  das  andre, 
ihn  näher  bestimmende  folge,  und  verhalte  sich  zum  erstem 
wie  die  Species  ztim  Genus.  Allein  er  will  diess  nur  von  solchen 
Adjectivis  gelten  lassen,  die  eine  Beschaßenheit  anzeigen;  und 
weiterhin  meint  er,  bisweilen  werde  der  Redende  durch  Um- 
stände bestimmt,  auf  das  Adjectivum  ein  stärkeres  Gewicht  zvi 
legen,  und  es  deswegen  seinem  Substantiv  vorzusetzen.  Wir 
verstehen  entweder  den  Hrn.  Verf.  nicht,  oder  beide  Beschrän- 
kungen der  Regel  sind  unnöthig.  Für  den  Fall  nämlich,  in 
welchem  sie  hier  in  Betracht  kommen,  zeigen  nach  unsrer  An- 
sicht alle  Adjectiva  eine  Beschaffenheit  an ,  und  findet  sich  der 
Hedeude  bewogen ,  auf  das  Adjectivum  ein  stärkeres  Gewicht 


Ranishorn:  Lateinische  GraramatiV.  2^0 

zu  leeren,  so  niaclit  er  es  eben  iladiircli  zum  ITaiipthenrriff,  der 
als  solcher  der  llejrcl  g^emäss  Aoranzustcllen  ist.  Wozu  also 
die  Bescliränkuiig,  die  das  aiisclieiiieud  zu  einer  Ausnahnio 
macht,  was  nur  richtige  Anvvendunji:  der  Rejrel  in  einem  beson- 
dern Falle  ist'f  Das  Einzige,  was  mit  einigem  Grunde  in  einer 
Anmerkung  bemerkt  Averden  konnte,  ist,  dass  manche  Verbin- 
dungen eines  Adjectivs  und  Substantivs,  die  durch  den  usus 
gleichsam  zu  einein  Worte  geworden  sind,  in  dieser  Bedeutung 
keine  Umstellung  mehr  zulassen,  z  li.  Bona  Dea^  mala  ras 
(üngliick,  Verderben),  bona  dkta  (Cic.  de  Orat.  2,  54)  u.  dgl., 
und  dass  vielsylbific  Adj;ctiva  mit  einsylbigen  Substantivis  ver- 
bunden, des  Wohllauts  wegen  stets  nachgestellt  werden,  wo- 
fern es  die  Verbindung  der  Begriife  nicht  dringend  anders  for- 
dert. 

Ebenso  konnte  über  die  Stellung  mancher  Partikeln ,  wie 
igihir  ^  ej'go,  itaqne ^  'praeter ea^  tarnen^  deinde  ii.  andre  etwas 
Genaueres  und  Bestimmteres  bemerkt  werden.  Es  geschieht 
ihrer  zwar  S.  fiSO  Erwähnung,  aber  nur  für  den  Fall,  wenn  sie 
zu  einem  auf  das  Vorhergehende  Bezug  habenden  Ilauptbegrilf 
gehören.  Billig  hätte  auch  erwähnt  werden  sollen,  dass  sie, 
Menn  kein  einzelnes  Wort  des  Satzes,  zu  dem  sie  geiiörcn,  her- 
vorgehoben wird,  immer  den  Satz  anfangen.  Auch  hat  der 
Hr.  Verf.  daselbst  bei  weitem  nicht  für  alle  Partikeln,  die  er 
anführt,  Beispiele  gegeben,  die  wir  docli  in  dem  einem  und  an- 
dern Falle  gern  nachgewiesen  gesehen  hätten.  So  heisst  es 
z.  B.  von  quoque^  es  folge  meist eni heil s  dein  auf  das  Vorher- 
gehende Bezug  habenden  Ilauptbegrilf,  ohne  dass  ein  Beispiel 
des  Gegentheils  angeführt  wäre.  Soviel  wir  uns  erinnern,  fin- 
det man  dergleichen  bei  neuern  Lateinsclireibern  freilich  genug, 
aber  wir  kennen  keine  Stelle  aus  den  Alten,  wo  quoqiie  nicht 
unmittelbar  auf  das  Wort  folgte,  das  dadurcli  hervorgehoben 
werden  soll.  Im  Gegentheil  müssen  sogar  andre  Partikeln  der 
Art,  wie  z.  B.  enim^  wenn  sie  mit  quoqiie  concurriren,  ihm  wei- 
chen; Liv.  30,  1:  ei  quoque  enini  procons?di  —  proroga- 
batur;  gerade  wie  quaeso  den  Hang  vor  inqnit  (Cic  Tusc.  I, 
4^,  102:  istis^  quaeso^  inqnit  etc.)  und  vor  einem  eingescho- 
benen Vocativ  hat  (Cic.  in  Verr.  A.  1,  10:  (^nid  est^  quaeso^  Me- 
telle^  etc.);  oder  wie  Conjunctionen,  wenn  sie  mit  llelativis  zu- 
sammentreffen den  letztern  weichen  müssen,  was  der  Hr.  Verf. 
unbemerkt  gelassen  hat.  Uebrigens  ist  noch  zu  bemerken,  dass 
bei  weitem  nicht  anfalle  frühere  Stellen  verwiesen  worden  ist, 
wo  schon  dergleichen  die  Wortstellung  betreffende  Bemerkun- 
gen gemacht  worden  waren,  was  um  so  nöthiger  war,  da  man 
alle  diese  Notizen  durchaus  hier  sucht,  und  manche  derselben, 
wie  z.  B.  die  über  die  Stellung  der  Präpositionen  §  ICl,  an  Stel- 
leu sich  finden,  wo  sie  niemand  leicht  suchen  dürfte. 

Der  dritte  und  letzte  Theil  der  Syntax,  §203—206  inclu». 


270  Römische  L  i  1 1  c  r  a  t  u  r. 

S.  653  —  715,  der  nach  der  frühem  Angabe  (s.  S.150)  von  un- 
gewöhtilichen  Constructiouen  odei'  von  dem  rechten  Gebrauche 
der  Figuren  handeln  sollte,  hat  liier  bei  der  Ausführung  selbst 
den  weit  umfassendem  Titel  ^J'eredkmg  des  Ausdrucks'-'-  er- 
halten und  ist  in  folgeiide  vier  Abschnitte  getheilt:  1)  Vertau- 
schung stärher  er  oder  feinerer  Ausdrücke  mit  schimchern  und 
gemeinern  §  2i)3  (was  eigentlich  wohl  das  Gegentheil  von  dem 
sagt,  was  der  Ilr.  Verf.  damit  sagen  wollte).  2)  Amplification 
des  Ausdrucks  ,  §  204.  3)  Kurze ,  §  205.  4)  Figur ae  synta- 
cticae ,  §  206. 

Ein  allgemeines  Urthcil  darüber  zu  fällen  ist  schwierig, 
weil  die  einzelnen  Abschnitte,  wenn  schon  alle  mit  Fleiss,  doch 
nach  sehr  verschiedenen  llücksichten  gearbeitet  und  wenigstens 
nach  unsrer Meinung  von  höchst  ungleichem  Werthe  sind.  Für 
gut  gearbeitet  halten  wir  den  zweiten  und  rf/Z/^ew  Abschnitt,  von 
Veredlung  des  Ausdruckes  durch  Antplijication  und  durch 
Kürze ;  weniger  befriedigt  hat  uns  die  Erörterung  der  Figu-' 
rae  syntacticae,  am  wenigsten  der  erste  Abschnitt  von  der  Ver- 
iauschung  des  Ausdruckes.  Zwar  enthält  auch  dieser  eine  Men- 
ge zuraTheii  guter  Bemerkungen;  allein  wir  halten  theils  schon 
den  Gesichtspunct,  von  dem  die  ganze  Beliandlung  ausgebt,  für 
unrichtig ,  theils  scheint  uns  die  Darstellung  für  den  Zweck 
gründlicher  Belehrung  bei  weitem  nicht  genug  geeignet.  Die 
Absicht  des  Hrn.  Verf.  war  ohne  Zweifel,  in  diesem  Abschnitte 
eine  Anleitung  zu  der  im  engem  Sinne  sogenannten  Eleganz  des 
Ausdruckes  zu  geben,  oder  wie  er  es  selbst  in  der  kurzen  Ein- 
leitung nennt,  zu  dem  geiüählteren  Ausdrucke ^  den  er  ebenda- 
selbst von  der  Sprache  des  gemeinen  Homers  und  Landmanns 
unterscheidet.  Aliein  wenn  man  diese  schon  oben  wörtlich  an- 
geführte Einleitung  mit  der  im  Abschnitt  selbst  gegebnen  Aus- 
führung vergleicht,  so  sieht  man  leiclit,  dass  der  Hr.  Verf. 
von  jener  Eleganz  des  Ausdrucks,  die  er  hier  lehren  will,  sich 
keinen  völlig  klaren  Begrilf  gemacht,  oder  denselben  wenig- 
stens nicht  festgehalten  habe.  Der  Einleitung  zufolge  näm- 
lich versteht  er  offenbar  unter  dem  gewählteren  Ausdruck  die 
Summe  von  Wörtern  und  Redeweisen,  die  in  der  Sprache  übrig 
bleiben,  wenn  man  diejenigen  Formeln  ausscheidet,  die  nur  in 
der  Sprache  des  gemeinen  Lebens  vorkommen.  Die  beste  und 
2vveckmässigste  Anleitung,  diesen  gewähltem  Ausdruck  kenneu 
zu  lehren,  wäre  uns  offenbar  die  Angabc  gewesen,  Melches  jene 
gemeinen  Formeinseyen,  deren  man  sich  in  einer  edlern  Sprache 
nicht  bedienen  dürfe.  Allein  diess  geschieht  nun  in  dem  Fol- 
genden keineswegs,  und  konnte  auch  nicht  geschehen,  da  wir 
jene  unedlere  Sprache  des  gemeinen  Homers  und  Landmanns 
so  gut  als  nicht  kennen,  sondern  der  Ilr.  Verf.,  den  Begriff 
Eleganz  jetzt  auf  einmal  ganz  ajulers  auffassend,  erklärt  nun  je- 
ueu  gewähltem  Ausdruck  für  den,  deu  mau  gewinne,  wenn 


llamshorn:  Lateinische  Grnmmatllr.  271 

man  statt  scliwäclierer  und  gemeinerer  stärkere  und  feinere  Aus- 
drucke brauche,  uas  offenbar  wenigstens  eine  Eleganz  ganz 
anderer  Art  ist,  als  die  in  jener  Einleitung  angedeutete. 

Allein  auch  abgesehen  von  dieser  plötzlichen  Hegriffsver- 
tauscluing,  können  wir  auch  ausserdem  uns  weder  mit  der  An- 
sicht belreundcn,  die  der  Hr.  Verf.  an  diesem  zweiten  Orte  von 
dem  Wesen  jenes  gewäJilteren  Ausdruckes  aufstellt,  noch  mit 
der  Art  luid  Weise,  wie  er  denselben  in  den  gegebenen  einzel- 
neu Bestimmungen  lelirt,  zumal  da  man  bei  denselben  nicht  sel- 
ten auch  noch  die  tiefere  Auflassung  und  Gründlichkeit  vermisst, 
die   sich   anderwärts  im  Werke  des  iirn.  Veif.  findet. 

Was  imn  das  Erstere,  d.  li.  die  von  dem  Wesen  des  ge- 
wählteren Ausdruckes  gegebne  Bestimmung  und  Erklärung  an- 
langt, so  ist  sie  schon  der  Form  nach  zu  tadeln.  Der  Ilr.  Verf. 
spricht  durchgehends  von  einer  Vertausrhung  des  Ausdruckes. 
Allein  der  gebildete  Römer,  von  dessen  Sprache  jener  gewähl- 
tere Ausdruck  prädicirt  wird,  formte  seine  Gedanken  gewiss 
nicht  erst  in  schlechtere  und  gemeinere  Fonueln,  sondern 
brauchte  gleich  anfängliciijene  gewähltem  Ausdriicke,  und  hatte 
also  nicht  erst  nöthig,  eine  Vertauscliuiig  vorzunehmen.  Allein 
noch  weniger  können  wir  das  Wesen  jenes  gewählteren  Aus- 
druckes selbst  darin  finden,  worein  es  vom  Ilrn.  Verf.  gesetzt 
wird.  Wie  man  nämlich  aus  den  nähern  Angaben  desselben 
ersieht,  so  reducirt  sich  im  Allgemeinen  alles  darauf,  dass  er 
minder  geuwhidiche  und  namentlich  sogenannte  uneigentliche 
Ausdrücke  als  die  gewählteren^  die  überhaupt  iiblichen^  allen 
ettvaigen  Schmuck  der  Fonn ,  durch  Bild  oder  kühnere  Auf- 
fassung entbehrenden  aber  als  die  gemeinem  betrachtet.  Allein 
darin  besteht  das  Wesen  des  gewählten  Ausdrucks  gewiss  nicht, 
denn  wenn  es  darauf  ankäme,  sich  überall  wo  möglich  solcher 
exquisiten  Wörter  und  Formeln  zu  bedienen,  so  müsste  man  in 
den  Schriften  vieler  neuern  Lateiner  den  Vorzug  jener  Eleganz 
des  Ausdrucks  in  einem  Grade  antreffen,  wie  er  bei  keinem  alt- 
römischen Schriftsteller  sich  fände;  und  in  der  deutschen  Lit- 
teratur  müsstenlloffmannswaldau  und  Lohenstein  in  dieser  Hin- 
sicht völlig  unerreichbare  Muster  seyn.  Die  Eleganz  des  Aus- 
druckes, von  welcher  hier  die  Rede  ist,  besteht  vielmehr  darin, 
dass  derselbe  immer  ^itx natürlichste^  richtigste^trejj'endsie^  und 
exquisit  mc\ii  deshalb  sey,  well  man  etwa  im  ganzen  Sprach- 
schatze darüber  habe  nachsuchen  müssen  ,  sondern  weil  er  un- 
ter allen  andern,  die  etwa  auch  hätten  gewählt  werden  können, 
üer  passendste  ist.  Vergl.  Cic.  Brut.  7ö  §  12«),  wo  ein  mit  un- 
srer  eben  ausgesprochnen  Behauptung  in  Jiaher  Beziehung  ste- 
hendes Urtheil  über  Cäsars  Commentarii  gefällt  wird,  und  be- 
sonders Reinhards  Geständnisse  S.  52 ff.,  wo  ungemein  viel  Be- 
herzignngswerthes  über  diesen  Gegen^^tand  sich  findet.  Wir 
sind  nun  zwar  überzeugt,  dass  der  Ilr.  Verf.  im  Ganzen  ge- 


272  Rr» mische  LItteratur. 

nommcn  derselben  Meinung  sey  und  namentlich  die  ron  ihiri 
als  gewähltere  Ansdriicke  bezeichneten  Wörter  und  Redensar- 
ten nicht  im  Uebermaass  und  an  unpassenden  Orten  werde  ge- 
braucht wissen  w ollen ;  allein  dicss  crgiebt  sich  nur  nicht  aus 
seiner  Darstelhmg,  die  hierüber  nur  wenige  und  dem  Schüler 
kaum  verständliche  Winke  enthält.  Und  diess  ist  eben  das 
Zweite,  was  wir  an  dem  Al)schnift  auszusetzen  haben.  Der 
Ilr.  Verf.  nämlich  zählt  jene  gewähltem  Ausdrücke  und  Hede- 
weisen  in  4  Classen  auf,  Snbslanliva^  Adjectiva^  Veiba  und 
Adcerbia;  aber  meist  ohne  bestimmte  und  näliere  Angabe,  wo, 
wann  und  wie  man  sie  brauchen  solle.  Allein  diese  Angabe  ist 
gerade  die  Hauptsache  und  am  nöthigsten  für  den  Schüler, 
wenn  er  a»is  dem  (jJanzen  überhaupt  etwas  lernen,  und  nicht 
etwa  gar  auf  die  Irrwege  derZiererej  geleitet  werden  soll;  was 
bei  jungen  Leuten  der  Art,  für  welche  das  Werk  bestimmt  ist, 
schon  an  sich  sehr  leicht  möglich,  und  um  so  mehr  zu  be- 
fürchten ist,  wenn,  wie  hier  geschieht ,  die  allgemein  üblich- 
sten, durch  die  ganze  gute  Prosa  verbreiteten  Wörter  und  Re- 
densarten mit  dem  schiefen  Ausdruck  ^^f^cmeine'-'-  bezeichnet, 
und  wirklich  gemeinere  dagegen  zuweilen  gar  als  die  gewähl- 
teren und  edleren  angeführt  werden.  Ein  aufialliges  Beispiel 
zum  Beweise  für  diese  letzte  Behauptung  findet  sich  S.C()0,  wo 
sexcenti  für  gewählter  als  permuUl  erklärt  wird.  Die  Sache  ist 
hier  gerade  umgekehrt;  denn  sexcenti  in  diesem  Sinne  kommt 
meist  nur  in  der  familiären  Sprache  vor,  und  wenn  es  ander- 
Avärts  steht,  so  ist  es  keineswegs  etwa  würdevoller  Ausdruck, 
sondern  Zeichen  einer  gewissen  Heftigkeit  uml  Indignation.  Wo 
die  Sache  selbst  Ernst  und  Würde  verlangt,  kann  es  durchaus 
nicht  stehn,  und  Sätze,  wie  z.  B.  sexcenti  sunt  ad  mortem 
aditus^  MÜrde  dem  Gefühl  eines  gebildeten  Römers,  der  es 
hörte  nicht  viel  weniger  anstössig  seyn,  als  uns,  wenn  jemand, 
im  Deutschen  sagte:  es  gicbt  einen  ganzen  Haufen  iVege  zum 
Tode.  Was  den  dritten  und  letzten  Vorwurf,  den  Mangel  an 
tieferer  Autfassung  und  Gründlichkeit  anlangt,  so  zeigt  sich  die- 
ser vorzüglich  darin,  dass  eine  Menge  Bestimmungen  keines- 
weges  auf  (ixe,  Natur  des  Lateinischen,  sondern  lediglich  auf 
die  Form  sich  stützen,  welche  wir  etwa  bei  der  deutschen  Ue- 
hersetzimg  der  betreifenden  Stellen  brauchen  würden  und  könn- 
ten. So  heisst  es  z.  B.  S.  (5(1911'.,  Verba  stünden  für  Substantiva, 
umschreibend,  bald  für  nicht  vorhandene  (?),  bald  für  gemei- 
nere; ferner  für  Adjectiva,  für  Adverbia,  und  Participia  für 
Präpositionen.  Betrachtet  nian  nun  aber  die  dafür  gegebnen 
Beispiele,  wie  Cic.  Otf.  ],  4:  Natura  ralioque  cavet^  ne  quid 
ijidecore  efjeminatefjue  faciat  (d.h.  nach  des  Hrn. 
Verf.  Uebersetzung:  „der  Mensch  als  vernünftiges  Wesen  ver- 
meidet alles  U ns cid cli liehe  und  Unmännliche  in  seinem  Betra- 
gen"), Cic.  Aead.  2^  12:    Nihil  agens  animal  ne  cogitari 


Uainähorn  :   Latbiiiisclic  Graniinatik.  273 

quidem  potesl  (<1.  h.  ist  imdeiikha?') ^  Quam  maxime  pos- 
sum  (d.  h.  möglichst),  iridno  iiderniisso  (d.li.  nach  dreiTufj^eii); 
so  Avürdc  jeder,  der  nicht  gerade  Deutscli  verstände  und  jene 
Beliaiiptiingen  in  seine  Sprache  übersetzt  läse,  gar  niciit  bc- 
grcii'en  können,  Avie  man  so  etwas  beliauplen  könne;  so  wie  der 
Hr.  Verf.  selbst,  wenn  er  sein  Werk  lateinisch  geschrieben  hätte, 
solche  I]eisj)icle,  wie  jene  drei  ersten  von  den  obigen  sind,  durch- 
aus gar  nicht  hätte  anfuhren  können.  Und  dergleichen  Bestira- 
mungea  linden  sich  gar  nicht  selten;  s.  z.  B.  S.  GßO,  wo  die  An- 
gabe, Casus  stünden  im  gewählteren  Ausdruck  für  andre,  auch 
nur  dann  erst  begreiflich  wird,  w'cnn  man  die  latein.  Beispiele 
ins  Deutsche  übersetzt;  oderS.  (>01  f.,  wo  mit  ähnlicher  Beweis- 
führung gelelirt  wird,  dass  Substantiva  für  Adjectiva  stünden, 
eine  Angabe,  die  mit  dem,  was  S.  6GT  in  entgegengesetzter 
Weise  von  Adjectivis  behauptet  wird,  noch  dazu  in  einer  Art 
Widerspruch  steht,  woran  Schüler  wenigstens  leicht  Anstoss 
nehmen  dürften.  Nach  unsrer  Ansicht  kann  durch  alle  der- 
gleichen nach  blosser  Vergleichung  des  einzelnen  deutschen 
Ausdrucks  gemachten  Bemerkungen  die  Kenntniss  der  latein. 
Gramm,  nicht  gründlich  gefördert  werden,  eben  weil  sie  sich  blos 
auf  den  Gebrauch  einzelner  Wörter  gründen,  in  wie  fern  im 
Lateinischen  gerade  ein  Substantiv  oder  Adjectiv  u.  s.  w.  steht, 
wo  der  Deutsche  sicli  umgekehrt  eines  Adjectivs  oder  Substan- 
tivs u.  s.  w.  bedient,  blos  weil  das  eine  oder  das  andre  bei  dem 
hetreffenden  Begriffe  gerade  gebräuchlicli  oder  ungebräuclilich 
ist.  Dergleichen  Einzelheiten  gehören  ins  Lexicon,  oder  höch- 
stens in  Anleitungeji  zum  Uebersetzen.  Will  dagegen  die  Gram- 
matik selbst  solche  vergleichende  Bemerkungen  geben,  so  müs- 
sen sie  durchaus  ganze  Classcn  von  Wörtern  umfassen,  so  dass 
im  Allgemeinen  bestimmt  und  nachgewiesen  wird ,  in  wie  weit 
der  Umfang  des  Gebrauchs  eines  Redetheils  und  seiner  etwai- 
gen besondern  Formen  im  Lateinischen  verschieden  ist  von  dem 
im  Deutschen.  Weit  näher  dagegen  läge  es  dem  Zwecke  einer 
für  weiter  vorgeschrittene  Schüler  bestimmten  latein.  Gram- 
matik ,  Bemerkungen  Viber  die  Verschiedenheit  des  latein.  Aus- 
drucks in  den  veischiednen  Zeitaltern  der  Sprache,  und  über 
die  vielen  Barbarismen  zu  geben ,  welche  sich  nach  und  nach 
in  die  Latinität  der  neuern  Zeit  eingeschlichen  und  zum  Theil 
selbst  einen  Schein  guter  Auctorität  gewonnen  haben. 

Eben  so  hat  uns  der  Abschnitt  über  die  syntactischen  Figu- 
ren^ §  2üf),  nicht  eben  befriedigt.  Er  ist  zwar  mit  vielem  Fleiss 
und  grosser  Gelehrsamkeit  gearbeitet;  allein  nach  unsrer  Mei- 
nung scheint  der  Ilr.  Verf.  dieser  ganzen  Lehre  zu  viel  Wich- 
tigkeit beigelegt  und  verhältni?:3mässig  zu  viel  Sorgfalt  gewid- 
met zu  haben.  Das  Meiste  derselben  liätte  sich,  wie  schon 
die  vom  Hrn. Verf.  gegebnen  Verweisungen  zeigen,  anderwärts 
einordnen  lassen,  so  dass  dann  nur  noch  die  von  der  eigentlichen 

Jahrb.f.  Phil.  u.Pädafi:.  Jahrg.  \n.  Heft  7.  1^ 


274  BöiuiHche    Lttteratur. 

Syntax  freilich  auszuschliessenden  Sprachidiomata ,  wie  Ple- 
onastm/s^  Ellipse^  Anacoluthon,  Aitraction  und  dergleichen 
wichtigere  Lehren,  besonders  zu  eriäiitern  waren,  welche  dann 
auch  iiocli  etwas  ausfiilirliclier  und  umfassender,  als  liier  ge- 
schehen ist,  hätten  behandelt  werden  können.  Alles  Uebrige 
aber,  namentlich  die  ganze  Zahl  der  Figuren,  die  sich  auf  eine 
in  der  Regel  nur  vermeintliche  Vertuuschung  der  Redetheile 
und  ihrer  besondern  Formen  beziehen,  hätten  sich  billig  mit 
ganz  kurzer  und  mehr  historischer  Erwähnung  abfertigen  las- 
sen; denn,  näher  betrachtet,  kann  das  Meiste,  was  sonst  dar- 
über mit  ebenso  grosser  Spitzfundigkeit  alsAusfiihrlichkeit  ge- 
lehrt wurde,  bei  dem  jetzigen  Standpunct  der  Wissenschaft  doch 
für  weiter  nichts  gelten,  als  für  eine,  zum  grossen  Theil  selbst 
sehr  verworrene,  grammatische  Dogiriengeschichle ^  deren  Stu- 
dium gewiss  niemanden  zu  einem  gründlichen  Sprachkenner  bil- 
den kann,  wohl  aber  von  jeher  die  armen  Schüler  vielfach 
und  schwer  geplagt  und  selbst  oft  bessern  Köpfen  alle  Lust 
und  Liebe  zu  emsiger  Erlernung  der  alten  Sprachen  verlei- 
det hat. 

Prosodik  imd  Met?ik ,  §  208  —  222,  sind  beide  ziemlich 
genau  und  ausführlich  behandelt,  nur  scheint  uns  die  letztere 
nicht  so  klar  und  fasslich  genug,  wie  sie  es  für  Schüler  seyn 
Rollte. 

Doch  es  ist  Zeit,  zum  Ende  zu  kommen.  Wir  erwähnen 
daher  nur  noch  die  äussere  Ausstattung  des  Bnches  anlangend, 
dass  der  Druck  im  Ganzen  nicht  übel  und  ziemlich  correct  *), 
das  Papier  aber  zu  grau,  so  wie  der  Preis  fiir  ein  Werk,  das 
einen  so  bedeutenden  Absatz  erwarten  liess,  als  dieses,  zu  hoch 
seyj  und  schliessen  mit  dem  Wunsche,  dass  der  hochgeschätzte 


*)  Erheblichere,  in  den  F^erbesserungen  niclit  erwähnte  Fehler 
bemerken  wir  folgende:  S.  5  Z.  8  v.  n.  lies  Cafu  für  Cado ,  S.  228 
Z.  10  v.u.  1.  120,  2.  f.  119,  2.,  S.  262  Z.  18  1.  Cumparatlo  f.  Cum- 
parativus  y  S.  288  ist  in  den  Bemerkungen  des  untern  Randes  Unord- 
nung in  den  letzten  Verweisungsbuchstaben,  S.  298  Z.  12  1.  11.  f.  2.  S. 
MilZ.12v.  u.  geben  die  Worte  „of/t/- folgenden  Stelle  "•  keinen  Sinn. 
S.  347  fehlt  in  den  INoten  des  untern  Randes  die  zu  i\  gehörende  Be- 
uierkung.  S  400  f.  steht  das  aus  Liv.  36 ,  34  citirte  Beispiel  zweimal. 
S.  403  Z.  19  felilt  po.sl  nach  paulo.  S.  406  Z.  7  v.  u.  1.  adprlme  f. 
adprime.  S.  530  Z.  12  v.u.  1.  i^ontw/ra  i.idonei,  S.  549  Z.  2  Cansii 
f.  Crassi,  S.  554  Z.  4  v.u.  consulendiuni.  cosulendum,  S.  593  Z.  13 
Themintocleo  f.  Themistocles ,  S.  596  Z.  3  des  untern  Randes  iV;  25, 
13,  6.  f. 25,  13,  1.  S.Gll  Z.  1  re  f.  se ,  S.  612  Z.  17  v.u.  somnum  f. 
somnium,  S.  628  Z,  11  v.  u.  läacus  f.  Hiadvs ,  S.679  Z.  6  v.u.  6«- 
pientia  f.  eloquentia,  S.696  Z.14  v.u.  alütudo  f.  alitudo,  S.789  Z.12 
r.  u.  duo  f.  dicü. 


Tic,  Oratt.  pro  Plane,  pro  Mil.,  pro  Lig.et  pro  Dcjot.  Edid.  Wernsdorf.  215 

rir.  Verf.  unsere  Aiisstellungen  mit  ebenso  unbefangener  und 
wohlmeinender  Gesinnung  aufnehmen  möge,  als  wir  sie  ge- 
macht Iiabcn. 

Grimma.  M.  Ho  ff  mann. 


M.  T.Cicer onis  OratioJies  pro  Platicio^  pro  Milone, 
pro  Ligario^i  et  pro  Rege  Dejotar o.  Textum  recen- 
suit  et  subjecta  lectionis  varietate  iiotis  criticis  instruxit  Gregoriua 
Gottlieb  PVernsdorf.  Jenae  apud  Frid.  Frornmann.  1828.  \1II 
und  272  S.  gr.  8.  1  Thlr.  öGr. 

Atei  der  überaus  gi'ossen  Anzahl  von  Ausgaben,  in  Melchen  die 
Werke  des  griechischen  und  römischen  Alterthiims  immer  wie- 
der abgedruckt  erscheinen,  ist  es  in  der  Tliat  Pflicht  der  litte- 
rärischen  Zeitschriften,  über  jeden  neuen  Abdruck  ein  rücksichts- 
loses und  gewissenhaftes  ürtheil  zu  fällen,  damit  die  Freunde 
der  alten  Litteratur  in  den  Stand  gesetzt  werden,  den  Werth 
oder  Unwerth  solcher  Ausgaben  kennen  zu  lernen,  bevor  sie  sich 
mit  kostspieligem  Aufwände  unnütze  Bücher  anschaffen.  Aus 
diesem  Grunde  erklären  wir  unverholen,  dass  die  vorliegende  Aus- 
gabe, deren  Beurtheilung  uns  übertragen  worden  ist,  durchaus 
denjenigen  entbehrlich  ist,  welche  im  Besitz  der  Orellischen 
sind.  Denn  erstlich  ist  der  Text  der  vier  Beden  im  Wesentli- 
chen ganz  derselbe,  wie  ihn  bereits  Orel  li  gestaltet  hat.  Die 
wenigen  Abweichungen  sind  meistentheils  von  der  Art,  dass  wir 
wünschen  müssen,  Hr.  Werjisdorf  möchte  lieber  Hrn.  O  r  e  1 1  i 
gefolgt  seyn.  Zweitens  sind  die  kritischen  Noten  fast  von  gar 
keinem  Werthe.  Nirgends  finden  wir  eine  schwierige  Stelle  so 
erklärt  oder  verbessert,  dass  wir  dem  Hrn.  Verfasser  unsere 
Zustimmung  geben  könnten.  Vielmehr  vermissen  wir  überall 
Schärfe  des  ürtheils  und  umfassende  Kenntniss  des  Sprachge- 
brauchs. Da  wir  die  Gränzen  der  Recension  bei  w  eitern  über- 
schreiten würden,  wenn  wir  alle  Fehlgriffe  und  Irrthümer,  die 
sich  FIr.  Wernsdorf  in  den  Noten  zu  den  vier  genannten  Reden 
nach  unserer  Meinung  hat  zu  Schulden  kommen  lassen,  darlegen 
wollten,  so  begnügen  wir  uns  mit  einer  Prüfung  der  Bemerkun- 
gen ,  welche  der  Hr.  Herausgeber  zur  Rede  pro  Plancio  ^  die 
den  Anfang  macht,  geschrieben  hat.  Die  übrigen  Anmerkun- 
gen, welche  von  gleichem  Werthe  sind,  mögen  andere  Zeit- 
schriften einer  Beurtlieilung  unterwerfen. 

Dem  Texte  der  Planciana  ist  das  Schützische  Summa- 
rium  unverändert  vorgedruckt  worden,  was  wir  um  so  mehr 
missbilligen  müssen,  je  leichter  die  Fehler,  welche  Schütz 
in  demselben  begangen,  aus  dem  Gar  atonisch  en  Commen- 

18* 


276  Rümlsche  liltteratur. 

tar  Verbessert  werden  konnten.  Ilr.  Wernsdorf  hat  selbst 
diese  kleine  Mühe  gescheut.  Die  kritischen  Noten  zur  Planciana 
füllen  die  Seiten  115 — 197.  In  denselben  tadeln  wir  zuför- 
derst diess,  dass  weder  die  von  uns  bekannt  gemachten  Lesar- 
ten des  Erfurter  Codex,  nocli  die  guten  Bemerkungen  Bake's 
in  der  Biblioth.  Crit.  Nov.  Vol.  III  S.  57  — 88  berücksichtigt 
worden  sind.  Wäre  diess  gescheiten,  so  würde  wahrscheinlich 
Hr.  Wernsdorf  manchen  Fehler  vermieden  haben.  Doch  darf 
ihm  diess  vielleicht  nicht  zur  Schuld  angerechnet  werden,  wejin 
der  Commentar  früher  gedruckt  worden  ist,  als  jene  Bücher 
erschienen  sind ,  obschon  die  Vorrede  erst  im  Februar  dieses 
Jahres  geschrieben  worden  ist.  An  der  Wichtigkeit  der  Erf. 
Handschrift  wird  wolil  aber  Niemand  zweifeln,  wenn  wir  den 
unwissenden  Recensenten  ausnehmen,  welcher  in  der  Darmst. 
Schulzeitung.  1827,  9s  Heft  Sept.  S.  380  fgg.  denWerth  jener 
Handschrift  desswegen  für  gering  hält,  weil  sie  nicht  selten 
die  Worte  in  einer  andern  Ordining  schreibe,  als  man  sie  in 
den  übrigen  bekannten  Handschriften  geschrieben  finde.  Diese 
Abweichung  soll  ein  deutlicher  Beweis  seyn,  dass  der  Verf. 
des  Erf.  Codex  sich  eigenmächtige  Aenderuugen  erlaubt  habe. 
Hier  hat  sich  aber  jener  llecensent  in  doppelter  Hinsicht  als  höchst 
unwissend  gezeigt.  Denn  erstlich  stimmen  in  allen  jenen  Stellen, 
die  der  Recensent  angeführt  hat ,  auch  andere  Handschriften 
mit  der  Erf.  in  der  Wortsetzung  überein,  und  zwar  solche,  die 
offenbar  nicht  aus  der  Erf.  abgeschrieben  worden  sind.  Zwei- 
tens kann  die  fehlerhafte  Wortstellung  nimmermehr  einen 
Beweis  von  derWillkühr  des  Abschreibers,  mit  der  er  sichAen- 
derungen  erlaubt  habe,  abgeben,  sondern  lediglich  eine  Ge- 
schwindigkeit beim  Abschreiben  und  eine  gewisse  Unaufmerk- 
samkeit verrathen.  Wenn  übrigens  jener  Recensent,  der  frei- 
licli  nur  den  zelinten  Theil  unserer  Vorrede  zu  den  Varr.  Lectt. 
ex  cod.  Erf.  enot.  und  von  den  Varianten  selbst  den  allerge- 
ringsten Theil  einer  Beachtung  gewürdigt  hat,  sich  genauer  mit 
den  Abweichungen  der  Erf.  H,  in  der  Wortstellung  von  den 
bisherigen  Ausgaben  bekannt  gemacht  Iiätte ,  so  würde  er  ge- 
sehen haben,  dass  sie  fast  durchgehends  in  diesem  Puncte  mit 
den  ältesten  und  besten  Handschriften  übereinstimmt.  Endlich 
behaupten  wir,  dass  noch  eine  grosse  Anzahl  von  Handschrif- 
ten hierin  mit  der  Erf.  übereinstimmend  befunden  werden  wür- 
den ,  wenn  man  sie  genauer  als  bis  jetzt  geschehen  vergliche. 
Denn  gemeiniglich  hat  man  diese  Abweichung  aus  den  Hand- 
schriften gar  nicht  angemerkt.  Doch  wozu  ist  es  nöthig,  eine 
gehaltlose  Behauptung  eines  unwissenden  Recensenten  zu  wider- 
legen'? Nur  die  einzige  Bemerkung  erlauben  wir  uns  noch,  dass 
die  Schreibart  quoniam  in  den  letzten  Büchern  der  Epp.  adDiv., 
welche  die  Erf.  II.  statt  der  bisherigen  fehlerhaften  quum  und 
quando  darbietet,  als  die  einzig  richtige  auch  durch  die  älteste 


Cic.Oratt.  pro  l'Iiiiic.,  pr»  Mil.,  pro  Lig^.  et  pro  Dejot.  Edid.  Wcrnsdorf.  271 

Mediccisclie  Handschrift  der  Lorenz -Bibliothek  zu  Florenz, 
wie  Avir  von  Hrn.  Prof.  Orel  li  erfahren  liahen,  durchaus  bc;- 
stätigt  worden  ist,  so  wie  dieselbe  unsere  in  den  übrigen  Bü- 
chern, welche  die  Erf.  H.  nicht  enthält,  vorgeschlagenen  Ver- 
änderungen als  richtig  anerkennt.  Es  ist  diess  ein  neuer  Beweis 
von  der  Güte  und  dem  Werthe  der  Erf.  Ilandsclirift. 

Wir  wenden  uns  nun  auf  den  kritischen  (-ommcntar  zur 
Planciana.  Leider  haben  wir  hier  unter  den  vier  und  vierzig 
Bemerkungen,  die  er  enthält,  nur  zwei  Bern,  gefunden,  in  denen 
Hr.  Wernsdorf  seine  Vorgänger  wirklich  bcriolitigt  hat. 
Von  den  übrigen  zwei  und  vierzig  enthalten  noch  fünfe  etwas 
Wahres,  das  aber  schon  von  Andern  bemerkt  worden  ist,  viere 
Iheils  Wahres  theils  Falsches,  die  übrigen  drei  und  dreissig 
aber  durchaus  Irrthümer  und  FehlgrilTe.  Um  die  Wahrheit  un- 
seres Urtheils  zu  bekräftigen,  wollen  wir  hier  die  sämmtlichen 
Irrthümer  angeben ,  wodurch  wir  uns  zugleich  des  unangeneh- 
men Geschäfts  überheben,  in  unserem  schon  seit  einem  hal- 
ben Jahre  vollendeten  Commentar  zu  dieser  Rede  nachträglich 
die  Wernsdorf  sehen  Bemerkungen  zu  widerlegen.  Uebri- 
gens  Averden  wir  in  derselben  Ordnung  über  die  Bemerkungen 
Hrn.  Wernsdorfs  unser  Urtheil  fällen,  in  welcher  sie  geschrie- 
ben sind,  ohne  irgend  eine  mit  Stillschweigen  zu  übergehen. 

Gleich  in  der  ersten  Note  zu  Cap.  3,  vel  quod  multo  etiam 
minus  est^  thut  Hr.  W.  Hrn.  Prof.  Orelli  Unrecht,  indem  er 
sagt,  dass  dieser  mit  dem  Uebersetzer  W  o  1  f  f  vel  in  der  Bedeu- 
tung sogar  genommen  habe.  Allein  Orelli  hat  diese  Stelle 
schon  ganz  richtig  erklärt  und  vel.,  wie  es  Hr.  W.  thut,  in  der 
Bedeutung  oder  genommen.  Dagegen  sieht  man  aus  der  intcr- 
punction,  die  in  dem  W  ernsd  orf  sehen  Texte  stattfindet, 
dass  Hr.  W.  die  Stelle  nicht  richtig  aufgefasst  hat.  Denn  nach 
ferendum  kann  nimmermehr  ein  Pimct  stehen ,  den  Hr.  W.  ge- 
setzt hat,  da  das  Folgende  die  Erklärung  von  dem  vorherge- 
henden quod  enthält.  —  Cap.  4  §10  schreiben  die  besten  Hand- 
schriften, die Baiersche  und  Erfurter,  also:  eos,  qui suffragiuvi 
ferant^  quid  cuique  ipsidebewd^  considerare  saepius ^  quam 
quid  cuique  a  re  publica  debeatur.  Die  übrigen  bei  weitem 
schlechteren  haben  für  cuique  vor  ipsi  die  Partikel  denique. 
Graeve,  Garatoni  und  Orelli  waren  natürlich  den  guten 
Handsch.  gefolgt.  Dagegen  bemerkt  Hr.  Wernsdorf:  „Valde 
verisimile  est ,  cuique  glossam  esse  alterius  germanae  lectionis 
denique^  quod  saepe  significat  höchstens.  proR.  Am.  87:  nonne 
satis  fuit ,  hie  gratias  agi  ?  denique ,  ut  perlibernliter  ageretur^ 
honoris  aliquid  haberi?  War  es  nicht  genug.,  zu  danken  ?  höch- 
stens wenn  man  sehr  gütig  sein  toollte^  eine  Ehre  an%uthu7i? 
Verr.  IV,23  deEpicrate,  qui^  atitequam  in  ius  aditum  esset^ 
antequam  denique  mentio  contraversiae  facta  esset.,  discessisset. 
Weil  er.,  ehe  der  Process  angegangen ,  ja  gar ,  ehe  irgend  eine 


278  Römische  Litteratur. 

Erwähnung  der  Streitigkeit  geschehen  war.  pro  Quinct.  1(T.  19. 
21.  Verr.  4,  51.  69.  üt  sensus  hie  esse  \ideatur,  quoiiiain 
denique  liempeT  si^niücat  ad  8ummum^  omnino^  höchstens^  ut 
quodainraodo  vim  enumerandi  retineat;  qimra  multa  alia  prius 
V.  c.  quid  cuiqiie  res  publica  debeat,  considerare  debeant,  quid 
denique  ipsi  debeant,  consideraut,  i.e.  sie  frageji  nur  höchstens^ 
was  sie  für  ihre  Persone/i  etc."  Beim  ersten  Anblick  kann  es 
allerdings  scheinen,  als  wenn  die  Lesart  denique  der  andern 
cuique  vorzuziehen  wäre,  und  zwar  aus  dem,  von  Hrn.  Wernsd. 
nicht  angegebenen,  Grunde,  \\^i\  quid  denique  \.^\c\\i^v  m  quid 
cuique.,  als  quid  cuique  in  quid  denique  dem  Anschein  nach  von 
den  Abschreibern  umgewandelt  werden  konnte.  Denn  es  brauchte 
nur  der  eine  d  Buchstabe  weggelassen  zu  werden,  und  es  war 
nichts  natiirlicher,  als  dass  enique  in  cuique  überging.  Wir 
würden  daher  unbedingt  der  Lesart  quid  denique  den  Vorzug 
geben,  Menn  sie  nur  im  Mindesten  einen  erträglichen  Sinn  gäbe. 
Diess  ist  aber  nicht  der  Fall.  Erstlich  irrt  Hr.  Wernsdorf, 
odervielmehr  TurseUinus  de  Part.  S.  230  ig.,  aus  welchem 
Hr.  Wernsdorf  nicht  bloss  die  Beweis.<tellen  für  denique  in  der 
angegebenen  Bedeutung,  sondern  sogur  die  Uebersetzung  ent- 
nommen hat,  wenn  er  der  Partikel  denique  die  Bedeutung  höch- 
stens zuschreibt.  Sie  hat  in  den  angeführten  Stellen  durchaus 
nur  die  Bedeutung  j«.  Woher  sie  diese  erlangt  hat,  ist  auch 
leicht  einzusehen.  Bei  Aufzählung  mehrerer  Dinge  geschieht 
es  häufig,  dass  man  dasjenige  zuletzt,  ^\»o  \ov  denique .,  stellt, 
was  das  Wichtigste  oder  Hauptsächlichste  ist.  In  diesem  Falle 
pflegen  wir  in  der  Regel  ja  oder  kurz^  der  Lateiner  denique  zu 
sagen.  Z.B.  senatus.,ordo  equester^  denique  omnis  civitas.  El)en 
djiese  Bedeutung  ist  auch  der  Stelle  in  pro  11.  Am.  c.  37  angemes- 
sen, sobald  man  nur  die  Worte,  Avelche  unmittelbar  neben  einan- 
der stehen,  genau  mit  einander  verbindet,  wir  meinen  die  Worte 
denique  ut  perliber  aliter  ageretm\  in  dem  Sinne :  ja  um  sehr  gü- 
tig zu  seyn  u.  s.  w.  Doch  läugnen  wir  nicht,  dass  vielleicht  in  dieser 
Stelle  deniqtie  riclitiger  so  aufgefasst  wird,  im  letzten.,  im  äusser- 
sten  Falle.  Zugegeben  aber,  dass  denique  die  Bedeutung  höchstens 
habe,  so  ist  doch  so  viel  unumstösslich  gewiss,  dass  diese  in 
der  bestrittenen  Stelle  in  der  Planciana  durchaus  nicht  stattfin- 
den kann.  Denn  erstlich  müsste  wenigstens  ein  Satz  vorherge- 
hen, uni  welchen  sich  denique.,  höchstens.,  beziehen  Hesse,  so 
wie  es  in  den  von  Hrn.  W  ernsdorf,  oder  AieLi.ehr  von  Tur- 
eeilinus  angezogenen  Stellen  der  Fall  ist.  Es  geht  aber  nicht 
nur  kein  Satz  vorher,  sondern  es  lässt  sich  nicht  einmal  ein 
Satz  als  ausgelassen  und  zu  suppliren  denken.  Cicero  will 
den  im  Vorhergehenden  ausgesprochenen  Satz :  comitiis,  prae- 
sertim  aedilitiis^  Studium  esse  populi,  non  iudicium  erläutern. 
Diess  thut  er  in  folgenden  Worten:  eOÄ,  qui  suß'ragium  ferant, 
qtiid    (cuique)   ipsi  debeant.,    considerare  saepius.,    quam  quid 


Cic.  Oratt.  pro  Plane,  pro  Mil.,pru  Lig.  etproDcjot.Edid.Wernsdorf.   2W 

cuique  a  re  publica  debealur.  Bedenke^  dass  diejenigen ,  teel- 
che  stimmen^  mehr  in  VeberleguJiß  bringen^  was  sie  selbst  einem 
Jeden  schuldig  sind^  als  was  Jedem  der  Staat  schuldig  ist.  Ist 
es  nun  bei  diesen  klaren  Worten  noclj  nöthig,  die  widersinnige 
Erklärung  Hrn.  W.s  zu  widerlegen,  welcher  sagt:  „y?/?/7w  niulla 
alia  p/ius  v.  c.  quid  cuique  res  publica  debeat ,  considerare  de- 
heant  ^  quid  denique  ijjsi  debeafit.,  considerant^  i.e.  sie  fra- 
gen nur  höchstens.,  was  sie  für  ihrePersonen  etc.*? 
Ist  es  möglich,  dass  ein  verniinitiger  Mensch  den  Satz  als  aus- 
gelassen vor  den  Worten  quid  .  .  .  ipsi  debeant  ansehe,  welcher 
eben  diesen  Worten  klar  und  deutlich  entgegengesetzt  wird, 
quid  cuique  a  re  p.  debeatnr?  Und  wie  passt  ferner  das  höch- 
stens zu  dem  saepius ,  das  freilich  Hr.  W. ,  da  es  seiner  Erklä- 
rung ganz  und  gar  zuwider  war,  wegzulassen  kein  Bedenken 
trug.  Zweitens  widerspricht  auch  die  Stellung  von  deinque 
derWernsd.  Erklärung.  Nach  dieser  niüsste  es  nothwendig  vor 
oder  nach  eos  stehen,  nicht  aber  nach  quid.,  wo  es  immer  und 
ewig  sinnlos  bleiben  wird.  Desshalb  ist  nichts  gewisser,  als 
dass  cuique  die  einzig  richtige  Schreibart  ist,  wofür  schon  der 
blosse  Gegensatz ,  quam  quid  cuique  a  «e  p.  debealur  hinläng- 
lich spricht.  Die  Möglichkeit  ihrer  Verderbung  in  denique  hat 
schon  Weiske  eingesehen.  Aus  cuique  wurde  enique.,  und  da 
^2<2<2  vorherging,  denique. 

C.  5  §  12 :  Qui  si  tecum  congrediatur.,  et  si  una  voce  loqui 
possit:  haec  dicat:  Ego  tibi — supplirarat.  Itespondebis  u.s.w.., 
tritt  Hr.  Wernsd.  Garatoni  bei,  welcher  fiir  haec  aus  dem 
Baierschen  Cod.  ac  aufnahm,  und  mit  Bespondebis  den  Nach- 
satz beginnen  liess.  Eine  sorgfältige  Prüfung  der  ganzen  Stelle 
würde  aber  Hrn.  W.  gezeigt  haben,  dass  diese  Aenderung  durch- 
aus unzulässig  und  die  Lesart  der  übrigen  Handschriften  die  al- 
lein richtige  sey.  Deim  wenn  die  Worte  respondebis  u.  s.  w. 
den  Nachsatz  bildeten,  so  raüsste  man  glauben,  dass  Cicero 
hauptsächlich  das  auseinandersetzen  wolle,  was Laterensis  dem 
Volke  auf  dessen  Rede,  die  es  an  ihn  halten  würde,  wenn  es 
mit  einer  Stimme  zu  ihm  sprechen  könnte,  antworten  würde. 
Allein  das  will ,  wie  das  ganze  Cap.  zeigt,  Cicero  keineswegs 
auseinander  setzen.  Vielmehr  ist  es  seine  Absicht,  das  haupt- 
sächlich zu  erwähnen,  was  das  Volk  dem  Laterensis  sagen  würde, 
\^enn  es  einstimmig  zu  ihm  reden  könnte.  Was  Laterensis  dar- 
auf erwidern  werde,  ist  bloss  Nebensache,  und  kann  daher 
nicht  den  Nachsatz,  sondern  muss  nothwendig  einen  neuen  Satz 
bilden.  W^as  übrigens  in  derselben  Note  über  den  Unterschied 
der  Partikeln  ei,  que.,  ac  und  atque  von  Hrn.  W.  bemerkt  wird, 
ist  eine  wörtliche  Uebersetzung  dessen,  was  Ra  ms  hörn  in 
seiner  Gramm,  S. 516  (nicht  §  516,  wie  es  bei  Wernsd.  heisst) 
hierüber  geschrieben  hat.     Statt  der  blossen  unnöthigen  Wie- 


280  Römische  Litteratur. 

derholung  war  eine  Bericlitigiing^  in  einem  kritischen  Comnien- 
tar  docli  wohl  zweckmässiger. 

C.  5  §12  liat  zwar  Hr.  Wernsd.  mit  Recht  bemerkt,  dass 
das  Pronomen  se,  Avelches  im  Baierschen  und  Erf.  Cod.  nach 
szipplicari  h'mzngeiügt  wird,  niclit  mit  Garatoni  als  ein  TJe- 
berbleibsel  des  Wortes  voluisse  anzusehen  scy,  sondern  wirk- 
lich das  Pronomen  ist  und  sich  auf  das  Folgende  bezielit,  allein 
kein  Wort  darüber  hinzugefügt,  Avarum  hier  dieses  Pronomen 
den  Satz  beginne,  während  dasselbe  in  den  vorhergehenden  und 
nachfolgenden  Sätzen  enklitisch  ist.  Hierüber  juusste  aber  Hr. 
W.  sprechen,  wenn  er  überzeugend  werden  wollte.  Wir  haben 
den  Grund  davon  bereits  in  unscrm  Commentar  angegeben.  — 
In  demselben  Cap.  §  13  tbut  Hr.  Wernsd.  die  überflüssige  Frage, 
warum  OreUi  in  den  Worten  et  quo  plus  intererat  eine  Lücke 
zu  finden  glaube, und  vorschlage:  et  curari  me  quo  plus  intererat^ 
da  doch  Orelli  deutlich  genug  zu  erkennen  gegeben  hat,  dass 
ilin  die  Lesart  einiger  Handschrr.  e^  cur  quo  plus  intererat  zu 
dieser  Muthmassung  veranlasst  liabe.  Wenn  Hr.  W.  ein  nütz- 
liches Wort  zu  dieser  Stelle  schreiben  wollte,  so  hätte  er 
zeigen  sollen,  dass  die  Worte  et  quo  plus  intererat  gar  keine 
Veränderung  zulassen ,  was  von  uns  in  unserem  Comm.  gesclie- 
hen  ist.  —  In  demselben  Paragraph  liaben  alle  Handschriften 
mit  Ausnahme  der  Baiersclien:  Sin^  quod  magis  intelligo^  tem~ 
poribus  te  aliis  reservasti,  ego  quoque^  inquiet  populus  Ro- 
manus^  ad  ea  te  tempora  revocavi^  ad  quae  tu  te  ipse  servaras. 
Nur  der  Baierscheliat  fiir  quoque  die  Partikel  autem.  Hr.  Wernsd. 
hat  sie  aufgenommen,  tadelt  Orelli ,  dass  er  nicht  ein  Glei- 
ches gethan,  und  sagt  zur  Rechtfertigung  seines  Verfahrens 
nur  folgendes:  „Verum  fiw^e;«  saepe  sie  in  responsionibus  poni- 
tur.  AdFamil.4,  14:  Ego  autem  si  dignitas  est  bene  de  re  p. 
sentire  —  obtineo  dignitatem  meam.  Atque  si  quis  dubitet,  quin 
neu  is  contextus  orationis  esse  possit  aliquando,  qui  admittat 
post  sin  adversativam  particulam,  facile  refutabitur  locoLiviano 
X,  20:  Sin  collega  quid  aliud  7nalit:  at  sibi  LuciumVobmmiium 
darent  adiutorem.'-'-  Keine  von  beiden  Stellen  kann  irgend  et- 
was fiir  die  Richtigkeit  der  Wernsd.  Behauptung,  dass  auleni 
aus  dem  Baier.  Cod.  aufzunelnnen  sey,  beweisen.  In  der  letz- 
ten Stelle  heisst  at  wenigstem  ^  und  kann  in  dieser  Bedeutung 
mit  Fug  und  Reclit  im  Nachsatze  gebraucht  werden,  was  unzäh- 
lig oft  geschieht.  In  der  ersten  Stelle  steht  auteui  zu  Anfang 
eines  Satzes,  und  hat,  wie  der  Zusammenhang  lehrt,  seine  ganz 
gewöhnliche  Bedeutung.  Nachdem  Cicero  im  Vorhergehenden 
den  Inhalt  der  beiden  Briefe,  die  er  vom  Plancius  empfangen 
habe,  erwähnt  und  gesagt  hat,  dass  er  im  ersten  sich  freue, 
dass  er  sein  altes  Ansehen  aufrecht  erhalte,  und  im  zweiten 
ihm  einen  glücklichen  Ausgang  seiner  Unternehmungen  ge- 
wünscht habe:  so  erwidert  Cicero  mit  den  Worten  Ego  autem 


Cic.  Oratt.  pro  Plane,  pro  Mii.,  pro  Lig.  et  pro  Dejot.  Edid.Wernsdorf.  281 

11.  s.  w.  dem  Plaiicius,  dass  es  sicli  mit  der  AufrecliterliaUung 
des  Ansehens  anders  verlialte,  als  er  denke.  Er  bejahet  also 
nicht  das,  Avas  Plaiicius  gedacht  liatte,  sondern  berichtigt  und 
widerlegt  zum  Theil  dessen  Ansiclit.  31  it  vollem  Rechte  ist 
also  in  jener  Stelle,  die  übrigens  Hr.  Wernsd.  ebenfalls  aus 
Turseliinus  genommen  Iiat,  die  Partikel  uulem  gesetzt. 
Ganz  verschieden  davon  ist  die  Stelle  in  der  Planciana.  Wer 
es  hier  glaubhaft  machen  uill,  dass  ««fc^/«  die  richtige  Lesart 
sey,  muss  dreierlei  beweisen:  erstlich,  dass  «?/^e;«  in  der  Apo- 
dosis  gesetzt  vorkomme;  zweitens,  dass  es  in  einer  solchen  Apo- 
dosis  vorkomme,  welche  nicht  eine  Berichtigung ,  sondern,  Avie 
hier,  eine  Wiederholung  der  Protasis  ,  wobei  nur  die  Personen 
wechseln,  enthalte;  drittens  endlich,  dass  für  aulem  ein  Er- 
klärer liabe  quoqiie  setzen  können.  So  lange  diess  unbewiesen 
hieibt,  Iiaiten  wir  aulem  durchaus  für  falsch.  Die  Bedeutung 
der  Partikel  o?^/em  aber  wird  die  Beweisführung  unmöglich 
machen.  Da  jedoch  auch  soviel  gewiss  ist,  dass  kein  Abschrei- 
ber aus  quoque  werde  autem  gemacht  haben,  so  sind  wir  der 
Meinung,  dass  auch  q^ioque  die  wahre  Lesart  nicht  sey,  sondern 
eine  Partikel  hier  gestanden  habe,  die  durch  yz/o^r^'e  erklärt  wor- 
den sey,  und  leicht  mit  autem  habe  verwechselt  werden  kön- 
nen. Diese  scheint  uns  Orelii  ausfindig  gemacht  zu  haben,  wel- 
cher iteyn^  eine  dem  Sinn  ganz  angemessene  Partikel ,  für  die 
ursprüngliche  Lesart  hält. 

Völlig  widersinnig  und  kaum  der  Widerlegung  werth  ist 
die  folgende  Bemerkung,  in  welcher  Ilr.  W.  die  liandschriftli- 
che  Lesart  in  den  Worten  (c.  5  §  13)  ildem  7nihi  sunt  iudi ces 
/^ß/-«^/  gegen  E  r  n  e  s  t  i ,  Garatoni  und  Orelii,  welche  für 
iudices  Iudi  geschrieben  haben ,  in  Schutz  nimmt.  Man  höre 
ilui  selbst  reden:  „Error  omnis  ex  eo  natus  est,  ({woA.  iudices 
ex  significatione  sumserunt  lUchter^  qui  sederent  in  iudicio,  sed 
significat  Beurtheiler^  iiti  est  in  c.  13  plurimarum  rerum  iudex  ; 
et  alibi  reperitur  nimiura  saepe.  Absurda  sane  cuique  scriptori 
videri  debebat  vox  illa,  si  illos  iudices,  adloquente  populo,  hie 
cogitarem.  At  sensus  est :  Möge?i  es  Aedilen  sein ,  welche  es 
tvollen ,  ich  habe  an  allen  (^einem^  tvie  dem  andern)  fertige^  ge- 
schickte ßeurtheiler.  sc.  iudicare  mihi  possunt  de  rebus  iis,  qua- 
rum  curaipsismandataest."  Wohl  konnte  keine  dem  lateinischen 
Sprachgebrauch  und  dem  Sinn  dieser  Stelle  zuwiderlaufendere 
Erklärung  ausgesonnen  werden.  Denn  wo  hat  je  ein  Lateiner 
iudex  paratus  in  der  Bedeutung  eines  geschickten  Beurtheilers 
gesagt!  Wie  können  ferner  die  Aedilen  i?e?/r/Äe//er  des  Vol- 
kes genannt  werden  !  In  der  Tliat  Hr.  Wernsdorf  muss  doch 
nicht  die  mindeste  Kenntniss  von  dem  Geschäft  der  Aedilen 
haben.  Nun  sehe  man  vollends  die  ganze  Stelle  im  Cicero 
selbst  nach,  und  man  wird  über  Hrn.  Wernsdorfs  Erklärung 
in   Erstaunen     gerathen.      Cicero    lässt    das  Volk    zum   La- 


282  Uü  mische  Littcratur. 

tereiisis,  der  darüber  aufgebraclit  ist,  dass  er  nicht  zumAe- 
dil  gewählt  worden  ist,  sagen,  er  solle  sich  um  solche  Aein- 
ter  bewerben,  deren  Führer  ihm  wahrhaft  nützlich  seyn  könnten. 
Diess  thut  er  mit  folgenden  Worten;  Pete  igitur  euni  magislra- 
tum^  in  quo  mihi  magnae  utilitati  esse  possis.  Aediles  qtiicumque 
erunt^  iidein  mihi  sunt  .  .  .  parali;  tribuni  plebis  pennagni 
inte?  est  qui  sint.  Wem  leuchtet  nicht  auf  der  Stelle  ein  ,  dass 
die  Worte  Aediles  —  parati  nothwendig  den  Gedanken  eutlial- 
ten  müssen:  Aedilen  inögen  seyn  voji  welcher  Art  sie  wollen^ 
ich  habe  weder  Getvinn,  tvenn  sie  gut^  noch  Schaden^  wenn  sie 
schlecht  sind.  Aber,  fährt  das  Volk  fort,  was  ich  für  Tribunen 
habe,  darauf  kommt  viel  an.  Was  ist  nun  zuversichtlicher, 
als  dass  Cicero /eWe/«  7nihi  sunt  tu di  parali  §G^c\\rich(i\i  habe? 
Wir  wiederholen  hier  weiter  nicht ,  was  bereits  voo  Garatoni 
gezeigt  worden  ist,  dass  ludi  auf  das  Leichteste  in  iudices  ver- 
ändert werden  konnte.  Nur  bemerken  wir  noch,  dass  auch 
diess  ein  gewaltiger  Irrtlium  ist,  dass  Hr.  W.  c.  13  in  den  Wor- 
ten plurimarum  rerum  sanclissimus  et  iustissimus  iudex  dem 
Worte  iudex  die  Bedeutung  eines  Beurtheilers  giebt.  L  uter 
iudex  ist  dort  ein  Schiedsrichter  zu  verstehen,  wie  bereits  E  r- 
nesti  richtig  bemerkt  hat. 

Nichts  sagend  ist  wiederum  die  Bemerkung  zuCap.6  §16: 
cur  tu  id  in  iudicio  ut  fiat  exprimis^  quod  non  fit  in  campo^ 
in  welchem  Satze  Garatoni  und  Orelli  die  Worte  ut  fiat 
für  eine  Glosse  zu  halten  gemeint  sind,  weil  sie  bloss  in  dem 
Bai.  und  Erf.  Cod.  stehen.  Dagegen  sagt  bloss  Hr.  W.:  „Haec 
propter  vim  oppositionis,  et  quod  Bav.  et  Erf.  optimi  codd.  ha- 
bent,  non  uncis  uti  Gar.  et  Orell.  incluserim."  Ist  es  denn  un- 
möglich, dass  die  besten  Handschriften  interpolirt  sind*?  Doch 
die  nähere  Auskunft,  was  von  dieser  Stelle  zu  halten,  werden 
die  Leser  in  unserer  Ausgabe  der  Planciana  finden.  —  Nicht 
mehr  sagend  ist  die  Bemerkung  zu  den  Worten  desselben  §, 
67*  dicerem.,  wofür  ein  Theil  der  Handschriften  sie  dicere  hat, 
was  Hrn.  Prof.  Orelli  wenigstens  nicht  unlateinisch  zu  seyn 
schien.  Dagegen  sagt  Hr.  W.:  .„sie  dicere.,  quod  hie  Orellius 
et  Wolffius  legendum  esse  putant,  non  hie  scribi  potest.''  Auf 
diese  ohne  Beweisführung  hingestellte  Erklärung  Hrn.  W.s  wird 
wohl  Niemand  etwas  geben.  Uebrigens  würde  Hr.  W.  besser 
getban  haben,  wenn  er  statt  non  hie  scribi potest  geschrieben 
hätte:  hie  seribi  non  potest.  Ueberhaupt  leidet  die  Latinität  des 
Hrn.  Herausg.  an  vielen  Gebrechen.  —  Eine  unmässig  lange 
Bemerkung  hat  Hr.  W.  noch  über  den  letzten  Satz  dieses  KUen 
Paragraphs  gemacht,  in  welcher  er  sich  zu  zeigen  bemüht,  dass 
nicht  l\am  quid  assequerere  mit  Garatoni  und  Orelli,  son- 
dern Nunc  quid  assequerere  zu  schreiben  sey.  Durch  ein  glück- 
liches Versehen  hat  sich  jedocli  auch  im  Wernsd.  Texte  Nam 
erhalten.     Denn  Nunc  giebt  gar  keinen  Sinn.    Vielleicht  wiirde 


Cic.  Oratt.pro  Plcuic,  pro  Mil.,  pro  Lig.  et  pro  D(\jot.  Edid-Wernsdorl".  28S 

diess  Hr.  W.  selbst  eingesehen  haben,  wen»  er  gewusst  hätte, 
was  er  freilich  hätte  wis^scn  sollen ,  dass  assctjuerere  in  kei- 
ner Handschrift  stellt,  sondern  zuerst,  wahrscheinlich  aus  Ver- 
sehen, in  der  Gruter  seh  en  Ausg.  gefunden  wird.  Aus  dieser 
liaben  es  nurGaratoui  und  Orelli  beibehalten;  und  diess  durch- 
aus mit  Unrecht,  Die  liandschriftliche  Lesart  asseijiiercr  giebt 
allein  den  erforderlichen  Sinn,  und  macht  zugleich  die  Schreib- 
art Num  nöthig,  JSutic  steht  nur  in  wenigen  II.  und  nicht, 
wie  Hr.  W.  fälschlich  sagt,  in  der  Baierschen.  Weiter  ]ial)eii 
wir  über  die  lange  und  völlig  überfliissige  Bern,  Hrn.  W.s  nicitU 
zu  sagen.  Hätte  er  assequerere  gegen  assequerer  vertheidigt, 
so  würden  wir  ihn  widerlegen,  was  jetzt  unniithig  ist. 

Cap.  8  §20  hatteGraeve,  angeblich  aus  dem  Erf.  Cod., 
also  geschrieben  :  At  in  quemcumque  Arpinatem  iucideris.,  etiam- 
si  nolis  erit  tarnen  tibi  forlasse  etiamde  nobis  aliquid.,  aii- 
quid  sed  certe  de  C.  Mario  audiendum.  Gerade  so 
giebt  diese  Stelle  der  Bai.  Cod.,  dem  Garatoni  beistimmte. 
Ernesti  und  Orelli  nahmen  dagegen  gegründeten  Anstoss 
an  dem  nachgesetzten  sed.,  das  ausser  dem  Erf.  und  Bai.  Cod. 
die  übrigen  alle  nicht  anerkennen,  und  Hessen  es  desslialb  weg. 
Hr.  W.  meint  dagegen:  „At  omnis  off'ensio  facile  tollitur,  si 
pauUisper  in  recitando  loco  post  aliquid  vocem  inhibueris,  ita 
ut  coniunctim  pronuntiatum  sed  cerle,